Urteil des SozG München vom 22.01.2008

SozG München: geburt, schwangerschaft, gebrauchte ware, stadt hamburg, bekleidung, auto, pauschal, abholung, form, rechtsverordnung

Sozialgericht München
Urteil vom 22.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 51 AS 217/08
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.12.2007 verurteilt, der Klägerin weitere 320,- EUR zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, in welcher Höhe die Beklagte Leistungen für die Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt zu
übernehmen hat.
Die Klägerin wohnt zusammen mit ihrem Ehemann im Landkreis Dachau. Sie beziehen seit 24.04.2007 fortlaufend
Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). In der strittigen Zeit verfügten sie nicht über
ein Auto. Im Mai 2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie schwanger sei.
Am 07.08.2007 beantragte die Bevollmächtigte der Klägerin Umstandskleidung und Säuglingsausstattung. Mit
Bescheid vom 16.08.2007 wurden der Klägerin Leistungen in Höhe von insgesamt 300,- EUR pauschal für die
Erstausstattung der Wohnung, die Erstausstattung für Bekleidung bei Schwangerschaft und die Erstausstattung für
Bekleidung bei Geburt bewilligt. Die Entscheidung beruhe auf § 23 Abs. 3 SGB II und der Rechtsverordnung nach §
27 Nr. 3 SGB II. Am 22.08.2007 wurde Widerspruch erhoben. Am 19.11.2007 kam das Kind zur Welt.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 zurückgewiesen. Die Pauschale von 300,- EUR
teile sich wie folgt auf: 60,- EUR für ein Kinderbett, 60,- EUR für einen Kinderkleiderschrank, 80,- EUR für
Umstandkleidung und 100,- EUR für Säuglingserstausstattung. Diese Beträge seien ausreichend, weil es einen
großen Markt für gut erhaltene gebrauchte Ware gebe. Immer wieder würden auch in örtlichen Zeitungen gut erhaltene
Ausstattungsgegenstände, insbesondere Kinderwagen und Bettchen gegen Abholung angeboten. Der
Erstausstattungsbedarf könne deshalb mit 300,- EUR gedeckt werden. Der Widerspruchsbescheid wurde der
Bevollmächtigten der Klägerin am 28.12.2007 bekannt gegeben.
Am 28.01.2008 wurde Klage erhoben. Mit 300,- EUR könne der Bedarf auch dann nicht gedeckt werden, wenn auch
Gebrauchtwaren erworben werden. Gebrauchtwaren seien zeitlich und regional nur teilweise im Angebot. Andere
Leistungsträger würden deutlich höhere Leistungen gewähren, z. B. die Stadt Hamburg.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.12.2007 zu verurteilen, weitere 524,- EUR an Erstausstattung wegen
Schwangerschaft und Geburt zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Pauschale von 300,- EUR seit bei engagierter Suche von Gebrauchtwaren ausreichend. Die Beklagte übermittelte
Inserate aus örtlichen Anzeigeblättern und Ausdrucke zu Angeboten im Internet.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der Einzelheiten auf die Akte des Gerichts und die Akten der
Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Da der Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007
der Bevollmächtigten der Klägerin erst am 28.12.2007 bekannt gegeben wurde, wurde die Klage am 28.01.2008
fristgerecht (Monatsfrist nach § 87 Sozialgerichtsgesetz - SGG) erhoben.
Die Klage ist im tenorierten Umformung begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf eine Pauschale für
Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt in Höhe von insgesamt 620,- EUR. Da die Beklagte nur 300,-
Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt in Höhe von insgesamt 620,- EUR. Da die Beklagte nur 300,-
EUR bewilligte, hat sie weitere 320,- EUR zu gewähren.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung sind Leistungen für "Erstausstattungen
bei Schwangerschaft und Geburt" nicht von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst. Diese Leistungen werden
gesondert erbracht und können als Sachleistung oder Geldleistung, aber auch in Form von Pauschalbeträgen erbracht
werden (§ 20 Abs. 3 Satz 2 und 5 SGB II). Bei der Bemessung der Pauschalen sind geeignete Angaben über die
erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 3 Satz 6 SGB II).
Eine Rechtsverordnung des Bundes für diese Leistung nach § 27 Nr. 3 SGB II existiert nicht.
Der Anspruch auf Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt umfasst - für die (werdende) Mutter
Schwangerenbekleidung (Umstandsbekleidung) und spezielle Wäsche für die Zeit nach der Geburt (z.B. Still-BH), - die
Erstausstattung an Babybekleidung, - alle Bedarfsartikel für das Neugeborene (Kinderwagen, Matratze und Decke für
den Kinderwagen, Fellsack für den Kinderwagen, Bettzeug für das Kinderbett, Wickelauflage, Fläschchenwärmer,
Babybadewanne, Badethermometer, Schnuller, Windeleimer, usw.) und - Möbel für das Neugeborene (Kinderbett mit
Matratze, Kleiderschrank oder Wickelkommode).
