Urteil des SozG Münster vom 12.06.2002

SozG Münster: kost und logis, firma, handelsgesellschaft, geschäftsführer, steuerberater, arbeitsunfall, unternehmen, vergütung, unfallversicherung, verfügung

Sozialgericht Münster, S 13 U 138/98
Datum:
12.06.2002
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 U 138/98
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV).
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Mit rechtskräftigem Urteil des Sozialgerichts Münster vom 05.01.1996 - S 13 U 000/00 -
ist die Beklagte verurteilt worden, dem Kläger aus Anlass eines Unfallereignisses vom
00.00.1990 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu
gewähren.
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Der 1958 geborene Kläger erlitt am 00.00.1990 durch eine sich in den Betriebsräumen
der J R Handelsgesellschaft mbH und des Unternehmens F ereignende Explosion
schwerste Verbrennungen. Inhaberin beider Unternehmen ist die Mutter des Klägers,
die Zeugin B F
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Der Kläger wurde am 08.10.1990 zum Geschäftsführer der J R Handelsgesellschaft
mbH bestellt. Nach einem im Januar 1993 der Beklagten vorgelegten Vertrag vom
08.10.1990 ist ein Geschäftsführergehalt in Höhe von 1.600,- DM monatlich sowie eine
Tantieme in Höhe von 10 % des Umsatzes vereinbart worden. Ein weiterer
Geschäftsführervertrag - ebenfalls unter dem 08.10.1990 datiert - mit einem geänderten
Geschäftsführergehalt von 4.800,- DM monatlich ist dann von dem Kläger im April 1996
vorgelegt worden. Gehaltszahlungen waren bis zum Arbeitsunfall nicht geflossen. Die
Nachzahlung des Gehalts für die Zeit vom 08.10.1990 bis 13.11.1990 in Höhe von
8.092,43 DM Brutto erfolgte im März 1997.
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Die Firma F wurde von der Zeugin F nach dem Tode ihres Ehemannes weitergeführt.
Seinen Gesellschaftsanteil an dieser Firma hatte der Kläger mit Vertrag vom 01.07.1989
auf die Zeugin F übertragen. In § 4 dieses Vertrages wurde bestimmt, dass der Kläger
für künftige Aushilfsarbeiten (Auftragsabwicklung, Versand und EDV) kostenlos
Unterkunft und Verpflegung im Hause seiner Mutter erhält.
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Der Steuerberater des Klägers und Zeuge S teilte in einem Schreiben vom 30.07.1991
mit, dass das Geschäft der Firma F praktisch der Kläger führe. Der Kläger tätige den
Verkauf und die Verpackungen. Als Ausgleich dafür erhalte er freie Kost und Logis. In
einem weiteren Schriftsatz vom 18.10.1991 erklärte er, der Kläger habe stets im
Geschäft seiner Mutter ausgeholfen. In der Zeit von Dezember 1989 bis April 1990 habe
er das Geschäft allein geführt, da seine Mutter erkrankt gewesen sei.
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In einem Erörterungstermin am 02.12.1994 vor dem SG Münster - S 13 U 000/00 - gab
der Kläger zu Protokoll: "Ich war schwerpunktmäßig zuständig für die Kundenbetreuung,
das Hereinholen von Aufträgen und den Versand. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag
bestand nicht. Als Ausgleich für meine erbrachten Leistungen hatte ich im Hause meiner
Mutter freie Kost und Logis. Desweiteren bekam ich ein monatliches Taschengeld in
Höhe von 500,- bis 1.000,- DM". Sein routinemäßiger Tagesablauf habe sich damals so
dargestellt, dass er tagsüber bis ca. 16:00 Uhr für die Firma F gearbeitet habe. Der
Vormittag sei für die Knüpfung von Geschäftskontakten reserviert gewesen. Danach
seien die Bestellungen verpackt und Rechnungen geschrieben worden".
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Nach umfassender medizinischer Sachaufklärung durch Einholung von Gutachten hat
die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.1998 die Gewährung einer Verletztenrente nach
einer MdE von 70 v. H. bewilligt. Der JAV wurde mit 23.688,- DM auf der Grundlage der
maßgebenden Bezugsgröße für das Jahr 1990 in Höhe von 3.290,- DM festgestellt.
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Hiergegen hat der Kläger unter dem 18.03.1998 Widerspruch eingelegt. Zur
Begründung wurde vorgetragen, dass der Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei,
weil er nicht im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB X begründet worden sei. Aus dem Bescheid
sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen ein JAV von nur 23.600,- DM festgestellt
worden sei.
