Urteil des SozG München vom 22.02.2007

SozG München: ingenieur, assistent, anerkennung, zugehörigkeit, berechtigung, verordnung, hochschule, techniker, kreis, ddr

Sozialgericht München
Urteil vom 22.02.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 17 R 2475/05
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme die Beschäftigungszeiten des
Klägers von 01.05.1967 bis 30.05.1972 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der
technischen Intelligenz (AVItech, Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) und
die hieraus erzielten Arbeitsverdienste festzustellen hat.
Der 1944 geborene Kläger absolvierte nach Beendigung der Schulausbildung mit der Reifeprüfung eine Lehre zum
technischen Rechner (02.09.1964 bis 31.08.1964) und war ab 01.09.1964 als technischer Rechner (Facharbeiter) an
der Technischen Hochschule I. beschäftigt. Nachdem er von 02.11.1965 bis 28.04.1967 den Wehrdienst abgeleistet
hatte, war er von 02.05.1967 bis 31.08.1970 wieder als technischer Rechner tätig (Arbeitsvertrag vom 02.05.1967),
wobei er die "Dienststellung" mathematisch-technischer Assistent innehatte (so Gehaltseinstufungsanordnung der
Personalabteilung der Hochschule vom 02.05.1967). Ab 01.09.1970 übte er die "Tätigkeit als Wartungsingenieur" aus
(so Änderungsverträge vom 21.01.1974 und 01.11.1975).
Das am 01.09.1964 an der Technischen Hochschule I. begonnene Abendstudium beendete der Kläger erfolgreich mit
der Hauptprüfung am 10.05.1972. Laut Zeugnis der Technischen Hochschule I. vom 10.05.1972 erlangte er damit die
Berechtigung, die Berufsbezeichnung Hochschul-Ingenieur zu führen. Mit Diplom-Zeugnis vom 18.01.1973 erhielt er
den akademischen Grad Diplom-Ingenieur.
Die Beschäftigung des Klägers als Wartungsingenieur endete Anfang Januar 1983 durch seine Entlassung. Bevor er
am 25.11.1985 in die Bundesrepublik ausreisen durfte, war er von 10.01.1983 bis 24.11.1985 arbeitslos.
Der Kläger ist als Verfolgter im Sinn des § 1 Abs. 1 Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes anerkannt. Mit
"Rehabilitierungsbescheinigung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz" des Freistaats T. vom 22.08.2003 ist
u.a. geregelt, dass die Verfolgungszeit von 10.01.1983 bis 24.11.1985 dauerte und dass der Kläger dem
Zusatzversorgungssystem Anlage 1 Nr. 1 zuzuordnen ist.
Mit "Zuordnungsbescheid (kein Rentenbescheid) über Zeiten nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz
(BerRehaG)" vom 11.02.2005 stellte die Beklagte die Entgelte für die Zeit von 10.01.1983 bis 24.11.1985 fest und
anerkannte als nachgewiesene Zeiten zur Altersversorgung der technischen Intelligenz die Zeiten von 01.05.1972 bis
09.01.1983. Abgelehnt wurde mit diesem Bescheid die Anerkennung der Zeit von 01.05.1967 bis 30.04.1967 mit der
Begründung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusätzlichen
Altersversorgung der technischen Intelligenz nicht vorlägen. Voraussetzung sei eine erfolgreich abgelegte
Ingenieurprüfung gewesen.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass ihm die zusätzliche Altersversorgung der technischen
Intelligenz auch für die Zeit von 01.05.1967 bis 30.04.1972 zustehe. Der Beruf als mathematisch-technischer
Assistent entspreche dem eines Technikers in einem volkseigenen Produktionsbetrieb. Ab 01.09.1970 sei er
entsprechend dem Stand seiner Hochschulausbildung als Wartungsingenieur im Rechenzentrum der TH I. beschäftigt
gewesen. Alle Voraussetzungen zu einer Einstufung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz ab 01.05.1967
seien deshalb "inbezug von Qualifikation und Beschäftigung ... so gleichsam erfüllt." Der Widerspruch wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 20.07.2005 abgelehnt. Es bestehe kein Anspruch auf die Feststellung weiterer
Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG, weil sämtliche Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die Altersversorgung
der technischen Intelligenz erst ab 10.05.1972 nach erfolgreichem Hochschulabschluss erfüllt seien.
