Urteil des SozG Münster vom 21.06.2002

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Sozialgericht Münster, S 11 KR 79/02
Datum:
21.06.2002
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 11 KR 79/02
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.05.2002
gegen den Bescheid vom 08.05.2002 anzuordnen, wird
zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
1
I.
2
Die Antragstellerin arbeitet, gestützt u.a. auf eine schriftliche Vereinbarung, mit der
Apotheke 0000 E N in M, Niederlande in der Weise zusammen, als sie ihren
Versicherten die Kosten der Medikamente erstattet, die diese von E N beziehen. Auf die
Möglichkeit bei E N Medikamente zu beziehen weist die Antragstellerin ihre
Versicherten auch ausdrücklich hin.
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Bereits mit einen Rundschreiben vom 31.08.2001 an alle bundesunmittelbaren
Krankenkassen hatte der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Kostenerstattung
für Medikamente, die aus dem Internet im Versandhandel bezogen werden, gegen
geltendes Recht, insbesondere gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) verstoße und
daher zu unterlassen sei.
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Mit Schreiben vom 27.12.2001 ersuchte der Antragsgegner die Antragstellerin um
Stellungnahme zu einem Artikel in der Mitgliederzeitschrift der Antragstellerin, in dem
(unter Angabe auch der Internet-Adresse) auf die Möglichkeit, Medikamente bei E N zu
bestellen und sich durch einen Paketdienst ausliefern zu lassen, hingewiesen wird,
verbunden mit dem Hinweis, dass bei dieser Bezugsweise von den Versicherten keine
Zuzahlungen mehr zu leisten seien.
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Die Antragstellerin teilte mit Schreiben vom 02.01.2002 dem Antragsgegner mit, ihr sei
bekannt, dass sie modellhaft, wie viele andere Krankenkassen auch von der Politik
positiv begleitet- neue Wege suchen müsse, um der allseits beklagten
Kostenentwicklung in diesem Bereich entgegenzuwirken und moderne
Versorgungswege zu nutzen. Dies tue sie und verweise im übrigen auf die bekannte
rechtliche Diskussion zu dieser Frage.
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Mit Schreiben vom 19.02.2002 (entsprechende Schreiben ergingen an 24 weitere
Krankenkassen), ausdrücklich gestützt auf § 89 SGB 4, wiederholte der Antragsgegner
seinen Hinweis auf den s.E. vorliegenden Verstoß gegen geltendes Recht und forderte
die Antragstellerin auf, innerhalb von 3 Wochen zu bestätigen, dass sie den
Versandhandel mit Medikamenten künftig nicht mehr fördern und insbesondere in
diesem Zusammenhang keine Kostenerstattungen mehr vornehmen werde. Nach
fruchtlosem Ablauf der Frist sei beabsichtigt, einen entsprechenden
Verpflichtungsbescheid zu erlassen, wobei damit zu rechnen sei, dass dessen sofortige
Vollziehung angeordnet werde. Auch dazu sei Gelegenheit zur Stellungnahme
innerhalb der o.g. Frist.
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Mit Schriftsatz vom 04.03.2002 wiederholte die Antragstellerin, sie arbeite auf der Basis
der schriftlichen Absprache mit E N zusammen. Sie sei der Auffassung, dass E N keinen
Versandhandel im Sinne des § 43 AMG betreibe und bitte um Verständnis für ihre
Haltung, die sie in erster Linie im Interesse ihrer Versicherten aufrechterhalten wolle.
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Unter dem 08.05.2002 erließ der Antragsgegner den angekündigten Bescheid, in dem
die Antragstellerin verpflichtet wird,
9
I.
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es zu unterlassen, ihre Versicherten auf die Möglichkeit des Bezuges von
apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
hinzuwiesen, die im Wege des Versandhandels durch fernmündliche, schriftliche oder
Bestellung im Internet erworben werden,
11
II.
