Urteil des SozG München vom 22.03.2008

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Sozialgericht München
Urteil vom 22.03.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 34 AL 1228/05
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist als Leistung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben die Übernahme der Kosten eines
Plattformlifts für den barrierefreien Zugang zur Garage.
Der 1974 geborene Kläger ist als Querschnittsgelähmter auf einen Rollstuhl angewiesen. Nach dem
Schwerbehindertenrecht ist für seine Behinderung ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G", "aG" und "H" festgestellt. Der Kläger ist als
Systembetreuer bei Firma P. M. angestellt. Er ist derzeit bei der BMW AG am S.bogen in M. eingesetzt.
Für den Arbeitsweg von seiner früheren Wohnung in der G.straße zum S.bogen wurde dem Kläger im Jahr 2002 Hilfe
zur Beschaffung eines gebrauchten Opel Zafira mit Automatik sowie die Förderung der behinderungsbedingt
notwendigen Zusatzausstattung gewährt. Im Rahmen der Zusatzausstattung wurde seinerzeit wegen des Fehlens
eines Abstellplatzes auch eine Standheizung gefördert.
Der Kläger erwarb eine am 1.6.2005 bezogene Eigentumswohnung im Anwesen am S., M ... Zur barrierefreien
Gestaltung des Weges von dieser Wohnung zu seinem Tiefgaragenstellplatz beantragte der Kläger am 14.2.2005 die
Förderung eines Plattformliftes. Vorgelegt wurden Kostenvoranschläge der Firma Thyssen-Krupp in Höhe von 9.918,-
Euro sowie der Firma Perfecta-Lift GmbH von 10.924,- Euro.
In seiner Stellungnahme vom 14.3.2005 hielt der Technische Beratungsdienst der Beklagten es weiterhin für
zumutbar, das Fahrzeug im Freien abzustellen. Hierfür sei bereits eine Standheizung behinderungsbedingt gefördert
worden. Weiter wurde bemängelt, dass der Kläger beim Kauf der Wohnung selbst nicht auf den barrierefreien Zugang
zur Garage geachtet hatte. Bei der Begehung des Arbeitswegs zwischen der neuen Wohnung und dem Arbeitsplatz
wurde die Möglichkeit der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln als zumutbar angesehen. In diesem
Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger in der ersten Bundesliga Rollstuhl-Basketball spielt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.4.2005 lehnte die Agentur für Arbeit München den Antrag auf
Kostenübernahme für den Plattformlift ab. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass zur barrierefreien
Gestaltung der Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz die Notwendigkeit aus technischer Sicht nicht zu
erkennen sei. Dem Kläger könne weiter zugemutet werden, sein Auto im Freien abzustellen. Eine Standheizung sei
bereits im Rahmen der Kraftfahrzeughilfe gefördert worden. Durch den Umzug könne im Übrigen die Wegstrecke
zwischen der neuen Wohnung und dem Arbeitsplatz barrierefrei mit dem Rollstuhl bewältigt werden.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 28.4.2005. Der Kläger wies in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass der Fahrstuhl an der U-Bahn Haltestelle häufig ausfalle. Auch sei im Winter der Weg zur U-Bahn nur
unzureichend geräumt und deshalb mit dem Rollstuhl nicht befahrbar. Auf dem Arbeitsweg müsse er mit dem
Rollstuhl in der D.Straße Gleise überqueren. Hier habe er sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien können, wenn er
mit dem Rollstuhl in den Gleisen steckengeblieben sei. Vor allem im Winter sei er somit auf die Benutzung des
Kraftfahrzeugs zur Erreichung des Arbeitsplatzes angewiesen.
Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 1.8.2005).
Mit der mit Klageschrift vom 29.8.2005, beim Sozialgericht München eingegangen am 30.8.2005, erhobenen Klage
verfolgt der Kläger sein Widerspruchsbegehren weiter. Zur Begründung hat sein Bevollmächtigter im Wesentlichen
ausgeführt, dem Kläger sei mit Bescheid vom 14.10.2002 im Wege der Kraftfahrzeughilfe die Beschaffung eines
behinderungsgerechten Pkw bewilligt worden. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich umgezogen sei und über einen
Tiefgaragenplatz verfüge, benötige er den streitgegenständlichen Plattformlift, um die Tiefgarage (Treppe mit fünf
Stufen) erreichen zu können. Andernfalls könne er das Auto nicht benutzen und seinen Arbeitsplatz nicht erreichen.
Bei schlechtem Wetter und im Winter könne der Kläger auch nicht darauf verwiesen werden, sein Kfz auf der Straße
abzustellen. Die weitere Argumentation der Beklagten im Widerspruchsbescheid, der Plattformlift würde nicht
ausschließlich dazu dienen, den Arbeitsplatz zu erreichen, sondern würde auch privat benutzt werden, gehe fehl. Im
vorliegenden Fall liege eine Ermessensbindung der Beklagten vor, da zum Erreichen des Arbeitsplatzes ein Kfz
bewilligt worden sei. Unstreitig sei, dass Rechtsgrundlage für die beantragte Leistung § 33 Abs. 8 Sozialgesetzbuch
Neuntes Buch (SGB IX) ist. Mit Bezug auf § 14 Abs. 1 SGB IX hat der Bevollmächtigte des Klägers darauf
hingewiesen, dass der beantragte Plattformlift offensichtlich kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen
Krankenversicherung sei.
