Urteil des SozG München vom 23.09.2008

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Sozialgericht München
Urteil vom 23.09.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 19 KR 1493/06
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 305/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Erstattung der Kosten einer Tender Point – Operation bei Fibromyalgie ("Quadranten-
Schmerz-Intervention") durch Prof. Dr. J. B. in der Schweiz. Die Klägerin litt nach einem Attest ihres Allgemeinarztes
Dr. M. G. vom 16.01.2006 an ei-nem fortgeschrittenem Fibromyalgiesyndrom mit Ganzkörperschmerzen. Am
19.01.2006 beantragte dieser Arzt bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Tender Point - Operation bei Prof.
J. B. in Baar in der Schweiz. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 24.01.2006 ab. Am 30.01.2006
wurde die Operation durch Prof. Dr. B. in der Schweiz ambulant ausgeführt. Am 31.01.2006 stellte Prof. Dr. B. dafür
einen Betrag von 2.051,16 Euro in Rechnung, durch Rechnung vom 25.05.2006 darüber hinaus einen weiteren Betrag
von 150,00 Euro für eine Kontrolluntersuchung nach der Operation. Am 10.07.2006 wiederholte die Beklagte ihre
Ablehnung, diesmal mit Rechtsbehelfsbeleh-rung. Den am 30.05.2006 von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies
die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 07.12.2006 als unbegründet zurück. Mit ihrer am 11.12.2006
erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die von Prof. B. praktizierte Behandlungsmethode führe in 66 % der
Fälle zu einem langfristigen vollstän-digen Heilerfolg und darüber hinaus in einem bedeutenden Anteil der Fälle zu
wesentli-chen Verbesserungen der Schmerzen. Weiter legt die Klägerin das in einem zivilrechtli-chen Verfahren von
einem Gericht eingeholte Gutachten von Prof. Dr. med. J. Z. vom 24.03.2006 vor, wonach Fibromyalgie eine
unheilbare Krankheit sei und es sich bei der von Prof. Dr. B. vorgenommenen Operation um eine notwendige
Heilbehandlung in dem Sinne handle, dass diese operative Methode basierend auf einer wissenschaftlichen The-orie
vergleichbar der Akupunktur geeignet sei, bei einer Vielzahl von Patienten (schriftlich belegt) die Symptome einer
Fibromyalgie zu bessern. Die Klägerin beantragt, 1. den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2006 in der Fassung des
Bescheides vom 10.07.2006 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006 aufzuheben und 2. die
Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten der Behandlung durch Prof. Dr. B. aufgrund Rechnungen vom
31.01.2006 in Höhe von 2.051,16 Euro und vom 25.05.2006 in Höhe von 150,00 Euro zu erstatten. Die Beklagte
beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Für die Entscheidung über die zulässige Klage war das Sozialgericht München örtlich (§ 57 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und sachlich (§ 8 SGG) zuständig. Die Klage wurde ge-mäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage war als unbegründet abzuweisen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Kos-tenerstattung für die Tender
Point – Operation bei Prof. Dr. B. in der Schweiz hat.
Auch wenn § 13 Abs. 4 SGB V i.V.m. der über das Sektorialabkommen vom 01.02.2002 für die Schweiz anwendbare
Verordnung (EWG Nr. 1408/71) grundsätzlich einen Kosten-erstattungsanspruch für ambulante Behandlungen in der
Schweiz eröffnet, ergibt sich daraus kein weitergehender Anspruch, als er bei einer Behandlung im Inland bestehen
würde. Damit setzt der Kostenerstattungsanspruch voraus, dass die Tenderpoint-Operation durch Prof. B. in
Deutschland zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldeten Leistungen gehört hätte. Dies war
jedoch nicht der Fall.
Da die Operation ambulant ausgeführt wurde und eine neue Untersuchungs- und Behand-lungsmethode darstellte,
hätte sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ge-mäß § 135 SGB V nur erbracht werden dürfen, wenn der
Gemeinsame Bundesausschuss in seinen Richtlinien für die Anwendung dieser Methode Empfehlungen abgegeben
hätte. Solche Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses oder seiner Vorläuferein-richtung lagen jedoch
nicht vor. Ebenso war ein Systemversagen zu verneinen, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
ausnahmsweise zur Anwendbarkeit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode führen kann, wenn der
Gemeinsame Bundesausschuss oder eine der antragsberechtigten Institutionen untätig bleibt, obwohl die
Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Methode vorliegen. Die Voraussetzun-gen für die Anerkennung einer
neuen Methode liegen jedoch frühestens dann vor, wenn die Methode dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse ent-spricht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Davon kann bei der Tenderpoint-Operation nach
Prof. B. keine Rede sein. Wie der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Bayern in sei-nem Gutachten vom
08.08.2003 überzeugend dargelegt hat, wird die Methode von nie-mand anderem als Prof. Dr. J. B. angewandt.
