Urteil des SozG Marburg vom 05.11.2008

SozG Marburg: stadt, versorgung, zweigpraxis, genehmigung, wohnung, residenzpflicht, gemeinschaftspraxis, verfügung, hessen, gestatten

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 05.11.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 519/08
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 118/08
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 19.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.07.2007 verurteilt, dem Kläger die Tätigkeit an einem weiteren Ort in D-Stadt, D-Straße zu gestatten.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Genehmigung einer Zweigpraxis.
Der Kläger ist Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Er ist zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit
Praxissitz in F-Stadt, A-Straße zugelassen. Er bildet mit seinem Praxispartner Herrn C, der als Zahnarzt ebf. zur
vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, und zwei weiteren Zahnärzten eine Gemeinschaftspraxis. Die KV
Hessen erteilte mit Bescheid vom 04.04.2007 dem Kläger eine Genehmigung zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit, vom
01.04.2007 bis 31.03.2009, über seinen Praxissitz hinaus in D-Stadt, D-Straße.
Am 11.12.2006 beantragten der Kläger und sein Praxispartner die Genehmigung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit
an einem weiteren Ort, nämlich in D-Stadt, D-Straße. Sie trugen vor, in der Umgebung fehle ein Facharzt für Mund-,
Kiefer- und Gesichtschirurgie, der die gleichen Leistungen wie sie erbringe, weshalb die Versorgung der Versicherten
verbessert werde. Als Sprechzeiten seien Montag bis Mittwoch von 12.00-14.00 Uhr, Donnerstag 12.00-17.00 Uhr und
Freitag 9.00-11.00 Uhr geplant.
Mit Bescheid vom 19.04.2007 wies die Beklagte den Antrag ab, weil die allgemeinzahnärztliche Versorgung in D-Stadt
bei neun zugelassenen Vertragsärzten gewährleistet sei. Eine Verbesserung der Versorgung durch den Praxispartner
scheide aus. Eine Verbesserung der Versorgung durch den Kläger sei unstreitig. Dies gelte auch im Hinblick auf zwei
weitere in D-Stadt niedergelassene Oralchirurgen, einen in NG. niedergelassenen Oralchirurgen und einen in E-Stadt
neben fünf Oralchirurgen niedergelassenen Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Die angegebenen
Sprechzeiten in Verbindung mit der Entfernung zwischen den Praxissitzen von 59,8 km und den damit verbundenen
reinen Fahrzeiten (bei günstigsten Verhältnissen 45 Minuten je einfacher Wegstrecke) führten allerdings zu einer
zeitlichen Abwesenheit von zumindest 20,5 Stunden vom Praxissitz. Damit sei die ordnungsgemäße Versorgung am
Sitz in F-Stadt nicht gewährleistet.
Hiergegen legten der Kläger und sein Praxispartner am 24.04.2007 Widerspruch ein. Sie trugen vor, sie hätten den
Schwerpunkt "Kinderzahnheilkunde", der in D-Stadt und Umgebung nicht angeboten werde. Diesen übe der
Praxispartner aus. Bei neun Stunden Sprechzeiten und einer Fahrzeit von 45 Minuten betrage die Abwesenheit
höchstens 13,5 Stunden. Die Sprechzeiten könnten verändert werden. Die Praxis sei in TF. von 8.00 Uhr bis 20.00
Uhr täglich geöffnet; selbst bei vier Stunden Abwesenheit sei sie noch 40 Stunden in der Woche geöffnet. Nach
Änderung des BMV-Z habe er für D-Stadt die Sprechzeiten geändert: Dienstag und Mittwoch 13.15 Uhr bis 17.45 Uhr,
Donnerstag 14.45 Uhr bis 17.45 Uhr, Samstag nach Vereinbarung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ergänzend
führte sie aus, die Angabe eines Tätigkeitsschwerpunktes beinhalte lediglich den Hinweis einer nachhaltigen
Ausübung in einem Teilbereich der Zahnheilkunde. Dies bedeute nicht eine Verbesserung der gesamten allgemein-
zahnärztlichen Versorgung. Auch folge aus solchen fehlenden Angaben nicht, dass die übrigen Zahnärzte keinen
entsprechenden Schwerpunkt hätten. Die neuen Sprechzeiten bedeuteten, dass dienstags bis mittwochs Nachmittag
der Vertragszahnarztsitz in TF. MKG-chirurgisch nicht besetzt sei. Dies gelte umgekehrt auch für den Sitz in D-Stadt.
