Urteil des SozG Marburg vom 20.02.2008

SozG Marburg: datum, vertragsarzt, ausschreibung, stationäre behandlung, eigenes verschulden, entziehung, beendigung, stadt, unfall, krankheit

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 20.02.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 123/07
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 38/08
Bundessozialgericht B 6 KA 42/09 B
1. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 19.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.03.2007 wird die Beklagte verurteilt, den Vertragsarztsitz der Klägerin auszuschreiben und das
Nachbesetzungsverfahren gem. § 103 Abs. 4 SGB V durchzuführen.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes und Durchführung des
Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 SGB V, hierbei insbesondere um die Frage, inwieweit nach Entzug der
Zulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit aufgrund gesundheitlicher Probleme noch eine
psychotherapeutische Praxis vorhanden ist.
Die 1949 geborene und jetzt 58-jährige Klägerin ist approbierte psychologische Psychotherapeutin und
Psychoanalytikerin. Sie war seit dem 25.11.1999 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Unter Datum vom 22.09.2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, bei einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass
sie über einen längeren Zeitraum keine Abrechnung eingereicht habe. Die Klägerin erklärte hierzu unter Datum vom
12.10.2003, ein Antrag auf Ruhen der Zulassung sei nicht erforderlich, da sie im Quartal IV/02 und I/03 gearbeitet
habe. Sie wies auf entsprechende Abschlagszahlungen hin. Sie setze ihre Arbeit auch fort. Am 08. März habe sie
einen Unfall gehabt. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit zum 01. April sei sie nur reduziert tätig (alte laufende Fälle).
Sie habe ihre kleine Abrechnung bis zu einem Jahr sammeln wollen. Am 29. Juni habe sie einen schweren Unfall
gehabt (komplizierte Oberschenkelfraktur mit OP, Reha, zwei Gehstützen bis Ende September). Obwohl gerade für
Ende Juni die Abrechnung geplant gewesen sei, sei diese schon allein durch den plötzlichen Klinikaufenthalt nicht
möglich gewesen. Ende September habe sie für das vierte Quartal 2003 neue Termine vereinbart, die sie dann noch
mit in die Abrechnung habe einbeziehen wollen. Sie beabsichtige, die Abrechnung bis zum 15. Dezember des Jahres
einzureichen.
Die Beklagte wies die Klägerin unter Datum vom 12.02.2004 darauf hin, dass eine Abrechnung bei ihr nicht
eingegangen sei. Sie wies auf die Möglichkeit des Ruhens der Zulassung hin und kündigte an, sollte für das Quartal
I/04 wiederum keine Abrechnung eingehen, werde sie einen Antrag auf Entziehung der Zulassung wegen
Nichtausübung der Tätigkeit einreichen.
Die Klägerin teilte unter Datum vom 03.04.2004 mit, am 03.01.2004 habe sie einen Unfall (Fraktur Hand re. OP
12.01.2004) gehabt. Sie habe mit der Abrechnungsstelle am 05.01.2003 Kontakt aufgenommen. Die informell erlaubte
Fristverlängerung habe nach der Unfall-Operation leider nicht ausgereicht. Sie könne versichern, dass sie ihre
psychotherapeutische Tätigkeit weiterhin ausübe und weiterführen möchte. Neue Anmeldungen könnten jetzt Termine
erhalten. Sie habe für noch etwa drei Wochen an der rechten Hand eine Metallschiene. Bisherige laufende Therapien
habe sie ab 17.03.2004 fortgesetzt. Sie reichte eine fachärztliche Bescheinigung des Dr. K., Facharzt für Orthopädie,
zur Verwaltungsakte, in der dieser mit Datum vom 22.03.2004 bescheinigte, die Klägerin habe wegen einer Fraktur
vom 03.01.2004 bis 16.03.2004 ihre Tätigkeit nicht ausüben können. Ferner reichte sie ein ärztliches Attest des Prof.
Dr. med. D, Chefarzt der Klinik für Unfall- und Gelenkchirurgie, PO.Krankenhaus A-Stadt ein, in der dieser der
Klägerin bescheinigte, aufgrund einer Verletzung der rechten Hand für voraussichtlich drei Wochen keine
Schreibtischtätigkeit verrichten zu können. Das Attest war mit Datum vom 29.03.2004 versehen. Am 30.04.2004
beantragte die Klägerin das Ruhen der Zulassung ab dem 01.01.2004 bis vorsorglich 30.06.2004. Sie gehe davon aus,
dass sie das Ruhen auch vor Ende des Ruhenszeitraums beenden könne. Sie habe sich am 25.04.2004 in stationäre
orthopädische Behandlung wegen einer konservativen Behandlung der Wirbelsäule begeben. Sie reichte einen
Befundbericht des Dr. K. vom 29.04.2004 zur Verwaltungsakte.
Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom
17.06.2004 das Ruhen der Zulassung der Klägerin vom 01.01.2004 bis 30.06.2004 fest. Unter Hinweis auf ihre
anhaltende Krankheit beantragte die Klägerin die Verlängerung des Ruhens der Zulassung. Mit Beschluss vom
23.09.2004 stellte der Zulassungsausschuss das Ruhen der Zulassung bis zum 10.01.2005 fest. Telefonisch kündigte
die Klägerin am 06.01.2005 einen Verlängerungsantrag an. Sie erklärte, sie liege wegen eines Unfalls in der Klinik und
könne nicht schreiben. Sie reichte eine ärztliche Bescheinigung der Orthopädischen Universitätsklinik und Poliklinik F.
A-Stadt vom 03.01.2005 zur Verwaltungsakte, in der eine stationäre Behandlung seit dem 20.12.2004 bescheinigt
wurde. Unter Datum vom 30.11.2005 teilte die Klägerin mit, im Mai 2005 habe sie bisherige Patienten behandelt. Eine
Vollzeitpraxis mit ca. 15 bis 20 Stunden pro Woche könne sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht aufnehmen. Sie habe
eine Anfrage einer auswärtigen Kollegin wegen eines Jobsharings. Die habe sich bereits beraten und Unterlagen
zuschicken lassen. Wegen eines bevorstehenden Umzugs könne sie neue Patienten gegenwärtig nicht aufnehmen.
Unter Datum vom 05.01.2006 beantragte die Beklagte die Entziehung der Zulassung. Zur Begründung führte sie u. a.
aus, eine erneute Überprüfung der Abrechnung habe ergeben, dass die Klägerin weiterhin keine Abrechnung
eingereicht habe. Die Klägerin habe nachweislich seit dem zweiten Quartal 2004 keine Abrechnung mehr eingereicht,
das Ruhen sei seit dem 10.01.2005 nicht mehr verlängert worden und eine baldige Aufnahme der
psychotherapeutischen Tätigkeit sei nicht erkennbar. Es liege eine Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit vor.
Der Zulassungsausschuss stellte mit Beschluss vom 16.03.2006 das Ruhen der Zulassung bis zum 30.06.2006 fest.
Ferner machte er der Klägerin die Auflage, nach Ablauf des Ruhens der Zulassung ein amtsärztliches Gutachten
vorzulegen, aus dem Ihre Eignung zur Ausübung vertragspsychotherapeutischer Tätigkeit hervorgehe. Den Antrag auf
Entziehung der Zulassung lehnte er ab. Mit Telefax teilte die Klägerin mit, sie hätte gerne am Termin heute am 21.09.
persönlich teilgenommen. Das sei nicht möglich gewesen, sie sei aber anwaltlich vertreten gewesen. Sie sei im
Glauben gewesen, bis zum Ende des Quartals Zeit für das amtsärztliche Zeugnis zu haben. Es bestehe noch die
Möglichkeit des Verkaufs der Praxis.
Der Zulassungsausschuss entzog mit Beschluss vom 21.09.2006 der Klägerin die Zulassung für den
Vertragspsychotherapeutensitz A-Stadt, A-Str. 120 wegen Nichtausübung der vertragspsychotherapeutischen
Tätigkeit. Zur Begründung führte er aus, nachdem die Klägerin die vertragspsychotherapeutische Tätigkeit am
01.07.2006 nicht aufgenommen habe, dem Zulassungsausschuss das amtsärztliche Gutachten nicht vorgelegen
habe, damit er beurteilen könne, inwieweit die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin die Ausübung
vertragspsychotherapeutischer Tätigkeit noch zuließen, habe er über die Entziehung der Zulassung beschließen
müssen.
Gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses legte die Klägerin am 26.10.2006 Widerspruch ein.
Die Klägerin beantragte durch ihren Prozessbevollmächtigten am 26.10.2006 die Ausschreibung des
Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 SGB V bei der Beklagten.
