Urteil des SozG Marburg vom 11.10.2006

SozG Marburg: ambulante behandlung, innere medizin, diabetes mellitus, chefarzt, versorgung, stationäre behandlung, freie arztwahl, rka, facharzt, klinik

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 11.10.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 20/06
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Physikalische und
Rehabilitative Medizin in A-Stadt.
Der 1951 geb. und jetzt 55-jährige Kläger ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit den
Zusatzbezeichnungen Badearzt, Sportmedizin, Arzt für Naturheilverfahren und Rehabilitationswesen. Die Deutsche
Diabetes-Gesellschaft verlieh ihm 1997 die "ärztliche Qualifikation" als "Diabetologe DDG". Er ist seit dem Jahr 2000
Chefarzt der Physikalischen und Rehabilitativen Abteilung am Klinikzentrum M. in A-Stadt. Mit Zeugnis vom
31.12.2004 verlieh ihm die Landesärztekammer die Bezeichnung "Facharzt für Allgemeinmedizin".
Am 18.02.2005 beantragte der Kläger die Zulassung als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit
Praxissitz in A-Stadt ab 01. Juli 2005. Er erklärte, sein Beschäftigungsverhältnis als Chefarzt, Diabetologe, Vollzeit,
werde er nur noch zu 33 % (13 Stunden/Woche) weiterführen.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der gab dem Antrag mit Beschluss vom 26.04.2005 (Beschlussausfertigung
am 20.07.2005) statt. In der Begründung heißt es, Zulassungsbeschränkungen seien nicht angeordnet. Aufgrund der
Reduzierung des Beschäftigungsverhältnisses werde der Kläger ausreichend für die vertragsärztliche Versorgung zur
Verfügung stehen. Eine Interessen- und Pflichtenkollision sei zu verneinen.
Hiergegen legte die Beigeladene zu 1) am 22.07.2005 Widerspruch ein. Sie führte aus, die zulässige Grenze von 13
Wochenstunden werde überschritten. Auch sei die Chefarzttätigkeit nicht vereinbar mit der vertragsärztlichen Tätigkeit
aufgrund einer Interessen- und Pflichtenkollision. Der Kläger reichte zum Nachweis seiner eingeschränkten
Chefarzttätigkeit in der Abteilung für Diabetologie einen Chefarztvertrag vom 01.07.2005 vor. Er trug vor, danach
müsse er sich nur 13 Stunden in der Woche seiner chefärztlichen Tätigkeit widmen und könne er sich diese Zeit frei
einteilen. Es handele sich nur noch um eine Nebentätigkeit. Eine Interessen- und Pflichtenkollision liege nicht vor, da
er nicht vorrangig patientenbezogen tätig sei. Er betreue bereits seit November 2003 keine Patienten mehr im
stationären Bereich des Klinikzentrums. Seine Tätigkeit als Chefarzt beschränke sich auf konsiliarische und
nichtärztliche, organisatorische Tätigkeiten. Außerdem werde er als Chefarzt der Abteilung für Diabetologie in einem
Schwerpunktgebiet tätig sein, das zum Fachgebiet der Inneren Medizin gehöre. Im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung möchte er hingegen als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin tätig sein. Auch sei der
Einzugsbereich der Klinik das gesamte Bundesgebiet. Die Patienten kämen von außerhalb der Gemeinde und
Umgebung.
Die Beigeladene zu 1) erwiderte hierauf, nach dem Chefarztvertrag seien Überstunden nicht ausgeschlossen. Auch
sei schwer nachvollziehbar, wie der Kläger mit 2,5 Stunden pro Tag seinen umfangreichen Aufgaben nach dem
Chefarztvertrag nachkommen wolle. Entgegen seiner Einlassung oblägen dem Kläger auch die stationäre Behandlung
aller Kranken und weitere patientenbezogene Aufgaben. Nach dem Internetauftritt sei der Kläger auch als Chefarzt für
Physikalische und Rehabilitative Medizin tätig. Eine telefonische Nachfrage habe dies bestätigt.
