Urteil des SozG München vom 12.07.2007

SozG München: positive feststellungsklage, ausbildung, entschädigung, verfügung, unternehmer, arbeitsunfall, schreinerei, versicherungsträger, unfallversicherung, einfluss

Sozialgericht München
Urteil vom 12.07.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 20 U 222/03
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte der für die Entschädigung der Folgen des tödlichen
Arbeitsunfall des S. S. (S) zuständige Versicherungsträger ist. Sie macht zusätzlich aus diesem Arbeitsunfall die
Erstattung von Hinterbliebenenleistungen in Höhe von 3.926,72 EURO geltend.
Der Verunfallte S absolvierte zum Zeitpunkt des tödlichen Arbeitsunfalles eine Ausbildung zum Tischler. Grundlage
dieser Ausbildung war ein zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Kanzler der Rheinisch-
Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) und dem auszubildenden Betrieb, der Schreinerei R. F., im
Rahmen des Ausbildungsverbundes ge-schlossener Vertrag. Diesem Vertrag zufolge, übernahm die RWTH die
Zahlung der Ausbildungs-vergütung auf Basis des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst, der auszubildende
Betrieb die Sachkosten. Die pädagogische und fachliche Betreuung oblag in Abstimmung mit der RWTH dem
Ausbildungsbetrieb. Dieser verpflichtete sich auch den Auszubildenden bei dem für den Betrieb zuständigen
Unfallversicherungsträger anzumelden. Die Anmeldung erfolgte bei der Klägerin.
Am 30.10.2000 erlitt S auf den Weg zur Arbeit einen versicherten Arbeitsunfall. Die Klägerin als erstangegangener
Versicherungsträger leistete vorläufig an die Mutter des Verstorbenen mit Be-scheid vom 19.12.2000 Sterbegeld in
Höhe von 3.926,72 EURO. Mit Schreiben vom 06.11.2000 meldete die Klägerin erstmals vorsorglich bei der Beklagten
einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff SGB X an, den sie mit Schreiben vom 14.02.2002 präzisierte. Die
Beklagte lehnte mit Schreiben vom 20.11.2000 und 11.07.2002 unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung den
Erstattungsanspruch ab.
Mit der am 04.04.2003 erhobenen Klage hat die Klägerin den Erstattungsanspruch weiterverfolgt. Sie hat im
Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Zuständigkeit aus dem Wortlaut der §§ 133 Abs. 1 SGB VII und 136 Abs. 3
Nr. 3 SGB VII ergebe, wonach Unternehmer bei den gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 8 SGB VII versicherten Personen
der Sachkostenträger sei. Soweit die RWTH Sach-kosten trage oder erstatte, sei sie Sachkostenträger mit der Folge,
dass nach § 128 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII die unfallrechtliche Zuständigkeit der Beklagten gegeben sei. Die Klägerin
beruft sich auf die Auffassung des Verwaltungsausschusses "Rechtsfragen der Unfallversicherung" des Hauptverban-
des der gewerblichen Berufsgenossenschaften, insbesondere auf das Schreiben vom 16.6.99. Der
Verwaltungsausschuss vertrete hier die Auffassung, dass für die Dauer der beruflichen Ausbildung von
Auszubildenden der RWTH in fremden Ausbildungsbetrieben die unfallversicherungsrechtliche Zuständigkeit des
Unfallversicherungsträgers der RWTH gegeben sei. Der Wortlaut des § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII sei eindeutig, die
Vorschrift stelle ausschließlich auf die Trägerschaft für die Sachkosten ab, während gemäß dem früheren § 654 Nr. 2
RVO die Durchführung der Maßnahme entscheidend gewesen sei. Aus diesem Grund könne auch die Auslegung des
BSG zum Wortlaut des § 654 NR. 2 RVO nicht berücksichtigt werden. Entscheidend sei nach dem Gesetzeswortlaut
alleine, wer für die Maßnahme die Sachkosten trage. Sofern für die Maßnahme ein Drittfinanzierer da sei, d.h. der
