Urteil des SozG Münster vom 09.08.2000

SozG Münster: berufliche tätigkeit, arbeitsunfähigkeit, krankengeld, krankenversicherung, arbeitsmarkt, bfa, zumutbarkeit, beendigung, arbeitslosigkeit, arbeitsentgelt

Sozialgericht Münster, S 3 KR 19/99
Datum:
09.08.2000
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 KR 19/99
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 160/00
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld über den 26.09.1998 hinaus.
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Der Kläger hat eine Ausbildung als Metallbaumeister absolviert und war zuletzt in
leitender Stellung in der Kunststoffindustrie tätig. Seit Januar 1998 ist er arbeitslos und
bezog Arbeitslosengeld. Seit dem 03.06.1998 bezog er Krankengeld wegen einer
Lumboischialgie. Am 16.09.1998 wurde er vom Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung untersucht. Dort gab er an, vorwiegend mit dem Aufbau und
Umbau und der Inbetriebnahme von großen Maschinen beschäftigt gewesen zu sein. Er
habe schwere körperliche Lasten heben und viel reisen müssen. Der MDK vertrat die
Auffassung, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers gemindert sei. Er sei aber noch
leistungsfähig für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Heben und
Tragen von Lasten über 10 kg und ohne Zwangshaltungen.
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Durch Bescheid vom 22.09.1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihm ab
27.09.1998 kein Krankengeld mehr zahle, da er nicht mehr arbeitsunfähig sei. Am
28.09.1998 beantragte der Kläger wieder Arbeitslosengeld, welches ihm auch in Höhe
von 533,26 DM wöchentlich bewilligt wurde.
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Gegen den Bescheid der Beklagten legte der Kläger Widerspruch ein, da er die
Auffassung vertrat, dass er weiterhin arbeitsunfähig sei. Die Arbeitsunfähigkeit sei an
der zuletzt verrichteten Tätigkeit zu messen. Diese Tätigkeit könne der Kläger unstreitig
nicht mehr verrichten. Auch bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sei eine
Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt rechtswidrig. Die Beklagte verkenne die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
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Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999
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zurück, nachdem sie ein weiteres Gutachten vom MDK eingeholt hatte. Dieser vertrat
weiterhin die Auffassung, dass der Kläger zu einer körperlich leichten bis mittelschwer
belastenden Tätigkeit vollschichtig in der Lage sei. Insbesondere gegen die Ausübung
sitzender Tätigkeiten bestünden keine Bedenken.
Im Bezug auf die erlernte und langjährig ausgeübte berufliche Tätigkeit sei eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit vorhanden. Die Beklagte führte aus, dass es unstrittig
sei, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit in keinem Fall mehr ausüben könne. Bei
Versicherten, die zum Zeitpunkt des Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos seien, sei
jedoch Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht die zuletzt ausgeübte Tätigkeit,
sondern der gesamte Tätigkeitsbereich, der für eine Vermittlung des Arbeitslosen in
Betracht komme. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei am 22.04.1998 eingetreten. Es
sei daher auf die Tätigkeit abzustellen, für die der Kläger vom Arbeitsamt vermittelt
werden könne. Gemäß § 121 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) sei eine
Beschäftigung ab dem 7. Monat der Arbeitslosigkeit nicht zumutbar, wenn das aus der
Beschäftigung zu erzielende Arbeitsentgelt niedriger sei als das Arbeitslosengeld. Es
kämen daher für den Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Reihe von
Tätigkeiten in Betracht, für die er vermittelt werden könnte und aus denen er
Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Arbeitslosengeldes erzielen könnte.
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Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger hält die Bezugnahme auf § 121 SGB III im
Rahmen der Krankenversicherung für unzulässig. Die Beklagte habe es auch versäumt,
eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, die der Kläger aufgrund seines
eingeschränkten Leistungsvermögens noch verrichten könne. Seit dem 01.09.1998
werde dem Kläger eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt. Dies belege, dass
keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten für den Kläger mehr vorhanden seien.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.02.1999 zu verurteilen, ihm über den 26.09.1998
hinaus Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
Ergänzend führt sie aus, dass der Krankenversicherungsträger nicht verpflichtet sei,
eine konkret in Betracht kommende Tätigkeit zu benennen. Im übrigen komme der
Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes unter anderem für die Tätigkeit als
Pförtner an Haupt- und Nebenpforten, als Hilfsarbeiter im Büro und Kleinteilmagazinen,
Verwieger, Telefonist und Bote in Betracht. Eine mögliche Krankengeldzahlung ende
am 11.07.1999, da bereits seit dem 19.08.1997 wegen dieser Erkrankung mehrfach
Krankengeld gezahlt worden sei. Auch aus dem Gutachten für die Rentenversicherung
ergebe sich, dass der Kläger für leichtere Arbeiten sehr wohl auf dem Arbeitsmarkt
einsetzbar sei. Daran ändere auch nichts die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente.
Diese besage lediglich, dass der Kläger für sein bei der ...bis zum 31.12.1997
ausgeübtes Berufsbild arbeitsunfähig sei. Dies besage aber nicht, dass der Kläger für
keine anderen Tätigkeiten arbeitsfähig sei. Anderenfalls wäre ihm eine
Erwerbsunfähigkeitsrente zugesprochen worden. Dass sich die Einschränkung der
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Arbeitsunfähigkeit nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit beziehe, werde auch dadurch
deutlich, dass der Kläger mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses am
31.12.1997 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei, sondern erst wieder am 22.04.1998
arbeitsunfähig erkrankt sei.