Mit Beschluss vom 02.11.2005, ausgefertigt am 14.12. und dem Kläger zugestellt am 15.12.2005, gab der Beklagte
dem Widerspruch statt. Er hob den angefochtenen Beschluss des Zulassungsausschusses auf und wies den
Zulassungsantrag des Klägers zurück. Er führte aus, entgegen dem Vortrag und dem vorgelegten Chefarztvertrag
stehe fest, dass der Kläger Chefarzt der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin im Klinikzentrum sei. Dies
ergebe sich aus dem dem Zulassungsantrag beigefügten Lebenslauf mit der Angabe "2000 - Chefarzt der
Physikalischen und Rehabilitativen Abteilung im Klinikzentrum M.", der telefonischen Auskunft gegenüber der
Beigeladenen zu 1) und dem Internetauftritt der Klinik. Der Chefarztvertrag gebe den wahren Sachverhalt nicht wieder.
Es erscheine auch unwahrscheinlich, dass ohne entsprechende Weiterbildung nach der Weiterbildungsordnung eine
Diabetologische Abteilung übertragen werde. Die Hompage der Klinik weise auch eine Fachabteilung für Diabetologie
nicht auf. Es liege eine Interessen- und Pflichtenkollision vor. Nach der BSG-Rechtsprechung reiche die abstrakte
Gefahr aus. Der Kläger habe angegeben, seine Praxis würde sich 300 m vom Klinikzentrum entfernt befinden.
Hiergegen hat der Kläger am 11.01.2006 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, die Abteilung Diabetologie sei
allein für die Diabetespatienten der Hauptabteilungen Orthopädie, Neurologie und Innere Medizin/Kardiologie errichtet
worden. Für diese Patienten sei er konsiliarisch tätig. Die Tätigkeit sei im Wesentlichen auf die im Chefarztvertrag
genannten Sprechzeiten beschränkt. Er werde von einer Diätassistentin und Diätberaterin unterstützt, die die
Schulungen durchführten. Er hat einen weiteren Chefarztvertrag ohne Datum vorgelegt und eine Erklärung der
Geschäftsführung des Klinikzentrums über seine Tätigkeit. Der dem Beklagten vorgelegte Chefarztvertrag sei
aufgehoben worden. Eine ambulante Behandlung der Klinik-Patienten führe er nicht durch. Hierzu fehle ihm die
Berechtigung. Auch kämen die Patienten nicht aus dem Einzugsbereich der Praxis. Er sei auch als Chefarzt für die
Abteilung Diabetologie auf der Internetseite ausgewiesen. Zu seiner Facharztangabe sei er berufsrechtlich verpflichtet.
Zum Zeitpunkt der Abfassung seines Lebenslaufes habe die Abteilung Diabetologie noch nicht bestanden. Zu
Falschauskünften sei es in der Entwicklungsphase der Klinik durch unqualifizierte Mitarbeiter gekommen. Das
spezifische Facharzterfordernis für die Zusatzbezeichnung Diabetologie sei in Hessen erst 2005 eingeführt worden.
Zudem sei er Facharzt für Allgemeinmedizin. Der Beklagte habe ihn zum Vorbringen der Beigeladenen zu 1) nicht
angehört. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage sei die letzte mündliche Verhandlung vor Gericht. Er
verwehre sich gegen den Vorwurf, er passe vertragliche Vereinbarungen an, bis sie mit der Zulassung als vereinbar
erscheinen könnten. Er habe bereits mit dem Zulassungsantrag angegeben, dass er das Beschäftigungsverhältnis im
Bereich Diabetologie 13 Stunden wöchentlich fortführe.
Der Kläger beantragt, den Beschluss vom 02.11.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn als Facharzt
für Physikalische und Rehabilitative Medizin für den Vertragsarztsitz in A-Stadt, A-Straße, Kreis-A zur
vertragsärztlichen Tätigkeit zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seinen angefochtenen Beschluss und trägt weiter vor, bereits zum Zeitpunkt seiner Verhandlung sei
der Vortrag des Klägers widersprüchlich gewesen. Der jetzt vorgelegte Vertrag zeige, dass die Vertragsverhältnisse
so "angepasst" würden, bis sie sich mit der Zulassung als vereinbar erwiesen. Das Nachschieben von Gründen sei
irrelevant. Es sei auch berufsrechtlich fraglich, ob ein Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin eine
diabetologische Abteilung leiten könne.
