Urteil des SozG Münster vom 22.08.1996

SozG Münster (kläger, zulassung, labor, zahnarzt, zusammenarbeit, 1995, versorgung, verhandlung, ladung, vertrauensverhältnis)

Sozialgericht Münster, S 2 Ka 106/95
Datum:
22.08.1996
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 2 Ka 106/95
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 Ka 157/96
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat dem Beklagten die Kosten
des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten
nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Entziehung der Zulassung des Klägers zur vertragszahnärztlichen
Versorgung.
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Der 1960 geborene Kläger ist niederländischer Staatsbürger. Er legte in O am
31.10.1986 das zahnmedizinische Examen ab. Seit dem 02.11.1987 ist er als Zahnarzt
in C-C niedergelassen und in der kassen- und vertragszahnärztlichen (ab 1993
einheitlich: vertragszahnärztlichen) Versorgung tätig.
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Auf Anzeigen des VdAK und der örtlichen Arbeitsgemeinschaft der
Primärkrankenkassen nahm die Staatsanwaltschaft Münster im Juni 1991 Ermittlungen
gegen den Kläger wegen Betrugsverdachtes auf. Im Oktober 1991 wurden seine Praxis
und seine Wohnung durchsucht. Ihm wurde vorgeworfen, daß das Dentallabor L im X in
den Niederlanden, mit dem er seit Jahren zusammengearbeitet habe, ihm auf sämtliche
Rechnungen für Laborleistungen einen Bonus von mehr als 3 % Skonto gewähre.
Entgegen seiner Verpflichtung, diese Bonusleistungen an die Krankenkassen
weiterzugeben bzw. den Krankenkassen die Laborkosten nur in der tatsächlich
entstandenen Höhe zu berechnen, habe er die Laborrechnungen gegenüber den
Krankenkassen zu 100 % abgerechnet.
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Vor der Staatsanwaltschaft Münster erklärte der Kläger am 04.12.1991, daß er seit Ende
1988 mit dem Labor L zusammenarbeite. Auf Empfehlung von Kollegen habe er sich an
Herrn L gewandt und diesem zugesagt, daß er bei ihm arbeiten lassen wolle, nachdem
er dessen Labor und die damit verbundenen Arbeitsmöglichkeiten im Oktober 1988
gesehen habe. Daraufhin habe ihm Herr L 20 % Rabatt auf den Umsatz angeboten.
Kurze Zeit nach Beginn der Zusammenarbeit habe ihm Herr L gesagt, daß er keinen
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Bonus von 20 % mehr, sondern nur von 10 % gewähren könne. Das habe er, der Kläger,
so hingenommen.
Die 20 % bzw. 10 % verstanden sich als Rabatt vom Nettobetrag des Umsatzes ohne
Einfuhrumsatzsteuer. Die Rechnungen waren in DM gehalten. Die Rabatte habe er
jedoch in Gulden bekommen, und zwar umgerechnet mit einem Taxwert von 1,1 Gulden
zu 1,-DM.
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Er habe die Monatsrechnung jeweils an das Labor in den Niederlanden überwiesen.
Wenn das Geld auf dem Konto der Firma angekommen sei, sei er von Herrn L
angerufen worden. Dieser habe ihm mitgeteilt, daß er seinen Bonus in X im Labor
abholen könne. So sei dies auch zumeist geschehen. Nur zweimal sei das Geld auch
mit einer Prothetiklieferung mitgekommen.
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Nach der Durchsuchung seiner Praxis habe er mit Herrn L telefoniert und ihn gebeten,
die Bonuszahlungen sofort einzustellen, was auch geschehen sei.
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Am 29.06.1992 erließ das Amtsgericht in Bocholt gegen den Kläger wegen fortgesetzten
Betruges einen Strafbefehl über 150 Tagessätze zu je 200,- DM. Das Gericht sah den
fortgesetzten Betrug darin, daß der Kläger im Zeitraum von November 1988 bis Juli
1991 unter Berücksichtigung von 3 % Skonto, die er hätte abziehen dürfen, insgesamt
über 20.000,- DM an Rabatten von dem Labor L erhalten habe, die er nicht an die
Krankenkassen und Patienten weitergeleitet habe. Die Feststellungen wurden aufgrund
der Monatsabrechnungen der Firma L für die Zeit von November 1988 - Juli 1991
getroffen.
