Urteil des SozG Münster vom 09.07.2003

SozG Münster: ausführung, zahlungsunfähigkeit, einzelunternehmer, dienstleistung, abhängigkeit, gesellschaftsvertrag, gestaltung, chef, gesellschafter, arbeitskraft

Sozialgericht Münster, S 3 AL 180/00
Datum:
09.07.2003
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 AL 180/00
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 19.05.2000 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 wird aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, dem Kläger auf seinen Antrag vom 19.05.2000
Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Die Beklagte hat die
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Gewährung von Insolvenzgeld.
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Er war in der Zeit vom 01.02.1991 bis 15.02.2000 als Polstermeister bei der N1 GmbH
tätig gewesen. Zuvor hatte er den Betrieb als Einzelfirma geführt. Nach Insolvenz dieses
Betriebes wurde eine GmbH gegründet, an der die Ehefrau des Klägers und ein Sohn
jeweils zur Hälfte beteiligt waren. Die Ehefrau des Klägers wurde zur Geschäftsführerin
bestellt.
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Im Feststellungsbogen gab der Kläger an, dass er seine Tätigkeit weisungsfrei und nach
eigenem Ermessen ausgeübt habe. Den Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld vom
19.05.2000 wies die Beklagte durch Bescheid vom 19.06.2000 zurück, da der Kläger
nicht Arbeitnehmer gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der
Begründung, dass seine Ehefrau Geschäftsführerin gewesen sei. Er habe in der
Polsterwerkstatt gearbeitet. Seine Ehefrau habe sich um die kaufmännische Seite
gekümmert. Er habe die Aufträge in der Polsterei erledigt, die seine Ehefrau
angenommen habe. Seine Angaben zur Weisungsfreiheit hätten sich allein auf die Art
und Weise der Durchführung der praktischen Arbeiten bezogen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2000 zurück.
Sie führte zur Begründung aus, dass gemäß § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch
(SGB III) nur Arbeitnehmer Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Arbeitsentgeltes
bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers haben. Aus den Fragen im
Feststellungsbogen sei zu entnehmen, dass es sich nicht nur um die Fragen nach der
Art und Weise der Durchführung handelt, sondern auch um die Frage nach der Art der
verrichteten Tätigkeit. Der Kläger habe nun die Fragen so beantwortet, dass er
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angegeben habe, bei der Ausführung der Arbeit nicht an Weisungen des
Betriebsinhabers gebunden gewesen zu sein, was im wesentlichen durchaus die
Folgerungen der Bevollmächtigten des Klägers bestätige, die angeben, dass der Kläger
über das größere handwerkliche Wissen in seinem Beruf verfügt habe und deshalb am
besten habe beurteilen können, wie die einzelnen Polsterarbeiten durchgeführt würden.
Zusätzlich sei das Wohl und Wehe der Firma nur vom Können und Wissen des Klägers
abhängig gewesen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Nach Auffassung des Klägers hat er in einer
abhängigen Beschäftigung gestanden. Die N2 GmbH Auto- und Möbelpolsterei habe
eine Polsterwerkstatt und eine Kfz-Werkstatt betrieben, die räumlich voneinander
getrennt gewesen seien. Der Kläger habe als Raumausstatter in der Polsterwerkstatt
gearbeitet. Die regelmäßige Arbeitszeit habe 40 Stunden pro Woche betragen, sein
monatliches Bruttoeinkommen 4000 DM. Er habe abhängige, fremd bestimmte Arbeit
geleistet. Die Ehefrau habe als Geschäftsführerin in direktem Kontakt mit den Kunden
gestanden und die Aufträge angenommen. Sie habe die Aufträge dann weiter an den
Kläger gegeben, der sie erledigt habe. Ort und Dauer der Arbeitsausführung seien
genau geregelt gewesen. Dass er in der konkreten Durchführung der Tätigkeit einen
größeren Ermessensspielraum gehabt habe, rechtfertige sich durch seine größere
Sachkunde. Es sind Gehaltsabrechnungen übersandt worden.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 19.06.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
27.10.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom
19.05.2000 Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
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Ein schriftlicher Arbeitsvertrag konnte weder von Seiten des Klägers noch vom
Insolvenzverwalter übersandt werden. Der Insolvenzverwalter hat den
Gesellschaftsvertrag übersandt.
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Der Kläger hat im Erörterungstermin vom 26.02.2003 Angaben zu seiner Tätigkeit
gemacht. Im übrigen sind die Ehefrau des Klägers als Zeugin sowie N3, H und M als
Zeugen vernommen worden.
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Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Streitakte
sowie der Leistungsakten der Beklagten (Kd.-Nr. 367 A 047 074, InzG 1123) Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide
beschwert, da sie rechtswidrig sind.