Hiergegen erhoben der Kläger und sein Praxispartner am 01.08.2007 die Klage (Az.: S 12 KA 345/07). Die Kammer
hat mit Beschluss vom 23.08.2007 das Verfahren des Praxispartners unter dem Az.: S 12 KA 375/07 abgetrennt. Im
Verfahren des Klägers hat die Kammer mit Beschluss vom 26.05.2008 zum Zweck der Mediation das Ruhen
angeordnet. Auf Antrag des Klägers vom 10.09.2008 wurde das Verfahren nach Scheitern der Mediation unter dem
Az.: S 12 KA 519/08 fortgeführt.
Am 01.08.2007 haben der Kläger und sein Praxispartner auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die
Kammer hat mit Beschluss vom 23.08.2007 das Verfahren des Praxispartners vom Verfahren des Klägers mit dem
Az.: S 12 KA 346/07 ER abgetrennt. Die Kammer hat mit Beschluss vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 374/07 ER den
Antrag des Praxispartners auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Auf Beschwerde des Klägers
hat das LSG Hessen mit Beschluss vom 29.11.2007, Az.: L 4 KA 56/07 ER den Beschluss des SG aufgehoben und
die Beklagte verpflichtet, den Kläger die Tätigkeit an dem strittigen weiteren Ort zu gestatten. Die Kammer hat mit
weiterem Beschluss vom 27.08.2007, Az.: S 12 KA 346/07 ER dem Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung stattgegeben. Das LSG Hessen hat mit Beschluss vom 13.11. 2007, Az.: L 4 KA 57/07 ER die
Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.
Ergänzend zu dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren trägt der Kläger vor, abzustellen sei nicht auf den allgemeinen
Versorgungsgrad. Besondere Leistungsstrukturen des Vertragszahnarztes in der Zweigpraxis müssten berücksichtigt
werden. Er habe 54 Wochenstunden Sprechzeit in A-Stadt. Ein Drittel der Tätigkeit, also 18 Stunden könne er in der
Zweigpraxis arbeiten. Berücksichtige man die Fahrzeiten mit 4,5 Stunden, so verblieben 13,5 Sprechstunden. Mit 12
Stunden bleibe er darunter. Auf die Notfallversorgung könne nicht abgestellt werden. Die Beklagte wolle offensichtlich
das Bundesgesetz nicht umsetzen. Den in der mündlichen Verhandlung seitens der Beklagten erhobenen Vorwürfen
ist er entgegengetreten.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheids vom 19.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.07.2007 die Beklagte zu verurteilen, ihm die Tätigkeit an einem weiteren Ort in D-Stadt, D Straße zu
gestatten, hilfsweise, seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, eine weitere Tätigkeit sei nur im Umfang von 13-Wochenstunden
möglich. Der Kläger könne aufgrund seiner vielfältigen Verpflichtungen den Versorgungsauftrag nicht auch noch in
einer Zweigpraxis tatsächlich wahrnehmen. Auch werde die Versorgung im Hinblick auf die operative Tätigkeit nicht
ausreichend am Stammsitz und in der Zweigpraxis sichergestellt. Gegen den Kläger laufe ein berufsgerichtliches
Verfahren, weil es in einem Fall zu Nachblutungen gekommen sei. Ihm sei von der Landeszahnärztekammer die
Weiterbildungsbefugnis entzogen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den
Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte
handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 19.04.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch
auf Genehmigung seiner Tätigkeit an einem weiteren Ort in D-Stadt, D-Straße. Der Klage war daher stattzugeben.
Der angefochtene Bescheid vom 19.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 ist
rechtswidrig.
Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Zahnarzt (Vertragszahnarztsitz). Der Vertragszahnarzt muss
am Vertragszahnarztsitz seine Sprechstunde halten. Er hat seine Wohnung so zu wählen, dass er für die
zahnärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragszahnarztsitz zur Verfügung steht.
Vertragszahnärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragszahnarztsitzes an weiteren Orten sind zulässig, wenn und
soweit 1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und 2. die ordnungsgemäße
Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Sofern die weiteren Orte im
Bezirk der Kassenzahnärztlichen Vereinigung liegen, in der der Vertragszahnarzt Mitglied ist, hat er bei Vorliegen der
Voraussetzungen nach Satz 1 Anspruch auf vorherige Genehmigung durch seine Kassenzahnärztliche Vereinigung (§
24 Abs. 1, 2 und 3 Satz 1 u. 2 Zahnärzte-ZV i.d.F. d. VÄndG).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die MKG-chirurgische Tätigkeit des Klägers das Versorgungsangebot am
Ort der Zweigpraxis verbessert. Entgegenstehende Gründe sind der Kammer nicht ersichtlich.