Betrieb die Kosten der Maßnahme erstattet bekommt, sei der Drittfinanzierer auch der Sachkostenträger. Nach dem
Sachkostenträgerprinzip sei die RWTH als Sachkostenträgerin anzusehen, da sie die Ausbildungsvergütung trage und
damit den wesentlichen Teil der Sachkosten. Zudem habe sie nach dem Vertrag einen gewissen Einfluss auf die
Ausbildung, eine Trennung der Ausbildungsvergütung von den übrigen Sachkosten sei unzulässig
Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, dass § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII gerade auf Aus-bildungsverhältnisse
abziele, in denen die Trägerschaft von Personal- und Sachkosten auseinander falle. Die RWTH trage die
Personalkosten während die Sachkosten das Mitgliedsunternehmen der Klägerin trage, damit liege die Zuständigkeit
bei der Klägerin. Sachkostenträger sei derjenige, der die sachlichen Mittel zur Verfügung stellt, wie z.B. Räume und
Geräte. Zudem widerspreche die erhebliche Bedeutung der Prävention der Zuständigkeit eines branchen-fremden
Unfallversicherungsträgers. Ergänzend verweist die Beklagte auf eine Stellungnahme des Bundesministeriums für
Arbeit und Sozialordnung vom 07.09.99, in der die Auffassung der Beklag-ten geteilt werde.
Die Klägerin beantragt,
1. Die Zuständigkeit der Beklagten für die Entschädigung des Unfalls, den der Versicherte S. S., geb. 1981, F., R. am
30.10.2000 erlitten hat und an dessen Folgen er am Unfalltag ver-starb, wird gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG
festgestellt. 2. Die Beklagte hat der Klägerin gemäß § 105 SGB X die Aufwendungen zu ersetzen, die die-ser
anlässlich dieses Unfalls entstanden sind. 3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akten der Beteiligten sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft. Bei einem Erstattungsstreit zwischen
Sozialleistungsträgern (vgl. §§ 12 Satz 1, 21 Abs. 2, 28 Abs. SGB I) handelt es sich um einen sogenannten
Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwal-tungsakt nicht in Betracht kommt. Ein
Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhal-tung einer Klagefrist nicht geboten (Keller in: Meyer- Ladewig
ua. SGG. 8 Aufl. 2005. § 54 Rdnr 41 mwN; vgl. auch BSGE 86, 166 , 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1 f
= SozR 3-2500 § 112 Nr 3; 92, 223ff = SozR 4-2500 § 39 Nr 1). Auch die positive Feststellungsklage gemäß § 55
Abs. 1 Nr. 2 SGG ist zulässig, insbesondere besteht ein besonderes Feststellungsinteresse der Klä-gerin. Die
zulässige Klage erweist sich aber als unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fest-stellung der
Zuständigkeit der Beklagten für die Entschädigung des Arbeitsunfalls des S am 30.10.2000 und auch keinen
Erstattungsanspruch gegen die Beklagte aus diesem Unfall gemäß § 105 SGB X.
Die Zuständigkeit der Beklagten folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus den §§ 133 Abs. 1, 136 Abs. 3
Nr. 3 , § 128 SGB VII. § 133 SGB VII enthält das Grundprinzip, dass die Versi-chertenzuständigkeit der
Unternehmenszuständigkeit folgt. Danach sind die Versicherten mit ihrer Tätigkeit einem bestimmten Unternehmen
zuzuordnen, so dass die Zuständigkeit des Unfallversi-cherungsträgers gegeben ist, dem dieses Untenehmen nach
den Regeln der §§ 121 ff SGB VII zur Unternehmenszuständigkeit angehört. Gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII ist
Unternehmer bei den nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 8 SGB VII versicherten Personen der Sachkostenträger. Als
Sachkosten-träger ist für den gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 8 SGB VII versicherten S der auszubildende
Schreinerbetrieb anzusehen mit der Folge der Zuständigkeit der Klägerin gemäß § 121 Abs. 1 SGB VII.