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Der Strafbefehl des Amtsgerichts Bocholt wurde rechtskräftig.
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Durch Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 09.12.1992 wurde
wegen dieser Verfehlungen eine Geldbuße in Höhe von 20.000,- DM gegen den Kläger
festgesetzt.
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Der frühere AOK-Landesverband Westfalen-Lippe, dessen Rechtsnachfolgerin die
Beigeladene zu 2) ist, und die Beigeladenen zu 3), 4) und 5) beantragten, dem Kläger
die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung zu entziehen. Der
Zulassungsausschuß für Zahnärzte für den Zulassungsbezirk Westfalen-Lippe wies
aufgrund eines Beschlusses vom 02.06.1993 durch Bescheid vom 20.04.1993 den
Antrag der Krankenkassen zurück. Er bewertete zwar das aufgrund des Geständnisses
des Klägers im Strafbefehl festgestellte Verhalten als Verletzung vertragszahnärztlicher
Pflichten. Die sei aber nicht so gröblich, daß Disziplinarmaßnahmen nicht ausreichten.
Der Kläger habe die Geldstrafe von 30.000,- DM bezahlt, den Schaden von über
20.000,- DM wieder gutgemacht und die Geldbuße von 20.000,- DM aufgrund der
Disziplinarentscheidung bezahlt. Er habe auch kein Konto in Österreich angelegt, um
die Bonuszahlungen darauf einzuzahlen. Deshalb sei den Krankenkassen die weitere
Zusammenarbeit mit dem Kläger zuzumuten, und es sei zu erwarten, daß er sich mit
Rücksicht auf die Disziplinarmaßnahme und die anderen Strafen in Zukunft korrekt
verhalte.
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Gegen den am 05. bzw. 06.10.1993 zugestellten Bescheid des Zulassungsausschusses
wandten sich der frühere AOK-Landesverband Westfalen-Lippe und die Beigeladenen
zu 3) bis 5) mit den am 12.10. bzw. 02., 03. und 05.11.1993 eingegangenen
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Widersprüchen.
Aufgrund eines Beschlusses vom 09.02.1994 hob der Beklagte durch Bescheid vom
18.07.1994 den Beschluss des Zulassungsausschusses auf und entzog dem Kläger die
Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit.
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Gegen diese Entscheidung hat sich der Kläger mit der Klage S 2 Ka 134/94 gewandt.
Da der Bescheid erst mehr als fünf Monate nach Beschlussfassung ausgefertigt und den
Beteiligten zugestellt war, hat der Beklagte den Bescheid vom 18.07.1994 aufgehoben.
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Aufgrund eines Beschlusses vom 27.09.1995 hob der Beklagte durch Bescheid vom
06.11.1995 erneut die Entscheidung des Zulassungsausschusses auf und entzog dem
Kläger die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung.
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Indem der Kläger von dem Dentallabor L in der Zeit von Ende 1988 bis Juli 1991
Rabatte oder Rückvergütungen erhalten habe, die sich abzüglich eines zulässigen
Skontos von 3 % auf rund 20.000,- DM beliefen, bei seinen Abrechnungen jedoch die
vollen Rechnungsbeträge geltend gemacht habe, habe er sowohl gegen § 4 Abs. 2 Satz
2 des Gesamtvertrages zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Landesverbänden
der Krankenkassen, als auch gegen § 11 Abs. 2 des Zahnarzt-Ersatzkassenvertrages
(EKV-Z) verstoßen. Nach den Bestimmungen sei das Gewährenlassen von Rabatten
unzulässig bzw. seien die gewährten Rückvergütungen an die Vertragskasse
weiterzugeben. Etwas anderes gelte nur für Barzahlungsrabatte bzw. Skonti.
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Gegen diese Pflichten habe der Kläger vorsätzlich verstoßen. Es liege auf der Hand,
daß der Kläger von den Krankenkassen nicht mehr habe verlangen dürfen, als er selbst
bezahlt habe.
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Diese Pflichtverletzung sei gröblich gewesen. Der Schaden, den er den Krankenkassen
und den betroffenen Patienten in Höhe von etwa 20.000,- DM zugefügt habe, sei
beträchtlich. Indem er die Vertrauensstellung, die er als Kassen- bzw. Vertragszahnarzt
inne gehabt habe, mißbraucht und die Rückvergütungen aus Eigennutz behalten habe,
habe er schwere charakterliche Mängel erkennen lassen.