Eine Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes liegt
nicht vor.
In zeitlicher Hinsicht gehen die hierzu ergangenen Bestimmungen in den Bundesmantelverträgen-Zahnärzte davon
aus, dass die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes in der Regel dann
nicht beeinträchtigt wird, wenn die Dauer der Tätigkeit des Vertragszahnarztes in der oder den Zweigpraxen ein Drittel
seiner Tätigkeit am Vertragszahnarztsitz nicht übersteigt (§ 6 Abs. 6 Satz 7 Bundesmantelvertrag – Zahnärzte (BMV-
Z) v. 13.11.1985, Stand: 01.01.2007 (www.kzbv.de)/§ 8a Abs. 1 Satz 7 Ersatzkassenvertrag Zahnärzte (EKV-Z),
Stand: 01.01.2007, www.kzbv.de, jeweils mit Änderungsvertrag mit Wirkung zum 01.07.2007, ZM 2007, Nr. 14, 82 ff
u. 84 f.).
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Ausgehend von einer Öffnungszeit der Gemeinschaftspraxis in F-Stadt von
60 Wochenstunden und einer ursprünglichen Präsenz in der Praxis in F-Stadt von 54 Wochenstunden nach seinen
von der Beklagte nicht bestrittenen Angaben und Sprechzeiten von 12 Wochenstunden in D-Stadt verbleiben
rechnerisch 42 Sprechstunden pro Woche in F-Stadt Dies gilt jedoch nur ohne Fahrzeiten. Diese sind allerdings für die
Hin- und Rückfahrt zu berücksichtigen, da die Sprechzeiten in D-Stadt nicht am Rande der Sprechzeiten von TF.
liegen, sondern von diesen umrahmt werden, also diese Sprechzeiten nur eingehalten werden können, wenn der
Kläger jeweils an den Praxissitz F-Stadt zurückkehrt. Bei drei Wochentagen, in denen die Praxis – abgesehen von
samstags – in D-Stadt geöffnet ist, betragen die Fahrzeiten bei 45 Minuten für den einfachen Fahrweg, wovon die
Beteiligten ausgehen – nach http://routenplaner.t-online.de/ werden für 57,3 km 42 Minuten benötigt - insgesamt 4,5
Stunden, so dass rechnerisch noch 37,5 Sprechstunden pro Woche in F-Stadt verbleiben. Somit wird die 1/3-
Regelung weiterhin erfüllt.
Es kann daher hier dahinstehen, ob diese 1/3-Regelung rechtmäßig ist, da der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt.
Zu ihrer Herleitung berufen sich die Bundesmantelvertragspartner zu Unrecht auf die BSG-Rechtsprechung zu
Nebentätigkeiten (vgl. Gemeinsames Rundschreiben der KZBV und der Spitzenverbände der gesetzlichen
Krankenkassen zu den bundesmantelvertraglichen Neuregelungen zum 01. 07.2007 infolge der zulassungsrechtlichen
Neuregelungen im SGB V und in der ZV-Z durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG), www.kzbv.de). Die
Herleitung der 13-Wochenstunden-Grenze ist nach der bisherigen Rechtsprechung ausschließlich auf abhängige
Beschäftigungsverhältnisse zu beziehen (vgl. Wenner, GesR 2004, S. 356 f.). Bei einer Tätigkeit in einer Zweigpraxis
handelt es sich aber um selbständige Tätigkeiten, die zudem der vertragsärztlichen Versorgung dienen. Das BSG hat
bereits hinsichtlich der Doppelzulassung von MKG-Chirurgen unter Hinweis auf die verfassungsgerichtliche
Rechtsprechung ausgeführt, dass der Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sich auf jede berufliche
Betätigung erstreckt, auch auf die Betätigung in einem zweiten Beruf (vgl. BSG v. 17.11.1999 - B 6 KA 15/99 R - juris
Rn. 19 - BSGE 85, 145 = SozR 3-5525 § 20 Nr. 1). Für selbstständige Tätigkeiten eines Vertragsarztes, wie z.B. die
Erstellung von Gutachten oder die Tätigkeit als Privat- oder Betriebsarzt, ist bisher ein typisierender Stundenumfang
von der Rechtsprechung nicht festgestellt worden. Nach der genannten BSG-Rspr. entzieht sich dies auch einer
generellen Festlegung wegen der Heterogenität der Verhältnisse von Vertragsärzten und psychotherapeuten und ist
dies arzt- bzw. therapeutengruppenspezifisch sowie ggf. regional zu ermitteln (vgl. BSG v. 30.01.2002 - B 6 KA 20/01
R - juris Rn. 29 - BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 3). Es gilt aber insgesamt die Orientierung an dem
Grundsatz, dass die vertragsärztliche Tätigkeit deutlich erkennbar den Schwerpunkt der aktiven, auf Erwerb
ausgerichteten Tätigkeit bilden muss (vgl. Wenner, aaO.). Insofern ist zu berücksichtigen, dass die
vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit in der Zweigpraxis ebf. Teil der gesamten vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit ist, zu der
der Vertrags(zahn)arzt aufgrund seiner Zulassung verpflichtet ist.
