Urteil des SozG München vom 17.06.2008

SozG München: impfung, gutachter, wahrscheinlichkeit, eltern, akte, kinderarzt, diagnose, behandlung, vorsorgeuntersuchung, enzephalitis

Sozialgericht München
Urteil vom 17.06.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 33 VJ 2/05
Bayerisches Landessozialgericht L 15 VJ 4/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens im Zusammenhang mit der am 06.11.2000
verabreichten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Der 1999 geborene Kläger wurde laut Impfbuch am
06.11.2000 mit dem dort bezeichneten Impfstoff Priorix, Ch-B. 690070 PD, gegen Masern, Mumps und Röteln
geimpft. Weitere Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae B (HiB), Hepatitis B und
Poliomyelitis waren am 29.11.1999, 05.01.2000 (nur Tetanus, Diphtherie und Pertussis), 15.02.2000 sowie 19.01.2001
erfolgt.
Die Eltern des Klägers machten mit beim Beklagten am 04.04.2003 eingegangenem Antrag auf Gewährung von
Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz geltend, dass es als Folge der angegebenen Impfung am 06.11.2000
zu Verlust der bis dahin erworbenen Sprachentwicklung, Schlaflosigkeit, häufigem Erbrechen, häufigen Infektionen,
erschlaffter Mundmuskulatur, allgemeiner Entwicklungsverzögerung mit Sprachentwicklungsstörung und
Wahrnehmungsdefiziten gekommen sei. Im Gespräch des Beklagten mit den Eltern am 27.05.2003, vgl.
Aktenvermerk Bl. 30f. VA-Akte, machten die Eltern zum Sachverhalt folgende Angaben: Ihr Sohn sei am 06.11.2000
durch Herrn Dr. S. in I. gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft worden. Er sei zu diesem Zeitpunkt gesund
gewesen. Nach acht bis zehn Tagen sei es zu einer ca. dreiwöchigen Erkrankung gekommen, die sich anschließend
gebessert habe. Die Symptome seien aber nie ganz abgeklungen. In den genannten drei Wochen sei nächtliches
Erbrechen (wiederholt aufgetreten), Schlafstörungen, nächtliches Jammern und Fieber zwischen 38,5 und 39,0 Grad
aufgetreten. Das Fieber sei durch fiebersenkende Maßnahmen (Benuron-Zäpfchen) gesenkt worden. Dadurch sei es
nicht stärker angestiegen. Nach Angaben der Mutter habe man mehrfach mit Dr. S. telefoniert, zum Inhalt der
Gespräche seien keine genauen Angaben möglich. Nach dieser dreiwöchigen Erkrankung habe eine fortdauernde
Infektanfälligkeit bestanden. Ihr Sohn habe ständiges Nasenlaufen, Sommer wie Winter. Nach der Impfung habe er
sich in seiner Entwicklung zunächst zurück entwickelt, die ursprünglich erfreuliche Sprachentwicklung wieder verloren.
Mit ca. einem Jahr habe er Papa, Mama, verschiedene Namen und "heiß" sagen können, nach der Impfung nur noch
Laute und einfache Wort. Freies Laufen habe mit einem Jahr bestanden. Seit der Impfung sei das Gangbild auffällig,
er gehe "schief", etwas seitlich verdreht. Die feinmotorische Entwicklung sei bis zur Impfung ebenfalls unauffällig
gewesen, Spielen mit beiden Händen und Zusammenstecken von Bauklötzen sei vorher möglich gewesen. Nach der
Impfung habe es nur geringe Fortschritte gegeben. Ihr Sohn könne mit Fingerfarben etwas malen, etwas kneten, mit
Hölzchen im Garten spielen oder ein Buch anschauen, es bestünde kein altersentsprechendes Spiel. Das Verhalten in
der Gemeinschaft sei auffällig. Er könne sich sprachlich kaum verständigen und versuche deshalb, sich durch lautes
Schreien durchzusetzen. Körperlich bestünde nach wie vor Infektanfälligkeit, ihr Sohn erbreche mitunter (etwa einmal
monatlich), schwitze in der Nacht stark. Über die Gesundheitsentwicklung vor der angeschuldigten Impfung wurde von
den Eltern weiter berichtet: Leistenbruchoperation mit fünf Wochen, mit acht Monaten Behandlung einer spastischen
Bronchitis, Laufen mit einem Jahr, erste Worte etwa gleichzeitig, zu diesem Zeitpunkt unauffälliges Sozialverhalten.
Im Untersuchungsheft des Klägers befindet sich bei der U2 vom 26.07.1999 ein Hinweis auf das Faktor-V-Leiden der
Mutter. Am 03.08.1999 wurde hierzu vom medizinischen Laboratorium Dr. S., eine Faktor-V-Leiden Mutation in
heterozygoter Form gefunden, Blatt 55 VA-Akte. Es wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass heterozygote
Anlageträger ein 5-10-fach erhöhtes Risiko für thrombotische und embolische Ereignisse gegenüber Personen, die
diese Mutation nicht tragen, haben. Bei der U3 am 17.08.1999 wurde eine etwas vermehrte Kopfdrehung nach rechts
notiert sowie bei der U4 am 11.11.1999 "etwas Muskelhypertonie, Kiss-Syndrom links?". Es sind keine weiteren
Einträge bei der U5 (13.03.2000), U6 (13.07.2000) und U7 (06.07.2001) enthalten.
Der Beklagte zog Unterlagen über die Geburt des Klägers im Klinikum I. bei. Die Mutter des Klägers war in der
Schwangerschaft wegen einer tiefen Beinvenenthrombose mit Heparin behandelt worden, es handelte sich um eine
Spontangeburt, der Apgarwert wird mit 9/10/10 angegeben. In der ärztlichen Mitteilung über die Leistenbruchoperation
vom 02.09.1999, Blatt 88 VA-Akte, wird ein operativer und postoperativer Verlauf und Kostaufbau beschrieben, der
komplikationslos gewesen sei.
