Urteil des SozG München vom 24.10.2007

SozG München: bekanntmachung, unechte rückwirkung, aufschiebende wirkung, bekanntgabe, programm, publikation, satzung, veröffentlichung, rechtsgrundlage, regress

Sozialgericht München
Urteil vom 24.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 38 KA 1231/06
I. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 1. Juni 2006 wird insoweit aufgehoben, als der Kläger durch ihn
beschwert ist. II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Der Kläger ist praktischer Arzt und verfügt über die Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren". Ihm wurde das
Zusatzbudget "Allergologie" zuerkannt.
Die Klage richtet sich gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 1.6.2006. Die Prüfungsausschüsse
unterzogen den Kläger für das Jahr 2002 einer Prüfung nach Maßgabe der damals geltenden Richtlinienvereinbarung
und setzten für das Jahr 2002 einen Regress über 40.734,70 Euro fest.
In den Jahren 1999, 2000 und 2001 galten bereits Richtgrößen für die Verordnung von Arzneimitteln.
Mit Rundschreiben der Beigeladenen zu 1) vom 20.8.2001 wandte sich diese an die Vertragsärzte in Bayern und
übersandte diesen eine Richtgrößentrendmeldung über die Arzneimittelkosten im 1. Quartal 2001. Gleichzeitig
informierte die Beigeladene zu 1) über die weitere Entwicklung im Jahr 2002. Sie führte u.a. wie folgt aus: "Für das
Jahr 2002 streben wir Richtgrößen an, die das Alter der Patienten und weitere versorgungsrelevante Komponenten
besser als bisher berücksichtigen. Die Informationen über ihre Arzneimittelkosten sollen künftig aktueller, moderner
und aussagekräftiger sein. Dazu benötigen wir allerdings die Kooperation der Krankenkassen."
Ende 2001 (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) vom 19.12.2001) wurde § 84 SGB V geändert. Es wurde
eine Frist zum Abschluss der Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2002 bis 31.3. gesetzlich vorgegeben. Andernfalls
habe das Schiedsamt den Vertragsinhalt innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf dieser Frist gemäß Art. 3 a ABAG
festzusetzen. Das ABAG wurde im BGBl. I S. 3773 vom 21.12.2001 veröffentlicht.
Mit Rundschreiben vom 2.5.2002 wandte sich die Beigeladene zu 1) an die Vertragsärzte unter dem Betreff "das
Arzneimittel-Programm der KVB: Teilnahme lohnt sich!". In diesem Schreiben war die Rede davon, die KVB habe ein
bundesweit einmaliges Arzeimittel-Programm mit dem Ziel einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen
Verordnungsweise - ohne Qualitätseinbußen für die Patientinnen und Patienten - entworfen. Für alle, die sich am
Arzneimittel-Programm beteiligen würden, werde für 1999 und 2000 sowie für die Dauer der Teilnahme auf Regresse
verzichtet. Auf Seite 2 des Schreibens findet sich die Überschrift "neue, verfeinerte Richtgrößen". Grundlage für die
individuelle Zielvereinbarung seien verfeinerte Richtgrößen, welche einen strukturbedingten Versorgungsbedarf
wiederspiegelten. Die neuen Richtgrößen seien in 6 Altersklassen und 36 Fachgruppen untergliedert. Das
automatische Herausrechnen von Praxisbesonderheiten laut Anlage 2 der Bundesempfehlung für Richtgrößen
ermögliche zukünftig ein angstfreies Verordnen dieser für die Patienten so wichtigen Präparate. Allerdings sei die KVB
durch den Rahmenvertrag der KBV mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen vom 31.11.2002 gegen ihren Willen
dazu verpflichtet worden, die Höhe der Richtgrößen um 4,39 % gegenüber dem Niveau von 2001 abzusenken. Auf die
Anlage 1 wurde hingewiesen. Dort heißt es u.a.: "Die neuen Richtgrößen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
werden uns alle fordern. Die völlig neuartige Struktur sowie insbesondere die Höhe, die wir auf der Basis der
ordnungspolitischen Vorgaben absenken mussten, bedeuten für viele von uns eine erhebliche Umstellung."
Mit Rundschreiben vom 21.5.2002 wandte sich die Beigeladene zu 1) unter dem Betreff: "Das Arzneimittel-Programm
der KVB: individuelle Zielvereinbarung - Ihre Teilnahme lohnt sich!" abermals an die Vertragsärzte. Dort wurde u.a.
ausgeführt, dass die Vertragsärzte die neuen, verfeinerten Richtgrößen erhalten hätten und möglicherweise auch
bereits eine Probeberechnung für die jeweilige Praxis durchgeführt hätten. Im Anschluss daran wird ausgeführt: "Mit
diesem Schreiben erhalten Sie nun Ihre individuelle Zielvereinbarung. Falls Fragen zur Zielvereinbarung bestünden,
werde empfohlen, sich an die Experten an den Hotlines zu wenden. Zusätzlich stünden über Fax-Abruf und im
Extranet unter der Rubrik "Arzneimittel-Programm" Informationen zur Verfügung. Das Rundschreiben schließt mit dem
Satz: "Machen Sie mit - gemeinsam können wir viel bewegen!"
Dem Klageverfahren war ein Eilverfahren vor dem Sozialgericht und im Anschluss daran vor dem Bayerischen
Landessozialgericht vorausgegangen. Ziel des Klägers und damaligen Antragstellers war die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Klage vom 6.6.2006 gegen den Widerspruchsbescheid vom 1.6.2006.
In der Gerichtsakte zum Eilverfahren unter dem Az.: S 38 KA 1252/06 ER, das zum Hauptsacheverfahren beigezogen
wurde, finden sich zahlreiche Schriftsätze der Beteiligten. Strittig waren insbesondere Fragen zur Rückwirkung der
Richtgrößenvereinbarung und der Bekanntmachung.
Zur Frage der Rückwirkung vertraten die damalige Antragsgegnerin und Beigeladene zu 1) die Auffassung, es handle
sich um eine echte zulässige Rückwirkung. Die Ärzte könnten sich insbesondere nicht auf ein Vertrauen auf den
Fortbestand der alten Regelung berufen. Durch die Richtgrößen für das Jahr 2002 sei auch keine Verschlechterung
eingetreten. Denn je höher das Ausgangsvolumen sei, desto höher würden die Richtgrößen ausfallen. Die
Herausrechnung der Kosten für die Anlage 2 (besondere Arzneimittel, die nicht in den Richtgrößen enthalten sind)
führe zu einem Ausgabevolumen von insgesamt 2.728.861.970,34 Euro und liege damit über dem Ausgangsvolumen
von 2.681.842.924,71 Euro (Richtgrößen 2000/2001). Das anteilige Ausgangsvolumen für die Festsetzung der
Richtgrößen der Vergleichsgruppe des Antragstellers (Allgemeinärzte Land, ohne Diabetesvereinbarung) habe in 2002
936.937.984,56 Euro, ohne Anlage 2 887.898.157,88 Euro betragen. Dies entspreche einer Differenz von 5,23 %.
