Urteil des SozG Neuruppin vom 28.01.2011

SozG Neuruppin: gewöhnlicher aufenthalt, stationäre behandlung, sozialhilfe, tante, feststellungsklage, familie, erfüllung, versorgung, anfang, ausführung

1
2
3
4
5
Gericht:
SG Neuruppin 14.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 14 SO 88/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 106 Abs 1 S 2 SGB 12, § 98
Abs 2 S 3 SGB 12, § 30 Abs 3 S
2 SGB 1
Sozialhilfe - Kostenerstattung zwischen den Sozialhilfeträgern
bei Unterbringung in einer Einrichtung - Nichtermittelbarkeit des
gewöhnlichen Aufenthalts
Leitsatz
Zur Erstattungspflicht des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe gem. § 106 Abs. 1 S. 2 SGB XII
bei nicht ermittelbarem gewöhnlichem Aufenthalt eines Hilfeempfängers
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger die rechtmäßig
erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen der Sozialhilfe für Frau I.
B. R., geb. am 23. Februar 1950 in B. S., ab dem 1. Januar 2007 zu
erstatten hat.
2. Der Beklagte trägt die Kosten.
3. Der Streitwert wird auf 170 000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Ergebnis die Kostenerstattung über die Feststellung, dass der
Beklagte für die Finanzierung des Sozialhilfefalls zuständig ist.
Der Beklagte gewährte und gewährt Frau I. B. R., geboren am 23. Februar 1950 in B. S.,
im wesentlichen Eingliederungshilfe in der stationären Einrichtung des Mühlenhofs in
W.der R. C. gGmbH sowie Hilfe zum Lebensunterhalt in stationärer Einrichtung.
Frau R., die Leistungsempfängerin, wurde in einem Wochenheim in B. S. geboren. Ihre
Mutter, Frau E. E. R., geboren 1929 in B. wohnte zur Zeit der Geburt ausweislich der
Geburtsurkunde in K.. Als Vater ist Herr E. K. wohnhaft in A. in der Urkunde ausgewiesen.
Ausweislich der vom Kläger ermittelten Meldekarten verzog der Vater Herr E. K. nach K.
und am 29. Oktober 1951 nach B.. Aufgrund von späteren Ermittlungen ergab sich der
Zuzug am 17. März 1953 von Herrn K. nach B. mit Meldung dort bis 27. Dezember 1960
mit Abmeldung nach S..
Die Mutter, Frau E. E.R. zog von K. nach L., von dort mit Meldung am 23. Mai 1952 nach
B., mit Datum vom 31. März 1953 nach N., mit 1. Juli 1953 nach F., mit 19. November
1953 nach B. und von dort mit Abmeldung ab 19. Januar 1954 nach B.. Auf der
Meldekarte, die am 23. März 1953 ausgestellt worden ist, wird ein Sohn von E. E. R., H. J.
geboren 1953 in N. aufgeführt. Unter sonstige Vermerke wurde geschrieben: „soll ein
Kind im Krankenhaus haben“.
Aus dem vom Kläger ermittelten medizinischen Zwischenbericht vom 12. Dezember
1991 der Klinik für forensische Psychiatrie der Landesklinik N. geht hervor, dass Frau M.
R. im Alter von 2 Jahren in einem Kinderheim aufgenommen worden ist, es in der
Folgezeit immer wieder zu Verhaltensauffälligkeiten und zwischenzeitlich stationären
Behandlungen kam. Bereits im Alter von 2 Jahren seien Absencen und Grand-Mal-Anfälle
beobachtet worden. Aus dem Entwicklungsbericht der Reha Consult gGmbH vom 2.
Februar 2006 geht hervor, dass bis zum Dezember 1998 über die Eltern außer ihren
Namen (E. R. und E. R.) und die Familien nichts bekannt gewesen sei. Nach dem Tod der
Mutter hätten eine Tante und eine Schwester sich gemeldet, die im Zusammenhang mit
dem Testament erfahren hätten, wo Frau R. lebt. Die Tante habe berichtet, dass die
Mutter von Frau R. bei der Entbindung noch minderjährig gewesen sei und das Kind
deshalb in einem Wochenheim untergebracht worden sei. Die junge Mutter habe das
Kind immer von Samstag Mittag bis Sonntagnachmittag nach hause geholt. Nach dem
Bericht der Tante sei das Kind eines Tages mit einer plötzlichen Erkrankung in ein
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Bericht der Tante sei das Kind eines Tages mit einer plötzlichen Erkrankung in ein
unbekanntes Krankenhaus eingeliefert worden. Von diesem Zeitpunkt an wäre es der
Familie nicht möglich gewesen, etwas über den Aufenthalt von M. R. zu erfahren.