Die Beklagte hat unter Vorlage der Reha-Akte mit Schreiben vom 19.10.2005 unter Bezugnahme auf die Gründe des
Widerspruchsbescheides die Abweisung der Klage beantragt.
In der mündlichen Verhandlung stellt der Bevollmächtigte des Klägers den Antrag aus der Klageschrift vom 29.8.2005.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird wegen weiterer Einzelheiten auf den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte
sowie der Sozialgerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß erhobene Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Die Beklagte hat mit Bescheid der Agentur für Arbeit München vom 11.4.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 1.8.2005 die Übernahme der Kosten eines Plattformliftes als Leistung zur Teilhabe
behinderter Menschen am Arbeitsleben zu Recht abgelehnt.
Nach § 97 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) können behinderte Menschen Leistungen zur Förderung
der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre
Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen oder ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu
sichern. Eine nähere Ausgestaltung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat der Gesetzgeber in § 33
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) getroffen. Nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX umfassen die Leistungen
insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und
Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen und nach § 33 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX sonstige Hilfen zur
Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung
oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.
Leistungen nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 SGB IX umfassen auch Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-
Verordnung (§ 33 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX) Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur
Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf
dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des
Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können (§ 33 Abs. 8 Nr. 4
SGB IX) und Kosten der Beschaffung, der Ausstattung und der Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung im
angemessenen Umfang (§ 33 Abs. 8 Nr. 6 SGB IX).
Der behinderungsgerechte Zugang zur Garage über den Treppenlift unterfällt hierbei nicht dem Leistungskatalog der
Kraftfahrzeughilfe-Verordnung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Leistungskatalog der
Kraftfahrzeughilfe-Verordnung abschließend. Er umfasst vor allem keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten
eines Abstellplatzes (BSG-Urteil vom 8.2.2007, B 7 a AL 34/06 R). Wenn damit bereit die Kosten eines Kfz-
Stellplatzes nicht vom Leistungskatalog der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung abgedeckt sind, gilt dies erst recht für die
vom Kläger geltend gemachten Kosten des behinderungsgerechten Zugangs zum Garagenplatz.
Der klägerische Anspruch kann auch nicht aus § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX hergeleitet werden. Genannte Vorschrift
betrifft Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung
zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Wege von und zum Arbeitsplatz erforderlich
sind. Wie der Bevollmächtigte des Klägers bereits selbst vorgetragen hat, handelt es sich bei dem Plattformlift nicht
um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im Sinne der
Krankenversicherung. Eine Anpassung des Wohnumfeldes an die Behinderung des Betroffenen fällt als sog.
wohnumfeldverbessernde Maßnahme nicht unter den Hilfsmittelbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung. Daher
sind nach Ansicht des BSG Hilfen, die fest mit einem Gebäude verbunden sind oder sonst der Anpassung des
individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten dienen, keine erforderlichen Hilfsmittel im Sinne des § 33
Abs. 1 SGB V. Die für den Bereich des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausdrücklich niedergelegte Regelung,
dass "unbewegliche Gegenstände" nicht geliefert werden und damit von der Versorgung mit Hilfsmitteln
ausgeschlossen sind, gilt nach Ansicht des BSG in entsprechender Weise auch für die gesetzliche
Krankenversicherung. Wie der Vergleich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Hilfsmittelbegriff
nach dem BVG zeigt, ist eine einheitliche Auslegung des Hilfsmittelbegriffes geboten. Gründe für eine abweichende
Auslegung des Hilfsmittelbegriffes des § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX sind nicht ersichtlich.
Der Einbau des zum barrierefreien Erreichens der Garage erforderlichen Plattformlifts kann auch nicht unter § 33 Abs.
8 Nr. 6 SGB IX subsumiert werden. Nach dieser Vorschrift umfasst der Leistungskatalog Kosten der Beschaffung, der
Ausstattung und der Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung im angemessenen Umfang. Es bedarf hier keiner
weiteren Erläuterung, dass eine Garage nicht notwendigerweise zum Umfang einer Wohnung gehört.
Die Klage war nach alledem abzuweisen, da eine die Beklagte verpflichtende sozialrechtliche Anspruchsnorm nicht
vorliegt.
Von einer weiteren Begründung des Urteils wird in Anwendung des § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
abgesehen, da sich die Kammer bei ihrer Entscheidung den zutreffenden Gründen des angefochtenen
Widerspruchsbescheides vom 1.8.2005 angeschlossen hat und auf diese zur weiteren Urteilsbegründung verwiesen
wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.