Die Beklagte lehnte unter Datum vom 19.12.2006 die Ausschreibung des Psychotherapeutensitzes ab. Zur
Begründung verwies sie auf ein Urteil des BSG vom 29.09.1999, Az.: B 6 KA 1/99 R, in dem festgestellt worden sei,
dass eine Praxis nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden könne, wenn der ausscheidende
Vertragsarzt/Psychotherapeut zum Zeitpunkt der Beendigung der Zulassung tatsächlich unter einer bestimmten
Anschrift in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen sei. Das setze den Besitz bzw. Mitbesitz
von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer
ärztlichen/psychotherapeutischen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung
der ärztlichen/psychotherapeutischen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-
technischer Hinsicht voraus. Fehle es an alledem, werde eine ärztliche/psychotherapeutische Praxis tatsächlich nicht
betrieben und infolge dessen auch die vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt. Ein Vertragsarzt/Psychotherapeut,
der eine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht wahrnehme, keine Praxisräume mehr besitze, keine Patienten
mehr behandle und über keinen Patientenstamm verfüge, betreibe keine Praxis, die von einem Nachfolger fortgeführt
werden könne. Ende in diesem Fall die Zulassung durch Entziehung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen
Tätigkeit, falle der Vertragsarztsitz ersatzlos fort. Sie sehe daher keine Möglichkeit, den Vertragsarztsitz
auszuschreiben.
Hiergegen legte die Klägerin am 08.01.2007 Widerspruch ein. Sie führte aus, der Beklagten sei ihr Krankheitszustand
bekannt. Das Amtsgericht A-Stadt habe aufgrund eines fachärztlichen Gutachtens eine Betreuung eingerichtet. Die
Bestellung datiere vom 20.12.2006. Wer als Vertragspsychotherapeutin krankheitsbedingt außerstande sei, die Praxis
fortzuführen, könne dadurch den Vertragsarztsitz nicht verlieren. Dies würde eine Diskriminierung aufgrund der
Behinderung darstellen. Man könne ihr auch nicht zum Vorwurf machen, dass sie nach Ablauf der Ruhenszeit nicht
ein amtsärztliches Gutachten vorgelegt habe. Das nunmehr vorliegende Gutachten zeige einen derart schweren
Krankheitszustand, dass ihr Mitte 2006 ein solcher Vorwurf gar nicht habe gemacht werden können. Sie sei seinerzeit
gar nicht in der Lage gewesen, ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Weise zu gestalten und
wahrzunehmen, wie dies aus Sicht der Beklagten erforderlich erscheine. Sie habe den Mitbesitz an den Praxisräumen
krankheitsbedingt verloren. Die Dauer des Nachbesetzungsverfahrens könne nicht zu Lasten des übergebenden
Arztes gehen. Sie habe in den Jahren 2004 und 2005 nicht erkennen können, dass die Erkrankung sich länger
hinziehen werde. Noch nicht einmal Mitte 2006 sei bei ihr die Fähigkeit vorhanden gewesen, das Ausmaß der
Erkrankung zu kennen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2007, der Klägerin am 23.03. zugestellt, wies die Beklagte den Widerspruch
gegen die Ablehnung des Antrags auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes als unbegründet zurück. Zur Begründung
wiederholte sie im Wesentlichen die Ausführungen im angefochtenen Ausgangsbescheid.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.04.2007 die Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 05.07.2007 wies der Berufungsausschuss den Widerspruch der Klägerin gegen die
Zulassungsentziehung zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 01.11.2007 zum Az.: S 12 KA 456/07 die Klage.
