Urteil des SozG München vom 24.01.2008

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Sozialgericht München
Urteil vom 24.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 R 949/05
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 11.11.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2005 wird
abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen der Beteiligten ist der versicherungsrechtliche Status des Beigeladenen. Das klagende Unternehmen
beantragte am 23.02.2002 bei der Beklagten, den sozialversicherungsrechtlichen Status des 1964 geborenen
Beigeladenen festzustellen. Vorgelegt wurde eine Gewerbeanmeldung vom 22.08.2001, wonach der Beigeladene von
diesem Tage an als "Selbstständiger Busfahrer für verschiedene Unternehmen" tätig war. Die weitere Sachaufklärung
mithilfe eines Fragebogens ergab, dass der Kläger außer für die klagende Gesellschaft auch für vier weitere
Auftraggeber tätig wurde. Die Frage, ob er mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Einkünfte von einem
Auftraggeber erhalte, bejahte er. Weitere Personen beschäftigte der Beigeladene nicht, regelmäßige Arbeits- oder
Anwesenheitszeiten hatte er nicht einzuhalten. Hinsichtlich der Ausführung seiner Tätigkeit gab er an, an Weisungen
seiner Auftraggeber bezüglich "Reiseablauf Hotel und Ziel" gebunden zu sein. Zur Frage nach Kapitaleinsatz,
Kalkulation, Preisgestaltung, Werbung und Ablehnung von Aufträgen schrieb er: "Mein Preis beträgt Std. 11 Euro." In
seiner Korrespondenz verwendete der Beigeladene einen Stempel mit seinem Namen, seiner Telefonnummer und dem
Wort "Busaushilfsfahrer". Mit Schreiben vom 25.09.2003 hörte die Beklagte die klagende GmbH, die weiteren
Auftraggeber des Beigeladenen und diesen selbst zu ihrer Absicht an, seine Tätigkeit als abhängige und damit dem
Grunde nach sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV)
festzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses
überwögen nach Einzelfallprüfung diejenigen einer selbstständigen Tätigkeit. Der Beigeladene könne zwar für mehrere
Auftraggeber tätig werden, habe das Recht, Aufträge abzulehnen und keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall und auf bezahlten Urlaub. Auch liege die Einstellung von Hilfskräften in seiner Entscheidung. Dies
seien Indizien für eine selbstständige Tätigkeit. Der Beigeladene verwende aber kein eigenes Fahrzeug, das auf ihn
zugelassen und von ihm mit eigenem Kapitalaufwand erworben oder geleast worden wäre. Das Risiko des Verlustes
eigenen Kapitals sei nicht gegeben; er setze ausschließlich seine Arbeitskraft ein. Er übe eine Tätigkeit als Aushilfe
aus, die ansonsten üblicherweise von versicherungspflichtig beschäftigten Busfahren ausgeübt werde. Die Klägerin
ließ einwenden, der Beigeladene sei mit nachhaltiger Gewinnerzielungsabsicht unternehmerisch tätig. Er stelle
Rechnungen mit offener Umsatzsteuer aus und entrichte diese an das Finanzamt R. Mit Bescheiden vom 11.11.2003
an sämtliche Auftraggeber stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene seine Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung
ausübe. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen die Argumente aus der Anhörung. Das von der Klägerin
betriebene Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 17.02.2005
beharrt auf der Auffassung, der Beigeladene sei unternehmerisch tätig gewesen. Indizien hierfür seien die
Gewerbeanmeldung, die Handhabung der Umsatzsteuer und die Versicherung bei der AOK Rosenheim. Als Belege für
ein eigenständiges Auftreten des Beigeladenen auf dem Dienstleistungsmarkt wurden von ihm gegenüber
verschiedenen Auftraggebern ausgestellte Rechnungen aus den Jahren 2001 und 2002 vorgelegt. In der mündlichen
Verhandlung gab der Geschäftsführer der Klägerin insbesondere zu bedenken, bei mehrtägigen Fahrten mit einem Bus
auch ins Ausland handele sich um eine außerordentlich verantwortungsvolle Aufgabe. Auch sei es dem Beigeladenen
überlassen, bei Fahrten nach Slowenien die Verköstigung der Reisenden in einer Gaststätte seiner Verwandtschaft zu
organisieren.
Die Klägerin beantragt, 1. den Bescheid vom 11.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2005
aufzuheben, und 2. festzustellen, dass der Beigeladene als selbstständiger Busfahrer bei der Klägerin tätig war.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte
sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Zur Bezeichnung der Beteiligten ist klarzustellen, dass
Klagepartei die Firma Kreuz-Reisen GmbH ist, nicht jedoch deren Geschäftsführer M. K. Daraus resultiert die
Bezeichnung "Klägerin". Die Klage ist jedoch in der Sache nicht begründet. § 7 a Abs. 1 S. 1 SGB IV ermöglicht ein
Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit. Abs.
