Urteil des SozG Münster vom 25.06.2003

SozG Münster: arbeitslosenhilfe, arbeitsamt, anstellung, nachrichten, form, fahrlässigkeit, rechtswidrigkeit, arbeitskraft, ergänzung, vergleich

Sozialgericht Münster, S 3 AL 125/01
Datum:
25.06.2003
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 AL 125/01
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 09.07.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 22.10.2001 wird aufgehoben. Die
Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
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Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab
21.06.2001 und die Versagung ab 02.07.2001.
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Dem Kläger war durch Bescheid vom 06.07.2001 Arbeitslosenhilfe ab 19.06.2001
wieder bewilligt worden bis 24.01.2002. Mit Schreiben vom 16.05.2001 forderte die
Beklagte den Kläger auf, mindestens 10 Initiativbewerbungen vorzunehmen und die
Nachweise am 08.06.2001 in der Zeit von 8 bis 9 Uhr im Arbeitsamt T, Zimmer 00,
vorzulegen bzw. überprüfbare Angaben zu machen. Dieses Schreiben enthielt eine
ausführliche Rechtsfolgenbelehrung. Der Kläger überreichte daraufhin 11
gleichlautende Bewerbungen an verschiedene Arbeitgeber aufgrund von Anzeigen in
den Westfälischen Nachrichten vom 19.05.2001. Mit Schreiben vom 18.06.2001 forderte
die Beklagte den Kläger auf, mindestens 20 Initiativbewerbungen zu unternehmen und
diese am 02.07.2001 nachzuweisen bzw. überprüfbare Angaben zu machen. Auch
dieses Schreiben enthielt dieselbe Rechtsfolgenbelehrung wie das erste Schreiben. Der
Kläger legte daraufhin zahlreiche Bewerbungen vom 23.06.2001 auf Anzeigen in den
Westfälischen Nachrichten vom 23.06.2001 vor. Durch Bescheid vom 09.07.2001 hob
die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 21.06.2001 bis
02.07.2001 auf und versagte die Leistung ab 02.07.2001. Der Kläger habe durch die von
ihm vorgelegten Bewerbungsschreiben zum Ausdruck gebracht, dass er an einer
tatsächlichen Einstellung nicht interessiert sei. Aufgrund der langen Arbeitslosigkeit des
Klägers und der damit eventuell verbundenen Unkenntnis über das Verfassen von
Bewerbungsschreiben habe sie dem Kläger mit Schreiben vom 18.06.2001 unter
Hinweis des am gleichen Tag geführten Beratungsgespräches auf das
Bewerbungszentrum der Bildungsinitiative Münster erneut die Gelegenheit gegeben, bis
zum 02.07.2001 20 geeignete Initiativbewerbungen vorzulegen. Dieser Aufforderung sei
er nicht nachgekommen. Er sei damit für den oben angegebenen Zeitraum nicht
arbeitslos im Sinne des Sozialgesetzbuchs 3. Buch (SGB III) gewesen und habe keinen
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Leistungsanspruch. Die Entscheidung beruhe auf § 45 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch
10 (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III sowie § 190 Abs. 1 Nr. 1, 198 Nr. 1,
118 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Die Leistungen ab dem 03.07.2001 würden
wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 Sozialgesetzbuch 1. Buch (SGB I) versagt
bzw. entzogen. Bei Nachholung der Mitwirkung werde das Arbeitsamt prüfen, ob eine
Bewilligung der Leistung ab dem 03.07.2001 in Betracht komme. Hiergegen legte der
Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung gab er an, dass er die Bewerbungsschreiben
nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt habe. Er habe 11 Bewerbungsschreiben
vorgelegt. Danach habe er nochmal 11 Bewerbungsschreiben vorgelegt und dann noch
einmal 20 Bewerbungsschreiben gemäß der Aufforderung des Arbeitsamtes. Seine
Bewerbungen hätten konkret zum Ausdruck gebracht, dass er eine lebenslange
Anstellung haben möchte. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 22.10.2001 zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass für
die Zeit vom 21.06. bis 01.07.2001 die Voraussetzungen für die Rücknahme gemäß §
45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III vorgelegen hätten.