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Der Kläger habe das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen dermaßen gestört,
daß es auch durch eine Disziplinarmaßnahme nicht wieder hergestellt werden könne.
Zur Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses genüge es nicht, daß der Kläger seit
Ende 1991 seine kassen- bzw. vertragszahnärztliche Tätigkeit einwandfrei verrichte.
Das sei selbstverständlich. Es genüge nicht, daß er den Krankenkassen und den
Patienten Schadensersatz geleistet und daß er sich später bei dem Labor L für die
Gewährung von Rabatten eingesetzt habe, die den Krankenkassen zugute kommen.
Diese hätten mit ihrer Bitte nicht bekundet, daß sie ihm wieder ihr Vertrauen schenken.
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Mit der am 06.12.1995 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen den
Bescheid des Beklagten gewandt.
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Er meint, daß der Widerspruch des Beigeladenen zu 4) nicht fristgerecht erhoben sei,
weil er nach seiner Behauptung erst am 08.11.1993 eingegangen sei. Deshalb sei eine
Beiladung des Beigeladenen zu 4) unzulässig.
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Außerdem behauptet er, daß die Beigeladene zu 1) und die Widerspruchsführer nicht
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zur Sitzung des Beklagten am 27.09.1995 geladen worden seien. Die Ladung sei auch
nicht aufgrund einer schriftlichen Verfügung des Vorsitzenden des Beklagten erfolgt,
sondern durch den Geschäftsstellenleiter des Beklagten. Schließlich bezweifelt der
Kläger, ob die zahnärztlichen Mitglieder des Beklagten auf wirksamer
Satzungsgrundlage der Beigeladenen zu 1) bestellt worden seien, und meint, die
einschlägigen Verwaltungsvorgänge seien vom Gericht beizuziehen.
Materiell-rechtlich sei der Bescheid des Beklagten rechtswidrig, weil es
unverhältnismäßig sei, wenn ihm die Zulassung entzogen werde. Vielmehr sei eine
Disziplinarmaßnahme vorgreiflich, weil sie das weniger belastende und ebenfalls
geeignete Mittel sei. Die Rabatte seien ihm vom Labor L angeboten worden, sie seien
nicht vom Kläger gefordert worden. Er habe auch nicht aus Erwerbsstreben gehandelt.
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Außerdem habe er die Rabattnahme freiwillig beendet aufgrund eines Rundschreibens
der Beigeladenen zu 1). Das ergebe sich aus den Akten der Staatsanwaltschaft und
könne von dem Inhaber des Labors L bestätigt werden.
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Seine Patienten seien mit ihm zufrieden, und die Zusammenarbeit mit den
Krankenkassen verlaufe reibungslos, so daß sich die Frage, ob den Kassen eine
weitere Zusammenarbeit mit ihm zuzumuten sei, dadurch schon positiv beantwortet
habe.
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Schließlich sei zu berücksichtigen, daß er jetzt verheiratet und Vater eines Kindes sei.
Er habe den Schaden wieder gutgemacht und nunmehr seit fünf Jahren ohne
Beanstandungen gearbeitet.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 06.11.1995 aufzuheben.
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Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2), 3), 4) und 7) beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie halten die Entziehung der Zulassung für rechtmäßig.
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Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag des Klägers an. Nach ihrer Meinung
war die Disziplinarmaßnahme ausreichend, um den Kläger nachhaltig zur Erfüllung
seiner vertragszahnärztlichen Pflichten anzuhalten.
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Die Beigeladenen zu 5) und 6) haben sich im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht
vertreten lassen und auch schriftsätzlich nicht geäußert. Sie waren vom
Verhandlungstermin ordnungsgemäß mit dem Hinweis benachrichtigt worden, daß im
Falle ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt
der von ihnen eingereichten Schriftsätze verwiesen. Bezug genommen wird auf die
Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Vorprozeßakten S 2 Ka 134/94 und die
Strafakten 8 Cs 44 Js 4007/91 der Staatsanwaltschaft Münster, deren Inhalt, soweit er
entscheidungserheblich ist, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 5) und 6) im Termin zur mündlichen
Verhandlung konnte verhandelt und entschieden werden, weil die Beigeladenen in den
ordnungsgemäßen Terminsmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden
waren.