In dem Bericht der Klinik St. Elisabeth, Neuburg/Donau, vom 17.02.2003, Bl. 7 VA-Akte, wurden als Diagnosen
aufgeführt: Entwicklungsverzögerung von zwölf Monaten (F82/F83), Sprachentwicklungsverzögerung von achtzehn
Monaten (F80.8), Ausschluss cerebrale Krampfanfälle (G40.2). Es werden Angaben des Vaters über die Sprache mit
dreizehn Monaten festgehalten (Papa, Mama, Anna, Schokolade) sowie vermerkt, dass eigenanamnestisch der
Kläger nach der Impfung von Mumps, Masern, Röteln für ein halbes Jahr krank gewesen sei. Bei teils nur orientierend
möglicher Untersuchung wurde zusammenfassend eine globale Entwicklungsretadierung von zwölf Monaten sowie
eine Sprachentwicklungsverzögerung von mindestens achtzehn Monaten festgestellt und die Aufnahme in einen
Integrationskindergarten für dringend notwendig gehalten.
Im Bericht der Frühförderung P. vom 08.07.2003 (Blatt 42 VA-Akte) wird bezüglich der anamnestischen Daten
berichtet, dass der Kläger nach Angaben seiner Mutter eine frühkindliche Entwicklung ohne bekannte Störung
durchlaufen habe, erste Worte mit zwölf Monaten. Mit eineinhalb Jahren habe die Entwicklung dann zu stagnieren
begonnen. Die Mutter vermute einen direkten Zusammenhang mit der Masern-Mumps-Röteln-Impfung. Seitdem sei er
ständig krank (mit starker Erkältung, deutlicher Unausgeglichenheit, hohem Schlafbedürfnis) und mache nur sehr
langsam Fortschritte in seiner Entwicklung. Befunderhebungen und Beobachtung des Verhaltens des Klägers habe
ergeben: Entwicklungsrückstand in fast allen Bereichen, erhebliche Sprachentwicklungsretadierung, Störung der
propriozeptiven und taktilen Wahrnehmungsverarbeitung, leichte Tendenz zu Hypertonie bei relativ guter Tonuslage,
starke motorische Unruhe, Auffälligkeiten im sozio-emotionalen Verhalten, tendenziell instabiler Gesundheitszustand
des Jungen mit rezidivierenden Erkältungen. Bezüglich der Kommunikation wird von einem eingeschränkten
Sprachverständnis berichtet, der Kläger spreche in schwer verständlichen Zwei- und Drei/Vierwortsätzen.
Im psychologischen Bericht des Kinderzentrum München vom 13.01.2004, Blatt 92 VA-Akte, wurden als Diagnosen
festgehalten: Intelligenzminderung im Bereich der leichten geistigen Behinderung (F70.0), rezeptive
Sprachentwicklungsstörung (F80.2). Bei der Anamnese wurde festgehalten dass der anwesende Vater bei einer
insgesamt unauffälligen frühkindlichen Entwicklung von einem massiven Entwicklungsknick nach einer Impfung im
Alter von ca. vierzehn bis fünfzehn Monaten berichte. So habe der Junge die ca. zwölf aktiv und passiv zuverlässig
beherrschten Wörter verloren und im Bereich der sprachlichen Entwicklung für ca. ein Jahr eine fast völlige Stagnation
gezeigt. Darüber hinaus sei das gesamte Verhalten von einer stark motorischen Unruhe, einer emotionalen Gereiztheit
sowie Schlafproblemen und der Abwehr von Körperkontakt geprägt gewesen. Diese Symptome hätten sich im Verlauf
der letzten Jahre langsam wieder gebessert. Seit September 2003 werde der Kläger in einem
Mehrfachbehindertenkindergarten in P. betreut. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Kläger in seinen
nichtsprachlichen, kognitiven Begabungsstrukturen derzeit im Übergangsbereich zwischen leichter geistiger
Behinderung und Lernbehinderung sei. Zusätzlich ergäben sich Einschränkungen im Bereich der Aktivitäts- und
Aufmerksamkeitsstörung sowie ausgeprägte Sprachverständnisdefizite. Es zeige sich eine multiple Dyslalie mit
häufigen Zwei- bis Dreiwortkombinationen neben ersten, hinsichtlich der Satzstellung korrekt realisierten einfachen
Aussagesätzen (z.B. "Da ist die Puppe kaputt.").
Der Beklagte führte am 17.02.2004 eine Untersuchung des Klägers in Begleitung der Eltern durch. Im nervenärztlichen
Gutachten vom 02.07.2004 werden nochmals Angaben der Eltern zu der Entwicklung und den Impfungen
festgehalten: Die Entwicklung sei nach der Geburt normal verlaufen, der Kläger sei eher voraus gewesen, auch wenn
er nicht gekrabbelt habe, sondern sich auf Füße und Hände gestützt habe. Er sei ein Jahr gestillt worden, während
des Stillens habe die Mutter des Klägers Heparin gespritzt. Mit einem Jahr habe er gesprochen (Mama, Papa sowie
den Namen des Hundes). In Folge der angeschuldigten Impfung am 06.11.2000 habe er nach einer Woche nachts
erbrochen, auch in den folgenden zwei Jahren habe er weiter öfter nachts erbrochen und sei von 01:00 Uhr bis ca.
04:00 Uhr nachts wach gewesen. Nach der Impfung sei er immer krank gewesen, erkältet und habe nachts nicht
geschlafen. Er habe auch nach der Impfung nicht mehr gesprochen, sondern nur noch lautiert. Erst zwei Jahre nach
der Impfung, ca. Februar 2003 habe er wieder angefangen zu sprechen. Er reagiere paradox auf Fieberzäpfchen,
tanze dann auf dem Tisch. Homöopathisch sei er mit Nosode zur Ausscheidung der Impfung behandelt worden.
Danach seien wieder dieselben Symptome wie nach der Impfung aufgetreten. Er habe wieder nachts erbrochen, nicht
geschlafen, nach einigen Tagen habe er jedoch mit seiner Schwester, im Jahre 2001 geboren, gespielt. In dem
Gutachten wird weiter ausgeführt, dass die Eltern des Klägers angegeben hätten, dass der Kläger drei Wochen nach
der Impfung nachts erbrochen habe, schon bei der Nahrungsumstellung im Alter von fünf Monaten habe er sich
verkrampft und beim Einschlafen erbrochen. Erst im Februar 2002 habe der Kläger wieder zur sprechen angefangen.
Bezüglich der Befunderhebung wird in dem Gutachten ausgeführt, dass der neurologische Status soweit prüfbar
regelrecht sei. Im Weiteren wird in dem nervenärztlichen Gutachten das derzeitige Verhalten des Klägers geschildert
mit teils starker Unruhe. Ein Kind des Vaters aus erster Ehe leide an einem Aufmerksamkeits-Deficiency-Syndrom,
es sei nicht lebhafter, auch intelligent, jedoch leicht ablenkbar. Der Kläger ist nach Schilderung des Vaters sehr
lebhaft, ungestüm, zum Teil unberechenbar, könne Gefahren nicht abschätzen. Bei der Beurteilung geht der Beklagte
in dem nervenärztlichen Gutachten vom Vorliegen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung mit im Vordergrund
stehender Sprachentwicklungsstörung aus, daneben erhebliche Verhaltensstörungen, zum Teil in Richtung Autismus.