Die Beigeladene zu 1) beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, sie könne sich nicht des Eindrucks verwehren, dass der nunmehr vorgelegte Vertrag die tatsächlichen
Verhältnisse gerade nicht widerspiegele, sondern allein zum Zweck der Zulassung des Klägers geändert worden sei.
Auch nach dem neuen Vertrag bestehe ein Zulassungshindernis. Wenn nunmehr nicht alle Aufgaben aufgeführt
würden und eine feste Stundenzahl fehle, so könne eine Chefarzttätigkeit nicht mit höchstens 13 Wochenstunden
erledigt werden. Es bestehe weiterhin eine Interessenkollision. Mehrere Patienten aus der Umgebung seien nach den
vorgelegten Unterlagen vom Kläger behandelt worden. Dem Kläger sei ihre Stellungnahme auch vor der Sitzung des
Beklagten überreicht worden. Einer Vertagung habe es nicht bedurft. Der Kläger habe zunächst selbst angegeben, er
werde seine Tätigkeit als Chefarzt der Physikalischen und Rehabilitativen Abteilung reduzieren. Dann habe er den
Vertrag als Chefarzt der Abteilung Diabetologie vorgelegt. Danach habe er vorgetragen, er betreue seit November
2005 keine Patienten im stationären Bereich mehr.
Die Beigeladene zu 2) und 8) beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie haben sich schriftsätzlich zum Verfahren nicht geäußert.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 13.01.2006 die Beiladung ausgesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Psychotherapeuten und der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des
Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beschluss des Beklagten vom 02.11.2005 ist rechtswidrig und war daher
nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zurückweisung des Widerspruchs der Beigeladenen zu 1)
gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.04.2005.
Nach § 20 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) ist für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht
geeignet ein Arzt, der wegen eines Beschäftigungsverhältnisses für die Versorgung der Versicherten persönlich nicht
im erforderlichen Maße zur Verfügung steht oder eine Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des
Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist. Entsprechend muss der Vertragsarzt dem
Zulassungsantrag eine Erklärung über im Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Dienst- oder
Beschäftigungsverhältnisse unter Angabe des frühestmöglichen Endes des Beschäftigungsverhältnisses vorlegen
(vgl. § 18 Abs. 2 lit. d Ärzte-ZV).
Weitere ärztliche Tätigkeitsverhältnissen unterliegen damit Beschränkungen hinsichtlich des zeitlichen Umfangs
(quantitative Beschränkungen, vgl. § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV) und ihres Inhalts (qualitative Beschränkungen, vgl. § 20
Abs. 2 Ärzte-ZV). Eine Zulassung kann unter der Bedingung erfolgen, dass das Zulassungshindernis beseitigt, also
die weitere Tätigkeit aufgegeben oder beschränkt wird (vgl. § 20 Abs. 3 Ärzte-ZV).
Aus dem in § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV kodifizierten Merkmal des "Zurverfügungstehens in erforderlichem Maße" hat das
Bundessozialgericht (BSG) abgeleitet, dass der die Zulassung anstrebende Arzt in dem Bereich der vertragsärztlichen
Tätigkeit nicht ganztags, sondern im dort üblichen Umfang für die ambulant zu behandelnden Versicherten der
gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung stehen müsse. Das Bundessozialgericht (BSG) geht nunmehr davon aus,
dass die zeitliche Inanspruchnahme des Zulassungsbewerbers durch ein Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich nicht
mehr als ein Drittel der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit, also ca. 13 Wochenstunden, betragen darf (vgl. BSG, Urt.