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Die gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig, da sie
form- und fristgerecht erhoben worden ist.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid des Beklagten vom
06.11.1995 rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt.
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Wesentliche Verfahrensfehler, die den angefochtenen Bescheid rechtswidrig machen
könnten, haben nicht vorgelegen.
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Auch der Widerspruch des Beigeladenen zu 4) war zulässig, weil er per Telefax
rechtzeitig am 05.11.1993 erhoben war, bevor das Widerspruchsschreiben am
10.11.1993 einging.
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Die Bestellung der zahnärztlichen Mitglieder des Berufungsausschusses durch die
Vertreterversammlung der Beigeladenen zu 1) war rechtmäßig. Nach § 97 Abs. 2 Satz 4
des V. Sozialgesetzbuches (SGB V) in Verbindung mit § 96 Abs. 2 Satz 2 SGB V
bestimmt die Beigeladene zu 1) die Vertreter der Zahnärzte beim Beklagten. Wie sie das
zu tun hat, ist weder in den §§ 96 und 97 SGB V noch in den §§ 34 ff der
Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (ZV-Z) geregelt. Deshalb ist nicht zu
beanstanden, daß sie die Wahl durch die Vertreterversammlung, die ein
Selbstverwaltungsorgan der Beigeladenen zu 1) im Sinne von § 79 SGB V ist, hat
vornehmen lassen. Somit ist die Wahl der zahnärztlichen Mitglieder des
Berufungsausschusses rechtmäßig, selbst wenn die dies regelnde Vorschrift von § 15
Abs. 2 Nr. 11 der Satzung der Beigeladenen zu 1) nicht wirksam sein sollte, falls sie, wie
der Kläger vermutet, nicht richtig ausgefertigt sein sollte. Mithin brauchte die Satzung der
Beigeladenen zu 1) auch vom Gericht nicht überprüft zu werden.
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Die Beigeladene zu 1) und die Krankenkassen sind zur Verhandlung vor dem Beklagten
am 27.09.1995 geladen worden. Das ergibt sich zwar nicht aus den Verwaltungsakten.
Die Beigeladene zu 1) hat nach ihren Angaben aber eine schriftliche Ladung erhalten
und die beigeladenen Krankenkassen haben vorgetragen, daß sie zu Sitzungen der
Zulassungsgremien Sammelladungen erhalten. Sie haben nicht bezweifelt, daß sie
auch in diesem Fall eine Ladung erhalten haben. Im übrigen waren - nach der
Behauptung des Klägers - allenfalls die beigeladenen Krankenkassenverbände und die
Beigeladene zu 1) nicht geladen. Sie haben das Fehlen der Ladung, die nach § 37 Abs.
2 Satz 1 ZV-Z in Verbindung mit § 45 Abs. 3 ZV-Z erforderlich ist, nicht gerügt, so daß
ein etwaiger Mangel, der in der fehlenden Ladung gelegen hat, nunmehr gemäß § 202
SGG in Verbindung mit § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auch nicht mehr gerügt
werden kann. § 295 ZPO ist nämlich auch für förmliche Verwaltungsverfahren, wie das
Verfahren vor dem Beklagten, anzuwenden (vgl. Zeihe, § 295 ZPO, Rand-Nr. 1e
m.w.N.).
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Unerheblich ist, ob der damalige Vorsitzende des Beklagten den Verhandlungstermin
schriftlich bestimmt hat, was sich aus den Akten nicht ergibt, oder ob er die
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Geschäftsstelle mündlich angewiesen hat. § 37 Abs. 2 ZV-Z schreibt zwar eine
schriftliche, aber keine Ladung durch den Vorsitzenden vor, und § 36 S. 2 ZV-Z
bestimmt nur, daß der Vorsitzende die Sitzung anberaumt. Wie er das zu tun hat, ist in
der ZV-Z nicht vorgeschrieben. Auch wenn die Ausschußmitglieder nicht
weisungsgebunden sind, so ergibt sich daraus keine Verpflichtung zu einer schriftlichen
Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden.
Materiell-rechtlich ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig, weil dem Kläger gemäß §
95 Abs. 6 SGB V in der ab 01.01.1993 geltenden Fassung des
Gesundheitsstrukturgesetzes vom 22.12.1992 (BGBl. I 2266) die Zulassung zu
entziehen ist, denn er hat seine kassen- bzw. vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich
verletzt.