Mit der am 19.08.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er vertritt die Auffassung, dass die
Bezeichnungen als mathematisch- technischer Assistent und Wartungsingenieur in Arbeitsverträgen u.ä.
gleichzusetzen sei mit der Verleihung des Titels eines Technikers bzw. Ingenieurs. Außerdem ist er der Meinung,
dass die streitigen Fragen schon mit dem Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.03.1990, das die
Leistungsgruppeneinstufung betrifft, entschieden worden seien. Schließlich lässt er vorbringen, dass die staatliche
Anerkennung als technischer Assistent nach § 1 Abs. 3 der Anordnung über die Ausbildung von technischen
Assistenten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften vom 10.12.1960 dem Abschluss als Techniker entspreche.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10.02.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 20.07.2005 zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten von 01.05.1967 bis 30.04.1972 als
Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum
erzielten Entgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie begründet dies weiterhin damit, dass die Berechtigung zur Führung einer Berufsbezeichnung als Voraussetzung
für die Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz erst ab 10.05.1972 vorgelegen habe. Zu
unterscheiden sei zwischen der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit (Dienststellung) und der aufgrund einer
abgeschlossenen Ausbildung erworbenen Qualifikation. Nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung
"Ingenieur" vom 12.04.1962 seien Ingenieure im Sinn der Altersversorgung der technischen Intelligenz alle Personen
gewesen, die nach Ablegung einer technischen Prüfung/eines technischen Examens die Berufsbezeichnung
"Ingenieur" führen durften. Dieser Titel habe durch einen besonderen Staatsakt verliehen werden müssen. Die
Bezeichnungen "Mathematisch-technischer Assistent" und "Wartungsingenieur" seien keine eigenständige Titel,
sondern Tätigkeitsbezeichnungen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Beklagtenakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid vom 11.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2005 ist auch insoweit rechtmäßig,
als die Anerkennung der weiteren Beschäftigungszeiten von 01.05.1967 bis 30.04.1972 als Zeiten der Zugehörigkeit
zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz abgelehnt wurde. Der Kläger hat gegen die Beklagte als
Versorgungsträger der Zusatzversorgungssysteme keinen Anspruch darauf, dass in einem Feststellungsverfahren
nach § 8 AAÜG Feststellungen auch für die Zeit von 01.05.1967 bis 30.04.1972 getroffen werden.
Mit Rehabilitierungsbescheid vom 22.08.2003 wurde zwar bestandskräftig geregelt, dass der Kläger dem
Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (§ 1 Abs. 2 AAÜG i.V.m. Anlage 1 Nr. 1) zugeordnet ist. Damit
ist aber, abgesehen von der Verfolgungszeit selbst (1983 bis 1985), noch nicht festgestellt, welche Zeiträume als
Pflichtbeitragszeiten gemäß § 5 AAÜG anerkennungsfähig sind.
Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gelten als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung Zeiten der Zugehörigkeit zu
einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist. Entscheidend ist, in
welchem Zeitraum eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt wurde, für die eine zusätzliche Altersversorgung
vorgesehen war. Die Frage der Feststellung von Zeiten nach dem AAÜG beantwortet sich also danach, ob eine
tatsächlich ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach (abstrakt-generell) zu denjenigen gehört, derentwegen das
Versorgungssystem errichtet worden ist. Dies ist nach objektiver Auslegung des Bundesrechts in faktischer
Anknüpfung an die von der DDR erlassenen Versorgungsordnungen zu prüfen, wobei nur diejenigen Regelungen
Bundesrecht geworden sind, die als zwingende Bestimmungen gebundenen Verwaltungshandelns verstanden werden
können, nicht also Regelungen, die eine bewertende oder eine Ermessensentscheidung eines Entscheidungsträgers
der DDR vorsahen (vgl. z.B. BSG vom 10.04.2002, B 4 RA 32/01 R; vom 10.02.2002, B 4 RA 18/01 R).