Die Voraussetzungen für den Entzug der Arbeitslosenhilfe gemäß § 66 Abs. 1 SGB I
lägen ab 02.07.2001 vor. Der Kläger sei mit Schreiben vom 16.05.2001 aufgefordert
worden, die Eigenbemühungen im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 SGB III
durch Vorlage von mindestens 10 Initiativbewerbungen nachzuweisen. Die daraufhin
erstellten Bewerbungsschreiben hätten weder inhaltlich noch von der Form her den
Anforderungen, die üblicherweise an Bewerbungsunterlagen gestellt werden,
entsprochen. Aufgrund von Rückmeldungen potentieller Arbeitgeber sei dieser Umstand
dem Kläger auch deutlich gemacht worden. In einem Gespräch mit der zuständigen
Vermittlungsfachkraft sei der Kläger am 18.06.2001 ausdrücklich darauf hingewiesen
worden, sinnvolle Bewerbungsunterlagen, gegebenenfalls unter Hinzuziehung des
Bewerbungszentrums des Arbeitsamtes zu erstellen. Mit Schreiben vom 18.06.2001 sei
der Kläger daraufhin nochmals schriftlich aufgefordert worden, seine Eigenbemühungen
durch den Nachweis von mindestens 20 Initiativbewerbungen bis zum 02.07.2001
nachzuweisen. Auch wenn der Kläger in quantitativer Hinsicht die Forderungen erfüllt
habe, so stehe nach Überzeugung der Widerspruchsstelle fest, dass aufgrund des
Inhalts der einzelnen Bewerbungsschreiben ernsthaftes Bemühen um eine
versicherungspflichtige Beschäftigung nicht festzustellen sei. So habe er in seinen
Bewerbungsschreiben jeweils deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er nur eine
Anstellung auf Lebenszeit wünsche, dass Obdachlosigkeit, Verschuldung und
Vorstrafen vorhanden seien. Selbst wenn der geschilderte Sachverhalt der Wahrheit
entspräche, so seien diese Aussagen eindeutig nicht Inhalt eines
Bewerbungsschreibens. Der Inhalt eines solchen Bewerbungsschreibens sei eher
geeignet, einen eventuellen Arbeitgeber von einer Einstellung abzuhalten als denn das
Interesse an dem Arbeitnehmer zu wecken. Dem Kläger sei die Möglichkeit eröffnet
worden, die Bewerbungsunterlagen unter Zuhilfenahme des Bewerbungszentrums zu
erstellen. Dieses Angebot habe der Kläger offensichtlich nicht in ausreichender Weise
wahrgenommen. Ihm hätte bekannt sein müssen, wie Bewerbungsunterlagen dem
Grunde nach abzufassen seien. Des weiteren habe er sich bei mehreren Firmen
beworben, deren Anforderungsprofil an die gesuchte Arbeitskraft eindeutig nicht mit
seinem Qualifikationsprofil in Übereinstimmung gebracht werden konnte. Aufgrund der
Rechtsfolgenbelehrung in dem Schreiben vom 18.06.2001 habe der Kläger die
Rechtswidrigkeit der Bewilligung der Leistung auch gekannt bzw. infolge grober
Fahrlässigkeit nicht gekannt. Darüber hinaus habe der Kläger auch nach Ablauf der
Nachweispflicht am 02.07.2001 den Nachweis über die Eigenbemühungen nicht
erbracht. Deshalb habe das Arbeitsamt zu Recht am 03.07.2001 die Leistungen ganz
entzogen.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass er die Auflagen
des Arbeitsamtes erfüllt habe. Er habe sich nichts vorzuwerfen, was die Art und Form
der Bewerbungsschreiben angehe. Er habe mit offenen Karten gespielt. Er sei in den
zahlreichen Bewerbertrainings darauf hingewiesen worden, dass die
Bewerbungsschreiben ehrlich sein müssen. Er sei auch beim Bewerbungszentrum
gewesen und habe das Angebot in ausreichender Weise angenommen. Dass er sich
auf mehrere Stellen beworben habe, die nicht mit seinem Anforderungsprofil
übereinstimmten, sei darauf zurückzuführen, dass er 20 Bewerbungen innerhalb kurzer
Zeit nachweisen sollte. Wie solle er innerhalb so kurzer Zeit geeignete Stellen finden.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 09.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
22.10.2001 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
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Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Streitakte und
der Leistungsakten der Beklagten (Stamm-Nr. 000000), die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide
beschwert, da diese rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Unrecht die Bewilligung der
Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 21.06. bis 01.07.2001 aufgehoben. Die
Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X liegen nicht vor. Der Bescheid
vom 06.07.2001, mit dem dem Kläger ab 19.06.2001 Arbeitslosenhilfe bewilligt wurde,
ist nicht rechtswidrig gewesen. Der Kläger war auch in dieser Zeit arbeitslos im Sinne
des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger in diesem
Zeitraum keine Beschäftigung gesucht hat im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III.