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Für die Beurteilung des Klagebegehrens sind die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht maßgeblich, obwohl es sich um
eine Anfechtungsklage handelt und bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes in der Regel die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen ist. Da die Zulassungsentziehung aber
noch nicht vollzogen ist, gleicht die Fallgestaltung derjenigen bei Verwaltungsakten mit
Dauerwirkung, deren Rechtmäßigkeit auch unter Berücksichtigung der Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen ist (vgl. BSG
SozR 3-2500, § 95 Nr. 4).
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Eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne von § 95 Abs. 6 SGB V liegt nicht nur vor,
wenn durch sie das Vertrauen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der
Krankenkassen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten erheblich gestört
ist. Vielmehr ist auch dann eine gröbliche Pflichtverletzung in dem o. a. Sinne gegeben,
wenn dadurch das Vertrauen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der
Krankenkassen in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen eines Zahnarztes so gestört
ist, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt nicht zugemutet werden
kann (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.).
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Da die Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Krankenkassen - solange keine
konkreten Verdachtsgründe vorliegen, - kaum die Möglichkeit haben, die abgerechneten
Leistungen daraufhin zu überprüfen, ob sie auch tatsächlich erbracht worden sind,
müssen sie sich unbedingt auf die Ehrlichkeit des Vertragszahnarztes verlassen
können. Eine gewissenhafte, peinlich genaue Abrechnung gehört deshalb zu den
Grundpflichten eines jeden Vertragszahnarztes (vgl. BSG a.a.O. und BSG: USK 1972,
117).
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Gegen die Pflicht der peinlich genauen Abrechnung hat der Kläger verstoßen, indem er
- wie er selbst eingeräumt hat - für die Zeit von Ende 1988 bis Juli/August 1991 den
Krankenkassen gegenüber die Rechnungen des Dentallabors L zu 100 % geltend
gemacht hat, obwohl er von dem Labor zuerst Rückvergütungen von 20 % und dann von
10 % erhalten hat.
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Zwar können zahntechnische Laborkosten, wie sich aus Ziff. 4 der Allgemeinen
Bestimmungen zum Bema-Z und § 6 des Gebührentarifs C (Anlage 3 zum EKV-Z)
ergibt,gesondert berechnet werden. Aus diesen Regelungen ergibt sich aber auch, daß
nur die tatsächlich entstandenen Kosten vom Zahnarzt gegenüber den Krankenkassen
geltend gemacht werden dürfen. Außerdem haben die Beigeladene zu 1) und die
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Landesverbände der Krankenkassen hinsichtlich der Abrechnung zahntechnischer
Leistungen bei Inanspruchnahme gewerblicher Laboratorien in § 8 Abs. 2 Satz 2 des
Gesamtvertrages (in der derzeit gültigen Fassung vom 27.11.1993) bestimmt, daß das
Gewährenlassen von Rabatten, Bonifikationen und sonstiger Rückvergütungen
unzulässig ist; ausgenommen hiervon sind Skonti. Diese Bestimmung war schon im
Gesamtvertrag vom 20.06.1983 (damals als § 6 Abs. 2) sowie in allen folgenden
Gesamtverträgen (ab 01.01.1988: § 5 Abs. 2 und ab 01.01.1990: § 4 Abs. 2) zu finden
und sowie in allen folgenden Gesamtverträgen (ab 01.01.1988: § 5 Abs. 2 und ab
01.01.1990: § 4 Abs. 2) zu finden und ist gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 SGB V in
Verbindung mit § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für jeden im Bereich der Beigeladenen zu 1)
tätigen Kassenzahnarzt bzw. Vertragszahnarzt verbindlich.
Für die Behandlung von Versicherten der Ersatzkassen ergibt sich ausdrücklich aus §
11 Abs. 2 EKV-Z die Bestimmung, daß die von gewerblichen Laboratorien gewährten
Rückvergütungen wie Preisnachlässe, Rabatte, Umsatzbeteiligungen, Bonifikationen
und rückvergütungsgleiche Gewinnbeteiligungen mit Ausnahme von
Barzahlungsrabatten an die Vertragskasse weiterzugeben sind.