Diese Differenz sei beim Vergleich zu berücksichtigen. Mit ihren 4000 richtgrößenrelevanten Fällen im Jahr 2002 habe
die Praxis ein Richtgrößenvolumen in 2002 von 236.907,24 Euro als Soll-Vorgabe. Die um die Anlage 2 Medikamente
bereinigten Ist-Ausgaben würden 353.780,14 Euro betragen, woraus sich eine Überschreitung von 49,33 % ergebe.
Der Vergleich mit den Richtgrößen 2000, verringert um 5,23 % für die Anlage 2, ergebe ein Richtgrößenvolumen von
230.974,69 Euro gegenüber den Ist-Ausgaben (2002) von 353.780,14 Euro. Dies ergebe eine ungünstigere
Überschreitung von 53,16 %.
Im Schriftsatz des Beklagten und damaligen Antragsgegners vom 21./22.6.2006 wurde die Auffassung vertreten, dass
die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG-Urteil vom 2.11.2005, B 6 KA 63/04 R) nicht einschlägig sei, da
diese Entscheidung die Wirksamkeit einer Richtgrößenvereinbarung des Jahres 1998 betreffe. Dieser Vereinbarung
habe insoweit keine vom Gesetzgeber selbst festgelegte Ausnahmeregelung zum Rückwirkungsgebot zugrunde
gelegen, wie dies im Jahr 2002 der Fall sei.
Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass bereits vor 2002 Richtgrößen gegolten hätten. Diese Werte der Jahre
2000/2001 seien zumindest als "Richtschnur" bekannt gewesen, so dass der Vertragsarzt auch eine Vorstellung über
die maximale Höhe seiner künftigen Richtgrößensumme gehabt hätte.
Zur Frage der Bekanntmachung vertraten der Beklagte und damalige Antragsgegner bzw. die Beigeladene zu 1) die
Auffassung, dass die Bekanntmachung ordnungsgemäß erfolgt sei, nämlich durch Rundschreiben vom 2.5.2002 und
21.5.2002. Mit Rundschreiben vom 2.5.2002 seien die Richtgrößen ausdrücklich bekannt gegeben worden. Der
Normtext der Vereinbarung habe per Fax-Abruf bzw. Internet-Download unter der im Rundschreiben vom 21.5.2002
genannten Faxnummer bzw. Internetadresse erlangt werden können. Im Übrigen (Schreiben der Beigeladenen zu 1)
vom 27.7.2006) sei in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 2.11.2006 unter dem Az.: B 6 KA 63/04 R
lediglich die Rede davon, dass Richtgrößen bekannt gemacht werden müssten. Es komme somit weniger auf die
Veröffentlichtung des Normtextes der Richtgrößenvereinbarung gemäß § 84 Abs. 6 SGB V an.
Die Art der Bekanntmachung habe auch den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG genügt.
Danach sei für eine verfassungsgemäße Bekanntmachung der Abdruck des Normtextes in einem gedruckten Medium
nicht in jedem Fall erforderlich. Es könne ausreichen, in einem gedruckten Medium Stellen zu benennen, bei der die
Regelung abgerufen oder eingesehen werden könne. Die Grenze sei dort zu ziehen, wo schutzwürdige Interessen
verletzt werden könnten, das heiße, wo insbesondere der Rechtsschutz der Betroffenen unangemessen erschwert
oder verkürzt werde. Diese Grenze sei jedoch hier nicht erreicht. Die Richtgrößenvereinbarung an sich enthalte über
die vereinbarten Richtgrößen hinaus keine Regelungen, die nicht ohnehin bereits durch Gesetz oder die
Bundesempfehlung vorgesehen waren. Insofern sei eine Verkürzung/Erschwerung des Rechtsschutzes im Hinblick
auf die Art der Zugänglichmachung des Normtextes der Richtgrößenvereinbarung nicht vorstellbar.
Mit Schreiben vom 27.7.2006 führte die Beigeladene zu 1) u.a. zum Verhältnis der alten Richtgrößen und den neuen
Richtgrößen aus, dass die neuen Richtgrößen von 2002/2003 nach Altersklassen und gesondertem
Sprechstundenbedarf gegliedert seien, so dass die Einzelwerte schon deshalb nicht unmittelbar vergleichbar seien. Im
Schriftsatz vom 11.8.2006 betonte die Beigeladene zu 1), dass die Richtgrößen 2000/2001 (inklusive Anlage 2) nicht
unmittelbar mit Richtgrößen bzw. den Ist-Ausgaben 2002 (exklusive Anlage 2) verglichen werden könnten.
Der damalige Antragsteller und jetzige Kläger vertrat die Auffassung, es handle sich um einen Fall echter,
unzulässiger Rückwirkung. In dem Zusammenhang sei auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 2.11.2005 (Az.:
B 6 KA 63/04 R) hinzuweisen. Richtgrößenvereinbarungen müssten nämlich bereits vor Beginn des Jahres, für das
sie gelten sollten, abgeschlossen und bekannt gemacht werden. Ferner handle es sich um einen Verstoß gegen § 84
Abs. 6 SGB V. Denn die Richtgrößenvereinbarung sei nach dem Gesetzeswortlaut bis spätestens 31.3.2002 zu
vereinbaren, was jedoch nicht geschehen sei. Die Klägerseite gehe auch von einer Verschlechterung durch die
Richtgrößenvereinbarung 2002 aus. Es könne nämlich nicht nachvollzogen werden, weshalb in dem Rundschreiben
der Beigeladenen zu 1) vom 2.5.2002 von einer Absenkung des Niveaus um 4,39 % ausgegangen wurde, während
nunmehr etwas anderes gelten solle.
Angezweifelt wurde ferner die Vergleichbarkeit der Richtgrößenvereinbarung 2002 mit der Richtgrößenvereinbarung
2000/2001, da es gravierende strukturelle Unterschiede gebe.
Die Kläger-/Antragstellerseite gehe auch davon aus, dass die Bekanntgabe der Richtgrößenvereinbarung für 2002
nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Richtgrößen mit Rundschreiben vom
2.5.2002 bekannt gemacht worden sein sollen, während diese erst am 13.5.2002 unterzeichnet worden seien.