Nach den vorliegenden Angaben der Mutter bestünden im zeitlichen Zusammenhang mit der angeschuldigten Impfung
vom 06.11.2000 keine Hinweise auf eine cerebrale Affektion. Befunde über eine Erkrankung des Klägers nach der
Impfung lägen nicht vor. Befunde bezüglich des Entwicklungsrückstands seien erst in den Jahren 2002 und 2003
erhoben worden. Ein Impfschaden sei auf dieser Basis nicht wahrscheinlich zu machen.
Mit Bescheid vom 16.08.2004 wurde der Antrag auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Mit
hiergegen erhobenem Widerspruch wurde ein ärztliches Attest des Herrn Dr. S. vom 10.09.2004 vorgelegt (Bl. 120
VA-Akte), in dem dieser anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U6 am 13.07.2000 einen ausgezeichneten
Entwicklungsstand bestätigte. Die später aufgetretenen Entwicklungsprobleme seien damals und auch bis zum
Zeitpunkt der Impfung in keiner Weise vorhersehbar gewesen. Von Herrn Dr. M. wurde mit ärztlichem Attest vom
15.09.2004 (Bl. 130 VA-Akte) bestätigt, dass bei der von ihm am 13.03.2000 durchgeführten U5 weder ein vermehrter
Muskelhypertonus, noch eine Haltungsasymetrie nachweisbar war, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt normal
entwickelt und neurologisch unauffällig gewesen.
In dem versorgungsärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 26.01.2005 (B. 125 VA-Akte) wird darauf hingewiesen,
dass bei der U7 am 06.07.2001 Herr Dr. S. einen völlig unauffälligen Befund dokumentiert hatte. Außerdem wurde
darauf hingewiesen, dass bei Faktor V-Leiden Mutation eine Gerinnungsstörung mit deutlich erhöhter
Thrombosegefahr vorliege. Es sei deshalb nach der Durchführung einer Kernspintomographie oder
Computertomographie des Gehirns zu fragen. Die Mutter des Klägers teilte daraufhin im März 2005 schriftlich und
telefonisch unter Hinweis auf die damit verbundenen Nebenwirkungen wie notwendige Sedierung mit (vgl. Bl. 129, 133
VA-Akte), dass auf eine bildgebende Untersuchung bisher verzichtet worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom
02.05.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Mit am 18.05.2005 erhobener Klage wurde weiter die Anerkennung eines Impfschadens verfolgt. Die Mutter des
Klägers schildert in der Klageschrift, dass der Kläger nach der Impfung am 06.11.2000 Fieber und Erbrechen
bekommen habe, er sei sehr unruhig gewesen und Schlafstörungen hätten sich eingestellt. Auch sei aufgefallen, dass
er die vorher erlernten Wörter nicht mehr sprechen konnte. Er habe seitdem immer wieder Infekte bekommen. Bis zur
Impfung sei der Kläger gesund gewesen. Es wird nochmals auf die Eintragungen im Untersuchungsheft verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 25.10.2005 reichte der nunmehr bestellte Prozessbevollmächtigte des Klägers Klageantrag und
weitere Begründung ein.
Das Gericht holte bei den behandelnden Ärzten Befundberichte ab Behandlungsbeginn bzw. Geburt ein. Laut
Befundbericht der pädagogisch-audiologischen Beratungs- und Frühförderstelle, München, wurde am 22.10.2002 eine
Überprüfung des Hörvermögens durchgeführt, es habe kein Verdacht auf eine gravierende Höreinschränkung
bestanden.
Im Befundbericht des Dr. M. wird über die Behandlung des Klägers vom 02.08.1999 bis 04.10.2004 berichtet. Beim
Erstkontakt am 02.08.1999 wird von einem abklingenden Abszess praeumbilical berichtet, des Weiteren
Heterozygotie im Zusammenhang mit der Faktor V-Gen Mutation berichtet. Unter dem 17.08.1999 wird eine vermehrte
Kopfdrehung nach rechts im Sinne eines Kiss-Syndroms berichtet. Am 11.11.1999 anlässlich der U4 sei ein etwas
steifer Muskeltonus aufgefallen, C1-Syndrom links im Sinne eines Kiss-Syndroms, Mobilisierung und danach
Übungen zu Hause. Am 29.11.1999 wurde Krankengymnastik verordnet, Verbesserung des Kiss-Syndroms. Am
28.12.1999 wurde festgestellt: Obstipation, Ernährungsumstellung. Am 14.01.2000 wird berichtet, das Kind sei etwas
verspannt beim Aufsetzen, Kopfdrehung seitengleich, keine Krankengymnastik mehr notwendig. Am 24.01.2000:
Nach Abstillen Problematik mit der Ernährung. Am 13.03.2000 U5 unauffällig, nach Angaben der Mutter sei vor dem
Einschlafen etwas Unruhe berichtet worden, allerdings nicht sicher abhängig von den Mahlzeiten. Im Zeitraum
07.05.2000 bis 20.08.2001 wird kein ärztlicher Kontakt berichtet. Am 20.08.2001 Behandlung wegen Aufschlagen auf
Tischkante mit Auge, Lidödem links. Unter dem Datum 15.07.2001 (gemeint ist der 15.07.2002, vgl. für diesen
Untersuchungszeitpunkt beigefügtes Ergebnis eines Blutbildes, Bl. 62 f. Klageakte) wird in dem Befundbericht
vermerkt: "Größe 100 cm, Gewicht 16 kg RR 80/50 mmHg, Narkosevorbereitung kariöser Zähne zur Zahnsanierung.
