Urteil des SozG München vom 21.02.2008

SozG München: steuer, nachtarbeit, pauschalierung, beitragsnachforderung, nettolohn, auszahlung, verrechnung, dokumentation, umwandlung, behandlung

Sozialgericht München
Urteil vom 21.02.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 R 2651/06
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 427/08
I. Der Bescheid vom 1. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 wird
aufgehoben. II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von EUR 23.418,66. In Auswertung der
Ergebnisse einer von 18.07. bis 20.07.2005 nach § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) bei der Klägerin
durchgeführten Betriebsprüfung erließ die Beklagte am 01.08.2005 den angefochtenen Bescheid über die
Beitragsnachforderung in der genannten Höhe für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 30.06.2005. Zu der für die
Differenz der Beitragsberechnungen fast ausschließlich maßgeblichen Behandlung der Zuschläge für Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit führte der Bescheid aus: "Nach dem vorliegenden Arbeitsvertrag garantiert der Arbeitgeber
Z. OHG den Angestellten eine feste Summe (Effektivlohn). Diese Summe schuldet der Arbeitgeber unabhängig
davon, ob und in welcher Höhe der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die steuerfreien Leistungen erfüllt.
Rechnerisch führt die vereinbarte Abrechnungsweise dazu, dass sich der Lohn für geleistete Arbeit jeweils um den
Betrag verringert, der dem Arbeitnehmer als sog. Zusatzleistung zufließt. Der Arbeitnehmer profitiert daher nicht wie
eigentlich vorgesehen von der Zusatzleistung, sondern erreicht im Gegenteil eine Minderung seines
Grundlohnanspruches für geleistete Arbeit. Je mehr steuerfreie Lohnbestandteile anfallen, desto niedriger wird der
eigentliche Grundlohn (Bruttobasislohn plus Ergänzungslohn). Daraus wird nach unserer Ansicht deutlich, dass der
Arbeitgeber abrechnungstechnisch lediglich eine Lohnart mit der anderen verrechnet bzw. ersetzt, im Ergebnis für den
Arbeitnehmer jedoch keine Änderung des Netto-Garantiebetrages (Effektivlohn) eintritt. Dadurch geht auch die vom
Gesetzgeber gewollte Begünstigung, durch Steuerfreiheit bestimmter Zuschläge bzw. zusätzlicher Leistungen des
Arbeitgebers ein höheres Nettoentgelt zu erzielen, ins Leere. Ein solcher abrechnungstechnischer Vorgang führt auch
nicht zur Annahme einer zusätzlichen Leistung im Sinne der Sozialversicherung und in der Folge auch nicht zur
Beitragsfreiheit nach § 1 ArEV. Bei den Arbeitsverträgen zwischen der Z. OHG und den Angestellten handelt es sich
um eine Nettolohnvereinbarung im Sinne des § 14 Abs. 2 SGB IV. Dabei werden in die Vereinbarung auch
schwankende beitragsfreie Bezügeteile mit einbezogen. Dies führt dazu, dass die beitragsfreien Bezügeteile ebenfalls
schwanken. Der Sinn und der Zweck von steuerfreien Leistungen, nämlich den Beschäftigten ein höheres
Nettoarbeitsentgelt zukommen zu lassen, wird durch die Vereinbarung umgangen. Je mehr der Beschäftigte an Sonn-
und Feiertagen arbeitet, desto niedriger wird sein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt und damit sein Leistungsanspruch
aus der Sozialversicherung. In der Schlussbesprechung wurde angeführt, dass es im Hintergrund der
Programmberechnung ein Guthabenkonto gäbe, auf dem ein Ausgleich zwischen einzelnen Monaten mit zu hohen
bzw. zu niedrigen Auszahlungsbeträgen (Effektivlohn) stattfind et. Die Existenz eines solchen Guthabenkontos
konnte nicht nachvollzogen werden. Die Nettolohnabrechnung erfolgt in allen Stichproben nach den im jeweiligen
Monat entstandenen Zuschlagszahlungen. Im Ergebnis wird Arbeitsentgelt umgewandelt." Bestandteil des