Die Klägerin trägt ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, der Zulassungsausschuss sei nicht
befugt gewesen, die Zulassung zu entziehen, da es an einem Antrag der Beklagten gefehlt habe. Im Übrigen habe
weiterhin eine Erkrankung bestanden, sodass wegen Fehlens des amtsärztlichen Gutachtens die Zulassung nicht
habe entzogen werden dürfen. Sie sei im Jahre 2005 und 2006 aufgrund der verschiedenen Erkrankungen in eine
finanzielle Notlage geraten, sodass sie Sozialhilfeleistungen habe in Anspruch nehmen müssen. Das Sozialrathaus
habe im Oktober 2006 beim Amtsgericht angeregt, eine Betreuung einzurichten. Das Amtsgericht habe ein Gutachten
bei der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. in Auftrag gegeben. Das Gutachten bestätige, dass es sich
um einen schleichenden Prozess gehandelt habe, der von ihr nur sehr bedingt "beherrscht oder bewältigt" habe
werden können. Sie habe aus finanziellen Gründen, ohne eigenes Verschulden, ihre Wohnung verloren. Wegen der
Erkrankung sei es zu einer "Schuldenspirale" gekommen. Das Ruhen des Sitzes beinhalte gerade, dass der
betroffene Inhaber diesen ausschreiben könne. Dies entspreche auch einer ständigen Praxis der Beklagten. Der
Gesetzgeber wolle den Eigentumswert der Praxis schützen. Sie habe ihren Sitz ggf. örtlich verlegen dürfen.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.03.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Vertragsarztsitz auszuschreiben und das
Nachbesetzungsverfahren gemäß §103 Abs. 4 SGB V durchzuführen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, es gebe keine fortführungsfähige Praxis. Schon seit 2 1/2 Jahren übe die Klägerin
eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit nicht mehr aus. Insofern könne ein Patientenstamm, der regelmäßig
Grundvoraussetzung einer funktionierenden vertragspsychotherapeutischen Praxis sei, nicht mehr vorhanden sein.
Ein Zulassungsverkauf sei aber nicht möglich. Es sei auf die große Zeitspanne der Erkrankung der Klägerin
hinzuweisen, in der durchaus ausreichend Möglichkeit bestanden hätte, dem Beschluss des Zulassungsausschusses
zur Vorlage des Gutachtens nachzukommen. Nach über zweijährigem Ruhen der Zulassung sei der Beschluss am
16.03.2006 ergangen. § 103 Abs. 4 SGB V stelle nur auf das tatsächliche Bestehen einer Praxis ab. Warum diese
Voraussetzung nicht erfüllt werden könne, sei unerheblich. Es solle nur das tatsächlich bestehende Vermögen
gesichert werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie
der weiter beigezogenen Verfahrensakte des Gerichts mit Aktenzeichen S 12 KA 456/07, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzten für
Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzten für
Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -)
Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben
worden. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.12.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.03.2006 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch
darauf, dass die Beklagte ihren Vertragsarztsitz ausschreibt und das Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4
SGB durchführt.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2007 ist
rechtswidrig.
Wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet
sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger
fortgeführt werden soll, hat die Kassenärztliche Vereinigung auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung
über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen
vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen. Dem
Zulassungsausschuss sowie dem Vertragsarzt oder seinen Erben ist eine Liste der eingehenden Bewerbungen zur
Verfügung zu stellen (§ 103 Abs. 4 Satz 1 u. 2 SGB V).
Nach diesen Vorschriften ist die Beklagte verpflichtet, bei den genannten Beendigungsgründen den Vertragsarztsitz
auszuschreiben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt der Beklagten kein Prüfungsrecht hinsichtlich der
Nachfolgefähigkeit des zur Ausschreibung gegebenen Vertragsarztsitzes zu. Es obliegt grundsätzlich den
Zulassungsgremien, über die Praxisnachfolge nach § 103 Abs. 4 SGB V zu entscheiden und insofern handelt es sich
bei der von der Beklagten vorzunehmenden Ausschreibung lediglich um eine Vorbereitungshandlung. Nach
Auffassung der Kammer ist die Beklagte allerdings jedenfalls dann nicht berechtigt, eine Ausschreibung zu
verweigern, wenn die fehlende Ausschreibefähigkeit nicht offensichtlich ist. Im Fall der Klägerin ist aber nicht
offensichtlich, dass der Vertragsarztsitz nicht ausgeschrieben und neu besetzt werden könnte.