Jetzt bereits Sprachentwicklungsstörung, Verdacht auf Impfschaden nach Masern, Mumps, Rötelnimpfung, die nicht
in unserer Praxis durchgeführt worden war". Des Weiteren enthält der Befundbericht Angaben über Untersuchungen im
Zeitraum vom 10.02.2003 bis 04.10.2003. Im Befundbericht wird weiter vermerkt, dass bei dem Kind bis zum
13.03.2000 keine Auffälligkeiten in der hausärztlichen Betreuung festgestellt werden konnten. Dem Befundbericht ist
beigegeben ein Arztbericht des Sozialpädiatrischen Zentrums im Kinderzentrum M. vom 06.11.2003, Diagnose:
Verdacht auf allgemeine Entwicklungsstörung (F89V); expressive Sprachentwicklungsstörung (F80.1), Unruhe
(R45.1), es wird berichtet, dass Entwicklungsauffälligkeiten seitens der Eltern im Alter von etwa 15 Monaten, nach der
ersten 6-fach-Impfung, aufgefallen seien. Des Weiteren wird von einem EEG vom 30.10.2003 berichtet (keine
epileptiforme Aktivität, in den verwertbaren Abschnitten keine signifikanten Seitendifferenzen oder anderweitigen
Herdhinweise erkennbar). Im Befundbericht des Herrn Dr. S. wird von einer Behandlung des Klägers erstmals am
13.07.2000 und letztmals am 30.07.2002 berichtet. Bei der Erstvorstellung am 13.07.2000 sei die
Vorsorgeuntersuchung U6 durchgeführt worden, zu diesem Zeitpunkt habe sich ein sehr aktives gut entwickeltes Kind
ohne irgendwelche Auffälligkeiten gezeigt. Am 21.09.2000 Vorstellung wegen eines banalen Infekts, am 06.11.2000
sei von ihm die MMR-Impfung durchgeführt worden. Auch zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger ein ausgesprochen
lebhaftes und agiles Kind gewesen. Am 28.12.2000 sei der Kläger erstmals nach der Impfung wegen einer
Windeldermatitis vorgestellt worden. Weitergehende Beschwerden seien zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert worden.
Am 19.01.2001 sei erneut eine Impfung durchgeführt worden. Die Mutter habe über häufige Infekte seit der letzten
Impfung und über nächtliches Erbrechen berichtet. Am 06.07.2001 habe die nächste kinderärztliche
Vorsorgeuntersuchung U7 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich ein Rückstand der Sprachentwicklung
gezeigt. Danach erfolgte die nächste Vorstellung am 30.07.2002.
In den daraufhin vom Gericht beigezogenen Krankenunterlagen des Herrn Dr. S. (Bl. 75f. Klageakte) findet sich unter
dem 28.12.2000 der Eintrag:" Windelsoor B-Fl. Mykodem", unter dem 19.01.2001 neben dem Vermerk der neuerlichen
Impfung der Eintrag "war seit MMR dauernd krank, erzählt nachts." Unter dem 06.07.2001 ist unter anderem notiert:
"Entwicklung regelrecht außer Sprache noch wenig, angedeutet Zweiwortsätze."
In dem Befundbericht der Heilpraktikerin Frau M. B., wird eine Behandlung vom 14.11.2001 bis 16.01.2003
angegeben. Unter geäußerten Beschwerden findet sich die Angabe verzögerte Sprachentwicklung, Ruhelosigkeit; des
Weiteren ist der Hinweis enthalten, dass in der klassischen Homöopathie es keine Diagnosestellung gebe.
Mit Beweisanordnung vom 27.08.2007 wurde Herr Dr. H., W., mit der Erstellung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage oder falls erforderlich nach
ambulanter Untersuchung des Klägers beauftragt.
In seinem medizinisch wissenschaftlichen Gutachten nach Aktenlage vom 11.10.2007 schildert der Gutachter
zunächst die relevante Krankengeschichte des Klägers. Der Gutachter stellt fest, dass die Angaben zur Geburt für ein
völlig gesundes Neugeborenes sprächen. Auch die Entwicklung im ersten Lebensjahr sei unauffällig verlaufen. Mit
sechs Monaten habe der Kläger frei gesessen, mit zwölf Monaten habe er gekrabbelt und mit dreizehn Monaten habe
auch die Sprachentwicklung zeitgerecht begonnen. Bei der U4 am 11.11.1999 sei eine Muskelhypertrophie bei
Verdacht auf Kiss-Syndrom links festgestellt worden und Krankengymnastik verordnet worden. Bei der
Vorsorgeuntersuchung U5 sei keine Auffälligkeit des Muskeltonus mehr nachweisbar gewesen. Bei der
Vorsorgeuntersuchung U6 am 13.07.2000 sei der Kläger altersgerecht entwickelt und gesund gewesen. Der Kinderarzt
habe zum Zeitpunkt dieser Untersuchung sogar einen ausgezeichneten Entwicklungszustand bestätigt. Die Impfung
am 06.11.2000 im Alter von fünfzehn Monaten sei beim Kläger fristgerecht und gemäß den damals gültigen
Empfehlungen der ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut durchgeführt worden. In den Unterlagen des
Kinderarztes seien keine Angaben zum verwendeten Impfstoff oder zur Chargennummer enthalten. Etwa eine Woche
nach der Impfung habe sich S.s Verhalten verändert. Es sei zu Fieber zwischen 38,5 und 39,0 Grad, Schlafstörungen,
nächtlichem Erbrechen, auffälligem Jammern und einer gesteigerten Infektanfälligkeit gekommen. Diese Symptome
hätten über mehrere Wochen angedauert und im weiteren Verlauf hätten die Eltern auch eine Reduktion der bereits
vorhandenen Sprache bemerkt. Der Kläger habe nicht mehr die vor der Impfung gesprochenen Worte (Mama, Papa)
benutzt, sondern nur noch lautiert. Nach Angabe der Eltern sei mehrfach telefonische Beratung durch den Kinderarzt
erforderlich gewesen. Die nächste Vorstellung am 28.12.2000 nannte als Diagnose Windelsoor. Am 19.01.2001 sei
dann wieder der Kinderarzt aufgesucht worden, die Eintragung in der Kartei habe hier gelautet: "War seit MMR
dauernd krank, erzählt nachts." Eine genaue Abklärung dieser andauernden Krankheit habe dem Kinderarzt allerdings
nicht erforderlich erschienen. An diesem Tag habe dann auch noch eine Impfung mit Infanrix-HiB, einem inaktivierten
Tetanus-Diphtherie-Keuchhusten-HiB-Kombinations-Impfstoff stattgefunden.