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ihren Versicherten Kosten für apothekenpflichtige Arzneimittel, die über einen
Versandhandel erworben wurden, weder ganz noch teilweise zu erstatten oder im Wege
der Direktabrechnung zu tragen;
13
III.
14
die "Verfahrensregelung zur qualitätsgesicherten Arzneimittelversorgung der
Versicherten" zwischen der BKK für steuerberatende und juristische Berufe / BKK
Flender und der 0000 E N, N1straat 0, NL-0000 PP M, am 8. Oktober 2001 unverzüglich
zu kündigen.
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Ferner wird die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet.
16
Mit Schriftsatz vom 17.05.2002, eingegangen bei Gericht am 21.05.2002, beantragt die
Antragstellerin
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1. die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.05.2002 gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 08.05.2002 wiederherzustellen/anzuordnen,
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2. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Sie trägt weiter vor, ein Versandhandel im Sinne des § 43 AMG liege nicht vor. Aber
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auch wenn dieser anzunehmen sei, greife jedenfalls die Ausnahmevorschrift des § 73
Abs.2 Nr.6a AMG ein. Diese Vorschrift anders auszulegen, sei mit europäischem Recht,
insbesondere Art.28 EGV, nicht vereinbar. Die sog. Schutzklausel in Art. 30 EGV
rechtfertige ebenfalls keine andere Auslegung, da die Art Handel, wie sie u.a. E N
betreibe, keinesfalls Gesundheit und Leben der Bevölkerung gefährde. Im übrigen habe
der Antragsgegner die Ausnahmeregelung in § 73 AMG überhaupt nicht beachtet, was
einen Ermessensfehler in Form eines Ermessensnichtgebrauchs darstelle.
Insgesamt sei sie - die Antragstellerin - der Auffassung, dass ihr Interesse am
einstweiligen Nichtvollzug höher zu bewerten sei, als das öffentliche Interesse am
sofortigen Vollzug des Bescheides.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 08. Mai 2002 zurückzuweisen.
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Er vertritt weiter die Auffassung, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Antragstellerin
ergebe sich aus § 43 AMG, da hier einen Versandhandel im Sinne dieser Vorschrift
anzunehmen sei.
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Die Vorschrift des § 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG habe sie durchaus geprüft, was sich auch
daraus ergebe, dass im Verpflichtungsbescheid vom 08.05.2002 ausdrücklich auf das
Schreiben vom 31.08.2002 hingewiesen worden sei, in dem die Anwendbarkeit dieser
Vorschrift verneint worden sei. Diese Auffassung vertrete er- der Antragsgegner-
weiterhin. Insgesamt sei festzustellen, die Vorgehensweise der Antragstellerin
beeinträchtige existenzielle Rechtsgüter der Allgemeinheit. Demgegenüber müsse das
Interesse der Antragstellerin an kurzfristigen Kosteneinsparungen zurückstehen. Die
Anordnung der sofortigen Vollziehung sei daher rechtens.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
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Gegen den Bescheid vom 08.05.2002 hat die Antragstellerin am 21.05.2002 Klage
erhoben (SG Münster - S 11 KR 80/02 -).
27
II.
28
Der gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 SGG zulässige Antrag ist nicht begründet.
29
Das Gericht entscheidet über einen solchen Antrag nach Ermessen aufgrund einer
Interessenabwägung dahin, ob das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung
das Interesse der belasteten Adressaten überwiegt. In diesem Zusammenhang sind
zunächst die Erfolgsaussichten der Klage zu beurteilen, da an der sofortigen
Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse
bestehen kann und umgekehrt eine aussichtslose Klage es in der Regel nicht
rechtfertigt, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. In diesem Rahmen gilt der
Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten der Klage umso geringer die Anforderungen
an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und umgekehrt (s. Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Auflage § 86 b Anm. 12, § 86a Anm. 20).
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Im vorliegenden Fall beurteilt das Gericht im Rahmen der hier gebotenen nur
summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten der Klage als gering.