1 S. 3 der Vorschrift begründet eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten für entsprechende
Statusfeststellungen. Nach Abs. 2 der Vorschrift entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller
Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Den zitierten Abs. 2 hätte der Gesetzgeber nicht eigens in
die Vorschrift des § 7 a SGB IV aufnehmen müssen, weil Behörden die im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu treffenden
Entscheidungen ausnahmslos aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen haben. Die
Tätigkeit eines Busfahrers im Linien-, Ausflugs- und Fernreiseverkehr kann sowohl in abhängiger Beschäftigung wie
auch in selbstständiger Tätigkeit erbracht werden. Die meisten Busfahrer sind bei jeweils einem einzigen privaten oder
kommunalen Verkehrsunternehmen vollzeitbeschäftigt und unterliegen in vollem Umfang den Weisungen dieses
Unternehmens. Mit dieser Gestaltung ergibt sich kein Zweifel an einer Stellung als abhängig beschäftigter
Arbeitnehmer. Wer hingegen mit einem Bus fährt, über den er kraft Eigentums oder Leasingvertrages selbst verfügen
kann, und mit diesem Fahrzeug Aufträge etwa von Reisebüros erledigt, stellt den Idealtyp des selbstständigen
Unternehmers dar. Der Beigeladene besaß in den streitgegenständlichen Jahren 2001 und 2002 kein eigenes
Fahrzeug. Den ganz typischen Fall des Arbeitnehmers repräsentierte er jedoch auch nicht. Er konnte nämlich nach
eigenem Belieben für mehrere auch untereinander in Konkurrenz stehende Auftraggeber tätig werden. Demgemäß
konnte er auch Aufträge ablehnen. Er wäre auch befugt gewesen, sich bei der Erfüllung einzelner Aufträge z. B. durch
Leiharbeitnehmer vertreten zu lassen. Diese Gestaltungsfreiheit ist ein Indiz für selbstständige Tätigkeit.
Demgegenüber haben jedoch die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung das größere Gewicht. Der Beigeladene
brachte nicht nur mangels eigenen Fahrzeuges keinerlei Kapital in seinen geschäftlichen Auftritt ein, sondern es
fehlten auch alle Merkmale von eigener Kreativität oder eigener kommerzieller Kalkulation. Vorstellbar wäre in diesem
Sinne etwa die eigenverantwortliche Gestaltung von Ausflügen und Reisen mit der Befugnis, mit einem zur Verfügung
gestellten Budget nach eigener Findigkeit und Geschäftstüchtigkeit preisgünstige und attraktive Stadtführungen,
Verpflegungsangebote und Übernachtungsmöglichkeiten zu organisieren. Die Ausnutzung der verwandtschaftlichen
Beziehung zu einem einzigen Gastronomen in Slowenien kann zur Gewinnung eines solchen Bildes von
unternehmerischer Gestaltung und Kalkulation nicht genügen. Nicht zu vernachlässigen ist die Frage, in welcher
Weise ein Teilnehmer am Erwerbsleben seine Dienste anbietet. Wer in Anzeigen oder Internetauftritten ein
Leistungsangebot von gewisser Breite anbietet und zur Abgrenzung von der Konkurrenz mit besonderen
Qualifikationen und Spezialkompetenzen wirbt, wird eher als Unternehmer einzustufen sein als der Beigeladene, der
sich mit einem sehr schlichten Stempel als "Busaushilfsfahrer" bezeichnet und dessen gesamtes auf dem Markt
gezeigtes Profil sich in der Auskunft erschöpft: "Mein Preis beträgt 11 Euro pro Stunde". Die hohe Verantwortlichkeit
des Busfahrers für Fahrzeug und Fahrgäste ist als Kriterium zur Abgrenzung von Selbstständigkeit und Abhängigkeit
nicht geeignet, weil sie bei dem für ein einziges Unternehmen tätigen Vollzeitfahrer genauso gegeben ist. Im übrigen
tragen auch Bankbedienstete, Fahrer von Spezialbaumaschinen und Lkw s, Lokführer und Flugzeugpiloten oder
Krankenhauspersonal bis hin zu Ärzten hohe Verantwortung für Menschen und wertvolle Technik, und doch sind sie
mehrheitlich unzweifelhaft abhängig beschäftigte Arbeitnehmer. Von ganz typischen Arbeitnehmer unterscheidet sich
der Beigeladene in zusammenfassender Würdigung letztlich nur insoweit, als er auf spezielle Vereinbarung hin in
Teilzeit tätig wird. Die Statusfeststellung ist kein Verfahren zur Aufdeckung von Schwarzarbeit, so dass der
Geschäftsführer der Klägerin und der Beigeladene keinen Anlass haben, auf ihre Gutgläubigkeit hinzuweisen und
Vorwürfe abzuwehren, die ihnen gegenüber nicht erhoben wurden. Der Versuch, mit Gewerbeanmeldung,
Umsatzsteuerabführung und Krankenversicherung auf eigene Kosten eine korrekte Ausgestaltung der vermeintlichen
Selbstständigkeit anzustreben, ist anerkennenswert und legitim. Die Überprüfung nach allen zu Gebote stehenden
Kriterien ergibt jedoch, dass es sich bei der zu Grunde liegenden Geschäftstätigkeit des Beigeladenen nicht um die
von ihm und seinen Auftraggebern angenommene Selbstständigkeit handelt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Sozialgerichtsgesetz (SGG).