v. 30.01.2002 - B 6 KA 20/01 R - BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 3 = NJW 2002, 3278 = juris Rdnr. 31). Eine
hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung
angenommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.09.2002 - 1 BvR 1315/02 -, zit. nach BSG, Urt. v. 05.02.2003 - B 6 KA
22/02 R - SozR 4-2500 § 95 Nr. 2 = NZS 2004, 219 = juris Rdnr. 29). Diese Rechtsprechung, zunächst im Falle einer
Psychologischen Psychotherapeutin ergangen, hat das BSG für eine im Krankenhaus beschäftigte Kinderärztin und
Psychotherapeutin (vgl. BSG, Urt. v. 11.09.2002 - B 6 KA 23/01 R - SozR 3-5520 § 20 Nr. 4 = juris Rdnr. 19 ff.) und
einen Anästhesisten bestätigt(vgl. BSG, Urt. v. 05.02.2003 - B 6 KA 22/02 R - SozR 4-2500 § 95 Nr. 2 = NZS 2004,
219 = juris Rdnr. 29 f.).
Nach § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV ist für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht geeignet ein Arzt, der eine ärztliche
Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren
ist. Diese Vorschrift ist vom BSG wiederholt als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. BSG, Urt. v. 15.03.1995
- 6 RKa 23/94 - BSGE 76, 59, 63 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 1 = NZS 1996, 90 = juris Rdnr. 31-36; BSG, Urt. v.
19.03.1997 - 6 RKa 39/96 - BSGE 80, 130 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 2 = MedR 1997, 515 = juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v.
05.11.1997 – 6 RKa 52/97 – BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 16 = NJW 1998, 3442 = juris Rdnr. 21). Nach der
Rechtsprechung des BSG will diese Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach ausschließen, dass bei der Zulassung
eines Arztes als Vertragsarzt in dieser Eigenschaft durch eine anderweitig von ihm ausgeübte ärztliche Tätigkeit
Interessen- und Pflichtenkollisionen entstehen. Solche sind u. a. dann anzunehmen, wenn sich die anderweitige
ärztliche Tätigkeit und vertragsärztliche Tätigkeit vermischen können und dies sich zum einen zum Nachteil der
Versicherten u. a. wegen einer faktischen Beschränkung des Rechts auf freie Arztwahl (§ 76 Abs. 1 S. 1) und zum
anderen zum Nachteil der Kostenträger auswirken kann, weil insoweit je nach persönlichem Interesse des Arztes
Leistungen aus nicht sachgerechten Gründen von dem einen zum anderen Bereich verlagert werden können; oder
wenn nicht gewährleistet ist, dass der Arzt aufgrund seiner anderweitigen ärztlichen Tätigkeit Inhalt und Umfang einer
vertragsärztlichen Tätigkeit und den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen persönlichen Mittel selbst
bestimmen kann (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.1997 – 6 RKa 52/97 – BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 16 = NJW
1998, 3442 = juris Rdnr. 22). Die Rechtsprechung hat bisher u. a. als zulässig angesehen die Niederlassung eines im
Krankenhaus angestellte Pathologen, da es sich um Ärzte handelt, die ihrem typischen Fachgebietsinhalt nach
regelmäßig nicht unmittelbar patientenbezogen ärztlich tätig sind, keinen direkten Kontakt zu einzelnen Patienten
haben, die Behandlung nicht steuern und auch keine Leistungen Dritter veranlassen (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.1997 – 6
RKa 52/97 – BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 16 = NJW 1998, 3442 = juris Rdnr. 24-25). Lediglich rein
technisch-administrative, organisatorische, dokumentarische oder publizistische Aufgaben dürfen wahrgenommen
werden, wobei auch einer Psychotherapeutin gestattet sein müsste, für kurzfristig erforderlich werdende
Behandlungen bzw. Kriseninterventionen in ihrer Arbeitsstelle abkömmlich zu sein (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2002 - B 6
KA 20/01 R - BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 3 = juris Rdnr. 38).