Grundsätzlich ist der Beklagten zuzugestehen, dass ein Vertragsarztsitz dann nicht mehr besetzt werden kann, wenn
eine Entziehung aufgrund Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit erfolgt und der Vertragsarzt weder
Behandlungen abrechnet noch eine Praxis hat. Im vorliegenden Fall haben allerdings die Zulassungsgremien das
Ruhen der Zulassung bis einschließlich zum 30.06.2006 angeordnet. Im Rahmen des anhängigen
Rechtsstreitverfahren über die inzwischen vom Berufungsausschuss bestätigte Zulassungsentziehung wird die
Kammer auch zu prüfen haben, ob der Berufungsausschuss über einen weitergehenden Antrag auf Ruhen der
Zulassung bisher überhaupt entschieden hat und ob er ggf. verpflichtet gewesen wäre, das Ruhen der Zulassung
weiterhin anzuordnen. Dies kann aber im Rahmen dieses Verfahrens dahingestellt bleiben. Maßgeblich war für die
Kammer, dass mit der Anordnung des Ruhens davon auszugehen ist, dass jedenfalls zum Beginn der
Ruhensanordnung noch eine Praxis vorhanden ist. Von daher kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf
an, in welchem Umfang die Klägerin im Zeitraum bis Ende 2003 vertragsärztlich tätig war. Das Ruhen einer Zulassung
führt aber nach einem gewissen Zeitraum generell oder jedenfalls in den meisten Fällen dazu, dass eine
vertragsärztliche Praxis nicht mehr vorhanden ist. Ob ein solches Schwinden der Praxis nach 6 Monaten oder später
der Fall ist, kann hier ebenfalls dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist der Vertragsarzt bei Anordnung des Ruhens nicht
nur nicht verpflichtet, sondern auch nicht berechtigt, die vertragsärztliche Praxistätigkeit weiter auszuüben. Er ist
auch nicht verpflichtet, Praxisräume weiter vorzuhalten. Dies wird er im Regelfall auch nicht tun, soweit er selbst das
Ruhen beantragt hat, da dies schon aus rein wirtschaftlichen Gründen im Regelfall nicht möglich sein dürfte. Von
daher kann jedenfalls der Fall, dass eine vertragsärztliche Praxis nach Ende eines Ruhenszeitraums nicht mehr
vorhanden ist, nicht dem Fall gleichgestellt werden, in dem kein Ruhen angeordnet wurde und die Praxis lediglich
durch Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht mehr vorhanden ist. Entsprechend hat auch das
Bundessozialgericht den Fall des Ruhens als Sonderfall betrachtet. In seiner Entscheidung vom 29.09.1999 führt das
Bundessozialgericht aus, eine Praxis könne aber im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur dann von einem
Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung
tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen sei.
Hierauf beruft sich auch zu Recht die Beklagte. Die Beklagte übersieht aber dabei, dass das Bundessozialgericht in
Parenthese gerade betont, dies gelte nur abgesehen von der seltenen Situation eines Ruhens der Zulassung,
jedenfalls sei zunächst von diesem Fall abzusehen (vgl. BSG, Urteil v. 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R - BSGE 85, 1 =
SozR 3-2005 § 103 Nr. 5, hier zitiert nach juris, Rdnr. 40). Gleichfalls sieht das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
eine besondere Situation für den Fall an, in dem das Ruhen der Zulassung angeordnet worden ist (vgl. LSG Rheinland-
Pfalz, Urteil vom 15.02.2007 – L5 KA 1/07 – juris, Rdnr. 18; die hierzu ergangene Revisionsentscheidung des BSG,
Urteil vom 28.11.2007 – B 6 KA 26/07 R – lag der Kammer noch nicht vor). Die Kammer konnte daher auch nicht
nachvollziehen, weshalb die Beklagte noch in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, die Klägerin habe
schon im Jahr 2004 keine Abrechnungen eingereicht, da für das gesamte Jahr 2004 der Zulassungsausschuss das
Ruhen angeordnet hat. Dabei kann hier dahinstehen, inwieweit das Ruhen der Zulassung rückwirkend angeordnet
werden kann, da jedenfalls die entsprechenden Beschlüsse des Zulassungsausschusses bestandskräftig wurden und
damit bindend für die Beteiligten und das Gericht vom Ruhen der Zulassung auszugehen hat.