Mit Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.8.2006 (S 38 KA 1252/06 ER) wurde die aufschiebende Wirkung
der Klage vom 6. Juni 2006 gegen den Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2006 angeordnet. Zur Begründung wurde
ausgeführt, dass die Richtgrößenvereinbarung 2006 unzulässigerweise auf die Zeit ab dem 1.1.2002 zurückwirke. Es
handle sich um eine echte Rückwirkung. In dem Zusammenhang werde auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom
2.11.2005, Az.: B 6 KA 63/04 R) hingewiesen. Ausnahmen, bei denen auch eine echte Rückwirkung als zulässig
anzusehen sei, lägen nicht vor. Es sei in einem summarischen Verfahren nicht zu beurteilen, ob es sich um eine
günstigere Regelung handle. Denn dies hänge in erster Linie von der Vergleichbarkeit der Richtgrößen ab. Die
Richtgrößen von 2000/2001 seien mit denen von 2002 nicht vergleichbar, da sie unterschiedliche strukturelle
Elemente aufwiesen.
Zur Frage der Fortgeltung der alten Richtgrößenvereinbarung wurde unter Hinweis auf den Beschluss des LSG Berlin
vom 20.1.2005, Az.: L 7 B 20/04 KA ER die Auffassung vertreten, dass § 89 Abs. 1 Satz 4 SGB V nicht gelte.
Hinzu komme, dass die Bekanntmachung der Richtgrößen 2002 nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Nach Auffassung
des Gerichts sei für den Arzt als Adressaten auf Grund der Formulierungen in den Rundschreiben nicht hinreichend
erkennbar, dass damit die Richtgrößen bekannt gemacht werden sollten. Vielmehr sei es möglich gewesen, dass sich
nur derjenige Arzt angesprochen fühlen musste, der bereit war, freiwillig am sog. Arzneimittelprogramm teilzunehmen.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem Bay. LSG (Az.: L 12 B 795/06 KA ER) wiederholten der Beklagte und
damalige Antragsgegner bzw. die Beigeladene zu 1) ihren Standpunkt. Dieser Vortrag wurde noch ergänzt. So wurde
zur Frage der Rückwirkung darauf hingewiesen, dass durch Rundschreiben vom 20.8.2001 das Vertrauen in den
Fortbestand der alten Entwicklung erschüttert worden sei. Damals seien jedoch konkrete Vorgaben zur
Richtgrößenvereinbarung 2002 nicht möglich gewesen, da das betreffende Gesetz erst am 19.12.2001 beschlossen
worden sei. Wie sich aus Art. 3 a ABAG ergebe, sei der Gesetzgeber selbst von einem zulässigen Fall der
Rückwirkung ausgegangen. Im Übrigen sei mit der Richtgrößenvereinbarung 2002, die zugegebenermaßen
rückwirkend beschlossen wurde, keine Verschlechterung insgesamt (Ausgabevolumen), aber auch individuell
(bezogen auf den Kläger) verbunden (wird noch weiter ausgeführt).
Zur Frage der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt des Rundschreibens vom 2.5.2002
die Vertragspartner die Richtgrößenvereinbarung bereits für unterschriftsreif hielten. Durch den Verweis im
nachfolgenden Rundschreiben vom 21.5.2002 seien die Richtgrößen inhaltlicher Bestandteil des Rundschreibens vom
21.5.2002 geworden.
Eine Regelung zur Bekanntmachung enthalte § 34 SGB IV. Diese Vorschrift sei jedoch auf Kassenärztliche
Vereinigungen nicht anwendbar. Deshalb seien Bekanntmachungen durch die Beigeladene freiwillig. Es könne deshalb
nicht verlangt werden, dass der Normtext abgedruckt werde.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wies die Klägerseite auf die Bekanntmachung der Richtgrößen (Richtgrößen
für 2007) am 22.11.2006 hin. Diese Bekanntmachung sei ordnungsgemäß erfolgt. Im Übrigen werde die Auffassung
des Beklagten zur Art der Bekanntgabe nicht geteilt. Denn der Normtext enthalte auch essentielle Hinweise für die
Vertragsärzte, woraus sich die Notwendigkeit auch der Bekanntgabe des Normtextes ergebe. Des Weiteren führte die
Klägerseite im Schriftsatz vom 14.12.2006 u.a. aus: "Die Ausführungen der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf die
Bekanntmachung und der Versuch darzustellen, dass eigentlich überhaupt keine Bekanntmachung erfolgen müsste,
sind geradezu absurd. Wäre dieser Ansatz korrekt, müssten die Vertragsärzte überhaupt nicht über den Abschluss
von Richtgrößenvereinbarungen oder ähnlichem informiert werden und wären daher nie in der Lage, ihr
Verordnungsverhalten an den entsprechenden Vorgaben auszurichten. Von einer Freiwilligkeit der Bekanntgabe kann
daher in keinem Fall ausgegangen werden."
Auf die Beschwerde des Beklagten und damaligen Antragsgegners hin entschied das Bayerische Landessozialgericht
mit Beschluss vom 17.7.2007 (Az.: L 12 B 795/06 KA ER) mit folgender Tenorierung:
"Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom
4.8.2006 über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf einen Teilbetrag von 24.000,- Euro
aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird insoweit jedoch nachgelassen, diesen Betrag in
monatlichen Raten für je 2.000,- Euro, beginnend mit dem Monat August 2007, jeweils zur Monatsmitte,
zurückzuführen."
zurückzuführen."
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gesichtspunkte, die für ein Obsiegen des Beschwerdegegners im Verfahren
um die Hauptsache sprechen könnten, würden die für das Gegenteil sprechenden Aspekte allenfalls für einen Teil des
umstrittenen Betrages bzw. für einen Teil des betroffenen Zeitraums überwiegen. Dies rechtfertige im Ergebnis die
erlassene Entscheidung.
Des Weiteren wurde ausgeführt, vor diesem Hintergrund gehe das Bay. LSG davon aus, dass zwar erhebliche
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rückwirkung der umstrittenen Richtgrößen sprächen, dass aber deren
Anwendung unabhängig davon jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auf die zweite Hälfte des
Jahres 2002 zu akzeptieren sei. Der Senat teile auf der Grundlage der gegebenen Informationen die Einschätzung des
Erstgerichts, dass die Einführung der neuen Richtgrößen Ende Mai 2002 nicht mehr mit Rückwirkung möglich
gewesen seien. Insoweit nehme der Senat auf die Ausführungen in der Entscheidung des Erstgerichts Bezug.
Ferner vertrat das Bay. LSG die Auffassung, inwieweit die Überlegungen des Erstgerichts träfen, dass wegen der
unterschiedlichen Strukturen der Richtlinien 2000/2001 einerseits und 2002 andererseits zu Gunsten des
Antragstellers davon ausgegangen werden könne, dass die umstrittene Rückwirkung wegen möglicher nachteiliger
Auswirkungen als unzulässig anzusehen sei, brauche hier nicht abschließend geklärt zu werden.