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Gegen diese vertraglichen Bestimmungen hat der Kläger verstoßen. Diese
Vertragsverletzungen sind gröbliche Verletzungen kassenzahnärztlicher bzw.
vertragszahnärztlicher Pflichten im Sinne des § 95 Abs. 6 SGB V, die zur Entziehung
der Zulassung führen. Das ist in der Regel bei falschen Abrechnungen, die den
Straftatbestand des Betruges erfüllen, der Fall (vgl. BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 4).
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Die Zulassungsentziehung greift zwar schwerwiegend in die in Artikel 52 des EWG-
Vertrages garantierte Niederlassungsfreiheit des Klägers ein, so daß sie unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden
darf, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der
vertragszahnärztlichen Versorgung ist. Das ist hier anzunehmen. Im vorliegenden Fall
reichen Disziplinarmaßnahmen nicht aus. Vielmehr ist die Zulassungsentziehung das
einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragszahnärztlichen Versorgung
(vgl. BSG SozR 2200, § 368a, Nr. 24), weil die Pflichtverletzung des Klägers nach Art,
Dauer und Umfang besonders schwerwiegend war.
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Die unzulässige Rabattnahme erfolgte über einen langen Zeitraum, und zwar über etwa
2 ¾ Jahre, von Ende 1988 bis Juli/August 1991.
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Nach dem Strafbefehl beliefen sich die Rückvergütungen auf über 20.000,- DM nach
Abzug eines zulässigen Skonto von 3 %. Der Kläger hat die Höhe nunmehr zwar
bezweifelt. Er hält die mit den Kassen vereinbarte Schadensersatzleistung von 11.000,-
DM für richtig. Da die Staatsanwaltschaft den Schadensbetrag mit über 20.000,- DM
anhand der Laborrechnungen ermittelt hat und bei Material- und Laborkosten von den
Patienten 40 oder 50 % zu bezahlen waren, während die 11.000,- DM nur den Schaden
der Krankenkassen berücksichtigen, ist doch ein etwa bei 20.000,- DM oder nur
geringfügig darunter liegender Schaden anzunehmen.
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Der Verstoß des Klägers gegen seine kassen- bzw. vertragszahnärztlichen Pflichten ist
vorsätzlich erfolgt. Das ergibt sich schon daraus, daß er die Preisnachlässe nicht etwa
jedesmal von den Rechnungen gleich abgezogen hat, sondern daß er zunächst die
vollen Beträge gezahlt hat und sich dann die Rückvergütungen bar in den Niederlanden
abgeholt hat. Im übrigen wäre auch sonst nicht verständlich, weshalb er sich nicht
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gegen die Veruteilung wegen fortgesetzten Betruges in dem Strafbefehl gewehrt hat.
Selbst wenn in den Niederlanden eine andere Abrechnungsweise für zahntechnische
Leistungen gilt und es dort Festpreise gibt, so wußte er aber, daß er in Deutschland
anders abrechnete und daß er dort seine Leistungen und die Laborleistungen einzeln in
Rechnung stellte.
Der Kläger hat sich durch die Einbehaltung der Rabatte genauso verwerflich verhalten
wie ein Zahnarzt, der nicht erbrachte Leistungen abrechnet. Wie bei einem Zahnarzt, der
nicht erbrachte Leistungen abrechnet, lag auch bei ihm bei jeder Laborrechnung, die er
gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen abrechnete,
eine von ihm selbst vorgenommene verwerfliche Handlung vor, weil er jedesmal einen
höheren Betrag abgerechnet hat als er bezahlen mußte. Unerheblich ist, ob er die
Rabatte erhielt, weil sie ihm angeboten wurden.
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Bei den jahrelang andauernden Verstößen handelt es sich daher um
Pflichtverletzungen, die das vertragszahnärztliche System empfindlich stören und das
Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen nachhaltig beeinträchtigen. Wegen der
langen Dauer der unzulässigen Rabattnahme, der beträchtlichen Höhe der
einbehaltenen Rabatte und wegen des kriminellen Charakters der Vorgehensweise des
Klägers bei dem vorsätzlichen Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen hat sich der
Kläger als ungeeignet für die Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung
erwiesen. Das Fehlverhalten des Klägers hat das Vertrauensverhältnis zu den
Krankenkassen so nachhaltig gestört, daß ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem
Kläger - jedenfalls zur Zeit - nicht zuzumuten ist.