Das Gericht hat die Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA)
zum Verfahren beigezogen. Sie hat die Bundesanstalt für Arbeit zum Verfahren
beigeladen und deren Unterlagen beigezogen.
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Die Beigeladene hat einen Antrag nicht gestellt. Sie hat mitgeteilt, dass der Kläger
grundsätzlich aufgrund der Dauer seiner Arbeitslosigkeit für alle Beschäftigungen in
Betracht komme, bei denen ein Nettoarbeitsentgelt von zumindest in Höhe des
Arbeitslosengeldes erzielt werden könne. Als gelernter Landmaschinenmechaniker,
Altenpfleger und Metallbaumeister biete sich neben den ungelernten eine große Palette
von qualifizierten Tätigkeiten an. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten
festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen dürften die erlernten Berufe jedoch
keine hinreichende Beschäftigungsgrundlage mehr bieten. Der Kläger komme damit für
alle Tätigkeiten in Betracht, bei denen keine oder nur leichte körperliche Belastungen
anfallen. Denkbar wären dabei Tätigkeiten als Pförtner und Lagerarbeiter/Lagerhelfer
mit nur leichter körperlicher Belastung. Unter Berücksichtigung des monatlichen
Arbeitslosengeldes von ca. 2.383,-- DM stelle dies die unterste Grenze der Zumutbarkeit
dar.
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Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Streitakte, der
beigezogenen Unterlagen der BfA, der Beigeladenen und der Beklagten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen
Bescheide nicht beschwert, da diese nicht rechtswidrig sind. Nach der Überzeugung
des Gerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld über den
26.09.1998 hinaus. Die Voraussetzungen des § 44 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V)
sind nicht erfüllt. Voraussetzung ist danach, dass eine Krankheit den Versicherten
arbeitsunfähig gemacht hat. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist gesetzlich nicht
definiert.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, wie sie etwa im maßgeblichen
Grundlagen- Urteil vom 09.12.1986 - 8 RK 12/85 - zusammengefaßt ist, liegt
Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, seine zuletzt
verrichtete Tätigkeit auszuüben. Bei Versicherten, deren Arbeitsverhältnis während des
Bestehens der Arbeitsunfähigkeit beendet worden ist, ist Arbeitsunfähigkeit nach der
Rechtsprechung des BSG erst anzunehmen, wenn auch eine andere, gleichartige
Beschäftigung nicht mehr verrichtet werden kann. Dabei kommt es darauf an, ob der
Versicherte eine ähnliche Beschäftigung wie zuletzt hätte verrichten können. Der Kreis
der krankenversicherungsrechtlichen Verweisungstätigkeiten ist in einem solchen Fall
nach der Rechtsprechung des BSG sehr eng.
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Anders ist dies allerdings, wenn eine neue berufliche Tätigkeit aufgenommen wird. Mit
der Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit endet der Bezug zu der früheren
Beschäftigung und die neue Tätigkeit wird zur Grundlage für die Beurteilung der
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Arbeitsunfähigkeit (vgl. BSG Urteil vom 08.02.2000 - B 1 KR 11/99 R). Nach der
Überzeugung des Gerichts kann nichts anderes gelten, wenn die Tätigkeit des
Versicherten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit beendet wurde, der Versicherte sich
arbeitslos gemeldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat.
Auch hierdurch endet der Bezug zur letzten Tätigkeit. Der Maßstab kann in einem
solchen Fall nur noch sein, für welche Tätigkeiten der Versicherte von der
Arbeitsverwaltung zumutbar vermittelt werden kann. Der Versicherte, dem eine Arbeit in
diesem Rahmen nicht vermittelt werden kann, kann bezüglich der Frage, ob
Arbeitsunfähigkeit besteht, nicht besser gestellt sein als derjenige, dem eine Arbeit im
zumutbaren Rahmen tatsächlich vermittelt wird. Solange eine Vermittlung nicht erfolgt
ist, muß demnach für die Beurteilung der Frage der Arbeitsunfähigkeit die Zumutbarkeit
im Rahmen der Arbeitslosenversicherung sein. Dies ist seit dem 01.01.1998 § 121 SGB
III. Danach sind für den Kläger noch eine Vielzahl von Tätigkeiten auch unter
Berücksichtigung seines Leistungsvermögens zumutbar,wie sich aus dem
Ausführungen der Beigeladenen ergibt, so dass Arbeitsunfähigkeit jedenfalls ab
26.09.1998 nicht mehr bestand.
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Aus den von Seiten des Klägers übersandten Entscheidungen des Sozialgerichts
Gelsenkirchen sowie aus den in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG und
des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ergibt sich nichts Gegenteiliges. In allen
diesen Entscheidungen war die Arbeitsunfähigkeit vor Beendigung des
Arbeitsverhältnisses eingetreten und die Arbeitslosmeldung nur deshalb erfolgt, weil die
jeweilige Krankenversicherung die Zahlung des Krankengeldes eingestellt hatte. In
einem solchen Fall bleibt jedoch, wie oben ausgeführt, der Bezug zu der früheren
Tätigkeit, wenn auch in etwas eingeschränktem Maße, bestehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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