Aufgrund der Schreiben des Arbeitsamtes vom 16.05.2001 und 18.06.2001 und der
darauf vorgelegten Bewerbungen lässt sich diese Feststellung nicht treffen. Es wird
nämlich nach dem Wortlaut des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht deutlich, was konkret
von dem Arbeitslosen an Bemühungen verlangt wird. Dazu sind die gesetzlichen
Formulierungen zu wage und zu unbestimmt. Auch die Ergänzung in § 119 Abs. 5 SGB
III dahingehend, dass das Arbeitsamt den Arbeitslosen auf seine Verpflichtungen nach
Abs. 1 Nr. 1 besonders hinzuweisen hat und dieser auf Verlangen seine
Eigenbemühungen nachzuweisen hat, wenn er rechtzeitig auf die Nachweispflicht
hingewiesen worden ist, ist in der Formulierung unkonkret und der Begriff
"Eigenbemühungen" unbestimmt. Im Hinblick auf die gravierende Rechtsfolge, die sich
bei fehlenden Eigenbemühungen anschließt, nämlich der Anspruchsverlust, ist es
erforderlich, dass jeweils unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles konkrete und
deutliche Anforderungen seitens der Beklagten gestellt werden. Diese Anforderungen
an den Arbeitslosen dürfen auch nicht überspannt werden. Die Beklagte hat daher bei
der Aufforderung zur Eigenbemühung in jedem Fall zu prüfen, in welchem Umfang
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konkrete Bemühungen vom Betroffenen abverlangt werden können und auf welche Art
und Weise dieses nachzuweisen ist. Hierzu ist eine inhaltlich und sprachlich deutliche
und an den individuellen Fähigkeiten des Arbeitslosen ausgerichtete Erläuterung der
erwarteten Bemühungen und der hierzu vorzulegenden Nachweise erforderlich.
(Vergleich SG Berlin, Urteil vom 15.01.2002 - S 51 AL 1491/00). Diesen Anforderungen
genügen die Schreiben nicht. Zum einen ist nach der Auffassung des Gerichts die Frist
von drei Wochen für die Vorlage von mindestens 10 Nachweisen und die Frist von zwei
Wochen für die Vorlage von mindestens 20 Nachweisen viel zu kurz. Durch die
Aufforderung, innerhalb so kurzer Zeit so viele Bewerbungen nachzuweisen, muss sich
der Arbeitslose, der wie der Kläger seit mehr als 20 Jahren arbeitslos ist, geradezu
gedrängt sehen, auch sinnlose Bewerbungen zu schreiben, nur um den Anforderungen
des Arbeitsamtes genüge zu tun. Die Aufforderung gemäß § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III
kann daher nur die Feststellung der fehlenden Verfügbarkeit hervorrufen, wenn die
Anforderungen sowohl nach dem Umfang als auch vom zeitlichen Rahmen her nicht
überzogen sind. Darüber hinaus wird in diesen Schreiben auch nicht näher erläutert,
was unter Initiativbewerbungen verstanden wird. Auch dieses müsste in den jeweiligen
Schreiben genauer erläutert werden, zum Beispiel welche Art von Stellen, Dauer und
Umfang der Beschäftigung. So ist den Schreiben nicht zu entnehmen, ob von dem
Kläger auch die Bewerbung auf befristete Beschäftigungen oder solche in Teilzeit
erwartet wird. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Bewerbungsschreiben des
Klägers als ernsthafte Bewerbungen verstanden werden können, dies auch deshalb,
weil nach den vorliegenden Unterlagen erst im November mit dem Kläger im einzelnen
über den Inhalt seiner Bewerbungen gesprochen wurde und mit ihm besprochen wurde,
welche Dinge er nicht schreiben sollte und welche ja. Aber auch wenn die
Aufforderungsschreiben den Anforderungen des § 119 Abs. 5 SGB III genügten, könnte
die Beklagte die Bewilligung der Leistung nicht gemäß § 45 SGB X rückwirkend
aufheben. Der Kläger hatte zwar in den Schreiben eine Rechtsfolgenbelehrung
erhalten, die Bewilligung der Leistung ist aber erst erfolgt, nachdem er den Termin am
02.07.2001 wahrgenommen hatte und seine Bewerbungsschreiben abgegeben hat. Er
musste deshalb bei der Bewilligung durch Bescheid vom 06.07.2001 nicht davon
ausgehen, dass seine Bewerbungsschreiben nicht als ausreichend angesehen wurden.
Ein solcher Hinweis am 02.07.2001 lässt sich jedenfalls den übersandten Unterlagen
der Beklagten nicht entnehmen.
Auch die Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I ab 02.07.2001 ist rechtswidrig. Nach den
obigen Ausführungen können die Schreiben der Beklagten an den Kläger seine
Nachweispflicht nicht auslösen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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