Weitere Präsenzpflichten am Sitz der Praxis bestehen nicht. Auch Residenzpflichten stehen der Genehmigung nicht
entgegen.
Der Vertragszahnarzt hat seine Wohnung so zu wählen, dass er für die zahnärztliche Versorgung der Versicherten an
seinem Vertragszahnarztsitz zur Verfügung steht (§ 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Ein der gerichtlichen Nachprüfung
nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum kommt den Zulassungsgremien nicht zu (vgl. BSG v.
05.11.2003 - B 6 KA 2/03 R - juris Rn. 27 - SozR 4-5520 § 24 Nr. 1). Wegen des Fehlens einer spezifisch
vertragsärztlichen Verpflichtung, außerhalb der Praxis Versicherte im Bedarfsfall auch am Wohnort bzw. sogar in der
Wohnung zu behandeln, folgt nach der Rechtsprechung des BSG aus der Notdienstversorgung keine Pflicht zur
praxisnahen Wohnungsnahme. Das BSG hat es abgelehnt, für die Entfernung des Wohnsitzes zum Praxissitz eine
schematische Kilometer- bzw. Minutenangabe vorzugeben; als Kriterien hat es bisher die Patientenbezogenheit der
Tätigkeit, Notwendigkeit von Hausbesuchen außerhalb des organisierten Notfalldienstes und die Praxisorganisation
(Einzelpraxis oder größere Gemeinschaftspraxis) genannt (vgl. BSG v. 05.11.2003 - B 6 KA 2/03 R - juris Rn. 32 -
SozR 4-5520 § 24 Nr. 1). Im konkreten Fall hat es die Vorinstanzen bestätigt, die eine Fahrzeit von 20 Minuten und
eine Entfernung von 23 km als vereinbar angesehen hatten. Jedenfalls, so das BSG, dürften nicht strengere
Anforderungen als an die Wegezeiten für Belegärzte, die es bei etwa 30 Minuten festmachte, gestellt werden; im
großstädtischen Raum fielen Fahrzeiten von 30 Minuten zwischen einzelnen Stadtteilen oder einem Stadtteil und dem
Stadtzentrum regelmäßig an, ohne dass Versorgungsengpässe bekannt geworden seien, wenn Ärzte in anderen
Stadtteilen als denen wohnten, in denen sie ihre Praxis betrieben. Ob im Einzelfall auch längere Zeiträume
unschädlich sein könnten, entziehe sich einer generellen Festlegung (vgl. BSG v. 05.11.2003 - B 6 KA 2/03 R - juris
Rn. 33 - SozR 4-5520 § 24 Nr. 1).
Trotz Liberalisierung der Ortsgebundenheit der vertragsärztlichen Tätigkeit durch das VÄndG ist die Residenzpflicht
unverändert geblieben. Der Verordnungsgeber hat sie insofern bestätigt, als die Tätigkeit an weiteren Orten nur
zugelassen werden kann, soweit die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes
nicht beeinträchtigt wird (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Ärzte-ZV). Insofern kann auch nicht mittelbar von einer Aufgabe
oder Lockerung der Residenzpflicht ausgegangen werden.