Unzulässig ist in der Regel eine gleichzeitige patientenbezogene Tätigkeit in einem Krankenhaus. Unvereinbar ist die
faktische Wahrnehmung der Tätigkeit eines Krankenhausarztes durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassenen Arzt, die nicht in den dafür zulassungsrechtlich vorgesehenen Formen wie der belegärztlichen Tätigkeit
vorgenommen wird (vgl. BSG, Urt. v. 15.03.1995 - 6 RKa 23/94 - BSGE 76, 59 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 1 = juris Rdnr.
36). Im Einzelnen hat das BSG bisher entschieden, dass eine Vermischung beider Versorgungsbereiche regelmäßig
in den Fällen vorliegt, in denen der die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Einzugsbereich des
Krankenhauses begehrende Krankenhausarzt bei stationärem Aufenthalt von Patienten unmittelbar in deren
Versorgung eingebunden ist. Es liegt nahe, dass sich z. B. Versicherte nach Beendigung der stationären Behandlung
verpflichtet sehen könnten, die sich anschließende ambulante Behandlung bei dem gleichzeitig zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassenen Krankenhausarzt fortzusetzen, schon weil bei erneuter Inanspruchnahme stationärer
Versorgung mit der Behandlung durch den Krankenhausarzt gerechnet werden kann. Auch die Möglichkeit, dass ein
am Krankenhaus und gleichzeitig in der vertragsärztlichen Praxis tätiger Arzt aus nicht sachgerechten Gründen
Behandlungsschritte bei Versicherten vom ambulanten in den stationären Bereich und umgekehrt verlagern kann, ist
nicht von der Hand zu weisen (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.1997 – 6 RKa 52/97 – BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr.
16 = juris Rdnr. 23). Ein am Krankenhaus angestellter Anästhesist kann nicht zugleich in dessen Einzugsbereich
Vertragsarzt sein. Er arbeitet sowohl bei der narkosemäßigen Versorgung von Patienten aus Anlass von Operationen
als auch im Rahmen der Schmerztherapie unmittelbar patientenbezogen (vgl. BSG, Urt. v. 05.02.2003 - B 6 KA 22/02
R - SozR 4-2500 § 95 Nr. 2 = juris Rdnr. 31). Die vertragsärztliche Tätigkeit neben einer werksärztlichen Tätigkeit auf
dem Betriebsgelände ist unzulässig, wenn die Praxis mit Hilfe des Personals, das von der Firma für die betriebliche
Ambulanz angestellt ist, und unter Benutzung der Einrichtungen der Ambulanz geführt wird, der Arzt bei halber
Arbeitszeit das volle Gehalt weiter erhält, aber 100 % der Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit bis zu dem
Betrag, der 50 % ihres jeweiligen Bruttogehalts entspricht, und von den darüber hinausgehenden Einnahmen 70 %
abführen muss. Die vertragliche Bindung des Arztes mit der Firma als Arbeitgeber begründet die Gefahr, dass der
Arzt bei der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht frei von möglichen Einflussnahmen ist bzw. sich nicht
von derartigen Einflussnahmen frei fühlen kann. Es besteht die Gefahr, dass sich werksärztliche und vertragsärztliche
Tätigkeit in unzuträglicher Weise vermischen und dies sich zum Nachteil der Versicherten auswirkt und dass das
Rechts der freien Arztwahl (§ 76 Abs. 1 S. 1) beeinträchtigt wird (vgl. BSG, Urt. v. 19.03.1997 - 6 RKa 39/96 - BSGE
80, 130 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 2 = juris Rdnr. 16-23). Patientenbezogen ist auch die Tätigkeit der Psychiater und
Psychotherapeuten (vgl. BSG, Urt. v. 25.11.1998 - B 6 KA 18/98 B – juris Rdnr. 4; BSG, Urt. v. 30.01.2002 - B 6 KA
20/01 R - BSGE 89, 134 = SozR 3-5520 § 20 Nr. 3 = juris Rdnr. 35).
