Urteil des SozG Mannheim vom 21.01.2015

vertragsstrafe, verwaltungsakt, leistungsklage, arzneimittel

SG Mannheim Urteil vom 21.1.2015, S 9 KR 3065/13
Krankenversicherung - Rahmenvertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke
nach § 129 SGB 5 - Vertragsstrafe bei Falschabrechnung - Klagebefugnis der
Krankenkasse bei streitgegenständlicher Forderung - zulässige Klageart -
inhaltliche Bestimmtheit des Rahmenvertrages - Verhältnismäßigkeit einer
Vertragsstrafe
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
1
Die Beteiligten – eine gesetzliche Krankenkasse (Klägerin) und die Inhaberin einer
Apotheke (Beklagte) – streiten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
nach dem Sozialgesetzbuch V (SGB V) um eine Vertragsstrafe (6.560 EUR).
II.
2
Die Beklagte rechnete Sommer 2011 zu Lasten der Klägerin im Rahmen der
Arzneimittelversorgung falsch ab: Die Medikamente Metoprolol Succinat Beta 47,5
und Metoprolol Succinat Beta 95 waren seinerzeit Gegenstand eines
Rabattvertrages zwischen der Klägerin und dem Hersteller (betapharm
Arzneimittel GmbH). Da diese Medikamente in den Monaten Juni und Juli 2011
noch gar nicht lieferbar waren, gab die Beklagte in insgesamt 44 Fällen an
Versicherte der Klägerin andere, aber wirkstoffgleiche Präparate ab; gleichwohl
bedruckte sie die entsprechenden Kassenrezepte mit der Pharmazentralnummer
(PZN) der genannten Präparate und legte diese Rezepte bei der Klägerin zur
Abrechnung vor.
3
Zur Erläuterung gab sie später an, in ihrer Apotheke seien fünf Mitarbeiterinnen
beschäftigt. Sie habe seinerzeit noch mit einer alten Computersoftware gearbeitet,
die die vorgelegten Kassenrezepte mit der PZN bedruckt habe, bevor die
Verfügbarkeit des ärztlich verordneten Medikaments überprüft werden konnte. In
den streitigen Fällen sei dann wohl versehentlich versäumt worden, die PZN
manuell abzuändern (Angabe der PZN des tatsächlich abgegebenen
Arzneimittels). Ein solches Versehen könne insbesondere bei großem
Kundenandrang vorkommen und sei auch bei sorgfältiger Systemüberwachung
nicht gänzlich ausgeschlossen.
III.
4
Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Mannheim
(601 Js 24746/11) ist mit Verfügung vom 2.8.2012 eingestellt worden, da nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft ein Verschulden der Beklagten überaus
zweifelhaft und wohl kaum nachweisbar war. In der Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft Mannheim heißt es wörtlich:
5
Vielmehr ist aufgrund der weitgehend automatisierten Abrechnung und des
fehlerhaften Verhaltens einzelner Mitarbeiterinnen bei den Bestell- und
Abrechnungsvorgängen innerhalb der Apotheke nicht nachzuweisen, dass der
Beschuldigten die Falschabrechnungen überhaupt im Ansatz bewusst waren.
IV.
6
Nach Aufdeckung der dargestellten Falschabrechnungen teilte die Klägerin mit
Schreiben vom 30.7.2012 mit, es sei beabsichtigt, die Beklagte zu verwarnen und
eine Vertragsstrafe festzusetzen. Die Höhe der Vertragsstrafe, die im Benehmen
mit dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg verhängt werden solle,
werde voraussichtlich bei 9.200 EUR liegen.
V.
7
Der in dieser Angelegenheit eingeschaltete Landesapothekerverband Baden-
Württemberg (LAV) vertrat am 31.7.2012 die Auffassung, die geplante
Verhängung von Vertragsstrafen erscheine in der vorgesehenen Art und Höhe
nicht verhältnismäßig bzw. angemessen und sei durch die erhobenen Vorwürfen
nicht gerechtfertigt. Denn schließlich habe die Klägerin die Problematik selbst
erzeugt, indem sie einen Rabattvertrag abgeschlossen habe, obwohl der
Hersteller nicht in der Lage gewesen sei, die rabattierten Medikamente zu liefern.