Der Kläger sei von dieser Zeit an verhaltensauffällig geblieben und eine gestörte Hirnentwicklung sei immer deutlicher
geworden. Im Rahmen der U7 am 06.07.2001 habe sich ein deutlicher Rückstand der Sprachentwicklung gezeigt. Des
Weiteren nimmt der Gutachter Bezug auf den Bericht der Elisabeth-Klinik in N. vom 17.02.2003, dem die
Untersuchung vom 11.02.2003 zugrunde lag, sowie den Bericht vom 13.01.2004 des Kinderzentrum München, dem
die Untersuchung im Kinderzentrum München am 26.11.2003 zugrunde lag. Zusammenfassend stellt der Gutachter
fest, dass es beim Kläger nach zunächst unauffälliger Entwicklung im ersten Lebensjahr im zeitlichen Anschluss an
die MMR-Impfung zu einem deutlichen Entwicklungsknick gekommen sei, deren Ursache in einer erst später
diagnostizierten Entwicklungsstörung des Gehirns zu sehen sei.
In seiner anschließenden Schilderung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur MMR-Impfung und
postvakzinalen neurologischen Störungen schildert der Gutachter, dass zur normalen Impfreaktion der Masernimpfung
Lokalreaktionen mit Rötung, Schwellung, Schmerzen an der Injektionsstelle und regionalen
Lymphknotenschwellungen, die innerhalb von wenigen Tagen spontan zurückgehen, gehörten. Systemisch träten
Müdigkeit, Fieber, gastrointestinale Symptome, Katarrh der oberen Luftwege, Kopfschmerzen und
Kreislaufdisregulationen meist innerhalb der zweiten Woche nach der Impfung auf. Hierzu könne auch ein meist
schwach ausgeprägtes masernartiges Exanthem gehören. An Komplikationen nach Masernimpfung seien in
Einzelfällen Enzephalitiden, Myelitiden und Neuritiden unterschiedlichen Schweregrades sowie die Erkrankung ADEM
(Autoimmun vermittelte Gehirnentzündung, akute dissemenierte Enzephalitis) bekannt. Des Weiteren gebe es unter
anderem in seltenen Fällen Fieberkrämpfe und Ataxien.
Im Weiteren schildert der Gutachter die akute disseminierte, (demyelinisierende) Encephalo-Myelitis (ADEM). Dies sei
eine seltene entzündliche ZNS-Erkrankung, die häufig ein bis vier Wochen nach einer Infektion oder nach Impfungen
auftreten könne. Zugrunde läge der Erkrankung autoimmun verursachte Demyelinisierungen in Gehirn und
Rückenmark, die überall im gesamten zentralen Nervensystem auftreten könnten. Die Erkrankung verlaufe im
Unterschied zur Multiplen Sklerose monophasisch. Die sichere Abgrenzung von der Multiplen Sklerose gelinge oft erst
durch die Beobachtung des weiteren Verlaufs, da keine genauen diagnostischen Kriterien etabliert seien und da es
fließende Übergänge zur Multiplen Sklerose gebe. Die klinische Symptomatik sei abhängig von der Lokalisation der
Läsionen variabel, umfasse meist jedoch auch neuropsychologische Symptome wie psychomotorische
Verlangsamung oder auch eine Bewusstseinstrübung. Das Kernspintomogramm zeige mono- oder multifokale
Demyelinisierungsherde, die Herde seien im Vergleich zur Multiplen Sklerose oft auffallend groß und reicherten meist
Kontrastmittel an. Die Prognose der ADEM sei insgesamt eher günstig. Die Mehrzahl der Patienten erhole sich
vollständig oder mit nur geringen Defiziten. Fälle von ADEM als immunologisch vermittelte Impfkomplikation seien gut
bekannt und hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben. Die Reaktionen verliefen bei Kleinkindern
anders als bei Erwachsenen. Beim Kind sei das Hirnödem ausgeprägter (was mit der noch "lockeren" Struktur des
noch nicht komplett myelinisierten kindlichen Gehirns in Verbindung gebracht werde). Man spreche daher beim Kind
auch von einer Encephalopathie, beim Erwachsenen dagegen von einer Encephalitis. Bezüglich des
Pathomechanismus schildert der Gutachter, dass ein von einer solchen immunologischen Fehlreaktion betroffener
Patient das Pech habe, als genetische Disposition auf seinen Nervenzellen eine Struktur zu besitzen, die der Struktur
eines Impfantigens sehr ähnlich sei. Es komme dann zu einer immunologisch entzündlichen Reaktion, das klinische
Bild der Erkrankung sei äußerst variabel. Der Gutachter weist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen in den
Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht
2004, Stand Juni 2005, zur postvakzinalen Encephalopathie (bzw. Enzephalitis) hin. Dort sei ausgeführt, dass diese
Erkrankung nicht immer mit ausgeprägten Symptomen einher gehe, sie könne auch symptomarm (aber nicht
"symptomlos") verlaufen und werde dann oft als "blande Encephalopathie" bezeichnet. Wenn eine solche
Encephalopathie zur Frage stünde, sei neben einer genauen Feststellung der Krankheitserscheinungen und
Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, Erbrechen) die während der
Inkubationszeit nach der Impfung vorgelegen hätten, eine eingehende Ermittlung und Würdigung des weiteren Verlaufs
notwendig. Dabei sei vor allem zu prüfen, ob auf einen Entwicklungsknick (deutlicher Entwicklungsstillstand, Verlust
bereits erworbener Fähigkeiten) im Anschluss an die Impfung geschlossen werden könne oder ob eine Progredienz
von hirnorganischen Störungen zu erkennen sei. Bei einem Impfschaden sei eine solche Progredienz nicht zu
erwarten, wenn nicht hirnorganische Anfälle den Hirnschaden mitbestimmten. Überdies müsse beachtet werden, dass
in der Regel eine Parallelität zwischen dem schwerwiegenden Grad des Symptombildes der postvakzinalen
Encephalopathie (bzw. Enzephalitis) und dem Ausmaß der Folgen bestehe. Nach einer symptomarmen
Encephalopathie sei nicht mit einem sehr schweren Hirnschaden zu rechnen.