Sachkostenträger ist nach der herrschenden Meinung in der Literatur der Unternehmer, der die sach-lichen Mittel der
Bildungsmaßnahme zur Verfügung stellt, (z.B. Räume, Lehrmittel, Geräte, Lehr-personal) und in sachlicher Hinsicht
die Bildungsmaßnahme selbstverantwortlich ausgestaltet, durchführt und beaufsichtigt (Ricke in: Kasseler
Kommentar, Sozialversicherungsrecht § 136, RdNr. 32, Bereiter-Hahn, Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5.
Auflage, Stand Juni 2007, § 136 RdNr. 10 mwN). Das Schrifttum, dem sich die Kammer anschließt, kommt zu dem
Ergebnis, dass sich aus der Neufassung des § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII keine Änderung gegenüber § 654 Nr. 2 RVO
ergeben hat. Die bloße Finanzierung der einzelnen Maßnahme durch Dritte ist unerheblich und macht diese noch nicht
zum Sachkostenträger (a.a.O). Dies ist für die Kammer vor allem auf-grund des eindeutigen Wortlauts des § 136 Abs.
3 Nr. 3 SGB VII überzeugend. "Sachkosten" wer-den in allen Bereichen der Wirtschaft, in jeder Prognose, in jeder
Bilanz von Personalkosten unter-schieden. Sachkosten sind eben nicht die Kosten die für Gehälter anfallen, sondern
die Kosten für z.B. Ausstattung der Arbeitsplätze oder Miete der Räume. Die gegenteilige Argumentation der Klä-gerin
kann somit nicht überzeugen, eine Ausbildungsvergütung kann allein dem eindeutigen Wort-laut folgend, nie Teil von
Sachkosten sein. Zudem hat das BSG in den zu § 654 Nr.2 RVO ergange-nen Entscheidungen häufig den Begriff
"Sachkosten" verwandt (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19.06.1975, Az. 8 RU 124/75, BSGE 40, 62), so dass lediglich von
einer Klarstellung der dazu er-gangenen Rechtssprechung auszugehen ist und nicht von einer Änderung der
Rechtslage durch die Einführung des SGB VII. Für die von der Kammer vorgenommene Auslegung spricht weiter,
dass ansonsten ein unterschied-licher Regelungsgehalt zwischen § 136 Abs. § Nr. 2 und Nr. 3 SGB VII zu erkennen
ist (vgl. Berei-ter-Hahn, Mertens, a.a.O).
Hier übernahm die RWTH nur die Zahlung des Lohns an S, also die Personalkosten. Der Ausbil-dungsbetrieb, die
Schreinerei F., stellte das Arbeitsmaterial, die Arbeitsgeräte, die Räume und das Personal zur Verfügung, das S
ausbildete und trug somit die Sachkosten. Allein der Umstand, dass die Ausbildungsinhalte mit der RWTH
abzustimmen waren, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch unter Beachtung dieser Einschränkung, unabhängig von
der Frage, ob dies in der Praxis auch umgesetzt wurde, woran nach Aktenlage Zweifel bestehen, führte der
auszubildende Betrieb immer noch selbstverantwortlich nach dem Berufsbildungsgesetz die Ausbildung durch. Einen
maßgebli-chen Einfluss der RWTH vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Aus den gleichen Gründen scheidet ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X aus. Gemäß § 105 SGB X kann
ein Leistungsträger Erstattung von Sozialleistungen verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass nicht er,
sondern ein anderer Sozialleistungsträger für die Leistung zuständig ist. Hier war die Klägerin zuständig für die
Erbringung der Entschädigungsleistung.
Die Kammer verkennt bei ihrer Entscheidung die Gründe der Klägerin, bei der S aufgrund der feh-lenden
Ausbildungsvergütung durch das Mitgliedsunternehmen beitragsfrei versichert war, eine Erstattung durch die Beklagte
zu erhalten, nicht. Dies ist jedoch eine Frage des Beitragsrechts. Die Rechtslage lässt nach Auffassung der Kammer
keine andere Entscheidung zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 VwGO