Soweit die Gefahr von Interessen- und Pflichtenkollisionen vorliegt, kann diese nicht durch eine
Selbstverpflichtungserklärung beseitigt werden (vgl. BSG v. 30.01.2002 - B 6 KA 20/01 R - BSGE 89, 134 = SozR 3-
5520 § 20 Nr. 3 = juris Rdnr. 37).
Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist der angefochtene Beschluss des Beklagten nicht zu beanstanden.
Unter Zugrundelegung des mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 16.03.2006 als Anlage K 2
vorgelegten Anstellungsvertrages (im Folgenden: AV) bestehen bereits Bedenken, ob der Kläger tatsächlich in seiner
Chefarzttätigkeit auf 13 Wochenstunden beschränkt ist. Nach § 1 Nr. 1 AV wird keine feste Arbeitszeit vereinbart,
sondern wird der Umfang der Tätigkeit jeweils in gegenseitigem Einvernehmen festgelegt und erfolgt die
Zurverfügungstellung der ärztlichen Tätigkeit für den Arbeitgeber im Rahmen der vom BSG mit Urteil vom 30.01.2002
(Az.: B 6 Ka 20/01) aufgestellten Grundsätze. Damit wird gerade eine zeitliche Limitierung der Arbeitszeit nicht
verbindlich vorgegeben. Insbesondere aber kann nach dem Anstellungsvertrag eine Interessen- und Pflichtenkollision
nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger ist in der stationären Patientenversorgung tätig. Die Abteilung Diabetologie
wird für die anderen Abteilungen (Orthopädie, Neurologie und Innere Medizin/Kardiologie) vorgehalten und betreut die
Patienten der anderen Abteilungen, die an Diabetes Mellitus erkrankt sind, konsiliarisch (§ 1 Nr. 2 AV). Diese
patientenbezogene Betreuung obliegt dem Kläger als Chefarzt der Abteilung Diabetologie, weshalb er im Einzelnen
auch Schulungen (§ 1 Nr. 2 Absatz 2 AV) und Visiten (§ 3 Nr. 3 AV) durchzuführen, die Einstellungen der
Diabetespatienten vorzunehmen sowie Sprechstunden abzuhalten hat (§ 1 Nr. 2 Abs. 3 AV); daneben obliegt dem
Kläger die Dokumentation der Krankengeschichte der von ihm stationär betreuten Patienten (§ 3 Nr. 5 AV) und die
Mitwirkung an der Aufstellung des Dienstplans (§ 7 AV). Eine Interessen- und Pflichtenkollision kann deshalb nicht
ausgeschlossen werden.
Nach Abschnitt B Nr. 24 der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen aufgrund der Beschlüsse der
Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen vom 02. Juli 2005, veröffentlicht im Hessischen Ärzteblatt
10/2005 (s. a. www.laekh.de) gehört zu dem Weiterbildungsinhalt eines Facharztes für Physikalische und
Rehabilitative Medizin der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in – der Rehabilitationsabklärung
und Rehabilitationssteuerung – der Klassifikation von funktionalen Gesundheitsstörungen – der Durchführung von
Rehabilitationsmaßnahmen einschließlich der Frührehabilitation mit dem Ziel der Beseitigung bzw. Verminderung von
Krankheitsfolgen, der Verbesserung und Kompensation gestörter Funktionen und der Integration in die Gesellschaft
einschließlich der Langzeitrehabilitation – den Grundlagen der Diagnostik von Rehabilitation erfordernden Krankheiten
und deren Verlaufskontrolle – der Funktionsdiagnostik, Indikationsstellung, Verordnung, Steuerung, Kontrolle und
Dokumentation von Maßnahmen und Konzepten der physikalischen Medizin einschließlich der Heil- und Hilfsmittel
unter kurativer und rehabilitativer Zielsetzung – den physikalischen Grundlagen, physiologischen und
pathophysiologischen Reaktionsmechanismen einschließlich der Kinesiologie und der Steuerung von Gelenk- und
Muskelfunktionen, der therapeutischen Wirkung und praktischen Anwendung von Physiotherapiemethoden – der