Die Instanzenpraxis hat bisher unterschiedlich entschieden. So soll nach SG Freiburg eine Fahrzeit von 30 Minuten
zwischen dem Ort einer Nebenbeschäftigung und der psychotherapeutischen Praxis kein Zulassungshindernis sein
(vgl. SG Freiburg v. 08.05.2001 - S 11 KA 274/01 AK-A -.). Die Entfernung Wohnsitz zur Praxissitz eines
Psychotherapeuten von ca. 70 km bzw. 95 km gewährleistet nach SG Dortmund keine ausreichende Versorgung, da
hierfür eine Fahrzeit von mehr als 30 Minuten benötigt werde (vgl. SG Dortmund v. 07.03.2003 - S 26 KA 15/02 -
GesR 2003, 178). Einem Zahnarzt in einer Gemeinschaftspraxis kann nach SG Münster nicht die Höchstdauer der
Fahrzeit auf 40 Minuten festgesetzt werden; es reicht aus, wenn er ohne weiteres in der Lage ist, die Praxis zu
Beginn der Sprechstunden um 8.30 Uhr zu erreichen (vgl. SG Münster v. 27.03.2006 - S 2 KA 40/05 - juris Rn. 19 f. -
GesR 2007, 219).
Für Belegärzte stellen die Bundesmantelverträge-Ärzte strengere Anforderungen auf, die das BSG bisher nicht
beanstandet hat, da die Vertragsparteien zur Normsetzung befugt seien und darin nur im Vertragsarztrecht ohnehin
allgemein geltende Pflichten (§§ 20 Abs. 1, 24 Abs. 2 und 32 Abs. 1 Ärzte-ZV) präzisiert werden würden (vgl. BSG v.
03.02.2000 - B 6 KA 53/99 B – juris Rn. 6). Nach ihnen ist ein Arzt, dessen Wohnung und Praxis nicht so nahe am
Krankenhaus liegen, dass die unverzügliche und ordnungsgemäße Versorgung der von ihm ambulant und stationär zu
betreuenden Versicherten gewährleistet ist, nicht als Belegarzt geeignet. Hat der Arzt mehrere Betriebsstätten, gilt
dies für die Betriebsstätte, in welcher hauptsächlich die vertragsärztliche Tätigkeit ausgeübt wird (§ 39 Abs. 4 Nr. 3
BMV-Ä/§ 31 Abs. 4 Nr. 3 EKV-Ä). LSG Schleswig-Holstein hat es als ausreichend angesehen, wenn der Vertragsarzt
innerhalb einer Zeitdauer bis 30 Minuten die Klinik von seiner Wohnung und seiner Praxis – diese lagen hier 300 m
entfernt - unter normalen Umständen erreichen könne (vgl. LSG Schleswig-Holstein v. 23.11.1999 - L 6 KA 18/99 -
juris Rn. 18 - MedR 2000, 383). Demgegenüber stellt LSG Baden-Württemberg auf die Wegezeiten für Hin- und
Rückweg zwischen Praxis und Belegkrankenhaus ab; Wegezeiten zwischen der Wohnung und dem Krankenhaus von
achtzehn Minuten und zwischen der Praxis und dem Belegkrankenhaus von ca. zwanzig Minuten hätten, da sowohl
auf die Belegpatienten als auch die Praxispatienten abzustellen sei, zur Folge, dass sich der Arzt jedenfalls
mindestens 40 Minuten von der Praxis entferne, wenn er belegärztlich tätig werde und er umgekehrt mindestens 40
Minuten vom Belegkrankenhaus abwesend sei, wenn er sich zur Praxis begebe. Dies bedeute, dass der Arzt
regelmäßig in der Praxis nicht mehr als einmal täglich das Krankenhaus aufsuchen werde. Wegen der großen
Entfernung zwischen Wohnung und Belegkrankenhaus könne er seinen belegärztlichen Pflichten deshalb nicht in
jedem Fall in vollem Umfang nachkommen (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 14.07.1999 - L 5 KA 3006/98 - juris Rn.
26 f. - MedR 2000, 385; zur Nichtzulassungsbeschwerde s. BSG v. 03.02.2000 - B 6 KA 53/99 B – juris). Das BSG
hat diese Grenzziehungen als in der Praxis weitgehend akzeptiert angesehen, die in ihrer Tendenz nach nicht zu
beanstanden seien. Sie berücksichtigten, dass der Belegarzt die volle Verantwortung für einen stationär behandelten
Patienten übernehme und in der Lage sein müsse, bei Komplikationen, z.B. nach größeren Operationen, kurzfristig die
erforderlichen Maßnahmen einzuleiten bzw. zu treffen. Die Zeitspanne, die zwischen der Mitteilung an den Belegarzt
in seiner Praxis, er werde im Krankenhaus benötigt, und dessen Eintreffen in der Klinik vergehen dürfe, müsse aus
Gründen der Versorgungssicherheit relativ kurz sein (vgl. BSG v. 05.11.2003 - B 6 KA 2/03 R - juris Rn. 33 - SozR 4-
5520 § 24 Nr. 1). Danach dürften jedenfalls längere Wegezeiten (einfach) als 30 Minuten zwischen Vertragsarztsitz
und Belegkrankenhaus unzulässig sein.