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Unter dem 29.06.1998 erging der ablehnende Widerspruchsbescheid. Zur Begründung
wurde ausgeführt: Nach den eigenen Angaben des Klägers vom 10.06.1996 hätten
keine Verdienstangaben gemacht werden können, weil die entsprechenden Unterlagen
bei dem Arbeitsunfall vernichtet worden seien. Vorgelegt worden sei am 03.01.1993 ein
Vertrag vom 08.10.1990 zwischen der J R Handelsgesellschaft mbH und dem Kläger,
wonach eine monatliche Vergütung von 1.600,- DM zuzüglich einer Tantieme von 10 %
des Jahresumsatzes vereinbart gewesen sei. Mit Schreiben vom 01.04.1996 sei dann
ein weiterer Vertrag, ebenfalls mit Abschlussdatum vom 08.10.1990, eingereicht
worden, der dem Grunde nach dem Vertrag entsprochen habe, der unter dem
03.01.1993 vorgelegt worden sei. Dieser habe eine monatliche Vergütung von 4.800,-
DM ausgewiesen. Mit Schreiben vom 27.03.1997 seien weitere
Verdienstbescheinigungen, vom Steuerberater des Klägers am 24.03.1997 ausgefüllt
und den Zeitraum vom 08.10.1990 bis 13.11.1990 betreffend, vorgelegt worden. Diese
hätten monatliche Verdienste von 2.204,05 DM bzw. 1.678,95 DM ausgewiesen. Des
weiteren sei ein Entgeldnachweis für die Beschäftigungszeit vom 08.10. bis 13.11.1990
eingereicht worden, wonach 8.092,43 DM in 1997 an den Kläger ausgezahlt worden
seien. Aufgrund der Tatsachen, dass bisher nachvollziehbare Unterlagen für das im
Zeitraum vom 14.11.1989 bis 13.11.1990 tatsächlich erzielte Entgelt nicht beigebracht
worden seien und dass die vorliegenden Unterlagen sehr unterschiedliche und zum Teil
widersprechende Angaben zum Verdienst enthielten, habe die Beklagte nach Prüfung
aller zur Verfügung stehenden Unterlagen den JAV auf der Grundlage der im
Unfallzeitpunkt geltenden Bezugsgröße mit 23.688,00 DM festgestellt. Bei dieser
Prüfung sei auch berücksichtigt worden, dass der nach der Bezugsgröße festgestellte
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JAV am ehesten den normalen Lebensstandard des Klägers wiederspiegele. Außerdem
entspreche der Betrag von 23.688,- DM annähernd dem Ergebnis einer Hochrechnung
des von dem Steuerberater für die Zeit vom 08.10.1990 bis 13.11.1990 mitgeteilten
monatlichen Verdienstes (2.204,05 DM + 1.678,95 DM: 2 = 1.941,50 DM im monatlichen
Durchschnitt x 12 = 23.298,00 DM).
Hiergegen hat der Kläger am 20.07.1998 vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben.
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Er hat der Feststellung des JAV durch die Beklagte widersprochen. Nach dem
vorgelegten Entgeldfragebogen habe der Kläger in der Zeit vom 08.10. bis 13.11.1990
ein steuerpflichtiges Bruttoentgeld von 8.092,43 DM erzielt. Daraus ergebe sich gemäß
§ 82 Abs. 2 SGB VII ein JAV von 80.924,30 DM. Grundlage für den erzielten
Arbeitsverdienst sei der Geschäftsführervertrag vom 08.10.1990 bei einem vereinbarten
Geschäftsführergehalt von 4.800,- DM monatlich. Infolge des Unfallereignisses sei
zunächst keine Gehaltsabrechnung gefertigt und deshalb auch der Nettolohn nicht
ausgezahlt worden. Die Lohnabrechnung habe am 24.03.1997 der Steuerberater S
nachgeholt. In der Zeit vom 01.11.1989 bis 07.10.1990 habe der Kläger kein
Arbeitsentgeld bezogen.
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1.
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In dem von seiner Mutter geführten Betrieb, der Firma F, habe er nur gelegentlich in
geringem Umfang und unentgeltlich ausgeholfen. Es habe sich lediglich um eine wenig
bedeutungsvolle, familiäre gelegentliche Hilfeleistung gehandelt. Der Kläger habe auch
kein Entgeld in Form von Sachbezügen erhalten. Bei der Gewährung von freier Kost
und Logis habe es sich um eine freiwillige familiäre Zuwendung gehandelt, die in
keinem Zusammenhang mit der gelegentlichen Hilfeleistung gestanden habe.
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2.