31
Unabhängig von der grundsätzlichen Frage, ob die deutschen gesetzlichen
Krankenkassen überhaupt die Kosten von im Ausland von Versicherten selbst
beschafften Medikamenten erstatten müssen und dürfen (bejahend Bundesregierung in
"Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Kommission der Europäischen
Union vom 21.09.2001"), verstößt der Beschaffungsweg, wie er von der Antragstellerin
in Bezug auf E N empfohlen und durch Kostenerstattungen gefördert wird jedenfalls
gegen § 43 Abs.1 AMG, wonach Arzneimittel berufs- oder gewerbsmäßig für den
Endverbrauch nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr
gebracht werden dürfen.
32
Ein solcher Versandhandel liegt hier vor.
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Die Antragstellerin wendet dagegen ein, die bestellten Medikamente würden von einen
von E N zwar empfohlenen aber vom Besteller beauftragten Kurierdienst abgeholt. Das
bedeute, das Arzneimittel stehe ab dem Zeitpunkt seiner Dispensierung bei und durch E
N für den Endverbraucher bereit und gehe im Moment der Übergabe an den Abholer in
das Eigentum des Endverbrauchers über, wobei es unerheblich sei, ob dieser das
Medikament selbst abhole oder durch einen beauftragten Boten abholen lasse. Dies sei
kein Versandhandel.
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Dieses Argument überzeugt nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass E N seinen
Kunden nur die Wahl lässt, entweder die Medikamente selbst abzuholen oder aber den
Paketdienst G.M. damit zu beauftragen. Zudem übernimmt E N die Kosten des
Paketdienstes. Da der Fall der Selbstabholung ein wohl zu vernachlässigender
Einzelfall darstellen dürfte, besteht der einzige Unterschied zu einem klassischen
Versandhandel darin, dass der Kunde durch seine Unterschrift formal den Paketdienst
selbst beauftragt. Diese Formalie dient erkennbar dem Zweck, das Verbot des
Versandhandels in § 43 ABM zu umgehen, ohne dass allerdings die tatsächlichen
Abläufe im Vergleich zu einem normalen Versandhandel sich irgend anders darstellen.
Es ergibt sich daraus auch keine abweichende rechtliche Beurteilung. Ob man dies nun
für sachgerecht bzw. berechtigt hält oder nicht, so hat jedenfalls der Gesetzgeber mit der
Vorschrift des § 43 AMG zu erkennen gegeben, dass er im Versandhandel mit
Medikamenten Gefahren für die Endverbraucher sieht. Diese Gefahren, wie immer sie
auch einzuschätzen sind, aber werden jedenfalls durch die hier gewählte
Vorgehensweise in keiner Weise gemindert. Es liegt nach wie vor ein (verbotenes) in
Verkehr bringen außerhalb einer Apotheke vor, was zu verbieten das Anliegen des
Gesetzgebers war (s.a. OLG Frankfurt, Urt. v. 31.05.2001, -6 U 240/00-; KG Berlin, Urt. v.
29.05.2001 -5 U 10150/00-; LG Berlin, Beschluss vom 07.11.2000 -103 O 19/00- Urt. v.
30.10.2001 -103 O 109/01-; LG Frankfurt, Urt. v. 09.11.2000 -2-03 O 365/00-).
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Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des § 73 Abs.2 Nr.6a
AMG berufen, nach der Arzneimittel vom Endverbraucher nach Deutschland
ausnahmsweise dann verbracht werden dürfen, wenn diese im Herkunftsland in Verkehr
gebracht werden dürfen und ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung in einer dem
üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedstaat der EU
bezogen werden.
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Zwar stützt - da im vorliegenden Fall kein gewerbs- oder berufsmäßiger Vermittler tätig
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wird - der Wortlaut der Vorschrift zunächst die Rechtsansicht der Antragstellerin. Indes
ist der Wortlaut der Vorschrift auslegungsbedürftig und -fähig, wie insbesondere auch
die - kontroversen - einschlägigen zivilrechtlichen Entscheidungen erkennen lassen. So
wird die Verfahrensweise von E N als zumindest im Hinblick auf diese Vorschrift als
rechtmäßig angesehen vom LG Berlin Urt. v. 17.11.2000 - 103 O 19/00 - und v.