Es könne im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die Festsetzung der Richtgrößen und der darauf gestützte Regress
auch gegen andere Bestimmungen als das Rückwirkungsverbot verstoßen habe. Denn wäre dies tatsächlich der Fall,
so bestünde jedenfalls die Möglichkeit, diesen Mangel nachträglich - und dank der nunmehr den Vertragsärzten
erteilten Informationen - rückwirkend zu beheben.
In der mündlichen Verhandlung am 24.10.2007 stellte die Pro- zessbevollmächtigte des Klägers die Anträge aus der
Klagebe- gründung vom 12.10.2007.
Die Vertreter des Beklagten sowie die Vertreter der Beigeladenen beantragten, die Klage abzuweisen.
Gegenstand des Verfahrens waren auch die Beklagtenakte sowie die Akte aus dem Antragsverfahren unter dem Az.:
S 38 KA 1252/06 ER. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten
sowie die Sitzungsniederschrift vom 24.10.2007 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 1.6.2006, mit dem ein Regress in Höhe von 40.734,70 Euro
ausgesprochen wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Regress (Wirtschaftlichkeitsprüfung) sind § 106 Abs. 2 Ziffer 1 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 6
SGB V. Erforderlich ist also zunächst, dass die Richtgrößenvereinbarung für das Kalenderjahr 2002 als rechtmäßig
anzusehen ist.
Dies ist nach Auffassung des Gerichts aus mehreren Gründen nicht der Fall. Es gibt keine wesentlichen
Gesichtspunkte nach Erlass des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 14.8.2006 (Az.: S 38 KA 1252/06
ER), die das Gericht im Hauptsacheverfahren zur Revision seiner im Eilverfahren - wenn auch nur im Rahmen der
summarischen Prüfung - vertretenen Rechtsansicht veranlassen könnten; dies gilt auch nach Erlass des Beschlusses
des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Juli 2007 (Az.: L 12 B 795/06 KA ER). Das Bayerische
Landessozialgericht hat zum Teil zumindest in den Gründen die Auffassung des Sozialgerichts München bestätigt,
zum Teil aber unter Hinweis auf den Charakter eines Eilverfahrens keinen abschließenden Standpunkt zu
verschiedenen anderen Fragen eingenommen.
Wie bereits im Beschluss des Sozialgerichts München im Eilverfahren ausgeführt, ist die Richtgrößenvereinbarung
deshalb rechtswidrig, weil die Bekanntmachung nicht ordnungsgemäß erfolgte.
Zunächst ist der Auffassung der Beigeladenen zu 1) (Schriftsatz vom 30.10.2006) zu widersprechen, die
Bekanntmachung von Richtgrößenvereinbarungen sei freiwillig (Freiwilligkeit der Bekanntmachung von Richtgrößen).
Richtig ist zwar, dass § 34 SGB IV auf die Bekanntmachung von untergesetzlichen Normen von Kassenärztlichen
Vereinigungen nicht anzuwenden ist. Das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) erfordert aber,
dass Richtgrößenvereinbarungen bekannt gemacht werden. Dies hat auch das Bundessozialgericht in seiner
Entscheidung vom 9.12.2004 (Az.: B 6 KA 40/03 R) unter Hinweis auf Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 65, 283, 291; 90, 60, 85; BSGE 81, 86, 90 = SozR 3-2500, § 87 Nr. 18 S.
85) hervorgehoben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden müssen, damit die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen
können. Auch die von Art. 82 GG nicht erfassten Normen des geschriebenen Rechts würden regelmäßig erst mit ihrer
ordnungsgemäßen Verkündung Wirkung entfalten, weil sie "nach deutschem Staatsrecht" erst mit der
ordnungsgemäßen Verkündung existent würden. "Aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit setzt die
Wirksamkeit von Regelungen der der Wirtschaftlichkeitsprüfung zugrunde liegenden Normen gegenüber den von ihnen
Betroffenen, also in erster Linie den Vertragsärzten, voraus, dass die Normadressaten von ihnen haben Kenntnis
nehmen können. Deshalb kann auch bei der hier maßgeblichen Vereinbarung nicht auf die öffentliche Bekanntgabe als
Voraussetzung ihrer rechtlichen Existenz im Verhältnis zu denjenigen, die am Normsetzungsverfahren nicht beteiligt
sind, verzichtet werden. Dem entspricht es, dass alle Richtgrößen-Vereinbarungen und Prüfvereinbarungen und ihre
Änderungen im KV-Blatt, dem offiziellen Organ der Beigeladenen zu 1) oder in Beilagen zu dieser Zeitschrift
veröffentlicht worden sind oder veröffentlicht werden" (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 3.3.2004, Az.: L 7 KA 4/03). Für die
Notwendigkeit der Publikation spricht auch der Umstand, dass die Vereinbarungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung
steuernd auf die Leistungserbringung, also auf das Leistungsverhalten des Arztes, einwirken sollen. Diese
Zielsetzungen können nur erreicht werden, wenn sich der Leistungserbringer von vornherein darauf einstellen kann,
wie das Landessozialgericht Berlin in der o.g. Entscheidung ausführte.
Somit kann die Bekanntmachung von Richtgrößen nicht freiwillig sein.
§ 18 der Satzung der Beigeladenen zu 1) sieht verschiedene Formen der Bekanntmachung vor, nämlich
Bekanntmachungen an die Allgemeinheit im Bayerischen Staatsanzeiger, im Bayerischen Ärzteblatt oder durch
Rundschreiben. Was die Ausgestaltung des Verkündungsvorgangs betrifft, insbesondere, ob beispielsweise der
Normtext in vollem Umfang zu publizieren ist, gilt nach Auffassung des Sozialgerichts München folgendes:
Das LSG Berlin vertritt in der o.g. Entscheidung die Auffassung, dass alle Richtgrößen-Vereinbarungen ...
veröffentlicht werden. Dies würde dafür sprechen, dass der komplette Normtext in den in § 18 der Satzung der
Beigeladenen zu 1) vorgesehenen Publikationsorganen abgedruckt wird. Andererseits darf nicht übersehen werden,
dass sich "konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des Verkündungsvorgangs aus dem Rechtsstaatsgebot
nicht ergeben" (vgl. BSG, Urteil vom 9.12.2004, Az.: 6 KA 40/03 R).
Eine Weiterverweisung in den in § 18 der Satzung der Beigeladenen zu 1) vorgesehenen Publikationsorganen auf das
Extranet, die Möglichkeit des Fax-Abrufes oder eine Hotline genügen jedoch nach Auffassung des Sozialgerichts
München dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Trotz Ausstattung vieler Praxen mit Computern kann
nicht davon ausgegangen werden, dass alle Arztpraxen Zugang zum Internet haben. Dies gilt auch für die Ausstattung
mit Faxgeräten. Kritisch zu sehen ist auch eine Verweisung auf eine Hotline, da über diese nur fernmündlich eine
Abfrage stattfinden kann und insofern dem Publikationserfordernis nicht Genüge getan wird.