Anschließend führt der Gutachter zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen
der durchgeführten MMR-Impfung und den späteren Gesundheitsschäden des Klägers aus, dass die beim Kläger im
Anschluss an die MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit eine akute disseminierte
(demyelniisierende) Encephalo-Myelitis (ADEM) sei. Die ADEM sei eine seltene akute entzündliche ZNS-Erkrankung,
die in den meisten bekannt gewordenen Fällen ein bis vier Wochen nach einer Infektion und nach Impfungen auftreten
könne. Das zeitliche Intervall zwischen den Impfungen und dem klinischen Beginn der ADEM sei als plausibel zu
betrachten. Andere mögliche Auslöser für die Erkrankung (Infektionen) seien nicht gefunden worden. Des Weiteren
stellt der Gutachter fest, dass die genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung mit anschließender Heparin-Behandlung
in der Schwangerschaft, die etwas vermehrte Kopfdrehung nach rechts bei der U3, leichte muskuläre Hypertonie bzw.
das Kiss-Syndrom bei der U4 und ein ADS-Syndrom bei einem Kind des Vaters aus erster Ehe in keiner Weise die
nach der MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung erklären könnten. Auch die aufgrund der erst Wochen später
erfolgten Wiedervorstellung beim Kinderarzt gewonnene Auffassung des Beklagten, es habe gar keine neurologische
Erkrankung in der Zeit nach der Impfung vorgelegen, stehe in völligem Widerspruch zu den von den Eltern
geschilderten Ereignissen. Die hier in der Zeit nach der Impfung abgelaufene ADEM sei sowohl vom Kinderarzt als
auch von der Gutachterin des Beklagten nicht erkannt worden.
In Beantwortung der gerichtlichen Beweisfragen stellt der Gutachter fest, dass bei dem Kläger es in der Folge der
MMR-Impfung mit Wahrscheinlichkeit zu einer entzündlichen Autoimmunreaktion des Gehirns (akute disseminierte
Enzephalitis, ADEM) gekommen sei. Diese Erkrankung sei im Akutstadium nicht erkannt und nicht behandelt worden.
Die heute bestehenden Gesundheitsstörungen seien ein Restschaden dieser ADEM-Erkrankung. Die ADEM sei mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine direkte Folge der Impfung mit MMR-Impfstoff. Als impfbedingte dauerhafte
Gesundheitsstörung sieht der Gutachter eine Intelligenzminderung des Klägers und Störung der Sprachentwicklung an
und schätzt die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 60% ein.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage des Beklagten vom 08.11.2007 wird darauf hingewiesen,
dass der Gutachter zutreffend darauf hingewiesen habe, dass eine ADEM nach einer Impfung in der Regel innerhalb
von ein bis vier Wochen beginne. Der Beklagte stellt jedoch fest, dass bei der Vorstellung am 28.12.2000 sich nur die
Angabe einer Windeldermatitis, aber keiner weitergehenden Beschwerden finde. Dies spreche gegen eine cerebrale
Symptomatik in den ersten Wochen. Ein nächtliches Erbrechen könne dagegen ein Hinweis auf ein Hirnödem sein, sei
aber erst am 19.01.2001 dokumentiert worden. Eventuell lasse sich durch eine genaue Befragung der Eltern klären,
wann das nächtliche Erbrechen tatsächlich begonnen habe. Des Weiteren wird nochmals darauf hingewiesen, dass
eventuell eine bildgebende Untersuchung des Gehirns weitere Erkenntnisse ergeben könnte.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 06.12.2007 wurde der Gutachter Herr Dr. H. zur ergänzenden Stellungnahme
aufgefordert. Es wurde darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zur
Bejahung eines Anspruchs auf Impfschadensversorgung die Impfung als schädigende Einwirkung, der Impfschaden –
das ist ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden – und die Schädigungsfolge
(Dauerleiden) nachgewiesen sein müsse, und nicht nur wahrscheinlich sein dürfe, dass heißt sie müssen mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Es wurde in dem Schreiben konkret gefragt, ob die
Gesundheitsstörung, hier ADEM, innerhalb der einschlägigen Inkubationszeit nach der MMR-Impfung vom 06.11.2000
als gesichert anzunehmen sei, wobei dies zu bejahen sei, wenn ihr Auftreten mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zu bejahen sei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.02.2008 äußerte sich der Gutachter zunächst nochmals zum
Krankheitsverlauf und der Wahrscheinlichkeit der Diagnose einer akuten disseminierten Enzephalo-Myelitis (ADEM).
Das Krankheitsgeschehen habe nach Schilderung der Eltern etwa eine Woche nach der MMR-Impfung begonnen. Der
Beginn der Symptomatik mit einer Verhaltensänderung (Schlafstörungen, nächtlichem Erbrechen) habe nicht zur
sofortigen Diagnose einer ADEM geführt. Solche Verläufe der Erkrankungen seien keine Seltenheit. Je nach Ausmaß
und Lokalisation der entzündlichen Herde im Gehirn sei die Symptomatik leider nicht wegweisend. Es komme zu
variierenden Verläufen von initial schwersten Krampfanfällen bis hin zu schleichend beginnenden psychischen
Verhaltensauffälligkeiten (sogenannte "limbische Enzephalitis"). Folge man den Angaben der Eltern, so liege ein völlig
plausibles Zeitintervall zwischen der Impfung und dem Beginn der Erkrankung vor. Die Angaben der Eltern zum
Verlauf der Erkrankung würden durch die Eintragung in den Unterlagen des Kinderarztes bestätigt, der am 19.01.2001
notiert habe: "War seit MMR dauernd krank, erzählt nachts". Die nichtgestellte Diagnose am Anfang der Erkrankung
habe es auch unmöglich gemacht, eine hoch dosierte Therapie mit Cortison einzuleiten. Bei dem Kläger liege für eine
impfassoziierte ADEM also ein plausibles Zeitintervall vor und andere Ursachen für die Hirnschädigung könnten nicht
festgestellt werden. Gerade ADEM-Fälle wie der des Klägers, seien besonders tückisch, da durch die unspezifische,
anfängliche Symptomatik deren Diagnose nicht oder zu spät gestellt werde und durch Unterbleiben einer
antientzündlichen Therapie die Wahrscheinlichkeit für Dauerschäden steige. Der Gutachter schreibt, dass
zusammenfassend nach seiner Ansicht bei dem Kläger "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine durch die MMR-Impfung
ausgelöste ADEM mit Folgeschaden" vorliege. Anschließend erklärt der Gutachter, dass man bei Hirnschäden durch
ADEM meist nur den Endzustand eines nicht normal entwickelten Gehirns mit z.B. erweiterten Liquorräumen im
bildgebenden Verfahren erkennen könne. Einen echten Rückschluss auf die Ursache des Defekts könne bei einer
solchen frühen ADEM das aktuelle Kernspintomogramm demnach nicht leisten.