Bescheides war die Dokumentation der detaillierten Beitragsforderungen aus Beschäftigungsverhältnissen der Jahre
2001 bis 2005. Mit dem Widerspruch hiergegen bestreitet die Klägerin die Anwendung einer Nettolohnvereinbarung. Es
handele sich vielmehr um eine "abgeleitete Nettolohnvereinbarung". Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass die
Parteien zunächst den Bruttobetrag als Geschäftsgrundlage bestimmen und alsdann in Kenntnis der infrage
stehenden Abzüge den Nettolohn den Verhandlungen zugrundeliegen. Die konstante geschuldete Größe sei nach dem
Parteiwillen der Bruttolohn. Es sei von einer abgeleiteten Nettolohnvereinbarung auszugehen, wenn sich der
Arbeitgeber nach den für die Höhe der Lohnsteuer erheblichen Umständen erkundigt, etwa nach der Lohnsteuerklasse
oder der Zahl der Kinder. Vorliegend sei beispielsweise für jede arbeitsrechtlich geschuldete Arbeitsstunde ein
Bruttobasislohn von EUR 5,00 vereinbart. Zusätzlich erhalte der Arbeitnehmer die aus seiner Arbeitszeit
resultierenden möglichen Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge (SFN-Zuschläge) nach § 3 b
Einkommensteuergesetz (EStG) als Teillohn des vereinbarten durchschnittlichen Effektivlohns pro Stunde für
tatsächlich geleistete Arbeitsstunden. Der vereinbarte durchschnittliche Effektivlohn (Auszahlung) betrage im
Beispielsfall EUR 6,61 pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Sollte durch eine entsprechende Arbeitszeitplanung
ein höherer Auszahlungsbetrag zustande kommen, so gelte als vereinbart, dass der Differenzbetrag auf dem
Lohnkonto als Guthaben zum Ausgleich bei geringeren durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen pro geleisteter
Arbeitsstunde verrechnet wird. Der Basisgrundlohn pro Stunde werde nicht in Abhängigkeit von der Höhe der
jeweiligen steuerfreien Zuschläge vermindert. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2006 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Sie hielt an der Annahme einer Nettolohnvereinbarung fest. Entsprechend den vorliegenden
Arbeitsverträgen erhalte der Arbeitnehmer einen Bruttobasisgrundlohn von z. B. EUR 5,00. Zusätzlich erhalte er die
aus seiner Arbeitszeit resultierenden möglichen SFN-Zuschläge. Der vereinbarte durchschnittliche Effektivlohn
(Auszahlung) betrage zum Beispiel EUR 6,32 pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Sollte sich aufgrund der
Arbeitszeitplanung ein geringerer durchschnittlicher Auszahlungsbetrag pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde
ergeben, so sei der Basisgrundlohn so zu erhöhen, dass sich hieraus der vereinbarte durchschnittliche
Auszahlungsbetrag ergebe. Die Erhöhung des Basisgrundlohn erfolge dabei durch Zahlung eines Ergänzungslohns.
Der Vergleich der einzelnen Abrechnungen eines Arbeitnehmers ergebe, dass bei monatlich gleichbleibender
Arbeitszeit trotz unterschiedlicher SFN-Zuschläge durch die Gewährung des Ergänzungslohns der Nettoverdienst
kaum Schwankungen unterliege. Je höher die Zuschläge seien, desto geringer werde der Ergänzungslohn und
umgekehrt. Im Ergebnis werde der Arbeitnehmer nicht für die Arbeit zu ungünstigen Zeiten entschädigt, da der
Nettoverdienst aufgrund der Zahlungen des Ergänzungslohns von den Zuschlägen nicht beeinflusst werde und im
Ergebnis keinen Schwankungen unterliege. Der Sinn und Zweck steuerfreier Leistungen, nämlich den Beschäftigten
ein höheres Nettoarbeitsentgelt zukommen zu lassen, werde durch die getroffenen Vereinbarungen unterlaufen. Die
Klage wiederholt im Wesentlichen die Rügen aus dem Widerspruch. Im einzelnen wird vorgetragen, die
Vergütungsabrede mit Bruttobasislohn und Ergänzungslohn solle eine möglichst gleichmäßige Entlohnung
sicherstellen. Die Behauptung der Beklagten sei falsch, dass lediglich eine Lohnart mit der anderen verrechnet bzw.