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Die Beklagte hat zu Unrecht die Gewährung von Insolvenzgeld abgelehnt. Gemäß §
183 Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld bei
Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers. Nach der Überzeugung des Gerichts war der
Kläger Arbeitnehmer der N1 GmbH.
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Nach ständiger Rechtssprechung der Sozialgerichte und der Arbeitsgerichte ist nur
diejenige Person Arbeitnehmerin, bei der eine persönliche Abhängigkeit zum Betrieb
besteht. Eine solche ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben,
wenn der Beschäftigte in dem Betrieb eingegliedert ist, d.h. regelmäßig einem Zeit,
Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Direktionsrecht des Arbeitgebers
unterliegt (vgl. BSG vom 29.01.1981 - 12 RK 63/79 - m.w.N.). Was die Ausführung der
Arbeit betrifft, kann die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art
zwar stark eingeschränkt sein; die Dienstleistung ist jedoch trotzdem fremdbestimmt,
wenn sie in der von der anderen Seite vorgeschriebenen Ordnung des Betriebes
aufgeht. Kann der Beschäftigte seine Tätigkeit hingegen im wesentlichen frei gestalten
und seine Arbeitszeit bestimmen, so ist er selbständig beschäftigt. Ob das eine oder
andere vorliegt, ist im Zweifel danach zu entscheiden, welche Merkmale das
Beschäftigungsverhältnis überwiegend prägen. Hierbei kommt es weniger auf die
vertraglichen Regelungen als auf die tatsächliche Gestaltung des Verhältnisses an.
Dabei ist auf das Gesamtbild abzustellen. Daher kommt es nicht nur auf die schriftlich
niedergelegten oder ausdrücklichen Vertragsbestimmungen an, sondern vielmehr ist
auch das schlüssige Verhalten der Vertragspartner zu berücksichtigen.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger nach der Überzeugung des
Gerichts als abhängig Beschäftigter anzusehen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag konnte
zwar nicht vorgelegt werden, von Seiten des Klägers ist aber angegeben worden, dass
die Beschäftigung aufgrund von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ausgeübt wurde.
Solche Vereinbarungen können auch mündlich getroffen werden.
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Der Kläger war finanziell nicht an der Firma beteiligt. Rechtlich konnte er den Betrieb
auch nicht nach außen vertreten, da er nicht er, sondern seine Ehefrau
Geschäftsführerin war. Er hat ein gleichmäßiges Entgelt erhalten, welches einer
Tätigkeit als Polstermeister nicht unangemessen war. Es ist nach den vorliegenden
Unterlagen auch regelmäßig gezahlt worden. Nach den überzeugenden Darstellungen
des Klägers, der Zeugin und der Zeugen war der Kläger auch wie eine fremde
Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert. Danach hat er allein die handwerklichen
Tätigkeiten in der Polsterei ausgeübt, wobei ihm sicherlich als Meister eine gewisse
Weisungsbefugnis bzgl. der Art und Weise der Ausführung und der Bestimmung der
konkreten Person, die die Arbeiten ausführte, oblag. Die Gesellschafter und die
Geschäftsführung können solche Dinge ohne weiteres einer abhängig beschäftigten
Person überlassen. Im übrigen ist der Kläger den Mitarbeitern gegenüber offensichtlich
nicht als Chef aufgetreten, sondern diese haben die Ehefrau als Chefin angesehen, wie
der Zeuge M ausdrücklich angegeben hat. Auch hat der Kläger seine Tätigkeit
offensichtlich lediglich auf die Polsterei beschränkt und sich nicht um die
Sattlerwerkstatt gekümmert. Dies hat auch der Sohn in seiner Aussage bestätigt.
Danach hat der Kläger sich auch nicht mehr um die Kundenkontakte gekümmert,
sondern sich allein auf die handwerkliche Tätigkeit konzentriert.
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Auch wenn es so gewesen sein sollte, dass sich an den tatsächlichen Verhältnissen
gegenüber denen vor der Gründung der GmbH nichts geändert hatte, was allerdings
den Angaben des Sohnes des Klägers widerspräche, bedeutet dies nicht, dass der
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Kläger weiterhin als Selbständiger anzusehen wäre. Vor der Gründung der GmbH
konnte er selbst bestimmen, ob er gewisse Tätigkeiten auf andere Personen übertrug
und sich auf die praktischen Tätigkeiten beschränkte, während er dies nach der
Gründung der GmbH nicht mehr entscheiden konnte. Im übrigen hat der Sohn auch
ausgesagt, dass es dem Kläger lieb gewesen sei, keine Verantwortung mehr tragen zu
müssen. Eine solche brauchte er bei seiner Tätigkeit in der GmbH auch nicht mehr zu
übernehmen, während er als Einzelunternehmer die Verantwortung letztlich immer trug,
auch wenn er die Aufgaben delegierte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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