30.10.2001 - 103 O 109/01 und vom OLG Frankfurt, Urt. v. 31.05.2001 - 6 U 240/00, als
von dieser Vorschrift nicht gedeckt dagegen vom KG Berlin, Urt. v. 29.05.2001 - 5 U
10150/00 - und LG Frankfurt, Urt. v. 09.11.2000 - 2 - 03 O 365/00 - und 2/3 O 365/00.
Das erkennende Gericht schließt sich den Ausführungen des KG Berlin (aaO) in vollem
Umfang an. Das KG hat in ausführlicher Diskussion der Entstehungsgeschichte und des
daraus erkennbaren Willen des Gesetzgebers überzeugend dargelegt, dass die
Vorschrift des § 73 Abs.2 Nr.6a AMG entgegen seinem jetzigen Wortlaut einschränkend
dahin auszulegen ist, dass mit dieser Vorschrift nur erlaubt werden sollte und erlaubt ist
der Kauf in einer ausländischen Apotheke unter persönlichen Anwesenheit des Käufers
mit einem sich ggfl. Dann anschließende Versand.
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Bereits gem. § 43 Abs.1 AMG in der bis zum 10.09.1998 geltenden Fassung war ein
Versandhandel mit Arzneimitteln verboten, wie sich aus der Formulierung "dürfen im
Einzelhandel nur in Apotheken in Verkehr gebracht werden" ergibt. Der § 73 Abs.2
Nr.6a wurde mit Wirkung ab 17.08.1994 dahin geändert, dass nunmehr auch
rezeptpflichtige Arzneimittel nicht mehr dem Verbringungsverbot in § 73 Abs.1 AMG
unterlagen, wenn sie in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge
aus dem EU-Ausland bezogen wurden. Dem KG ist uneingeschränkt zuzustimmen,
wenn angesichts des Hintergrundes der letztgenannten Gesetzesänderung darin
keinesfalls die Erlaubnis eines gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden
Versandhandels nichtdeutscher Apotheken gesehen werden kann. Diese Auslegung gilt
erst recht angesichts der jeweils zum 11.09.1998 in Kraft getretenen Änderungen
sowohl des § 43 Abs.1 als auch des § 73 Abs.2 Nr.6a, wonach in § 43 das Verbot des
Versandhandels mit Arzneimitteln nunmehr ausdrücklich erklärt bzw. "bekräftigt" (so KG
Berlin aaO) wurde und gleichzeitig § 73 Abs.2 Nr.6a eine Beschränkung insoweit erfuhr,
als die bislang erlaubte Einfuhr ausdrücklich begrenzt wurde auf Fälle "ohne gewerbs-
oder berufsmäßige Vermittlung". Es wäre "geradezu widersinnig" (so. KG Berlin aaO.)
anzunehmen, dass der Gesetzgeber (spätestens) mit dieser Gesetzesänderung
Apotheken aus dem EU-Ausland den gewerbsmäßigen Versandhandel nach
Deutschland hinein hat erlauben wollen unter gleichzeitiger Bekräftigung des Verbotes
des innerdeutschen Versandhandels durch inländische Apotheken.
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Die hier vertretene Auslegung verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Ein
etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs gemäß Art. 28 EGV
wäre jedenfalls durch Art. 30 EGV gedeckt. Auch insoweit folgt das erkennende Gericht
in vollem Umfang den - den Beteiligten bekannten - Entscheidungsgründen des KG
Berlin (aaO.). Diese Auffassung wird im übrigen auch vom OLG Frankuft (aaO)
ausdrücklich vertreten. Zwar sieht das OLG den Versandhandel durch die Vorschrift des
§ 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG als grundsätzlich erlaubt an, misst dieser Erlaubnis angesichts
des umfassenden Werbeverbotes des § 8 Abs. 2 HWG jedoch nur eine geringe
praktische Bedeutung ("faktisch seltene Ausnahmefälle") zu, d.h. geht im Ergebnis
davon aus, dass praktisch ein Versandhandelsverbot besteht und rechtfertigt dies
überzeugend und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des
Vordergerichts (LG Frankfurt aaO) zu dem von diesem noch angenommenen
ausnahmslosen Versandhandelsverbotes unter Hinweis auf die Schutzklausel des Art.