ersetzt werde. Ebenso falsch sei, dass sich die Gewährung der Zuschläge nicht in entsprechend höheren
Nettobezügen auswirke. Den einzelnen Entgeltabrechnungen sei zu entnehmen, dass der Arbeitnehmer um so
weniger Stunden für das gleiche Gehalt arbeiten müsse, je mehr SFN-Dienste er leiste. Damit sei die vorgeworfene
Umwandlung steuer- und beitragspflichtigen Entgelts in die hiervon befreiten Zuschläge widerlegt. Die Zahlung des in
Streit stehenden Ergänzungslohnes als so genannten Grundlohnzusatzes nach R 30 Abs. 2 Absatz 2 b S. 1 der
Lohnsteuerrichtlinien (LStR) ändere nichts am Charakter der SFN-Zuschläge. Die Klägerin weist auf R Abs. 7 LStR
hin, der eine Pauschalierung dieser Zuschläge zulässt.
Die Klägerin beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.08.2006.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte
sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist auch begründet. Der Gesetzgeber hat das Recht der
Beitragsüberwachung mit Gesetz vom 30.06.1995 (BGBl. I S. 890) mit Wirkung zum 01.01.1996 in seine im
wesentlichen noch heute gültige Form gebracht. Wichtigstes Ziel der Reform von 1995 war es, die Kontrolle aus der
bisherigen Zusammenarbeit von Krankenkassen als Einzugsstellen und Rentenversicherungsträgern in die alleinige
Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger zu überführen. Motiv hierfür war die Befürchtung, unter dem Vorzeichen
der vom Gesetzgeber gewollten vermehrten Konkurrenz zwischen den Krankenkassen könne deren
Überwachungstätigkeit in schädlicher Weise von dem Bestreben beeinflusst werden, eine Abwanderung von
Arbeitgebern und Versicherten zu vermeiden oder sich hinsichtlich der Beitragsstrenge attraktiv für neue "Kunden" zu
zeigen, s.a. BT-Drucks. 13/1205, zitiert in VDR, Kommentar zur Gesetzlichen Rentenversicherung, Rn. 1.2 zu § 28 p
Sozialgesetzbuch IV (SGB IV). Die von der Beklagten im Rahmen ihrer Überprüfungsbefugnis erhobene
Beitragsnachforderung beruht auf einer fehlerhaften Interpretation des Sachverhaltes, obwohl die Klägerin diesen in
außerordentlich sorgfältiger und umfangreicher Form dargestellt hat. Die Entlohnung jedes der in der Gastronomie
tätigen Beschäftigten der Klägerin ergibt sich aus drei Elementen. Wichtigstes Element ist der keinesfalls
unterschreitbare pro Arbeitsstunde geschuldete Basisgrundlohn. Zweites Element sind die für die
Einkommenssituation von Gastronomiepersonal sehr bedeutsamen SFN-Zuschläge. Zu deren Dokumentation und
ihrer Berücksichtigung im Sinne eines Entfalls der Steuer- und Beitragsspflicht muss R 30 Abs. 7 LStR berücksichtigt
werden, wonach eine großzügige Pauschalierung erlaubt ist. Die Vorschrift lautet: Werden Zuschläge für Sonntags-,
Feiertags- oder Nachtarbeit als laufende Pauschale, z. B. Monatspauschale, gezahlt und wird eine Verrechnung mit
den Zuschlägen, die für die einzelne nachgewiesenen Zeiten für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit aufgrund von
Einzelberechnungen zu zahlen wären, erst später vorgenommen, so kann die laufende Pauschale oder ein Teil davon
steuerfrei belassen werden, wenn 1 ... 2. der steuerfreie Betrag nach dem durchschnittlichen Grundlohn und der
durchschnittlichen Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit bemessen wird, 3. die Verrechnung mit den einzelnen
ermittelten Zuschlägen jeweils vor der Errechnung der Lohnsteuerbescheinigung und somit regelmäßig spätestens
zum Ende des Kalenderjahres oder beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis erfolgt. Für die
Ermittlung der im Einzelnen nachzuweisenden Zuschläge ist auf den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum abzustellen ...
Ermittlung der im Einzelnen nachzuweisenden Zuschläge ist auf den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum abzustellen ...