Darüber habe in den Monaten Juni und Juli 2011 noch eine „Friedenspflicht“
gegolten. Die Geltendmachung der Vertragsstrafe in der Rechtsform eines
Verwaltungsakts sei ausgeschlossen, da sich die Apotheken und die gesetzlichen
Krankenkassen aufgrund der bestehenden öffentlich-rechtlichen Verträge in
einem Gleichordnungsverhältnis befänden. Weiterhin falle auf, dass nach den
Angaben der Klägerin in Baden-Württemberg insgesamt 1.217 Apotheken in der
beschriebenen Weise falsch abgerechnet haben sollen. Jetzt wolle die Klägerin
nur gegen zehn Apotheker Vertragsstrafen verhängen, die betroffenen Apotheken
hätten in 37 bis 53 Fällen (Vertragsstrafen 7.800 EUR bis 11.000 EUR) bzw. eine
Apotheke sogar in 120 Fällen (Vertragsstrafe 24.400 EUR) falsch abgerechnet. Es
werde daher seitens des LAV als willkürlich qualifiziert, dass unter der Zahl von 37
falsch bedruckten bzw. abgerechnet Rezepten keine Vertragsstrafe verhängt
werde, ab dem 37. Rezept dann jedoch gleich eine Vertragsstrafe von 7.800 EUR
gefordert werde. Hiermit sei der LAV nicht einverstanden.
VI.
8
Trotz der vorgebrachten Einwände sprach die Klägerin mit Schreiben vom
28.11.2012 gegen die Beklagte eine Vertragsstrafe in Höhe von 6.560 EUR aus.
Diese beruhe auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 des Rahmenvertrages über die
Arzneimittelversorgung in Verbindung mit §§ 5 und 6 des zugehörigen
Ergänzungsvertrages. Denn die Beklagte habe in den Monaten Juni und Juli 2011
wiederholt und gröblich ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzt, indem sie in
mindestens 44 Fällen bei der Arzneimittelabrechnung die PZN der Präparate
Medikamente Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95
verwendet habe, obwohl sie in Wirklichkeit andere Arzneimittel abgegeben habe.
Durch diese wiederholte Falschabrechnung habe sie das bestehende
Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig beschädigt. Außerdem habe sie die
Gesundheit der Versicherten gefährdet, denn aufgrund der vorhandenen
Dokumentation könne nicht mehr nachvollzogen werden, welches Arzneimittel
tatsächlich an die Versicherten abgegeben worden sei. Dies könne für den
Gesundheitszustand der Versicherten fatale Folgen haben. Nicht zuletzt habe das
Verhalten der Beklagten dazu geführt, dass sich das Unternehmen „betapharm
Arzneimittel GmbH“ Forderungen ausgesetzt gesehen habe, die sich letztlich als
unberechtigt herausgestellt hätten. Außerdem sei die Klägerin auch materiell
geschädigt worden, zudem gefährde die Falschabrechnung wichtige
Datengrundlage für das gesamte Arzneimittelabrechnungswesen (beispielsweise
für den Abschluss von Arzneimittelrabatt-verträgen). Nicht zuletzt könne auch nicht
ausgeschlossen werden, dass sich die Beklagte durch ihr Verhalten gegenüber
anderen Apothekern einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschafft habe.