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Wenn er am 02.12.1994 angegeben habe, er sei in der Firma F schwerpunktmäßig für
die Kundenberatung, das Heranholen von Aufträgen und den Versand zuständig
gewesen, so habe er damit sagen wollen, dass dies erst ab der Gründung der Firma J R
Handelsgesellschaft mbH habe gelten sollen. Seine Mutter habe ihm bei der Gründung
Geld zur Verfügung gestellt und als Gegenleistung habe er dann Arbeitsleistungen für
die Firma F erbringen sollen. So sei diese Vereinbarung vom 01.07.1989 zu verstehen.
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3.
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Auch sei seine Mutter in der Zeit von 1989 bis 1990 nicht krank gewesen, so dass sie
auch nicht an der Führung des Geschäftes gehindert gewesen sei. Die
entgegengesetzten Angaben seiner Mutter vom 15.11.1990 entsprächen nicht der
Richtigkeit und seien unter einer durch das Unfallereignis ausgelösten Schockwirkung
erfolgt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.03.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29.06.1998 zu verurteilen, dem Kläger bezüglich des
Jahresarbeitsverdienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält die Festsetzung des JAV für rechtmäßig. Insbesondere hat sie die
Auffassung vertreten, dass der Geschäftsführervertrag des Klägers mit der R J
Handelsgesellschaft mbH vom 08.10.1990 über eine Gehaltszahlung von mtl. 4.800,-
DM nach dem Unfall aufgesetzt und zurückdatiert worden sei, um so den JAV
nachträglich zu manipulieren. Im übrigen müsse sich der Kläger an seinen früheren
Angaben festhalten lassen.
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Das Gericht hat den Kläger persönlich angehört und die Rentnerin B F, den
Steuerberater Dr. S und den Rechtsanwalt T als Zeugen gehört. Wegen ihrer Angaben
im einzelnen wird auf die Sitzungsniederschriften vom 14.07.1999, 19.07.2000 und
14.03.2001 verwiesen.
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Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der
Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind, verwiesen. Die Streitakte des SG Münster - S 13 U 000/00 - war
beigezogen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger wird durch den Bescheid vom 12.03.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29.06.1998 nicht beschwert, weil dieser nicht
rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Festsetzung des JAV durch die Beklagte ist nicht
zu beanstanden.
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Die Höhe des JAV richtet sich nach den Vorschriften der §§ 82 ff. SGB VII.
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Diese Vorschriften sind gemäß § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII anwendbar, da der JAV
erstmals nach Inkrafttreten des SGB VII festzusetzen ist.
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Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist der JAV grundsätzlich der Gesamtbetrag der
Arbeitsentgelte (§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 14 SGB V) des Versicherten in
den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten
ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Versicherte in den letzten zwölf Monaten
durchgehend gegen Entgelt tätig war. Erst wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben
sind, ist ein fiktiver JAV nach § 82 Abs. 2 SGB VII zugrunde zulegen oder es hat eine
Berechnung nach der Höhe des Mindestjahresarbeitsverdienstes gemäß § 85 SGB VII
zu erfolgen. Ein so nach der Regelberechnung festgesetzter JAV kann weiter nach
billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst
festgesetzt werden, wenn er in erheblichem Maße unbillig ist. Hierbei werden
insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit des
Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt (§ 87 SGB VII). Diese
Korrektur der JAV-Berechnung dient im wesentlichen dem Zweck, dem Versicherten
den vor dem Versicherungsfall erreichten Lebensstandard zu sichern, wenn sich der
Versicherte hierauf auf Dauer eingerichtet hat. Dem Versicherten soll der soziale und
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wirtschaftliche Aufstieg, den er bereits vor dem Versicherungsfall erreicht hat, zugute
kommen (vgl. BSG in SozR 2200 § 577 Nr. 9).
Der Kläger ist zum 08.10.1990 zum Geschäftsführer der J R Handelsgesellschaft mbH
bestellt worden. Diese zur Zeit des Arbeitsunfalls ausgeübte Tätigkeit als
Geschäftsführer war für den Kläger zum Schwerpunkt seines Berufslebens geworden.