Sämtliche Studien bezüglich der Wirksam-keit der Methode wurden von Prof. B. selbst retrospektiv bezüglich des
Erfolgs an den von ihm selbst behandelten Patienten vorgenommen. Bei einer solchen Vorgehensweise ist in
methodischer Hinsicht ein Ausschluss möglicher Placebo- oder Suggestiveffekte nicht zu führen. Auch die von der
Klägerin vorgelegten Untersuchungen und Veröffentlichungen stammen ausschließlich von Prof. Dr. J. B ... Bestätigt
wird die Einschätzung des Medizini-schen Dienstes der Krankenversicherung Bayern durch die wissenschaftliche
Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgie-Syndroms" der Deutschen
Fibromyalgie-Vereinigung und Deutschen Rheuma-Liga in Zusammenarbeit mit weiteren wissenschaftlichen
Fachgesellschaften. Darin wird ausgeführt, die operative Lösung von "Verwachsungen" an Akupunkturpunkten im
Bereich von Tenderpoints wider-spreche den aktuellen Erkenntnissen über die Ursachen und Krankheitsmechanismen
des Fibromyalgie-Syndroms. Erfolge dieser Behandlung seien bisher nur von einer Arbeits-gruppe beschrieben
worden. Daher werde von dieser Behandlungsmethode abgeraten. Dass die Methode von Prof. B. wissenschaftlich
nicht allgemein anerkannt ist, wird auch bestätigt durch das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten von Prof.
Dr. J. Z. vom 24.03.2006, in dem auf Seite 19 ausgeführt wird, das Krankheits- und Therapie-konzept des Prof. B.
habe bisher noch keinen Eingang in die Schulmedizin gefunden; aussagekräftige, insbesondere unabhängige Studien
zum Wirksamkeitsnachweis stünden noch aus.
Auch die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode
aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Be-schluss vom 06.12.2005 Az. 1 BvR 347/98 geforderten
verfassungskonformen Auslegung der Bestimmungen zur gesetzlichen Krankenversicherung liegen nicht vor, da es
sich bei der Fibromyalgie zwar möglicher Weise um eine schwerwiegende, aber weder um eine lebensbedrohliche
noch um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Auch schwere Schmerzen, die zu einer massiven
Beeinträchtigung der Lebensqualität bis hin zur Erwerbsunfähigkeit oder suizidalen Gedanken führen, können für sich
genommen diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Dies hat das Bundessozialgericht in ähnlich belastenden
Situationen wie im vorliegenden Fall mehrfach entschieden (vgl. zu schmerzhaften Muskelversteifungen aufgrund
MAD-Mangels, die zu Erwerbsfähigkeit geführt hatten: BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 RdNrn. 31 ff.; zu Schlafstörungen
bei Restless-Legs-Syndrom, die bis zum Suizidwunsch führten: BSG, Urteil vom 26.09.2006, Az.: B 1 KR 14/06 R,
RdNrn. 11, 18; und zu einem chronischen Schmerz-Syndrom bei Querschnitts-lähmung: BSG, Urteil vom 27.03.2007,
Az.: B 1 KR 30/06 R, RdNrn. 15, 19). Die von der Klägerin beschriebenen Schmerzen und ihre Folgen sind mit den
vom Bundessozialge-richt entschiedenen Fällen vergleichbar.
Keine weiteren Erkenntnisse, die für die Entscheidung relevant wären, liefert das von der Klägerin vorgelegte
Gutachten von Prof. Dr. med. J. Z. vom 24.03.2006: Die darin bestätigte Unheilbarkeit der Erkrankung ist für sich
genommen ohne Belang, da es nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts nicht um allein die Frage der
Unheilbarkeit, sondern um die Schwere der Erkrankung geht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.