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30 EGV.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass das OLG in seiner Auslegung des § 73 Abs.2
Nr.6a möglicherweise nur deshalb einen "vernünftigen Sinn" (aaO, S 8) gesehen hat,
weil es nicht in Betracht gezogen hat, dass Importe nach § 73 Abs.2 Nr.6a AMG trotz
Werbeverbotes keineswegs "seltene Ausnahmefälle bleiben", wenn gesetzliche
Krankenkassen - wie es inzwischen geschieht - diese Art von Vertrieb aktiv fördern.
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Soweit die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren vorträgt, Versandhandel mit
Arzneien gefährde keineswegs Leben und Gesundheit der Bevölkerung, mag dies für
den speziellen Fall, d.h. in Bezug auf E N, zutreffen, ist aber insoweit nicht
entscheidungserheblich, als eine Abwägung im Spannungsfeld zwischen Art. 28 und
Art. 30 EGV eine Diskussion der Gefahren des Versandhandels allgemein erfordert.
Diese aber sind nach Auffassung des Gerichtes zumindest solange nicht in Abrede zu
stellen, als es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, in der ein solcher Versandhandel
unter genauen Vorgaben für strenge Qualitätskontrollen so gestaltet wird, dass die
Sicherheit garantiert ist (s.a. die Antwort der Bundesregierung -14/9140- auf eine Kleine
Anfrage der FDP -14/8916- vom 29.05.2002).
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Im Ergebnis geht das Gericht daher - vorbehaltlich einer anderen Entscheidung der
Kammer in der Hauptsache - davon aus, dass die vom Antragsgegner beanstandete
Vorgehensweise der Antragstellerin gegen geltendes Recht verstößt, der angefochtene
Bescheid in der Sache daher nicht zu beanstanden ist. Einen Verfahrensfehler seitens
des Antragsgegners vermag das Gericht ebenfalls nicht zu erkennen, insbesondere
stellt es keinen Ermessensfehler dar, wenn der Antragsgegner in den Gründen des
Bescheides eine der relevanten Vorschriften (§ 73 AMG) nicht diskutiert hat.
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Da sich die Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Antragstellerin bereits nach Auffassung
des Gerichtes aus dem auch vom Gemeinschaftsrecht gedecktem nationalen
Versandhandelsverbot ergibt, hat das Gericht davon abgesehen, zu prüfen, ob die
eingangs zitierte Rechtsansicht, die gesetzlichen Kassen seien grundsätzlich berechtigt,
die Kosten von in Ausland bezogener Medikamente zu erstatten, zutreffend ist. Urteile
der Sozialgerichtsbarkeit liegen dazu jedenfalls -soweit dem Gericht erkennbar- nicht
vor. Ferner hat das Gericht ungeprüft gelassen die weitere Frage, ob die vertraglich
vereinbarte Übernahme der Zuzahlungen durch E N nicht eine unzulässige Umgehung
der Vorschriften in §§ 31,43b SGB 5 darstellt, wonach letztlich die Kassen verpflichtet
sind, die Zuzahlungen von den Versicherten einzuziehen und wobei zu berücksichtigen
ist, dass mit dieser Zuzahlungspflicht vom Gesetzgeber u.a. eine Stärkung des
Kostenbewusstseins der Versicherten erreicht werden sollte, um damit einem
überhöhten Arzneimittelverbrauch entgegenzuwirken.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides ist ebenfalls
nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung
überwiegt das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Fortsetzung der gerügten
Praxis in einem Maße, dass angesichts der - wie ausgeführt - sehr zweifelhaften
Erfolgsaussicht der Klage eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der
Klage nicht vertretbar ist.