Mit richterlichem Schreiben vom 09.05.2008 wurden die Beteiligten auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. H. vom
20.02.2008 hingewiesen, in dem dieser ausführte, dass beim Kläger "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine durch die
MMR-Impfung ausgelöste ADEM mit Folgeschaden" vorliege. Dem Klägerbevollmächtigten wurde Frist zur Stellung
eines Antrags nach § 109 SGG bis zum 17.06.2008 gestellt. Mit Schriftsatz vom 15.05.2008 bzw. 28.05.2008 regte
der Klägerbevollmächtigte eine nochmalige Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. H. an bzw.
beantragte höchstvorsorglich, den Sachverständigen zum Termin zu laden, damit er sein Gutachten erläutern könne.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.06.2008 schilderte die Mutter des Klägers nochmals, dass es ca. eine
Woche nach der angeschuldigten Impfung zu nächtlichem Erbrechen, dieses oft mehrmals nachts, gekommen sei.
Der telefonisch befragte Kinderarzt, Herr Dr. S., habe geäußert, dass dieses Erbrechen nicht bedenklich sei, so lange
der Kläger wieder Nahrung zu sich nehme. Das Erbrechen habe erst mit einer Nosode-Ausleitung ca. 2 Jahr nach der
Impfung aufgehört. Die Mutter des Klägers betonte nochmals die unauffällige, altersgerechte Entwicklung des Klägers
vor der Impfung, der Kläger sei sogar seinem Alter voraus gewesen, und die nach der Impfung beginnenden
Gesundheitsstörungen. Der Klägerbevollmächtigte erklärte, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nicht gestellt werde.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt, den Beklagten zu verurteilen unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2004
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2005 bei dem Kläger einen Impfschaden anzuerkennen und
entsprechende Beschädigtenversorgung ab Antragstellung zu gewähren.
Der Beklagtenvertreter beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
Der Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 16.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2005
den Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt.
Gemäß § 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält derjenige, der
durch eine Impfung, die unter anderem öffentlich empfohlen war, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der
gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung
der Vorschriften des BVG. Anspruchsvoraussetzung ist, dass die Impfung als schädigende Einwirkung, der
Impfschaden – das ist ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden – und die
Schädigungsfolge (Dauerleiden), nachgewiesen sind, und nicht nur wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Urteil vom
19.03.1986, 9 a RVi 2/84 und Urteil vom 26.06.1985, 9 a RVi 3/83, sowie Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
zur Frage des Nachweises eines Impfschadens im Zusammenhang mit der Erkrankung ADEM vom 15.04.2008, Az. L
15 VJ 5/05). Der Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und dem Impfschaden bzw. dem Impfschaden und der
Schädigungsfolge muss wahrscheinlich sein. Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn
wenigstens mehr für als gegen sie spricht, dass heißt die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens
deutlich überwiegen.
Zwar ist vorliegend die Impfung als schädigende Einwirkung durch Eintrag der angeschuldigten Impfung am
06.11.2000 im Impfbuch nachgewiesen. Dort ist – anders als vom Gutachter ausgeführt – auch die Angabe des
Impfstoffs Priorix und der Chargennummer 690070PD enthalten. Der Nachweis eines in Folge dieser Impfung
eingetretenen Impfschadens, also eines über die übliche Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens, ist
nach Überzeugung des Gerichts unter Würdigung der gesamten vorliegenden medizinischen Unterlagen, der Angaben
der Eltern des Klägers und des eingeholten Gutachtens jedoch nicht erbracht. Der Nachweis ist dann erbracht, wenn
das Gericht aufgrund der getroffenen Tatsachenfeststellungen und dem Ergebnis der eingeholten
Sachverständigengutachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von seinem Vorliegen überzeugt ist, vgl.
BSG Urteil vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84, mwN. Ein Impfschaden ist nach ständiger Rechtssprechung des
Bundessozialgerichts, vgl. BSG, 26.06.1985, Az.: 9 a RVi 3/83, dabei nur ein solcher Gesundheitsschaden, der über
das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinaus geht. Damit war schon vor Einführung der Legaldefinition in das
Bundesseuchengesetz im Jahre 1971 und deren Übernahme in § 2 Nr. 11 IfSG im Jahre 2001 nach der
Rechtssprechung klargestellt, dass nicht jede das Wohlbefinden beeinträchtigende Impfreaktion in den Schutzbereich
des Versorgungsrechts einbezogen ist, sondern nur der über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende
Gesundheitsschaden. Das Bundessozialgericht führt weiter aus, dass dies nichts anderes sei, als der klassische
Aufopferungsanspruch des Impfgeschädigten. Vom Betroffenen werde lediglich verlangt, die natürlicherweise und
allgemein mit der Impfung verbundenen Nachteile hinzunehmen, keinesfalls aber das Aufsichnehmen erheblicher,
gesundheitlicher Schädigungen.
An dem Nachweis einer solchen unüblichen Impfreaktion mangelt es vorliegend. Sowohl unter Berücksichtigung der
von den Eltern wiederholt geschilderten, aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen nach Impfung des Klägers als
auch unter Würdigung der Ausführungen im Sachverständigengutachten des Herrn Dr. H., liegt zur Überzeugung des
Gerichts eine solche unübliche Impfreaktion nicht mit der zu fordernden an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
vor. Im Wesentlichen haben die Eltern des Klägers sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Klageverfahren von
einer eine Woche nach der angeschuldigten Masern-Mumps-Röteln-Impfung am 06.11.2000 beginnenden Erkrankung
ihres Sohnes berichtet. Wie auch im Gutachten des Herrn Dr. H. zusammengefasst, kam es danach zu Fieber
zwischen 38,5 und 39,0 Grad, Schlafstörungen, nächtlichem Erbrechen, auffälligem Jammern und einer gesteigerten
Infektanfälligkeit. Die Symptome dauerten über mehrere Wochen an. Der Kläger habe nicht mehr die vor der Impfung
gesprochenen Worte benutzt. In der mündlichen Verhandlung führte die Mutter des Klägers nochmals aus, dass es zu
anhaltendem nächtlichen Erbrechen, oft mehrfach in der Nacht, gekommen sei. In Telefonanrufen beim behandelnden
Kinderarzt, Herrn Dr. S., sei seinerseits das Erbrechen für unbedenklich gehalten worden, so lange der Kläger wieder
Nahrung zu sich nehme. Im Gutachten des Herrn Dr. H. werden die dargestellten Symptome sowie sämtliche vor und
nach der Impfung erhobenen Krankenunterlagen ausführlich gewürdigt. Dabei wird insbesondere auch auf den
Befundbericht und die Krankenunterlagen des zur Zeit der angeschuldigten Impfung am 06.11.2000 behandelnden
Kinderarztes, Herrn Dr. S., eingegangen, insbesondere seine am 19.01.2001 auf der Karteikarte notierte Bemerkung,
"war seit MMR dauernd krank, erzählt nachts." Der Gutachter geht von einem Entwicklungsknick bei dem Kläger nach
der angeschuldigten Impfung aus und setzt sich des Weiteren intensiv mit der Problematik auseinander, dass die
klinische Symptomatik bei der von ihm diskutierten akuten disseminierten Encephalo-Myelitis (ADEM) variabel sei,
und verweist hierzu auch auf die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2004, Stand Juni 2005,
enthaltenen Anmerkungen zur "blanden Encephalopathie." Unter Bezugnahme auf die in den Anhaltspunkten 2004
aufgeführten Kriterien zur Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs sowie der von der
Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlichten Kriterien zur Kausalitätsbewertung kommt der Gutachter zu dem
Schluss, dass die bei dem Kläger im Anschluss an die MMR-Impfung aufgetretene Erkrankung mit großer
Wahrscheinlichkeit eine ADEM sei. Das zeitliche Intervall zwischen der Impfung und dem klinischen Beginn der
ADEM sei als plausibel zu betrachten, andere mögliche Auslöser für die Erkrankung (Infektionen) seien nicht
gefunden worden. In Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts, führt der Gutachter aus, dass es beim Kläger in
der Folge der MMR-Impfung mit Wahrscheinlichkeit zu einer ADEM gekommen sei. Diese Erkrankung sei im
Akutstadium nicht erkannt und nicht behandelt worden. Die heute bestehenden Gesundheitsstörungen seien ein
Restschaden dieser ADEM-Erkrankung.