Entgegen der Darstellung der Beklagten habe die Klägerin die Falschabrechnung
in keinster Weise mitverschuldet. Auch der Hinweis auf die „Friedenspflicht“ gehe
fehl, denn diese habe die Apotheker nur von der Pflicht befreit, Rabattarzneimittel
abzugeben, hierdurch sei jedoch nicht die Pflicht, die abgegebenen Arzneimittel
korrekt zu dokumentieren und abzurechnen, obsolet geworden. Auch der Hinweis
des LAV, wonach die mit einer Vertragsstrafe belegten Apotheker willkürlich
ausgewählt worden seien, überzeuge nicht. Es bleibe dabei, dass nur Fälle, in
denen eine besonders hohe Anzahl von Falschabrechnungen nachgewiesen
werden konnte, sanktioniert werden sollten. Die Grenze liege nach der
Entscheidung der Klägerin bei mehr als 35 Falschabrechnungen. Bei der
konkreten Bemessung der Vertragsstrafe habe die Klägerin berücksichtigt, dass
sich die Schadenshöhe letztlich in einem überschaubaren Umfang bewegen
dürfte. Auf der anderen Seite sei aber durchaus auch eine fühlbare Vertragsstrafe
notwendig. Deshalb seien die bislang zugrunde gelegten Staffelbeträge für die
Verhängung einer Vertragsstrafe um jeweils 20 EUR reduziert worden. Wenn
weiter berücksichtigt werde, dass der Beklagten kein Vorsatz nachgewiesen
werden könne, sei eine weitere Reduktion um 20 EUR geboten. Weiter erfolge ein
nochmaliger Abzug von jeweils 20 EUR, weil gegenüber der Beklagten bislang
anderweitig keine Vertragsstrafe bzw. keine Verwarnung notwendig gewesen sei.
Somit ermäßige sich der im Anhörungsschreiben genannte Betrag (9.200 EUR)
um 2.640 EUR, so dass eine Vertragsstrafe jetzt nur noch in Höhe von 6.560 EUR
gefordert werde.
VII.
9
Diese Vertragsstrafe wies die Beklagte mit Schreiben vom 15.1.2013 dem Grunde
und der Höhe nach zurück: Letztlich habe die Klägerin den Apotheken die Abgabe
eines nicht verfügbaren Medikaments „aufoktroyiert“, denn obwohl der
Rabattvertrag für die in Rede stehenden Arzneimittel schon zum 1.6.2011
abgeschlossen worden sei, habe der Hersteller das Arzneimittel bis Oktober 2011
nicht in den Verkehr gebracht. In dieser Situation seien die Apotheken verpflichtet
gewesen, die auf den Kassenrezepten angegebenen Präparate durch
wirkstoffgleiche Arzneimittel zu ersetzen. Genauso sei auch in ihrer Apotheke
verfahren worden. Allerdings sei dabei versehentlich auf 44 Rezepten die
notwendige Umtaxierung unterblieben. Wenn die Klägerin gegenüber der
Staatsanwaltschaft den Schaden auf 724,06 EUR beziffert habe, sei dies
offenkundig falsch. Denn bei Durchführung der Umtaxierung hätte die Klägerin in
jedem Fall das Äquivalenzprodukt vergüten müssen. Der Differenzbetrag
(Unterschied zwischen abgerechnetem und abgegebenem Präparat) liege pro
Packung bei durchschnittlich 0,43 EUR, so dass sich bei 44 Rezepten allenfalls
ein Maximalschaden von 18,92 EUR ergeben könne. Wenn man es auf die Spitze
treiben wolle sei der Klägerin überhaupt kein wirtschaftlicher Schaden entstanden,
da – nach wenn auch kontrovers diskutierter Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) – bei der Abgabe eines anderen als des rabattierten
Arzneimittels der Vergütungsanspruch des Apothekers vollständig entfalle. Auf
Basis dieser Überlegungen müsste sie - die Beklagte - die Einkaufskosten des
Medikaments (hier durchschnittlich 17,22 EUR pro Packung) ohne jeden
Vergütungsanspruch letztlich selbst tragen.
VIII.