Die Kammer ist ferner der Auffassung, dass im Falle des Ruhens der Zulassung eine Ausschreibung auch dann zu
erfolgen hat, wenn eine vertragsärztliche Praxis nur noch in der Hülse des Vertragsarztsitzes vorhanden ist. Dies folgt
für die Kammer aus dem Schutzgedanken des § 103 Abs. 4 SGB V, die vom Vertragsarzt aufgebaute
Vertragsarztpraxis und Praxis im Hinblick auf Artikel 14 Abs. 1 Grundgesetz zu schützen. Eine typische Fallgruppe
der Ruhensanordnung liegt dann vor, wenn der Vertragsarzt schwer erkrankt und bei Beginn der Ruhensanordnung
noch nicht absehbar ist, ob er in angemessener Zeit, für die ein Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit möglich ist,
seine vertragärztliche Tätigkeit wieder aufnehmen kann. Würde man dem Vertragsarzt in diesem Fall nach zwei oder
drei Jahren, wenn absehbar ist, dass er die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausüben wird können, die
Ausschreibemöglichkeit und Verwertung seiner Vertragsarztpraxis nehmen, so wäre er gezwungen, unmittelbar nach
Beginn der Erkrankung und in den ersten Monaten der Ruhensanordnung den Vertragsarztsitz sofort auszuschreiben
und hätte er, soweit im Rahmen der Bedarfsplanung Zulassungsbeschränkungen fortbestünden, auch nach
Beendigung der Erkrankung nicht mehr die Möglichkeit, an seinem alten Vertragsarztsitz die vertragsärztliche
Tätigkeit wieder aufzunehmen. Die Kammer würde bei einer solchen Auslegung des § 103 Abs. 4 SGB V einen
Verstoß auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz und den Eigentumsschutz
nach Artikel 14 Abs. 1 Grundgesetz sehen. Von daher ist § 103 Abs. 4 SGB V verfassungskonform dahingehend
auszulegen, dass jedenfalls dann, wenn ein Ruhen der Zulassung angeordnet worden ist, also auch von den
Zulassungsgremien Gründe für die Unterbrechung der vertragsärztlichen Tätigkeit anerkannt werden, nach Beendigung
des Ruhenszeitraums der Vertragsarztsitz in jedem Fall ausgeschrieben werden kann.
Im vorliegenden Fall ist jedoch weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch nach Beendigung des
Ruhenszeitraums ihre vertragsärztliche Tätigkeit offensichtlich ab 1. Juli 2006 nicht aufgenommen hat. Sie hat aber
bereits im Oktober 2006 die Ausschreibung beantragt und damit zu erkennen gegeben, dass ihre vertragsärztliche
Tätigkeit nicht mehr auszuüben bereit ist. Insofern geht die Kammer davon aus, dass ein Verlust des
Ausschreibungsrechts im Regelfall nicht innerhalb von 6 Monaten eintritt. Zu berücksichtigen war von der Kammer
hier aber auch, dass die Klägerin offensichtlich schwer erkrankt ist. Ausweislich des Gutachtens der Frau Dr. Sch. im
Pflegschaftsverfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main besteht bei der Klägerin seit längerem eine
Alkoholabhängigkeit. Diese Krankheit hat bei der Klägerin dazu geführt, dass Mitarbeiter des Sozialdienstes der A-
Stadt die Klägerin am 24.10.2006 bei einem Hausbesuch hilflos vorgefunden hätten. Die Wohnung sei in einem
"ungeordneten Zustand" gewesen und die Klägerin habe sich nur "kriechend" fortbewegen können. Sie habe sich
bereits 14 Tage vorher in einem "hilflosen Zustand" in der Wohnung befunden. Die Kammer geht daher davon aus,
dass die Klägerin auch in den Monaten zuvor nur bedingt einsichtsfähig in ihre Krankheit war und auch nur bedingt in
der Lage war, die Beendigung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit selbst in die Hand zu nehmen. Offensichtlich ist ihr
dies erst im Rahmen des Betreuungsverfahrens und unter Hinzuziehung fachanwaltlicher Hilfe gelungen. Von daher
hält es die Kammer für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der Klägerin dies bereits 4 Monate
nach Beendigung der Ruhensanordnung anzulasten. Dabei kann hier, wie bereits ausgeführt, dahingestellt bleiben, ob
nicht aus diesem Grund nochmals eine kurzfristige Ruhensanordnung hätte ergehen müssen, um der Klägerin die
Abwicklung ihres Vertragsarztsitzes zu ermöglichen.
Der Berufungsausschuss führt zwar in seinem Beschluss aus, die Klägerin übe seit dem zweiten Quartal 2004 die
vertragspsychotherapeutische Tätigkeit nicht mehr aus, was für sich genommen bereits wegen Nichtausübung den
Entzug der Zulassung rechtfertige. Wegen der Zwangsräumung bestehe auch der frühere Praxissitz nicht mehr,
weshalb mit einer Wiederaufnahme der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit nicht mehr zu rechnen sei. Er führt
aber weiter aus, ferner rechtfertige der Umstand der gesetzlichen Betreuung wegen Nichteignung die Entziehung. Von
daher wird im Klageverfahren über die Zulassungsentziehung zu klären sein, auf welcher Grundlage die Zulassung
entzogen wurde. Im Übrigen kommt es, wie bereits ausgeführt, entscheidend darauf an, dass das Ruhen der
Zulassung angeordnet war.
Nach allem war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende
Teil trägt die Kosten des Verfahrens.