Unter Berücksichtigung dieser Tatsache und des Vortrags des Klägers, für seine
Tätigkeit als Geschäftsführer sei ein monatliches Entgelt von 4.800,- DM vertraglich
vereinbart worden sowie seiner Einlassung, er habe in dem Jahr vor dem Arbeitsunfall
kein Entgelt für Tätigkeiten in der Firma F erzielt, könnte sich der von der Beklagten
berechnete JAV als in erheblichem Maße unbillig erweisen, weil er erheblich hinter dem
JAV zurückbliebe, den der Kläger als Geschäftsführer der J R Handelsgesellschaft mbH
im letzten Jahr vor dem Unfall erzielt hätte, wenn er nicht nur wenige Wochen vor dem
Unfall, sondern auch in den vorangegangenen Monaten ab 01.10.1989 als
Geschäftsführer der J R Handelsgesellschaft mbH tätig gewesen wäre.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vertrag vom 08.10.1990 nach dem
Unfall aufgesetzt und zurückdatiert worden sei, um so den JAV nachträglich
manipulieren zu können. Der Kläger hat dem widersprochen und wie folgt vorgetragen:
Man habe zunächst einen Vertrag vom 08.10.1990 mit einer Gehaltszahlung von 1.600,-
DM monatlich aufgesetzt. Nach Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt und Zeugen T
habe dieser geäußert, dass unter Berücksichtigung der Geschäftslage der die J R
Handelsgesellschaft mbH und der Tatsache, dass der Kläger ein Kind zu versorgen
habe, das Gehalt wesentlich zu niedrig festgesetzt worden sei. Daraufhin sei der Vertrag
geändert worden. Man habe sich auf eine Gehaltszahlung von 4.800,- DM monatlich
geeinigt. Dieser gesamte Vorgang habe sich am 08.10.1990 abgespielt. Die
Vertragsentwürfe seien dem Rechtsanwalt und Zeugen T gefaxt worden. Der Zeuge T
hat diesen vom Kläger geschilderten Hergang in seinen Grundzügen bestätigt, jedoch
keine konkreten Angaben über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses machen können.
Angegeben hat er, dass der Vertragsschluss jedenfalls mehrere Jahre vor 1995 erfolgt
sein müsse.
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Zur Überzeugung der Kammer ist der Beweis für einen Vertragsabschluß am
08.10.1990 über ein monatliches Einkommen in Höhe von 4.800,- DM nicht erbracht.
Die Vorlage eines entsprechend datierten Vertrages, die später in 1997 nachträglich
erfolgte Zahlung des Gehalts sowie die eigenen Angaben des Klägers und die Aussage
des Zeugen T begründen zur Überzeugung der Kammer nicht den Nachweis eines
solchen Vertragsabschlusses am 08.10.1990.
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Abgesehen davon, dass der Kläger aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben für die
Kammer unglaubwürdig - dazu im einzelnen später - ist, ist folgender Umstand von
erheblicher Bedeutung. Mit Schreiben vom 28.12.1992 ist der Kläger von der Beklagten
gebeten worden, den Gesellschaftervertrag sowie den Geschäftsführervertrag die Firma
J R Handelsgesellschaft mbH betreffend vorzulegen. Dieser Aufforderung ist der Kläger
mit Schreiben vom 03.01.1993 nachgekommen. Er hat die Gesellschafterverträge vom
07.02. und 03.04.1989 sowie einen Geschäftsführervertrag vom 08.10.1990 an die
Beklagte übersandt. Inhalt dieses Geschäftsführervertrages war eine unter § 2
vereinbarte Vergütung von 1.600,- DM monatlich. Es stellt sich nun die Frage, warum
der Kläger diesen Vertrag und nicht den geänderten und vermeintlich allein gültigen
Vertrag über eine vereinbarte Geschäftsführervergütung von 4.800,- DM der Beklagten
zugänglich gemacht hat. Der einzig logische Schluss liegt daher nahe, dass zu diesem
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Zeitpunkt auch nur eine vertragliche Vereinbarung vom 08.10.1990 über eine
Geschäftsführervergütung von monatlich 1.600,- DM vorlag. Wäre dem nicht so, so ist
weder nachvollziehbar noch begründbar, warum der Beklagten nicht die Vereinbarung
über ein Geschäftsführergehalt von 4.800,- DM monatlich zugänglich gemacht worden
ist. Der Verdacht einer nachträglichen Manipulation steht daher im Raum.
Die Angaben des Klägers und seiner Mutter, der Zeugin F, zum Vertragsabschluß
waren für die Kammer nicht verwertbar, da unglaubhaft. Die Unglaubwürdigkeit des
Klägers und der Zeugin F ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten: Im Rahmen des
Feststellungsverfahrens auf Anerkennung des Unfallereignisses vom 00.00.1990 als
Versicherungsfall (Arbeitsunfall) hatte der Kläger über den Steuerberater und Zeugen S
der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.07.1991 mitteilen lassen, dass das Unternehmen F
"praktisch" von dem Kläger geführt werde. Dieser tätige den Verkauf und die
Verpackungen. Beim Finanzamt seien die Verhältnisse bekannt. Zum Ausgleich erhalte
der Kläger freie Kost und Logis. Inhaltsgleiche Angaben hatte dann die Zeugin F
gegenüber dem Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten gemacht, der diese am
18.10.1991 persönlich aufgesucht hatte. Nach den Angaben der Zeugin habe der Kläger
schon seit Jahren im Geschäft geholfen. Er habe Rechnungen geschrieben, Besen und
Bürsten verpackt sowie Ware ausgeliefert. Dafür habe er freie Kost und Logis erhalten.