10 Am 5.9.2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht erhoben. Ergänzend zu
ihrem bisherigen Vorbringen trägt sie zur Klagebegründung noch folgendes vor:
11 - Sie habe den bereits erwähnten Rabattvertrag am 10.5.2011 (mit Wirkung zum
1.6.2011) abgeschlossen. Tatsächlich habe der Hersteller die rabattierten
Arzneimittel erst ab September 2011 liefern können. Deshalb habe sie mit dem
Deutschen Apothekerverband (DAV) eine bis zum 31.8.2011 reichende
„Friedenspflicht“ vereinbart, wonach ausnahmsweise wirkstoffgleiche, nicht
rabattierte Arzneimittel abgegeben und abgerechnet werden konnten. Diese
„Friedenspflicht“ habe die Beklagte jedoch nicht von ihren gewöhnlichen
Sorgfalts- bzw. Abrechnungsvorschriften entbunden. So habe selbst der LAV am
24.8.2011 darauf hingewiesen, dass unabhängig von der „Friedenspflicht“ auf
dem Verordnungsblatt immer die PZN des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels
vermerkt werden müsse. Somit habe das Verhalten der Beklagten (fehlerhafte
Angabe und Abrechnung der PZN) eine nachhaltige Störung des vertraglichen
Vertrauensverhältnisses bewirkt.
12 - Entgegen der Darstellung der Gegenseite müsse sich die Klägerin in diesem
Zusammenhang kein Fehlverhalten vorhalten lassen. Denn mangels
fristgerechter und klarer Hinweise des Herstellers sei es gar nicht möglich
gewesen, die betreffenden Apotheken rechtzeitig über die Lieferengpässe des
Herstellers zu informieren (Aktualisierung der sogenannten „Lauertaxe“ über den
Pharma-Daten-Service ABDATA). Denn die Aktualisierung der Daten sei jeweils
nur einmal im Monat möglich, wobei die maßgebliche Frist jeweils um den 6. bis
zum 10. des Vormonats ablaufe. Aufgrund der jeweils sehr kurzfristigen und
nachträglich mehrfach geänderten Mitteilungen des Herstellers habe sich aber
jeweils die Situation ergeben, dass mit einer kurzfristigen Behebung der
Lieferprobleme innerhalb weniger Wochen gerechnet werden konnte. Daher sei
die Klägerin jeweils davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden
Arzneimittel kurzfristig zur Verfügung stehen würden, so dass von einem
entsprechenden Vermerk in der Datenbank abgesehen worden sei.
Strenggenommen habe die Rabattfähigkeit eines Arzneimittels ja auch gar nichts
mit dessen Lieferfähigkeit und Verfügbarkeit zu tun. Deshalb sei es grob
irreführend und falsch, wenn die Beklagte nunmehr reklamiere, die
Falschabrechnung gehe (auch) auf Umstände zurück, die in die Sphäre der
Klägerin fielen.
13 - Wegen der Vielzahl gleichgelagerter Fälle habe sie die geplante Verhängung
von Vertragsstrafen gegen einzelne Apotheker zunächst auf Bundesebene mit
dem DAV abgestimmt. Hierbei sei eine Staffelung der Vertragsstrafen nach der
Schwere des jeweiligen Vergehens vereinbart worden. Entsprechend der
Vorschriften des Bürgerlichen Rechts reiche für die Verhängung einer
Vertragsstrafe auch ein fahrlässiges Verschulden aus; auch das Fehlverhalten
von Mitarbeitern genüge. In einem Schreiben vom 16.8.2011 habe der DAV zum
Ausdruck gebracht, dass auch seines Erachtens „bei systematischen Verstößen
gegen vertragliche Abrechnungsbestimmungen Vertragsmaßnahmen
durchzuführen“ seien. Vor Verhängung der Vertragsstrafe sei die Beklagte
ordnungsgemäß angehört worden, zudem sei auch das notwendige „Benehmen“
mit dem L AV hergestellt worden. Auch wenn das „Benehmen“ mehr erfordere, als
eine einfache Anhörung, sei die Zustimmung des LAV nicht erforderlich; vielmehr
verbleibe, wenn eine Verständigung nicht zustande komme, das
Letztentscheidungsrecht bei ihr, der Klägerin.