4. bei der Pauschalzahlung erkennbar ist, welche Zuschläge im einzelnen - jeweils getrennt nach Zuschlägen für
Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit - abgegolten sein sollen und nach welchen v.H.-Sätzen des Grundlohns die
Zuschläge bemessen worden sind, 5. die Pauschalzahlung tatsächlich ein Zuschlag ist, der neben dem Grundlohn
gezahlt wird; eine aus dem Arbeitslohn rechnerisch ermittelte Pauschalzahlung ist kein Zuschlag.
Weder ist ersichtlich noch hat die Beklagte vorgetragen, dass die von der Klägerin vorgenommene Pauschalierung der
Zuschläge hinter diesen Forderungen zurückbleibt. Von der Beklagten beanstandet wird (mit Rückwirkung auf die
Behandlung der Zuschläge) lediglich das dritte Element der Entlohnung. Der sog. Ergänzungslohn als Vorschuss auf
künftig geschuldetes Entgelt hat die Funktion, die Beschäftigten weitgehend von den Zufallsschwankungen zu
entlasten, die sich bei einer Entlohnung lediglich mit Grundlohn und Zuschlägen aus den Zufälligkeiten der
Dienstplangestaltung ergeben würden. Der Arbeitgeber wiederum befreit sich durch die Zahlung dieses
Ergänzungslohnes von lästigen Diskussionen um die Dienstplangestaltung und von der Schlichtung naheliegender
Rivalitäten um finanziell privilegierte Arbeitsschichten. Für die Berechnung dieses Ergänzungslohnes erscheint es
vollkommen sachgerecht, eine Summe zu wählen, die den Stundenlohn auf einen Mindest-Nettobetrag erhöht. Wenn
auf diese Weise ein Bruttolohn vereinbart und gezahlt wird und der daraus fällige Nettobetrag um die zulässige
pauschalierten Zuschläge ergänzt wird, dann wird dieses Entgeltsystem nicht durch die Zahlung eines wiederum
steuer- und beitragspflichtigen Ergänzungslohns mit der Funktion eines Mindestertrags pro Stunde zu einer
rechtsfehlerhaften Nettolohnvereinbarung. Partner eines Einzelarbeitsvertrages wie auch Tarifparteien werden bei der
Aushandelung von Bruttolöhnen stets den sich unter Berücksichtigung steuer- und beitragsfreier Elemente
ergebenden Nettobetrag im Auge haben und dürfen selbstverständlich Bruttoentgeltelemente auch mit dem Ziel eines
garantierten Nettoentgeltes vereinbaren, ohne dass sich daraus der Vorwurf einer Nettolohnvereinbarung ableiten
ließe. Ebenso wenig haltbar ist der Vorwurf einer unzulässigen Umwandlung steuer- und beitragspflichtigen Entgelts in
privilegierte Zuschläge. Die Unterstellung, der garantierte Nettolohn pro Stunde würde laut Vereinbarung auch dann
gezahlt, wenn Zuschläge überhaupt nicht anfielen, ignoriert die tatsächlichen Verhältnisse der vorliegend untersuchten
Beschäftigungen, in denen ja diese Zuschläge ständig anfallen und zusammen mit dem Nettoanteil des
Basisgrundlohns durchaus bereits die Garantiesumme erreichen und (relativiert lediglich durch die Pauschalierung)
sogar überschreiten können. Würde die Klägerin nur den Basisgrundlohn und die Zuschläge auszahlen, hätte die
Beklagte keinen Grund zur Beanstandung gesehen. Die zusätzliche Zahlung einer - untechnisch gesprochen -
Ausfallentschädigung wegen einer zu geringen Summe der Zuschläge lässt die Summe wie auch den Rechtscharakter
dieser Zuschläge unberührt. Diese Erkenntnis wird lediglich durch die zulässige Pauschalierung etwas erschwert. Bei
abschließender Würdigung des Ablaufes der Auseinandersetzung kann mit Blick auf einen umfangreichen Akteninhalt
der Beklagten der Vorwurf nicht erspart werden, mit ihrem formelhaften Beharren auf den Begriffen
"Nettolohnvereinbarung" und "Entgeltumwandlung" das Vorbringen der Klägerin kaum beachtet zu haben. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).