Nach den Ermittlungen des Klägers sei Frau M. R. von dem Mütter- und Säuglingsheim in
B. S. in die Nervenklinik der Charité Berlin verlegt worden, und sei dort von Mai bis
September 1951 verblieben. Aus dem Kinderheim S. kommend sei Frau B. R. am 26.
Januar 1954 in die Nervenklinik B. aufgenommen worden. Von da ab habe ein
ununterbrochener stationärer Aufenthalt bestanden. Mit Eingang bei dem Beklagten am
6. November 2007 stellte der Kläger den Antrag auf Kostenerstattung nach § 106 Abs. 1
Satz 2 SGB XII. Es habe kein gewöhnlicher Aufenthalt vor der ersten Heimaufnahme
ermittelt werden können. Der Beklagte führte zu dem Begehren aus, es seien noch
Ermittlungen durchzuführen zum Beginn der ununterbrochenen Heimunterbringung.
Mit Schreiben vom 22. September 2008 lehnt der Beklagte eine Kostenerstattung
gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ab. Das Tatbestandsmerkmal des nicht vorhandenen
oder nicht zu ermittelnden gewöhnlichen Aufenthalts (gA) sei nicht erfüllt. Eine
ununterbrochene Heimunterbringung sei ab dem 26. Januar 1954 nachweislich erfolgt.
Es könne davon ausgegangen werden, dass die Hilfeempfängerin den gA der Mutter bis
zur Heimaufnahme geteilt habe. Nach den bei ihm eingereichten Eintragungen einzelner
Meldeämter sei der von der Mutter begründete gA von der Geburt der Tochter bis zu
deren Heimaufnahme nicht vollständig ermittelt worden.
Der Kläger hat am 27 Oktober 2009 die Feststellungsklage erhoben. Trotz Ermittlungen
sei der gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der ersten Aufnahme in eine stationäre
Einrichtung nicht ermittelt worden. Die Feststellungsklage sei hier zulässig, die
Ausführung des Urteils durch den Schuldner sei hier auch ohne einen vollstreckbaren
Titel zu erwarten. Zwischen den Parteien bestehe ein Rechtsverhältnis auf
Kostenerstattung. Der Anspruch bestehe gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Der
Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe sei für den Leistungsfall sachlich
zuständig. Die Sozialhilfeleistungen seien auf der Grundlage von § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB
XII erbracht worden. Im Verhältnis zum Leistungsempfänger sei die Pflicht vorläufig
einzutreten eine dauerhafte. Der gewöhnliche Aufenthalt vor der dauerhaften
stationären Aufnahme habe nicht ermittelt werden können. Zwar gelte der Grundsatz,
dass ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich bei dem
Elternteil habe, der das Personensorgerecht ausübe und bei dem es sich tatsächlich
aufhalte. Dies setze aber eine tatsächliche Aufenthaltsnahme voraus im Sinne eines
zukunftsoffenen Verbleibs bis auf weiteres. Bei dem damals minderjährigen Kind seien
allein die objektiven Umstände im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 3 SGB I entscheidend.
Nach der Verlegung im Mai 1951 in die Nervenklinik der Charité Berlin, habe die Familie
keinen Kontakt mehr zu der Hilfeempfängerin gehabt. Es habe sich nicht ermitteln
lassen, wo die Hilfeempfängerin ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in
die stationäre Betreuung der Nervenklinik B. am 26. Januar 1954 gehabt habe. Bekannt
geworden sei noch, dass sie dort aus einem Kinderheim S. kommend aufgenommen
worden sei. Diesbezügliche Nachfragen seien erfolglos gewesen.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die gegenüber der
Leistungsempfängerin M. I. B. R., geb. am 23. Februar 1950 in Bad Saarow, seit dem 1.
Januar 2007 rechtmäßig erbrachten und noch zu erbringenden rechtmäßigen
Sozialhilfeleistungen zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die Feststellungsklage für unbegründet.
Der gewöhnliche Aufenthalt bestimme sich unter Heranziehung der Legaldefinition des §
30 Abs. 3 Satz 2 SGB I. Dies erfordere einen zukunftsoffenen Verbleib bis auf weiteres.
Die Beurteilung habe maßgeblich nach den tatsächlichen Umständen, also objektiven
Gesichtspunkten zu erfolgen. Maßgeblich sei bei einem Kind der Aufenthaltsort der
Mutter zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme der Hilfeempfängerin in die Einrichtung.