Besonderheit von angeborenen Leiden und von Erkrankungen des Alters – der physikalischen Therapie wie
Krankengymnastik, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie, manuelle Therapie, Massagetherapie, Elektro- und
Ultraschalltherapie, Hydrotherapie, Inhalationstherapie, Wärme- und Kälteträgertherapie, Balneotherapie,
Phototherapie – der Behandlung im multiprofessionellen Team einschließlich Koordination der interdisziplinären
Zusammenarbeit – den Grundlagen und der Anwendung von Verfahren zur Bewertung der
Aktivitätsstörung/Partizipationsstörung einschließlich Kontextfaktoren (Assessments) – der Erstellung von
Rehabilitationsplänen einschließlich Steuerung, Überwachung und Dokumentation des Rehabilitationsprozesses im
Rahmen der Sekundär-, Tertiärprävention und Nachsorge – der Patienteninformation und Verhaltensschulung sowie in
der Angehörigenbetreuung – der gebietsbezogenen Arzneimitteltherapie – psychogenen Symptomen,
somatopsychischen Reaktionen und psychosozialen Zusammenhängen – der Bewertung der Leistungsfähigkeit und
Belastbarkeit, der Arbeitsfähigkeit, der Berufs- und Erwerbsfähigkeit sowie der Pflegebedürftigkeit.
Zu den definierten Untersuchungs- und Behandlungsverfahren gehören: – Erstellung von Rehabilitationsplänen
einschließlich deren epikritischer Bewertung – spezielle Verfahren der rehabilitativen Diagnostik, z. B.
sensomotorische Tests, Leistungs-, Verhaltens- und Funktionsdiagnostiktests, neuropsychologische Tests –
rehabilitative Interventionen, z. B. Rehabilitationspflege, Dysphagietherapie, neuropsychologisches Training,
Biofeedbackverfahren, Musik- und Kunsttherapie, rehabilitative Sozialpädagogik, Diätetik, Entspannungsverfahren –
funktionsbezogene apparative Messverfahren, z. B. Muskelfunktionsanalyse, Stand- und Ganganalyse,
Bewegungsanalyse, Algometrie, Thermometrie.
Damit kann eine Überlappung der Versorgung der Patienten aufgrund der vom Kläger geltend gemachten
unterschiedlichen fachlichen Gebiete einerseits stationär und anderererseits ambulant-vertragsarztrechtlich nicht
ausgeschlossen werden, da zur Behandlung eines Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin auch die
Behandlung an Diabetes Mellitus erkrankter Patienten gehören kann. Gleichfalls kann nicht ausgeschlossen werden,
dass die Patienten nicht auch aus dem Einzugsbereich der Praxis, die im selben Ort geplant ist, kommen.
Soweit der Kläger sich gegen den Vorwurf verwehrt, er passe vertragliche Vereinbarungen an, bis sie mit der
Zulassung als vereinbar erscheinen könnten, kommt es hierauf nicht an. Von daher kommt es auch nicht darauf an,
ob der Kläger neben den ausdrücklich im Vertrag geregelten Aufgaben weitere zu erfüllen hat, wie sie insbesondere
nach dem ursprünglich vorgelegten Vertrag vorgesehen waren. Allerdings muss sich der Kläger entgegenhalten
lassen, ohne plausible Erklärung einen rückwirkend ab 01.07.2005 geltenden (vgl. Präambel AV) Vertrag vorgelegt zu
haben, der nicht datiert ist und der keine Angaben über die Vergütung enthält.
Soweit der Kläger vorträgt, der Beklagte habe ihn zum Vorbringen der Beigeladenen zu 1) nicht angehört, so trifft dies
nicht zu. Der Beklagte hat das Schreiben der Beigeladenen zu 1) mit Datum v. 28.10.2005 ausweislich der
Verwaltungsakte per Fax am 01.11.2005 an die seinerzeitige Prozessbevollmächtigte des Klägers gesandt. Der
Kläger hat ferner im Beisein seiner damaligen Prozessbevollmächtigten an der mündlichen Verhandlung vor dem
Beklagten teilgenommen.
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1
VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.