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Die vom Antragsgegner im Abschnitt C des angefochtenen Bescheides formulierten
Gründe für das Bestehen starken öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung
des Bescheides sind nach Auffassung des Gerichtes zutreffend und werden vom Gericht
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in vollem Umfang übernommen.
Diese Gründe treffen zumindest solange zu, als nicht der Gesetzgeber bezüglich des
Versandhandels eine qualifizierte Regelung trifft.
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Das entgegenstehende Interesse der Antragstellerin vermag das Gericht nur darin zu
sehen, dass ihr, bzw. einem - bislang wohl eher geringen - Teil ihrer Mitglieder bis zur
Entscheidung in der Hauptsache relativ kurzfristige finanzielle Vorteile entstehen.
Dieses Interesse aber ist vergleichsweise geringer einzuschätzen. Soweit sich die
Antragstellerin darauf beruft, durch den angefochtenen Bescheid würden ihre Rechte
und Pflichten, d.h. auch ihre Interessen als "Treuhänder eines funktionierenden
Binnenmarktes" verletzt insbesondere auch im Hinblick auf die zu erwartende
Entscheidung des EuGH aufgrund des Vorlagebeschlusses des LG Frankfurt vom
10.08.2001 ( Az.: 3/11 O 64/01 und 3-11 O 64/01), ist dem entgegenzuhalten, dass die
Förderung eines funktionierenden Binnenmarktes jedenfalls nicht zu den Rechten oder
Pflichten einer gesetzlichen Krankenkasse gehört, deren Tangierung ein Recht, bzw.
ein berücksichtigungsfähiges Interesse begründet an der Aufrechterhaltung einer
vermutlich rechtswidrigen Praxis im Rahmen des krankenversicherungsrechtlichen
Leistungsrechtes.
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Die Antragstellerin vermag auch nicht mit dem Argument zu überzeugen, aufgrund der
Tatsache, dass die hier strittige Frage zur Zeit vor dem EuGH anhängig sei, seien die
nationalen Behörden und letztlich auch die Gerichte praktisch verpflichtet, nach
Möglichkeit endgültige Entscheidungen auf der Basis der strittig gestellten nationalen
Gesetze zu verhindern. Den vom Antragsteller insoweit zitierten Urteilen des EuGH
unter C -68/95, C-158/96, C-128/89, 222/82, 811/79 ist ein derartiger Grundsatz nicht zu
entnehmen. Das Urteil des EuGH vom 10.07.1989 (C-213/89-) ist insoweit ebenfalls
nicht einschlägig, als darin lediglich das vorlegende House of Lords für berechtigt und
verpflichtet erklärt wird, einen von ihm aufgrund von Gemeinschaftsrecht für begründet
gehaltenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, obwohl das
nationale Recht einstweilige Anordnungen gegen die Krone, d.h. gegen die Regierung
grundsätzlich verbietet. Einen Grundsatz dahin, dass nationale Gerichte im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes z.B. handelsbeschränkende Vorschriften des nationalen
Rechtes für vorläufig unbeachtlich erklären müssten, sobald durch einen
Vorlagebeschluss eines anderen Gerichtes deren Vereinbarkeit mit dem
Gemeinschaftsrecht fraglich gestellt wird, ist auch diesem Urteil in keiner Weise zu
entnehmen und auch ansonsten nicht erkennbar.
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Das erkennende Gericht hätte sich i.ü. natürlich durchaus berechtigt und verpflichtet
gesehen, dem Ersuchen der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtschutz stattzugeben,
wenn es ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des deutschen
Versandhandelsverbotes mit europäischem Recht hätte. Solche hat es indes auch in
Ansehnung des o.g. Vorlagebeschlusses ebenso wenig wie das OLG Frankfurt und das
KG Berlin sie hatten.
50
Der Antrag war daher abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
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