Urteil des SozG München vom 20.09.2007

SozG München: altersrente, unfallversicherung, form, einkünfte, ergänzung, zitat, absicht, freibetrag, ddr, 1791

Sozialgericht München
Urteil vom 20.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 R 3349/06
Bayerisches Landessozialgericht L 1 R 109/08
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2005 in der Fassung des Bescheides vom
26.04.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 verurteilt, die Altersrente des Klägers ab Rentenbeginn
unter Anrechnung eines Grundrentenbetrages nach § 31 BVG ohne Anwendung von § 84a BVG zu berechnen. II. Die
Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung einer Unfallrente auf die Rente der gesetzlichen
Rentenversicherung.
Der Kläger ist geboren 1941. Mit Bescheid vom 17.11.2005 sprach ihm die Beklagte anstelle der bisher bezogenen
Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.02.2006 eine Regelaltersrente zu. Der Bescheid stellte fest,
dass der Kläger neben der Altersrente in Höhe von monatlich EUR 1027,66 eine Rente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung in Höhe von monatlich EUR 215,78 bezieht, und leitete hieraus eine Minderung des Zahlbetrags
ab. Die Berechnung ließ von der Unfallrente einen mit EUR 69,33 bezifferten Betrag in Höhe von zwei Dritteln der
Mindestgrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) außer Betracht und addierte den verbleibenden Betrag
von EUR 146,45 mit der Altersrente auf eine Summe von EUR 1174,11. Sodann berechnete der Bescheid mit 70 %
von einem Zwölftel des maßgebenden Jahresarbeitsverdienstes von EUR 19.420,39 einen Grenzbetrag von EUR
1132,86 und minderte die Altersrente um die Differenz der errechneten Rentensumme zu diesem Grenzbetrag,
nämlich um EUR 41,25. Der Kläger erhob hiergegen am 20.01.2006 Widerspruch und trug vor, die Beklagte habe bei
der Berechnung des Freibetrages nur einen "Grundrentenbetrag Ost" berücksichtigt. Die Vorschrift des § 84 a BVG,
auf dem dessen Festsetzung beruhe, sei jedoch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
vom 14.03.2000 für mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig erklärt worden. Deshalb gehe die in § 93
Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) enthaltene Verweisung auf diese Vorschrift ins Leere. Für die Berechnung des
Freibetrages aus der Verletztenrente sei daher der sich aus § 31 BVG ergebende Grundrentenbetrag zu
berücksichtigen. Zugleich beantragte der Kläger, ihm auch die seit 01.11.1999 gezahlten Renten wegen
Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Erwerbsminderung unter Beachtung dieser Rechtsauffassung höher zu
berechnen. Mit Bescheid vom 24.01.2006 "berechnete" die Beklagte die Versichertenrenten des Klägers für die Zeit
vom 01.12.2004 bis 31.01.2006 "neu", weil sich "die Berechnungsgrundlagen geändert" hätten. Die Neuberechnung
ergab eine Überzahlung von EUR 274,31 und wurde ebenfalls mit dem Bezug der Rente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung begründet und für mehrere Zeitabschnitte separat berechnet. Gemeint war vermutlich eine
Rücknahme oder Aufhebung des ursprünglichen Bescheides nach § 45 oder § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Die
Beklagte machte gegenüber dem Kläger zur Begründung ihrer Rechtsauffassung geltend, mit Gesetz vom 21.07.2004
(BGBl. I S. 1791) sei in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI eine ausdrückliche Verweisung auf § 31 in Verbindung §
84 a BVG aufgenommen worden. Damit sei die in der Vergangenheit umstrittene Regelung klargestellt worden. Sie
schlug die Aussetzung des Widerspruchsverfahrens bis zu einer weiteren Klärung vor. Mit Bescheid vom 26.04.2006
nahm die Beklagte den Bescheid vom 17.11.2005 nach § 44 SGB X insoweit zurück, als er Entgelte aus den
Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2006 nicht berücksichtigt hatte, und errechnete einen geringfügig höheren