Nach der Angabe der Tante habe die Mutter ihre Tochter regelmäßig am Wochenende
aus dem Kinderheim in S. abgeholt. Damit sei zu dieser Zeit der gA noch bei der Mutter
gewesen. Für die Mutter gäbe es durchgehend Meldeadressen bis zur Aufnahme des
Kindes in die stationäre Einrichtung der Nervenklinik B.. Die Mutter sei von Luckenwalde
am 31. März 1953 nach Neuruppin verzogen. Damit sei von einem gA vor
Heimaufnahme im Landkreis O. auszugehen. Die Hilfeempfängerin hatte ihren gA also
15
16
17
18
19
20
21
22
Heimaufnahme im Landkreis O. auszugehen. Die Hilfeempfängerin hatte ihren gA also
eindeutig beim Kläger gehabt. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass der Kläger
fahrlässig die Sachverhaltsaufklärung verzögert habe, so dass heute mögliche Zeugen
des Geschehens in den fünfziger Jahren nicht mehr haben gefunden werden können
beziehungsweise gestorben sei. Er trage selbst die Verantwortung über eine mögliche
Nichtermittelbarkeit des gAs, da er seit Anfang der 90-er Jahre versäumt habe, bei
Zeiten den gA der Hilfeempfängerin genau durch Zeugen zu hinterfragen und zu
ermitteln. Eine mangelnde Ermittlung des Aufenthalts sei nicht gleichzusetzen mit „nicht
zu ermitteln“ im Sinne des § 106 SGB XII. Ungenügende und nicht zeitnahe
Sachverhaltsaufklärung des Klägers könne nicht zu Lasten des Beklagten gehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreites sowie des weiteren Vorbringens der
Beteiligten, wird auf die Verwaltungsakte des Klägers von Blatt 1 bis 343, die
Verwaltungsakte des Beklagten mit seinen Seiten Nr. 1 bis 63, die in der mündlichen
Verhandlung vom Kläger überreichte Fortsetzung der Verwaltungsakte zum laufenden
Hilfefall sowie die Verwaltungsakte des Amtes für Soziales und Versorgung Potsdam bis
zum Jahr 1996 Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann mit der Klage die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt
werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Nachdem der Kläger seit Januar 1996 für die stationäre Eingliederungshilfengewährung
im Rahmen der übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zuständig war,
ist er ab 1. Januar 2007 gemäß § 97 SGB XII in Verbindung mit dem Gesetz zur
Ausführung des 12. Buches Sozialgesetzbuch und zur Änderung des Brandenburgischen
Finanzausgleichsgesetzes vom 6. Dezember 2006 (GVBL I vom 11. Dezember 2006, S.
166f) sachlich zuständig für die Hilfegewährung. Der Kläger hat ein berechtigtes
Interesse an der nunmehrigen Feststellung, dass er einen Kostenerstattungsanspruch
seit 1. Januar 2007 für die Leistungsempfängerin R. hat, da er seit dem 1. Januar 2007
die Sozialhilfeaufwendungen für die Hilfeempfängerin aus seinem Haushalt trägt und der
Beklagte eine Kostenerstattung im September 2008 abgelehnt hat. Die weitere
haushaltärische Belastung mit den Sozialhilfeaufwendungen für diesen Hilfefall, bei
defizitären Kreishaushalten hat der Kläger, gemäß § 64 Abs. 2 Brandenburgische
Kommunalverfassung die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge soweit
vertretbar und geboten, aus speziellen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen
zu beschaffen. Dazu gehört auch die Einbringung von Aufwendungen für die Sozialhilfe,
wenn der Kläger der Ansicht ist, ein Anspruch auf Kostenerstattung zu haben. Im
Übrigen folgt das Feststellungsinteresse auch aus der Ausschlussfrist des § 111 SGB X.
Im Übrigen wird zur Zulässigkeit der Feststellungsklage auf die von dem Kläger zitierte
Rechtssprechung Bezug genommen. Auch die Entscheidung des Landessozialgerichts
Berlin-Brandenburg vom 15. April 2010 Az.: L 23 SO 148/07 steht dem nicht entgegen,
da vorliegend zwischen den Beteiligten die Höhe des Erstattungsbetrages nicht in Streit
steht.
Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.