Auf der Grundlage der weiterhin heranziehbaren BSG-Rechtsprechung kommt es für die Residenzpflicht auf eine
wertende Gesamtwürdigung aller Umstände nach Maßgabe des Zwecks der Residenzpflicht, die Sicherung der
Beratungs- und Behandlungstätigkeit des Arztes in seiner Praxis, insbesondere durch Abhaltung der Sprechzeiten, zu
gewährleisten an. Wegzeiten von 30 Minuten sind bisher nur als unschädliche Untergrenze formuliert worden.
Hinsichtlich des Umfangs der Sprechzeiten genügt ein Arzt aber seiner Residenzpflicht am Vertragsarztsitz, wenn er
die bundesmantelvertraglichen Bestimmungen einhält, was, wie bereits ausgeführt, bei dem Kläger der Fall ist.
Die für Belegärzte geltenden Fahrzeiten können aber nicht auf die Versorgungsstruktur zwischen Vertragsarztsitz und
Zweigpraxis ohne weiteres angewandt werden, auch wenn hier von einer MKG-chirurgischen und damit operativen
Tätigkeit des Klägers auszugehen ist. Insofern ist zwischen einer ambulant und stationär operativen Tätigkeit zu
unterscheiden. Für eine Notfallversorgung, die im Regelfall im Rahmen der Gemeinschaftspraxis für den
Vertragsarztsitz in F-Stadt auch von dem mit dem Kläger tätigen Vertragsarzt vorgenommen werden kann, ist
längstens auf die einfache Fahrzeit von 45 Minuten abzustellen. Diese Zeiten sind als noch ausreichend anzusehen,
da in dringenden Fällen der Rettungsdienst zur Verfügung steht. Auf durchgehende Präsenzzeiten am
Vertragszahnarztsitz kann nicht abgestellt werden. Insofern treffen bereits die genannten bundesmantelvertraglichen
Regelungen konkretisierende Bestimmungen, die der Kläger einhält. Auch ist es nunmehr generell zulässig, nur einen
hälftigen Versorgungsauftrag wahrzunehmen. Ein solcher würde zu erheblich verminderten Sprechzeiten führen, ohne
dass aus Sicht des Gesetzgebers eine Versorgung nicht mehr gewährleistet wäre.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf die operative Tätigkeit hingewiesen hat, so verkennt die
Kammer diese Bedenken nicht. Das hieraus entstehende Gefahrpotential sieht die Kammer aber in erster Linie darin,
dass Operationen vermehrt ambulant durchgeführt werden. Insofern obliegt es dem operierenden Arzt aufgrund seiner
Fachkunde zu entscheiden, ob er eine Operation überhaupt ambulant durchführt. Eine generelle Unzulässigkeit von
Zweigpraxen für operative Tätigkeiten oder hier im Fall des Klägers vermochte die Kammer hieraus nicht abzuleiten.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf eine Ungeeignetheit des Klägers hingewiesen hat, so ist dies
eine allgemeine Voraussetzung zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs und der vertragszahnärztlichen Tätigkeit und
nicht Gegenstand des hier strittigen Genehmigungsverfahrens. Als zugelassenem Vertragszahnarzt steht dem Kläger
grundsätzlich das Recht zu, eine Zweigpraxisgenehmigung zu erhalten.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf eine unzureichende Sicherstellung des Versorgungsauftrags
durch den Kläger hingewiesen hat, ist dies der Kammer nicht ersichtlich. Insofern handelt es sich um bloße
Behauptungen der Beklagtenseite. Sollte der Kläger tatsächlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, so wird
die Beklagte ggf. zu prüfen haben, ob und welche Maßnahmen sie ergreift.
Von daher hat der Kläger einen Anspruch auf Genehmigung der Zweigpraxis in D-Stadt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der
unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Die Sprungrevision war nach §§ 160 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Nach der Änderung der
Genehmigungsvoraussetzungen durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz werden diese in der
Instanzgerichtsbarkeit und Literatur z. T. recht unterschiedlich ausgelegt.