Rentenzahlbetrag. Der Kläger erklärte sich zunächst mit dem Ruhen des Widerspruchsverfahrens einverstanden,
verlangte jedoch am 24.07.2006 die Erteilung eines Widerspruchsbescheides. Dieser erging am 16.11.2006 und wies
den Widerspruch zurück. Er wiederholte die Bezugnahme auf § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a in seiner rückwirkend zum
01.01.1992 in Kraft getretenen Fassung in Verbindung mit § 31 und § 84 a BVG. Die Klage beschränkt sich auf die
Neuberechnung der Altersrente des Klägers, ohne auf die vorherigen Renten wegen eingeschränkter Erwerbsfähigkeit
Bezug zu nehmen. Sie trägt vor, der nach § 31 Abs. 1 BVG zu beziffernde Freibetrag belaufe sich auf EUR 78,67 und
nicht wie von der Beklagten angesetzt auf EUR 69,33. Die mit der Änderung von § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI
ins Gesetz eingefügte Verweisung auf § 84 a BVG gehe ins Leere, weil das BVerfG diese Vorschrift für nichtig erklärt
habe und diese somit nicht existent sei.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 17.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006
insoweit aufzuheben, als bei der Anrechnung von § 93 SGB VI ein Grundrentenbetrag (Ost) berücksichtigt wurde und
stattdessen die Anrechnung unter Anwendung des Grundrentenbetrages nach § 31 BVG vorzunehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte
sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist in der Sache begründet. Die Beklagte hat bei der
Kürzung der Altersrente des Klägers die Vorschrift des § 84 a BVG angewendet. Diese war in Fortschreibung
entsprechender Regelungen des am 03.10.1990 wirksam gewordenen Einigungsvertrages dazu bestimmt, die
Kriegsopferversorgung in den neuen Bundesländern entsprechend dem dort allgemein niedrigeren Niveau der
Einkünfte und Sozialleistungen geringer anzusetzen als in den alten Bundesländern. Das BVerfG hat mit
Entscheidung vom 14.03.2000 (Az. 1 BvR 284/96) diese Vorschrift mit Wirkung ab 01.01.1999 für nichtig erklärt, weil
sie der zwischenzeitlichen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nicht mehr in einer den Kriterien des
Art. 3 Grundgesetz (GG) genügenden Weise gerecht werde. Um bei der Anrechnung von Unfallrenten auf Rente der
gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin für Versicherte, die am 18.05.1990 in der damaligen DDR lebten, einen
niedrigeren Betrag der Grundrente nach dem BVG zu erlauben, nahm der Gesetzgeber mit Wirkung ab 21.07.2004 in
die Verweisungsvorschrift des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ein ausdrückliches Zitat der Vorschriften des "§ 31 in
Verbindung mit § 84 a Satz 1 und 2 BVG" auf. Diese Absicht misslang dem Gesetzgeber jedoch. Es liegt auf der
Hand, dass eine für nichtig erklärte und demgemäß rechtlich nicht existierende Vorschrift auch dadurch keine
indirekte Gültigkeit erlangt, dass eine andere Vorschrift auf sie verweist. Dem § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI ist
wegen der Unbeachtlichkeit des § 84 a eine Verweisung nur auf § 31 BVG zu entnehmen. Dies hat das
Bundessozialgericht (BSG) in mehreren Entscheidungen, insbesondere im Urteil B 4 RA 27/05 R vom 20.10.2005,
unzweifelhaft festgestellt. Das Gericht hat keinen Anlass, von dieser Entscheidung abzuweichen. Nicht unerwähnt soll
bleiben, dass der 13. Senat des BSG eine andere Auffassung vertritt. Er hat am 12.12.2006 unter dem Az. B 13 RJ
25/05 eine Anfrage an den 4. Senat gerichtet, ob dieser an seiner Betrachtungsweise zu § 93 SGB VI festhalte. Der 4.
Senat hat dies am 26.06.2007 unter dem Az. B 4 R 1/07 S bestätigt. Daraufhin hat der 13. Senat am 29.11.2007
weiterhin unter dem Az. B 13 RJ 25/05 beschlossen, den Großen Senat des BSG anzurufen. Die Kostenentscheidung
beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).