Der bis 30.07.2006 geltende Wortlaut "Erstausstattungen für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und
Geburt" wurde geändert, weil strittig war, ob und wie die Bedarfsartikel und die Möbel für das Neugeborene von § 23
Abs. 3 SGB II erfasst waren (vgl. zu einem Kinderwagen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.05.2006, L
6 AS 170/06 ER).
Die Pauschalen der Beklagten sind unzureichend. Die Vorgaben der Beklagten sind unzutreffend ermittelt und sie
liegen deutlich unter den Leistungen anderer Träger.
Die Pauschalen der Beklagten berücksichtigen entgegen § 23 Abs. 3 S. 6 SGB II nicht nachvollziehbare
Erfahrungswerte. Sie beruhen auf dem Eindruck aus verschiedenen Inseraten und Angeboten in örtlichen
Anzeigeblättern und im Internet. Es trifft zu, dass dort ein Teil der erforderlichen Erstausstattungen als
Gebrauchtwaren preiswert, teilweise sogar gegen Abholung angeboten werden. Die Beklagte verkennt aber, dass das
Angebot zeitlich und räumlich begrenzt ist, also schon deswegen nur ein Teil des Bedarfs als Gebrauchtwaren
erhältlich ist. Bei günstigen Angeboten besteht auch Konkurrenz durch andere Erwerber. Die Beklagte verkennt weiter,
dass für einen Teil der Erstausstattung ein Verweis auf Gebrauchtwaren nicht zumutbar ist. Dies gilt etwa für die
Kinderbettmatratze, für Unterwäsche und Schnuller. Darüber hinaus hat die Beklagte die Beschaffungskosten für die
Gebrauchtwaren nicht berücksichtigt. Ein erheblicher Teil der Gebrauchtwarenangebote erfordert eine Abholung aus
umliegenden Orten. Die Möbel können nur mit einem Auto abgeholt werden. Bei einer Pauschale kann nicht unterstellt
werden, dass die Hilfesuchenden über ein Auto verfügen. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten kein Auto. Die
Angebote im Internet sind nur zugänglich bei einem Internetanschluss. Dies ist bei Hilfesuchenden keine
Selbstverständlichkeit.
Der Bedarf für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt ist insgesamt pauschal mit 620,- EUR zu
bemessen. Dies ergibt insbesondere ein Vergleich mit anderen Trägern.
Für die Bekleidung der Schwangeren bzw. der jungen Mutter ist ein Bedarf von 120,- EUR anzusetzen.
Die Beklagte hat einen Bedarf von nur 80,- EUR angesetzt. Andere Träger setzen dafür pauschal 120,- EUR (Hamburg
siehe http://www.hamburg.de/sgb-02-23/126670/fv-erstausstattungen-bekleidung.html ), 180,- EUR (Jobcenter I.) oder
154,- EUR (Jobcenter L.) an.
Der Bedarf für Erstausstattung für das Kind (Babybekleidung, Bedarfsartikel und Möbel für das Neugeborene) ist mit
500,- EUR anzusetzen. Dies gilt zumindest für die Ausstattung beim ersten Kind. Ob und inwieweit bei nachfolgenden
Kindern, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit ihren Geschwistern geboren werden, Abschläge möglich sind,
war hier nicht zu entscheiden, da es sich um das erste Kind der Klägerin handelte.
Die Beklagte setzt hierfür einen Betrag von 220,- EUR an. Andere Träger setzen hierfür bis zu 700,- EUR (Arge
München GmbH siehe http://www.muenchen.de/Rathaus unter dem Stichwort Babyausstattung), 530,- EUR
(Jobcenter I.), 410,- EUR (Jobcenter L.), 600,- EUR (Arge E., für ein Folgekind 450,- EUR) und 500,- EUR (Hamburg
siehe vorgenannte Internetadresse) an. Das LSG Berlin-Brandenburg geht unter Einbeziehung eines Kinderwagens
und eines Kinderbettes von 500,- EUR aus (Beschluss vom 03.03.2006, L 10 B 106/06 AS ER).
Da die Beklagte der Klägerin insgesamt nur 300,- EUR bewilligte, war sie zur Gewährung weiterer 320,- EUR zu
verurteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus dem anteiligen Obsiegen der Klägerin (§ 193 SGG).
Da die Berufungssumme nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Beschwerdewert 750,- Euro) nicht überschritten wird und kein
Grund für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt, ist diese Entscheidung endgültig.