Dieser lautet: „Ist in den Fällen des § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4 ein gewöhnlicher Aufenthalt
nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln und war für die Leistungserbringung ein örtlicher
Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, sind diesem die aufgewendeten Kosten von
dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe zu erstatten, zu dessen Bereich der örtliche
Träger gehört.
Gemäß § 1 des Gesetzes zur Ausführung des 12. Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII)
ist überörtlicher Träger der Sozialhilfe im Land Brandenburg das Land. Die Aufgaben des
überörtlichen Trägers der Sozialhilfe werden vom Landesamt für Soziales und
Versorgung wahrgenommen, soweit sich nicht aus den nachfolgenden Bestimmungen
etwas anderes ergibt.
Die Beteiligten haben übereinstimmend darauf hingewiesen, dass für die Bestimmung
des gewöhnlichen Aufenthaltes (g.A.) auf § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen ist.
Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen
aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur
vorübergehend verweilt.
23
24
25
26
Ein gewöhnlicher Aufenthalt für Frau M. I. B. R. vor der stationären Aufenthaltskette ab
26. Januar 1954 war vorliegend nicht zu ermitteln. Der Kläger hat umfangreiche
Ermittlungen vorgenommen durch 35 Anfragen und Auskunftsersuchen an Ämter,
Archive, Einrichtungen. Im Ergebnis dessen und unter Hinzunahme der
Entwicklungsberichte, hatte zunächst die minderjährige Mutter die Hilfeempfängerin
nach der Aussage der Tante samstagmittags bis sonntagnachmittags aus der
Einrichtung in B. S. geholt. Nach der weiteren Angabe der Tante erkrankte dann die
Hilfeempfängerin akut und kam in ein Krankenhaus unbekannten Ortes für die Familie.
Der Kläger hat insoweit noch die Angabe wiedergegeben über eine stationäre
Behandlung in der Nervenklinik der Charité Berlin von Mai bis September 1951. Aus dem
medizinischen Zwischenbericht von Dezember 1991 geht die Aufnahme mit 2 Jahren ins
Kinderheim hervor, und das damals Absencen und Grand-Mal-Anfälle bestanden. Dies
entspräche dem Jahr 1952. Die Hilfeempfängerin wird auf der Meldekarte der Mutter, die
am 23. März 1953 ausgestellt worden ist, nicht namentlich erwähnt, obwohl dort der am
9. Januar 1953 geborene Bruder der Hilfeempfängerin aufgeführt ist. Es ist dort lediglich
auf ein weiteres Kind, offen ob weiblich oder männlich, im Krankenhaus als Möglichkeit
vermerkt.
Daraus folgt für die Kammer, dass die Mutter ihre Sorgeberechtigung nicht ausgeübt
hat. Denn wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre sie auf der Meldekarte vom 23. März
1953 namentlich aufgeführt. Auf der Meldekarte der Hilfeempfängerin wird wiederum nur
der Vater mit E. K. aufgeführt, die Mutter gar nicht. Aus der wöchentlichen Abholung am
Wochenende von Samstagmittag bis Sonntagnachmittag konnte die Hilfeempfängerin
keinen g.A. begründen, da ein rund 24-stündiger Aufenthalt außerhalb einer stationären
Einrichtung kein zukunftsoffenes Verweilen mit Bildung eines Lebensmittelpunktes sein
kann. Angenommen die stationäre Behandlung im Mai und September 1951 in der
Berliner Charité war die von der Tante erwähnte Akuterkrankung und ab dann
unbekannten Aufenthalts für die Familie, hatte die Hilfeempfängerin jedenfalls in einem
häuslichen Milieu keinen g.A. begründet. Für die Begründung eines g.A.s ist jedenfalls
eine tatsächliche Aufenthaltsnahme erforderlich (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
vom 7. Juli 2005 Az.: 5 C 9/04 und vom 26. September 2002 Az.: 5 C 46/01, 5 B 37/01;
Urteil OVG NRW vom 16. Februar 2009 Az.: 12a 3303/07; Urteil OVG für das Land
Mecklenburg-Vorpommern vom 28. August 2007 Az.: 1 L 300/05).