Maßgeblich sind also die Voraussetzungen gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der
technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben - VO-AVItech - vom 17.08.1950 (GBl
S. 844) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom
24.05.1951 (GBl S. 487). Die Altersversorgung der technischen Intelligenz war eingerichtet für Personen, 1. die
berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und 2. die eine
entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar 3. in einem volkseigenen
Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche
Voraussetzung),
Für die streitgegenständliche Zeit vor 01.05.1967 ist die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt, denn der Kläger hat
erst mit bestandener Hauptprüfung am 10.05.1967 die Berechtigung erworben, die Berufsbezeichnung Hochschul-
Ingenieur zu führen. Zuvor war er weder berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen, noch berechtigt, den Titel
eines Technikers zu führen. Auf die sachliche und die betriebliche Voraussetzung kommt es damit nicht mehr an.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung macht deutlich, dass die technische Intelligenz nicht insgesamt
erfasst war, sondern innerhalb dieser sozialen Gruppe nur ganz bestimmte Professionen. Geregelt ist hier unter der
Überschrift "Versorgungsberechtigte aus dem Kreis der technischen Intelligenz", dass als Angehörige der technischen
Intelligenz im Sinn des § 1 der Verordnung vom 17.08.1950 "gelten: Ingenieure, Konstrukteure, Architekten und
Techniker aller Spezialgebiete, wie Ingenieure und Techniker des Bergbaues, der Metallurgie, des Maschinenbaues,
der Elektrotechnik, der Feinmechanik und Optik, der Chemie, des Bauwesens und Statiker. Zu diesem Kreis gehören
ferner Werkdirektoren und Lehrer technischer Fächer an den Fach- und Hochschulen." Für "andere Spezialisten, die
nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers haben, aber durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluß auf den
Produktionsprozeß ausüben," eröffnete § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. Durchführungsbestimmung die Möglichkeit, auf
Antrag auf Grund einer Ermessensentscheidung in das Versorgungssystem einbezogen zu werden.
Zu Unrecht berühmt sich der Kläger des Titels eines Technikers für die Zeit ab 01.05.1967. Er war ab diesem
Zeitpunkt als mathematisch-technischer Assistent beschäftigt. Damit konnte er nicht die Berechtigung erworben
haben, den Titel eines Technikers zu führen. Vielmehr wäre er nur zur Führung der Berufsbezeichnung "Technischer
Assistent" berechtigt gewesen, wenn die Voraussetzungen für die entsprechende Anerkennung erfüllt gewesen wären,
was hier nicht zu prüfen ist. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Anordnung über die Ausbildung von technischen
Assistenten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften vom 10.12.1960 (GBl 1961 S. 3). Hier ist durchaus, wie vom
Kläger in Bezug genommen, geregelt, dass die staatliche Anerkennung dem Abschluss als Techniker entspreche.
Derselbe Satz findet aber seine Fortsetzung damit, dass die staatliche Anerkennung zur Führung der
Berufsbezeichnung "Technischer Assistent", z.B. für Physik, Mathematik, Technik, Metallographie, berechtige.
Technische Assistenten sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung nicht in die zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen gewesen (ebenso BSG vom 26.10.2004, B 4 RA 35/04).
Ebensowenig stichhaltig ist die Auffassung des Klägers, er sei seit 01.09.1970 berechtigt gewesen, den Titel
Ingenieur zu tragen, weil er seit diesem Zeitpunkt als Wartungsingenieur tätig gewesen sei. Die bloße tatsächliche
Ausübung von ingenieurtechnischen Arbeiten reicht nicht aus, um die Voraussetzungen der Zugehörigkeit zur
technischen Intelligenz zu erfüllen (vgl. BSG vom10.02.2002, B 4 RA 18/01). Vielmehr muss außerdem ein Recht auf
Führung des Titels "Ingenieur" bestanden haben. Die Berechtigung zur Führung des Titels Ingenieur war geregelt
durch die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12.04.1962 (GBl S. 278) (dazu
ausführlich BSG vom 10.02.2002, B 4 RA 18/01; vom 16.03.2006, B 4 RA 29/05). Der Kläger erhielt erst durch das
Ingenieurzeugnis vom 10.05.1967 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (§ 1 Abs. 1 Buchst. c
der Verordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.