Im Übrigen trifft die Behauptung der Beigeladenen zu 1) nicht zu, im Rundschreiben vom 21.5.2002 seien die
Vertragsärzte darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit bestehe, sich über das Extranet, einen Faxabruf oder
eine Hotline Kenntnis von den Richtgrößen verschaffen. Denn die Verweisungen im Rundschreiben vom 21.5.2002
(vgl. Seite 1, 2. Absatz; Seite 2 letzter Absatz) beziehen sich auf die individuelle Zielvereinbarung und nicht auf die
Richtgrößen.
Außerdem erscheint die Bekanntmachung eines Teils einer Norm, wie die Veröffentlichung von Richtgrößen (ohne
Normtext und im Übrigen Weiterverweisung auf die Möglichkeit, sich anderweitig zu unterrichten) problematisch, da
hierdurch der Anschein erweckt wird, der bekanntgemachte Teil sei der essentielle. Dies birgt die Gefahr in sich, dass
der Teil, der veröffentlicht wird, aus dem Zusammenhang gerissen wird. Im Übrigen kommt nicht nur den Richtgrößen
als solche, sondern auch dem Normtext im konkreten Fall den Richtgrößen für 2002 essentielle Bedeutung zu. Dort
sind nämlich beispielsweise in § 3 Abs. 5 (Richtgrößen-Vereinbarung) die Aufgreifkriterien geregelt, wann eine Prüfung
der Praxis erfolgt. In § 3 Abs. 7 ist geregelt, bei welchen Überschreitungen der sich aus der Überschreitung des
Prüfungsvolumens ergebende Mehraufwand zu erstatten ist. Weitere essentielle Regelungen finden sich auch in § 3
Abs. 8 (Regelung des Anhörungsrechts) und in § 3 Abs. 9 (Berechnung des Regressbetrages: Verminderung des
Regressbetrages um den Kassenrabatt und die Zuzahlung der Versicherten). Diese essentiellen Regelungen sind in
den Rundschreiben bzw. den Anlagen hierzu nicht enthalten. Auch trifft es nicht zu, wie die Beigeladene zu 1
behauptet, dass diese in der Richtgrößenvereinbarung enthaltenen essentiellen Regelungen bereits in den
gesetzlichen Rechtsgrundlagen enthalten sind. Möchte die Kassenärztliche Vereinigung sicher gehen, dass die
Bekanntmachung ordnungsgemäß erfolgt, dann drängt sich der Abdruck der Richtgrößenvereinbarung zur Gänze
gemäß § 18 der Satzung der Beigeladenen zu 1) entweder im Bayerischen Staatsanzeiger, im Bayerischen Ärzteblatt
oder in Rundschreiben, nahezu auf. Dass bei einer umfangreichen Regelung die Tendenz besteht, nicht den ganzen
Normtext abzudrucken, sondern nur einzelne wichtige Teile, ist verständlich und grundsätzlich auch im Hinblick auf
das Rechtsstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 3 GG rechtlich nicht zu beanstanden. Im konkreten Fall beschränkt sich
aber die Richtgrößenvereinbarung auf wenige Regelungen, so dass der Umfang des Normtextes, was die Publikation
angeht, keine Rolle spielen dürfte.
Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Publikation steht allerdings auch die Frage, mit welchem
Rundschreiben/welchen Rundschreiben die Veröffentlichung geschehen sein soll (Zeitpunkt der Veröffentlichung). Die
Beigeladene zu 1) bezieht sich insbesondere auf ihre Rundschreiben vom 2.5.2002 und vom 21.5.2002.
Was das Rundschreiben vom 2.5.2002 betrifft, darf jedoch nicht übersehen werden, dass zu diesem Zeitpunkt die
Vereinbarung noch überhaupt nicht unterschrieben war. Versteht man die Veröffentlichung als letzten Akt der
Rechtsetzung, so ist eine Publikation vor der Unterzeichnung einer Vereinbarung nicht möglich. Dies gilt nach
Auffassung des Gerichts auch dann, wenn die Vereinbarung zu diesem Zeitpunkt bereits unterschriftsreif war und
keine bzw. keine wesentlichen Änderungen mehr vorgenommen wurden. Abgesehen davon stellt sich die Frage,
warum die Richtgrößen-Vereinbarung nicht unmittelbar nach "Unterschriftsreife" unterschrieben wurde, sondern dies
erst am 13.5.2002 stattfand.
Außerdem ist nicht maßgeblich, dass die Beigeladene zu 1) die Richtgrößen-Vereinbarung bereits mit Rundschreiben
vom 2.5.2002 als bekannt gemacht ansah. Maßgeblich ist vielmehr, wie ein verständiger Arzt - abzustellen ist somit
auf den Empfängerhorizont - die Intention des Rundschreibens verstehen durfte. Wie sich aus dem Betreff im
Rundschreiben vom 2.5.2002 ergibt, stand im Vordergrund das Arzneimittelprogramm. Lediglich am Rande, nämlich
auf Seite 2 des Rundschreibens ist die Rede von "neuen verfeinerten Richtgrößen" und einer Anlage 1. Es handelt
sich hierbei um eine plakative Darstellung und ein Werben um die Teilnahme am Arzneimittelprogramm, so dass das
Gericht auch im Hauptsacheverfahren seinen Rechtsstandpunkt aufrecht erhält, dass die Formulierungen nicht
hinreichend erkennbar eine Bekanntmachung der Richtgrößen darstellen.
Im Ergebnis gilt dies auch für das Rundschreiben vom 21.5.2002. Auch hier deutet der Betreff "Das
Arzneimittelprogramm der KVB: individuelle Zielvereinbarung - Ihre Teilnahme lohnt sich!" und auch der Text,
insbesondere die Hervorhebungen nicht auf eine Bekanntmachung von Richtgrößen hin. Hervorgehoben und fett
gedruckt wurde insbesondere der Begriff "individuelle Zielvereinbarung". Die Auffassung der Beigeladenen zu 1) durch
den Hinweis im Rundschreiben vom 21. Mai 2002 "Sie haben Ihre neuen, verfeinerten Richtgrößen erhalten und
möglicherweise auch bereits eine Probeberechnung für die Praxis durchgeführt" seien die Richtgrößen Bestandteil des
Rundschreibens vom 21.05.2002 geworden, erscheint dem Gericht nahezu abenteuerlich, da eine Bekanntmachung
nur dann als ordnungsgemäß anzusehen ist, wenn Klarheit darüber herrscht, was überhaupt bekannt gemacht werden
soll. Das Rundschreiben vom 21.5.2002 entbehrt aber dieser erforderlichen Klarheit.
Somit verbleibt es bei dem Standpunkt des Gerichts, dass die Richtgrößen-Vereinbarung für das Kalenderjahr 2002
nicht wirk- sam bekannt gemacht wurde.
Selbst wenn man von einer wirksamen Bekanntmachung der Richtgrößen-Vereinbarung auszugehen hätte, fehlt aus
anderen Gründen, nämlich aus dem Grund der unzulässigen echten Rückwirkung der Richtgrößen-Vereinbarung die
Rechtsgrundlage für die vorgenommene Richtgrößenprüfung.
Indem die Richtgrößen für das Kalenderjahr 2002 - selbst wenn man eine ordnungsgemäße Bekanntmachung
unterstellt - erst im Mai 2002 bekannt gemacht wurden und zum 1.1.2002 wirksam wurden, handelt es sich um eine
echte Rückwirkung, die unzulässig ist.
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 2.11.2005 (Az.: B 6 KA 63/04 R) über die Frage der Rückwirkung von
Richtgrößen aus dem Jahr 1998 (Land Berlin) entschieden. Es hat die Auffassung vertreten, dass Richtgrößen, die
erst nach Jahresbeginn bekannt gemacht werden, Rückwirkung entfalten. Es handle sich um eine echte Rückwirkung,
die unzulässig sei.
Zugegebenermaßen bezieht sich die Entscheidung des Bundessozialgerichts auf eine Richtgrößen-Vereinbarung für
das Kalenderjahr 1998 (Land Berlin). Die darin aufgestellten Grundsätze haben jedoch nicht nur Geltung für die
spezielle Richtgrößenvereinbarung für das Kalenderjahr 1998, sondern auch für andere Richtgrößen-Vereinbarungen
der Folgejahre in anderen Kassenarztbezirken. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das BSG in seiner Entscheidung
wiederholt die spätere Rechtslage, insbesondere die ab dem 31.12.2001 geltende zitiert und auch zum Gegenstand
seiner Begründung macht. So wird beispielsweise bei der Darstellung der Zielvorgaben der Richtgrößen-Vereinbarung
u.a. § 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V i.d.F. des ABAG, gültig seit dem 31.12.2001, zitiert. Insofern kann die Auffassung der
Beigeladenen zu 1) nicht geteilt werden, das Urteil des Bundessozialgerichts vom 2.11.2005 könne auf den
vorliegenden Fall keine Anwendung finden.
Der Sinn und Zweck von Richtgrößen-Vereinbarungen, das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte im Interesse einer
Reduzierung des Ausgabenvolumens im Bereich vertragsärztlicher Verordnungen steuern, gilt auch für die
Richtgrößenvereinbarung 2002 in Bayern. Ausdrücklich stellt § 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V, gültig ab 31.12.2001 klar,
dass Richtgrößen den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmittel
nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten. Dies hat zur Folge, dass im Hinblick auf die steuernde Einwirkung auf
ärztliche Entscheidungen Richtgrößen bereits zu Beginn des Zeitraums vorliegen müssen, für den sie eine
Orientierung bieten soll. "Die mit ihnen verfolgten Ziele könnten sich nicht bei bereits getätigtem Verhalten entfalten;
das Normziel der Verhaltenssteuerung ging dann ins Leere" (BSG, Urteil vom 2.11.2005, Az.: B 6 KA 63/04 R). Nach
gefestigter Rechtsprechung ist zu unterscheiden zwischen der sog. unechten Rückwirkung und der echten
Rückwirkung. Während eine unechte Rückwirkung grundsätzlich für zulässig angesehen wird, ist eine echte
Rückwirkung grundsätzlich verboten. Letztere liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich ändernd in abgewickelte,
der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift. Hier wurde die Richtgrößenvereinbarung für das Kalenderjahr
2002 am 13.5.2002 unterzeichnet und zwar mit Wirkung für die Vergangenheit, nämlich zum 1.1.2002. "In dieser
Einbeziehung bereits unabänderlich getätigter Verordnungen liegt ein rückwirkender Eingriff in einen der Vergangenheit
angehörenden Sachverhalt vor ... Zudem kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass der Arzt ab dem
späteren Zeitpunkt, nachdem er schon in beträchtlichem Umfang Verordnungen getätigt hat, die Gefahr einer
Überschreitung der Richtgröße noch durch ein entsprechend geringeres Verordnungsvolumen im restlichen Teil des
Jahres ausreichen kann" (vgl. BSG, Urteil vom 2.11.2005, Az.: B 6 KA 63/04 R).
In diesem Sinne hat sich auch das Bayerische Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 17. Juli 2007 (Az.: L
12 B 795/06 KA ER) ausgesprochen. Wörtlich heißt es: "Der Senat teilt auf der Grundlage der gegebenen
Informationen die Einschätzung des Erstgerichts, dass die Einführung der neuen Richtgrößen Ende Mai 2002 nicht
mehr mit Rückwirkung möglich gewesen ist. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Enscheidung des
Erstgerichts Bezug."
Die echte Rückwirkung ist auch nicht deshalb als zulässig zu betrachten, weil der Gesetzgeber in § 84 Abs. 1 SGB V
vorsah, die Vertragspartner sollten erstmals bis zum 31. März 2002 Richtgrößen vereinbaren. Denn es handelt sich
hierbei um Verfahrensvorschriften, gerichtet an die Vertragspartner und nicht um einen "Freibrief" für die Vornahme
von echten unzulässigen Rückwirkungen. Auch der Gesetzgeber ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die
verfassungsgemäße Ordnung gebunden.
Ausnahmsweise ist eine echte Rückwirkung grundsätzlich dann zulässig, wenn die bisherige Rechtslage unklar,
verworren und lückenhaft war und der Gesetzgeber eine Klarstellung vorgenommen hat, wenn eine gerichtlich als
rechtswidrig angesehene Regelung durch eine neue ersetzt wird, wenn der Bürger nicht mit dem Fortbestand des
bisherigen Regelungszustandes rechnen konnte, wenn überragende Belange des Gemeinwohls deren Beseitigung
erforderlich machen oder wenn die Neuregelung nur einen marginalen Eingriff bedeutet (vgl. BSG, SozR 4-2500, § 85
Nr. 4 Rdnr. 15).
Als wichtigster Ausnahmefall ist der Fall anzusehen, wenn der Bürger mit dem Fortbestand der bisherigen Regelung
nicht rechnen konnte. Bereits mit Rundschreiben vom 20.8.2001 wurde den Vertragsärzten anlässlich der
Übersendung der Richtgrößen-Trendmeldung (Arzneimittelkosten im 1. Quartal 2001) mitgeteilt, dass für das Jahr
2002 neue Richtgrößen "angestrebt" werden. Da es sich jedoch um eine bloße Ankündigung bzw. Absichtserklärung
handelt - eine diesbezügliche gesetzliche Neuregelung war zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt nicht bekannt
und wurde erst am 19.12.2001 verabschiedet - ist nicht davon auszugehen, dass durch dieses Rundschreiben das
Vertrauen in den Fortbestand der alten Regelung gestört wurde. § 84 Abs. 6 SGB V i.d.F. vom 19.12.2001, gültig ab
31.12.2001 sowie das Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (ABAG), ausgefertigt am 19.12.2001,
gültig ab 31.12.2001 (Art. 3 § 1 Übergangsregelung für die Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2002)
machen aber deutlich, dass von den Vertragspartnern neue Richtgrößen vereinbart werden, und zwar
arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen, die nach Patientengruppen altersgemäß gegliedert sind und darüber
hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmt werden. Deshalb erscheint die Auffassung vertretbar, dass die
Vertragsärzte, so auch der Kläger mit Inkrafttreten der vorgenannten Regelungen nicht mehr mit dem Fortbestand der
alten Richtgrößen-Vereinbarung rechnen durfte. Im Übrigen war diese ja auch gekündigt.
Diese allgemein im Zusammenhang mit rückwirkenden Regelungen aufgestellten Ausnahmetatbestände gelten jedoch
nach Auffassung des Gerichts nicht für rückwirkende Richtgrößenvereinbarungen.
Zweifel, ob diese Ausnahmekonstellationen auch auf rückwirkende Richtgrößen-Vereinbarungen anzuwenden sind,
äußerte bereits das Bundessozialgericht in seiner bereits mehrfach genannten Entscheidung vom 2.11.2005. Das
BSG führte wörtlich aus: "Im Zusammenhang mit Richtgrößen ist allerdings schon fraglich, ob diese Ausnahmen
überhaupt geeignet sind, deren Rückwirkung zu rechtfertigen. Denn im Falle von Bestimmungen, die - wie hier - eine
Steuerungswirkung entfalten sollen, ist die beabsichtigte Steuerung für schon verstrichene Zeiträume
ausgeschlossen." Eine weitere Erörterung dieser Frage unterblieb jedoch, da das BSG in der genannten Entscheidung
die Auffassung vertrat, dass keiner der Ausnahmetatbestände gegeben sei.
Bei dem hier zu beurteilenden Verfahren schließt sich das Sozialgericht München den Zweifeln des BSG an. Denn
das beabsichtigte Steuerungsverhalten kann nur erzielt werden, wenn der einzelne Vertragsarzt von vornherein, d.h.
bereits zu Beginn des Kalenderjahres konkret um seine für ihn geltenden Richtgrößen weiß und er entsprechend sein
Verordnungsverhalten darauf einstellen kann. Es nützt ihm nichts, wenn er vorher davon in Kenntnis gesetzt wird,
dass neue Richtgrößen von den Vertragspartnern beschlossen werden, ohne deren konkreten Inhalt zu kennen.
Zu einer anderen Beurteilung führt auch der Hinweis der Beigeladenen zu 1) nicht, die Vertragsärzte könnten sich an
den alten Richtgrößen von 2000/2001 quasi als "Richtschnur" orientieren. Denn, wie in anderem Zusammenhang
auszuführen ist, sind die strukturellen Unterschiede zwischen der Richtgrößen-Vereinbarung 2000/2001 und der
Richtgrößen-Vereinbarung 2002 dermaßen gravierend, dass die Richtgrößen von 2000/2001 nicht als "Richtschnur" für
das Verordnungsverhalten im Kalenderjahr 2002 herangezogen werden können.
Trotzdem könnte die echte Rückwirkung der Richtgrößen-Vereinbarung für das Kalenderjahr 2002 rechtmäßig sein.
Dies ist dann der Fall, wenn die Richtgrößen keine Verschlechterung darstellen, also wenn bereits vorjährige
Richtgrößen mit gleichen oder engeren Vorgaben vereinbart waren, die einstweilen weiter galten. In diesem Fall stellen
die neuen Richtgrößen keinen "Eingriff" dar.
Das Sozialgericht München ist jedoch der Auffassung, dass die alten Richtgrößen von 2000/2001 bis zum
Inkrafttreten der neuen Richtgrößenvereinbarung nicht fortbestanden.
Nach § 89 Abs. 1 Satz 4 gelten zwar im Fall der Kündigung und Befassung des Schiedsamtes die Bestimmungen des
bisherigen Vertrages bis zur Entscheidung des Schiedsamtes vorläufig weiter. Andererseits bestimmt Art. 3 a ABAG
folgendes: "Kommen die Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 und 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)
sowie nach Art. 3 § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 innerhalb der dort genannten Fristen ganz oder teilweise nicht
zustande, setzt das von den Vertragsparteien gebildete Schiedsamt (§ 89 Abs. 1 und 2 des SGB V) den
Vertragsinhalt innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Fristablauf fest. Kommen die Vereinbarungen nach §
84 Abs. 7 und nach Art. 3 § 1 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 innerhalb der dort genannten Fristen ganz oder teilweise nicht
zustande, setzt das von den Vertragsparteien gebildete Schiedsamt (§ 89 Abs. 1 und 4 des SGB V) den
Vertragsinhalt innerhalb eines Zeitraums von einem Monat nach Fristablauf fest". In der letztgenannten Vorschrift ist -
anders als in § 89 Abs. 1 SGB V - nicht davon die Rede, dass die Bestimmungen des bisherigen Vertrages vorläufig
weiter gelten sollen. Das Sozialgericht München ist der Auffassung, dass Art. 3 a ABAG gegenüber § 89 Abs. 1 SGB
V lex specialis darstellt. Außerdem erscheint es äußerst fraglich, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des §
89 Abs. 1 SGB V vorliegen. Wie das Sozialgericht München in seinem Beschluss vom 14. August 2006 hingewiesen
hat, kommt eine Weitergeltung der bisherigen Regelung nur dann in Betracht, wenn ein schiedsamtliches Verfahren
bereits eingeleitet worden ist, wie die ausdrückliche zeitliche Beschränkung der Weitergeltung bis zur Entscheidung
durch das Schiedsamt in § 89 Abs. 1 Satz 4 SGB V zeigt (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 20.1.2005, Az.: L 7 B
20/04 KA ER). Hier wurde jedoch das Schiedsamt weder von den Vertragsparteien, noch von der Aufsichtsbehörde
angerufen.
Abgesehen davon setzt die Feststellung einer Verschlecherung voraus, dass die Richtgrößen 2000/2001 einerseits
und die Richtgrößen für 2002 vergleichbar (Vergleichbarkeit der Richtgrößen) sind. Das Bayerische
Landessozialgericht hat in seinem Beschluss vom 17.7.2007 diese Frage offen gelassen. Nach Auffassung des
Sozialgerichts München ist eine solche Vergleichbarkeit zu verneinen.
Für diese Rechtsauffassung spricht bereits die Regelung des § 84 Abs. 6 SGB V. Dort heißt es wie folgt: "Die
Vertragspartner nach Abs. 1 vereinbaren zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das
Kalenderjahr bezogene Volumen der ihr verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößen-Volumen)
arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1
getroffenen Arzneimittelvereinbarung, erstmals bis zum 31. März 2002. Zusätzlich sollen die Vertragspartner nach
Abs. 1 Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten
bestimmen." Bereits diese Formulierungen deuten auf gravierende strukturelle Unterschiede hin.
Auch die Ausgestaltung der Richtgrößen 2002 in Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben des § 84 Abs. 6 SGB V
bestätigt dies. So sah die Richtgrößenvereinbarung für 2000/2001 eine Aufteilung in Mitglieder/Familienversicherte
und Rentner vor, während die Richtgrößen-Vereinbarung für 2002 eine Einteilung in 6 Altersklassen und 36
Fachgruppen beinhaltete. Dies kommt auch in der dem Rundschreiben der Beigeladenen zu 1) vom 2. Mai 2002
beigefügten Anlage zum Ausdruck. Dort heißt es: "Die völlig neuartige Struktur sowie insbesondere die Höhe, die wir
auf der Basis der ordnungspolitischen Vorgaben absenken mussten, bedeuten für viele von uns eine erhebliche
Umstellung." Weiter ist in Anlage 1 a zu lesen: "Da sich die Kassen bisher weigerten, Daten zur Verfügung zu stellen,
ist der Vorstand der KVB aktiv geworden und hat eine neue, innovative Richtgrößenstruktur entwickelt. Dass die
Richtgrößen 2000/2001 mit den Richtgrößen 2002 nicht vergleichbar sind, ergibt sich außerdem aus dem im Rahmen
des Antragsverfahrens getätigten Schriftwechsel (Schreiben der KVB vom 27.7.2006 und 11.8.2006). Auf Seite 3 des
Schreibens der Beigeladenen zu 1) vom 27. Juli 2006 räumt diese ein, dass wegen der Gliederung nach Altersklassen
und gesondertem Sprechstundenbedarf die Einzelwerte nicht unmittelbar vergleichbar seien. Desgleichen bringt die
Beigeladene zu 1) im Schreiben vom 11.8.2006 (Seite 2 des Schreibens) zum Ausdruck, dass die Richtgrößen
2000/2001 (inklusive Anlage 2) nicht unmittelbar mit Richtgrößen bzw. den Ist-Ausgaben 2002 (exklusive Anlage 2)
verglichen werden könnten.
Mangels Vergleichbarkeit lässt sich keine Aussage dazu treffen, ob die Richtgrößen für 2002 gegenüber den alten
Richtgrößen eine Verschlechterung oder eine Verbesserung darstellen.
Insofern besteht auch keine Notwendigkeit, die Angaben der Beigeladenen zu 1) bzw. der Klägerseite zum
Ausgabevolumen (Richtgrößen-Vereinbarung 2000/2001 - Richtgrößen-Vereinbarung 2002) zu hinterfragen. Auch auf
die individuelle Betrachtungsweise, abgestellt auf den Kläger, kommt es nicht an.
Rechtsfolge der unzulässigen echten Rückwirkung ist nicht, dass bis zur Bekanntmachung der Richtgrößen-
Vereinbarung 2002 die alte Richtgrößen-Vereinbarung für 2000/2001 gilt (keine Geltung von § 89 Abs. 1 SGB V) und
dann ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung die Richtgrößen-Vereinbarung für 2002 (etwaige Mischkalkulation).
Rechtsfolge ist auch nicht, dass mit Bekanntmachung der Richtgrößen-Vereinbarung 2002 Ende Mai 2002 (fraglich)
diese ab diesem Zeitpunkt gültig wäre. Diese Rechtsauffassung scheint das Bayerische Landessozialgericht in
seinem Beschluss vom 17.7.2007 einzunehmen, wenn ausgeführt wird, dass ab dem Zeitpunkt, zu welchem den
Ärzten Informationen über die Richtgrößen-Vereinbarung zugänglich gewesen waren, nicht mehr von einer Störung des
Vertrauensschutzes - dem Hauptargument für das Verbot echter Rückwirkung - gesprochen werden könne. Aus
diesem Grund wurde auf die Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen der Beschluss des Sozialgerichts
München vom 4.8.2006 über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf einen Teilbetrag von 24.000
Euro aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen.
Es mag zwar sein, dass mit ordnungsgemäßer Bekanntgabe der Richtgrößen - diese unterstellt - für die Ärzte kein
Vertrauensschutz mehr besteht. Unabhängig davon darf aber das Jährlichkeitsprinzip für die Durchführung der Prüfung
nicht übersehen werden, wie es in § 106 Abs. 5 a Satz 1 SGB V und § 84 Abs. 6 Satz 1 ("für das auf das
Kalenderjahr bezogene Volumen") zum Ausdruck kommt. In diesem Zusammenhang wird auf die bereits mehrfach
zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 2.11.2005 (Az.: B 6 KA 63/04 R) hingewiesen. Insbesondere
macht sich das Gericht nachfolgende Begründungen zu eigen:
"Da die am 20. April 1998 abgeschlossene und im Juli 1998 bekannt gemachte Richtgrößen-Vereinbarung also keine
Rückwirkung entfalten konnte, galten die darin festgelegten Richtgrößen nur für den Zeitraum ab Juli 1998. Damit gab
es aber keine geeignete Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Richtgrößenprüfung bezogen auf das Jahr 1998
und dementsprechend auch nicht für die Festsetzung eines Regresses wegen zu großer Verordnungsvolumina im
Jahr 1998. Denn Richtgrößenprüfungen und -regresse müssen immer auf ein gesamtes Jahr bezogen sein ... Die
Erstreckung immer auf ein gesamtes Jahr gründet sich in der Sache darauf, dass die Verordnungsintensität in den
vier Quartalen eines Jahres typischerweise unterschiedlich ist, nämlich vielfach die ersten beiden Quartale mehr
Verordnungen erfordern, das 3. Quartal, in dem sich viele Versicherte - und unter Umständen auch die Ärzte - in den
Urlaub begeben, dagegen häufig ein unterdurchschnittliches Verordnungsvolumen aufweist".
Diese grundsätzlichen Aussagen gelten nach Auffassung des Sozialgerichts München auch für die Richtgrößen-
Vereinbarung des Kalenderjahres 2002 (Kassenarztbezirk Bayern). Somit fehlt die Rechtsgrundlage für die
Durchführung einer Richtgrößenprüfung und entsprechend für die Festsetzung von Regressen im Kalenderjahr 2002.
Aus den genannten Gründen war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.