Weiter ist bei der Bestimmung des g.A. bei Kindern nur dann nach dem Aufenthalt der
Eltern bzw. nach dem Aufenthalt des mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils zu
bestimmen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der minderjährige
Hilfeempfänger einen davon abweichenden g.A. oder einen abweichenden tatsächlichen
Aufenthalt genommen hat (OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern a.a.O.). Da bei
Minderjährigen der subjektive Wille für die Aufenthaltsnahme in den Hintergrund tritt,
sind objektive Umstände allein entscheidend (OVG für das Land Mecklenburg-
Vorpommern a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Dies sehen auch die Beteiligten so. Soweit der
Beklagte darauf hinweist, die Hilfeempfängerin habe nachgewiesenermaßen den g.A. der
Mutter geteilt und dieser sei Neuruppin gewesen, ist dies mit dem Ergebnis der
Ermittlungen des Klägers nicht zu vereinen. Nach den Meldedaten hat die Mutter der
Hilfeempfängerin sehr oft ihren Wohnort gewechselt und sich häufig nur einige Monate
an einem Ort aufgehalten. Das die Hilfeempfängerin ihren g.A. in Neuruppin begründet
habe, wird durch die Meldekarte vom März 1953 widerlegt. Wenn dies der Fall gewesen
wäre, wäre die Hilfeempfängerin auf der Meldekarte namentlich aufgeführt worden. Nach
dem übrigen Ermittlungsergebnis lag die letzte Meldung der Mutter der Hilfeempfängerin
mit dem Abmelden vom 19. Januar 1954 von B. nach B. vor. Es ist hier aber
anzunehmen, dass der familiäre Kontakt bereits im Jahr 1951 endete. Weiterhin bedürfte
es einer gesetzlichen Formulierung wie § 98 Abs. 2 Satz 4 SGB XII, nicht, wenn ein Kind
den gewöhnlichen Aufenthaltsort immer bei der Mutter hätte. Denn § 98 Abs. 2 Satz 4
SGB XII bestimmt den gewöhnlichen Aufenthaltsort bei der Geburt eines Kindes in einer
Einrichtung mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter.
Der Tatbestand des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII setzt nicht voraus, dass gegenüber dem
Hilfeempfänger die Sozialhilfeleistungen vorläufig erbracht werden. Der Hilfeempfänger
hat hingegen einen Anspruch der endgültigen Leistung, wenn nicht in seiner Person
Gründe für eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegen, wie etwa bei Unklarheiten über
Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Unterhaltsansprüchen,
Vermögensverwertung. Die Vorläufigkeit der Leistung ergibt sich gegenüber dem
Erstattungsverpflichteten gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Der Erstattungsanspruch
entsteht mit der Leistung an den Sozialhilfeempfänger und nicht erst mit der
Geltendmachung. Die vorläufige Leistungspflicht des örtlichen Sozialhilfeträgers
verwandelt sich mit dem Kostenerstattungsanspruch in einen endgültigen (Rabe in
Fichtner/Wenzel SGB XII Kommentar 4. Auflage 2009 § 106 Rn. 10).
27
28
29
30
Soweit der Beklagte sinngemäß meint, der Kläger habe zu spät Ermittlungen zum gA der
Hilfeempfängerin aufgenommen; diese hätte er Anfang der 90-er Jahre durch
Zeugenbefragung aufzunehmen gehabt, könnte der Beklagte damit auf den
Interessenwahrungsgrundsatz verweisen, der aus § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB XII abgeleitet
wird.
Nach Aktenlage hat der Kläger den Interessenwahrungsgrundsatz eingehalten. Anfang
der 90-er Jahre hätte der Kläger überhaupt keine Ermittlungen aufnehmen können, da er
für die stationäre Hilfegewährung sachlich nicht zuständig war. Dies war der Beklagte
selbst. Aus der in der mündlichen Verhandlung überreichten Verwaltungsakte des
Landesamte für Soziales und Versorgung Potsdam ergibt sich aus dem Jahr 1995 ein
Ermittlungsversuch des Beklagten mit einer Anfrage an das Einwohnermeldeamt der
Stadt N. und eine Anfrage an den amtsgerichtlich bestellten Betreuer der
Hilfeempfängerin. Weitere Ermittlungen hat der Beklagte selbst offensichtlich nicht für
erforderlich gehalten. Demgegenüber stehen sehr umfangreiche und weitreichende
Ermittlungen des Klägers beginnend im Oktober 2006 und damit zu einem Zeitpunkt, als
die stationäre Hilfegewährung noch als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung des
Landes von dem Kläger wahrgenommen worden ist.
Nach alledem war der gewöhnliche Aufenthalt der Hilfeempfängerin vor Aufnahme in die
stationäre Einrichtungskette nicht zu ermitteln; der Beklagte ist zur Kostenerstattung
verpflichtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 und 3 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §
52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum