Urteil des SozG München vom 10.12.2007
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Sozialgericht München
Beschluss vom 10.12.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 22 AS 2435/07 ER
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom
26.11.2007 bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.03.2008, vorläufig
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 791,00 EUR monatlich zu gewähren. II. Im Übrigen wird
der Antrag abgelehnt. III. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zur Hälfte (1/2).
Gründe:
I.
Die Antragsteller erhalten seit 01.07.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zum 15.03.2007 zogen sie
vom Landkreis München in den Landkreis Starnberg und mieteten dort eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Kaltmiete
von 1.170,00 EUR monatlich an.
Mit Bescheid vom 14.05.2007 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern für die Zeit vom 01.04.2007 bis
30.09.2007 Leistungen in Höhe von 787,00 EUR monatlich, ausgehend von einer angemessenen Kaltmiete von
555,00 EUR. Mit Bescheid vom 02.06.2007 erhöhte sie den monatlichen Leistungsbetrag für die Zeit vom 01.07.2007
bis zum 30.09.2007 auf 791,00 EUR (Anpassung der Regelleistung). Ein Antrag der Antragsteller auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes, gerichtet auf die (vorläufige) Zahlung höherer Leistungen unter Berücksichtigung der
tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, blieb ohne Erfolg (Sozialgericht München, Beschluss vom
13.06.2007 - S 53 AS 893/07 ER).
Die Weiterbewilligung der Leistungen ab 01.10.2007 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 08.10.2007 mit der
Begründung ab, nach den von den Antragstellern vorgelegten Kontoauszügen hätten die Antragsteller in der Zeit von
April bis August 2007 Einnahmen in Höhe von durchschnittlich mehr als 2.500,00 EUR monatlich erzielt. Es müsse
somit davon ausgegangen werden, dass keine Hilfebedürftigkeit mehr bestehe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch
wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05.11.2007 zurück. Gegen diese Entscheidung haben die Antragsteller
mit am 26.11.2007 eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten Klage erhoben und zugleich Antrag auf
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Bei den von der Antragstellerin zu 1 in Anspruch genommenen
Darlehen handle es sich nicht um Einkommen. Zudem hätten die Antragsteller in den Monaten Oktober und November
2007 keine weiteren Darlehen erhalten. Hinsichtlich des Vortrags der Antragsteller im Detail wird auf den
Antragsschriftsatz mit Anlagen (Blatt 1 bis 37 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern für die Zeit ab
01.10.2007 bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebens
unterhalts in Höhe von mindestens 791,00 EUR monatlich zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
Der Kammer lagen die Behördenakten der Antragsgegnerin (270 Blatt) in Kopie bei ihrer Entscheidung vor.
II.
Der zulässige Antrag ist zum Teil begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt somit voraus,
dass neben einem Anordnungsanspruch (dem materiell-rechtlichen Rechtsanspruch) auch ein Anordnungsgrund als
Ausdruck der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung glaubhaft gemacht worden ist. Dieser ist gegeben, wenn die
Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist.
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn das Obsiegen des Antragstellers in
der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen
Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund
entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den
Anordnungsgrund und -anspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. anhand einer Folgenabwägung
unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden (siehe Bayerisches
Landessozialgericht - LSG, Beschluss vom 27.04.2006 - L 11 B 138/06 SO ER).
Nach diesen Grundsätzen sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen.
Gemäß § 19 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als
Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für
Unterkunft und Heizung. Die Höhe der Leistungen richtet sich nach dem Ausmaß der Hilfebedürftigkeit der
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 9 SGB II) und somit danach, inwieweit Einkommen (§ 11 SGB II) oder Vermögen (§
12 SGB II) der Hilfesuchenden zu berücksichtigen sind.
Als Einkommen sind gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder (mit) Geldeswert zu
berücksichtigen. Gem. § 2 b in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V sind einmalige Einnahmen grundsätzlich
von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Gem. § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V sind einmalige
Einnahmen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum
aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen.
Danach steht im vorliegenden Fall nicht fest, ob und ggf. in welchem Umfang den Antragstellern ab 01.10.2007 die
beantragten Leistungen zustehen. Zwar gibt es einerseits gute Argumente dafür, dass Mittel aus Darlehen
grundsätzlich kein Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind; hier ist insbesondere der Umstand zu
nennen, dass infolge der Rückzahlungsverpflichtung keine echte (dauerhafte) Vermögensvermehrung beim
Darlehensnehmer eintritt (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2005, § 11 Rn. 27). Andererseits ist
es aber mit prägenden Grundsätzen der Sozialhilfe unvereinbar, insbesondere mit dem auch im Recht der
Grundsicherung für Arbeitssuchende geltenden Prinzip der Nachrangigkeit (Subsidiarität) gegenüber der Selbsthilfe
und den Hilfen anderer (vgl. insbesondere § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II; dazu Spellbrink, aaO., § 1 Rn. 11), wenn
erwerbsfähige Hilfebedürftige die ihnen bewilligten Leistungen durch (materielle) Zuwendungen von Verwandten oder
Freunden auf das gewünschte Niveau "aufstocken". Dies muss nach der Auffassung der Kammer auch dann gelten,
wenn diese Hilfen als Darlehen ausgestaltet sind (vgl. dazu bereits Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.05.1967,
5 C 150.66, BVerwGE 27, 58 ff.), speziell in den Fällen, in denen - wie hier (siehe Darlehensvertrag vom 07.08.2007,
Blatt 31 Gerichtsakte) - die Verpflichtung zur Rückzahlung ausdrücklich erst nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit
eintreten soll und die Mittel somit für die Dauer der Hilfebedürftigkeit uneingeschränkt (zusätzlich) für den
Lebensunterhalt zur Verfügung stehen (ausdrücklich offen gelassen in: Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.01.2007,
L 7 B 909/06 AS ER). Denn bei den hier streitigen Leistungen handelt es sich, ungeachtet der Bezeichnung als
Arbeitslosengeld II, um echte Sozialhilfeleistungen, also um steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen, welche eine (akute)
finanzielle Notlage ausgleichen und den Betroffenen zu einem menschenwürdigen Dasein verhelfen sollen, und nicht
um ein vom individuellen Bedarf unabhängiges und somit ggf. durch zusätzliche Einnahmequellen zu ergänzendes
Grundeinkommen; die Einführung eines solchen wäre Sache des Gesetzgebers (so bereits Sozialgericht München,
Beschluss vom 11.01.2007 - S 22 AS 1830/06 ER).
Nach alledem bestehen im Hinblick auf die von den Antragstellern in der Zeit von April bis August 2007 erzielten
Einnahmen durchaus ernsthafte Zweifel am Vorliegen von Hilfebedürftigkeit, nicht nur bezogen auf die Monate des
Zuflusses, sondern auch bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum. Andererseits haben die Antragsteller
glaubhaft gemacht, dass sie seit September 2007 keine solchen Zuwendungen mehr erhalten haben und dass die
zuvor erhaltenen Zuwendungen (insbesondere für die Zahlung der Miete) zwischenzeitlich verbraucht wurden.
Anzumerken ist freilich in diesem Zusammenhang, dass auch das Verhalten der Antragsteller, welches zur
Entstehung dieser hohen Mietaufwendungen geführt hat, nämlich die Anmietung einer Wohnung mit einer Kaltmiete
von 1.170,00 EUR monatlich (!) ohne vorherige Abstimmung mit dem zuständigen Leistungsträger, von einer völligen
Verkennung des Charakters der von ihnen bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zeugt. Die
vorläufige Zuerkennung der beantragten Leistungen (in zuletzt festgestellter Höhe) mit Wirkung für die Zukunft, also
ab dem Tag des Eingangs des vorliegenden Antrags bei Gericht, erscheint ungeachtet dessen, im Hinblick auf die
existenzsichernde Funktion dieser Leistungen, erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.