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Das Fehlverhalten des Klägers wiegt auch schwerer als sein Wohlverhalten seit Ende
1991, d.h. seit nunmehr fast fünf Jahren. Zwar ist - wie bereits ausgeführt - auch eine
etwaige Änderung der Sachlage bis zum Termin der mündlichen Verhandlung zu
berücksichtigen (vgl. dazu insbesondere BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 4). Der Kläger hat
durch sein Verhalten seit Ende 1991 das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen
aber nicht wieder hergestellt. Dazu genügt es nicht, daß er seitdem seine kassen- bzw.
vertragszahnärztliche Tätigkeit einwandfrei verrichtet. Vertragsgemäßes Verhalten wird
bei allen Vertragszahnärzten als selbstverständlich vorausgesetzt. Ein Wohlverhalten
von etwa fünf Jahren unter dem Druck zunächst des Strafverfahrens bzw. unter dem
Druck des laufenden Zulassungsentziehungsverfahrens rechtfertigt nicht den Schluß,
daß das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen schon wieder hergestellt ist.
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Entgegen der später von dem Kläger aufgestellten Behauptung ist nicht davon
auszugehen, daß er die unzulässige Rabattnahme freiwillig aufgrund dieses
Rundschreibens der Beigeladenen zu 1) aufgegeben hat. Er selbst hat vor der
Staatsanwaltschaft am 04.12.1991 angegeben, daß er die Verfahrensweise nach der
Durchsuchung seiner Praxis aufgegeben habe. Es ist nichts dafür vorgetragen oder
ersichtlich, weshalb die ersten zeitnahen Angaben des Klägers falsch sein sollten. Aus
den Strafakten ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür. Der Inhaber des Labors L kann
aus eigenem Wissen keine Angaben dazu machen, weshalb der Kläger die Annahme
der Rabatte beendet hat, so daß er vom Gericht dazu nicht als Zeuge gehört zu werden
brauchte.
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Im übrigen ist auch zu berücksichtigen, daß es ungerecht wäre, wollte man infolge des
Wohlverhaltens während des Zulassungsentziehungsverfahrens eine Wiedererlangung
der Eignung des Klägers annehmen. Der Kläger wäre dann viel besser gestellt als ein
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Zahnarzt, der wegen geringerer Verstöße eine Disziplinarstrafe erhalten und dessen
Zulassung tatsächlich geruht hat, während der Kläger bisher ohne Unterbrechung noch
zugelassen ist (vgl. BSG SozR 2200, § 368a Nr. 3).
Der Umstand, daß der Kläger den Betroffenen Schadensersatz geleistet hat, reicht für
die Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses auch nicht aus, da der Kläger zur
Schadensregulierung verpflichtet war.
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Auch wenn der Kläger nun weiterhin mit dem Labor L zusammenarbeitet und Rabatte
dieses Labors nun den Krankenkassen zugute kommen, so genügt das für eine neue
Vertrauensbasis nicht. Damit haben die Krankenkassen auch nicht zum Ausdruck
gebracht, daß sie weiter mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen. Sie hatten vielmehr
wegen des laufenden Zulassungsentziehungsverfahrens gar keine andere Möglichkeit.
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Aufgrund der Schwere der Verstöße kann den Krankenkassen die auf einem
besonderen Vertrauensverhältnis basierende Zusammenarbeit mit dem Kläger daher
nicht mehr zugemutet werden. Deshalb ist die Zulassungsentziehung auch das einzige
Mittel. Disziplinarmaßnahmen würden das vertragszahnärztliche System nicht
ausreichend schützen. Bei unwirtschaftlicher Behandlungsweise mag eine
Disziplinarmaßnahme ausreichend sein (vgl. BSGE 60, 76, 78), aber nicht bei
fortgesetztem Betrug.
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Schließlich ist die Zulassungsentziehung auch nicht deshalb ausgeschlossen oder
rechtswidrig, weil bereits eine Disziplinarmaßnahme gegen den Kläger festgesetzt
worden ist (vgl. BSGE 61, 1 ff). Allenfalls mag der Disziplinarbeschluß wegen der
nunmehr erfolgten Zulassungsentziehung aufzuheben sein (vgl. BSGE 61, 1, 3 f).
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Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung des Beklagten rechtmäßig.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 193, 183 SGG, insbesondere aus 193
Abs. 4 Satz 2 SGG.
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