Auf richterliche Nachfrage vom 06.12.2007, ob die Gesundheitsstörung, hier ADEM, innerhalb der einschlägigen
Inkubationszeit nach der MMR-Impfung vom 06.11.2000 als gesichert anzunehmen sei – wobei dies zu bejahen wäre,
wenn ihr Auftreten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist - antwortete der Gutachter mit
ergänzender Stellungnahme zum 20.02.2008. Darin beschreibt der Sachverständige nochmals die Schwierigkeiten der
Diagnosestellung einer ADEM wegen oft unspezifischer anfänglicher Symptomatik. Er führt aus, dass beim Kläger für
eine impfassoziierte ADEM ein plausibles Zeitintervall vorläge und andere Ursachen für die Hirnschädigung nicht
festgestellt werden konnten. Zusammenfassend liege nach seiner Ansicht beim Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine durch die MMR-Impfung ausgelöste ADEM mit Folgeschaden vor.
Damit wird im Ergebnis auch vom Gerichtsgutachter, Herrn Dr. H., das Vorliegen einer Impfkrankheit in Form einer
ADEM lediglich mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen. Nachdem auch der Gerichtsgutachter somit nicht davon
ausgeht, dass diese Impfkrankheit als gesichert anzunehmen ist, fehlt es nach Überzeugung des Gerichts an dem
Nachweis einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion. Auch die Rechtssprechung hat sich in einem
weiteren Urteil vom 19.03.1986, vgl. BSG, Az.: 9 a RVi 4/84, eingehend mit der Problematik von Impffolgen
auseinandergesetzt, die nicht deutlich als ungewöhnliche Impfreaktionen in Erscheinung treten. Es hat zunächst
betont, dass ein Impfschaden als Mittelglied erwiesen sein muss. Sodann führt das BSG für eine Fallkonstellation von
außerhalb der bisher anerkannten Inkubationszeit auftretenden Krankheitserscheinungen Folgendes aus: Es sei
rechtlich nicht ausgeschlossen, eine seit einiger Zeit nach der Impfung mit Gewissheit bestehende
Gesundheitsstörung als wahrscheinliche Impffolge auch dann zu beurteilen, wenn eine gesundheitliche Schädigung,
aus der sie sich wahrscheinlich entwickelt hat und die ihrerseits eine wahrscheinliche Impffolge sein muss, nicht
deutlich als solche ungewöhnliche Impfreaktion in Erscheinung trat; sie würde dann unterstellt. Das
Bundessozialgericht führt jedoch aus, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen Impfung und verbleibenden
Gesundheitsschäden in einem solchen Fall als medizinische Erfahrung entsprechend zu bewerten sein müsste, für
eine solche Erfahrung müssten dann besonders einleuchtende Umstände sprechen, die mindestens ein gleiches
Gewicht haben, wie diejenigen, die den Ursachenzusammenhang wegen des Auftretens eines Impfschadens innerhalb
einer begrenzten Inkubationszeit wahrscheinlich erscheinen lassen. Dennoch sei auch in dieser Fallkonstellation nicht
davon abzuweichen, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen oder nach gesetzlicher Vorschrift
wahrscheinlich sein müssten, da es im Impfschadensrecht keine Beweislastumkehr gebe.
Anders als im vorliegenden Fall hatte der Sachverständige in dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts
zugrundeliegenden Fall erstmalig Krankheitszeichen nach Ablauf der allgemein anerkannten Inkubationszeit als
ausreichende Brückensymptome gewertet. Demgegenüber kommt vorliegend der Gerichtsgutachter auch in seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 20.02.2008 lediglich zu dem Ergebnis, die Impfkrankheit ADEM könne mit hoher
Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Damit geht der Gutachter selbst – auch auf richterliche Nachfrage vom
06.12.2007 - nicht vom Nachweis einer Impfkrankheit aus. Es ist damit nach richterlicher Überzeugung eine solche
Impfkrankheit vorliegend nicht nachgewiesen. Für den Gutachter selbst ist der von ihm beim Kläger angenommene
deutliche Entwicklungsknick im zeitlichen Anschluss an die angeschuldigte Impfung dafür nicht ausreichend, da
selbst bei Annahme eines solchen Entwicklungsknicks er letztlich – wie bereits ausgeführt – lediglich von einer mit
hoher Wahrscheinlichkeit abgelaufenen ADEM ausgeht.
Nachdem vorliegend somit bereits die Anforderungen an den Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsache einer
unüblichen Impfreaktion nicht erfüllt sind, erübrigt es sich, einen Kausalzusammenhang mit einer etwaigen
Schädigungsfolge (Dauerleiden) zu prüfen, vgl. BSG Urteil vom 19.03.1986, Az. 9a RVi 2/84. Die Klage auf
Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz war deshalb als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.