Von entscheidender Bedeutung ist dann die eigene Einlassung des Klägers am
02.12.1994 vor dem SG Münster (S 13 U 000/00). Der Kläger erklärte damals: "Meine
Mutter ist Alleininhaberin der Firma F. Meine Mutter war wesentlich für den Einkauf, die
Lagerhaltung und die Büroarbeiten zuständig. Ich war schwerpunktmäßig zuständig für
die Kundenberatung, das Hereinholen von Aufträgen und den Versand. Ein schriftlicher
Arbeitsvertrag zwischen mir und meiner Mutter bestand nicht. Als Ausgleich für meine
erbrachten Leistungen hatte ich im Hause meiner Mutter freie Kost und Logis.
Desweiteren bekam ich ein monatliches Taschengeld in Höhe von 500,- bis 1.000,- DM.
Tätigkeiten des Klägers in nicht unerheblichem Umfang für die Firma F sind dann auch
im obigen Streitverfahren stets schriftsätzlich unter dem 06.09., 22.02. und 09.07.1993
vorgetragen worden. Ebenso hat der Zeuge S nachvollziehbar seine schriftsätzlichen
Angaben begründen können. Insbesondere lag ihm noch ein Originalschreiben vor, auf
dem er nach einem Gespräch mit der Zeugin F handschriftlich vermerkte "Kleidung,
Kost, Logis". Diesen Vermerk habe er dann in dem Schriftsatz vom 30.07.1991 an die
Beklagte verarbeitet. Letztlich finden dann diese Angaben ihre Bestätigung in einem
Vertrag vom 01.07.1989 zwischen der Zeugin F und dem Kläger, mit dem dieser seinen
Geschäftsanteil an der Firma F an die Zeugin F übertrug. In § 4 wurde folgende
Regelung getroffen: Für zukünftige Aushilfsarbeiten (Auftragsvermittlung, Versand und
EDV) erhält Q F kostenlos Unterkunft und Verpflegung im Haus der Frau F.
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Die jetzt völlig gegensätzlichen Angaben des Klägers und der Zeugin F - keine Kost und
Logis für erbrachte Leistungen in der Firma F; nur unbedeutende familiäre Mithilfe des
Klägers in der Firma F - sind in keinster Weise nachvollziehbar, geschweige denn
glaubhaft. Sie sind vielmehr geprägt durch das Anspruchsdenken des Klägers. War im
Verfahren auf Feststellung des Unfallereignisses vom 14.11.1990 als Versicherungfall
von Bedeutung, dass der Kläger neben seiner Geschäftsführertätigkeit für die J R
Handelsgesellschaft mbH auch für die Firma F tätig war, da sich das Unfallereignis in
den Betriebsräumen dieser Firmen ereignet hatte, so bedurfte es in diesem
Streitverfahren einer Kehrtwendung in der Einlassung, um so über die Anwendung der
Unbilligkeitsvorschrift einen höheren JAV erzielen zu können. Der Kläger und auch die
Zeugin F haben zu keiner Zeit dem Gericht nachvollziehbar glaubhafte Gründe für ihre
sich widersprechenden Angaben machen können.
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Nach alledem bestehen für eine am 08.10.1990 getroffene vertragliche Vereinbarung
über eine monatliche Geschäftsführervergütung in Höhe von 4.800,- DM begründete
Zweifel, so dass der Beweis eines solchen Vertragsabschlusses als nicht erbracht
angesehen werden kann. Demnach kann allenfalls von einem monatlichen Einkommen
in Höhe von 1.600,- DM monatlich als Geschäftsführer der J R Handelsgesellschaft mbH
- eine Tantiemen-Zahlung muss unberücksichtigt bleiben, da nach der Aussage des
Zeugen T die J R Handelsgesellschaft mbH in 1990 keinen Umsatz erzielt hat -
ausgegangen werden. Legt man weiter den eigenen Vortrag des Klägers zugrunde, im
Rahmen seiner Tätigkeit im Unternehmen F weder Kost und Logis erhalten noch
Einnahmen erzielt zu haben, so ist der von der Beklagten festgesetzte JAV nicht unbillig
und mithin nicht zu beanstanden.
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Nach alledem war daher die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.
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