14 - Zudem sei die geforderte Vertragsstrafe auch verhältnismäßig. Hinsichtlich eines
Apothekenumsatzes von rund 1.770.680 EUR, denn die Beklagte alleine mit den
gegenüber der Klägerin abgerechneten Leistungen erzielt habe sowie eines noch
wesentlich höheren Gesamtumsatzes der Apotheke (etwa 6.654.931 EUR), liege
es auf der Hand, dass der geforderte keineswegs eine gravierende oder
unangemessene Sanktion beinhalten könne. Im Gegenteil: Denn die schiere Zahl
der nachgewiesenen Fälle innerhalb eines Zeitraums von gerade einmal zwei
Monaten zeige, dass die Beklagte ihre vertraglichen Pflichten schlichtweg ignoriert
habe. Auch wenn entsprechend den Ausführungen der Beklagten das finanzielle
Schadenspotenzial in jedem Einzelfall nur als gering eingeschätzt werden könne,
könne es nicht vollständig außer Acht gelassen werden. Unter Berücksichtigung
der weiteren Gesichtspunkte (Gesundheitsgefährdung der Versicherten, mögliche
unberechtigte Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Apothekern, Verfälschung
der Datengrundlagen im Gesundheitswesen, Auslösung unberechtigter
Forderungen gegenüber dem Hersteller der rabattierten Arzneimittel) trage die
dargestellte Reduzierung der vorgesehenen Staffelbeträge den Interessen der
Beklagten in ausreichender Weise Rechnung, insbesondere sei hinreichend
berücksichtigt worden, dass es bislang im Abrechnungsverfahren mit der
Beklagten keine anderweitigen Probleme gegeben habe. Auf der anderen Seite
falle die Verwendung einer unzweckmäßigen Computer-Software aber in den
Verantwortungsbereich der Beklagten. Das Vorbringen, die entsprechende
Vorgehensweise bzw. Software sei von der Klägerin vorgegeben, sei falsch.
Vielmehr sei es der Beklagten schon seinerzeit möglich gewesen, eine Software
zu verwenden, die vor dem Aufdruck der PZN die Verfügbarkeit des verordneten
Arzneimittels online abgleiche. Wenn ein Betriebsinhaber hiervon in seinen
gewöhnlichen Betriebsablauf absehe und gegebenenfalls nicht für eine manuelle
Korrektur der PZN Sorge trage, provoziere er im Grunde genommen
offensichtliche Falschabrechnungen und könne sich hinterher nicht mit der
Argumentation herausreden, sein Personal habe erst einen Zeitraum von etwa
sechs Wochen benötigt, bis sich eine richtige Abrechnungsweise „eingespielt“
habe. Zudem habe die Vertragsstrafe nicht die Funktion eines pauschalierten
Schadensersatzes. Vielmehr ziele sie vor allem darauf ab, den Vertragspartner
künftig zu einem vertragstreuen und vertragsgerechten Verhalten anzuhalten.
Darüber hinaus habe die Vertragsstrafe auch einen präventiven Zweck.
15 - Im Übrigen handele es sich bei der korrekten Einhaltung der
Abrechnungsvorschriften im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nach
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um einen „überragend
wichtigen Gemeinwohlbelang, zu dessen Gewährleistung die Verhängung einer
Vertragsstrafe auch ohne vorherige Verwarnung verhältnismäßig sei. Unter
zusätzlicher Berücksichtigung der gebotenen „ex-ante-Sicht“ sei deshalb nach
„Einschätzungsprärogative“ der Klägerin eine einfache Verwarnung zur
Gewährleistung der angesprochenen Zwecke nicht ausreichend gewesen. Denn
bei der Verwarnung stehe die „Hinweisfunktion“ im Vordergrund, während die
Vertragsstrafe wegen der damit verbundenen „spürbaren wirtschaftlichen
Einbuße“ einen nachdrücklicheren Charakter habe und daher wesentlich besser
geeignet sei, eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Im Rahmen der
Verhältnismäßigkeits-überprüfung könne es keine Rolle spielen, dass die
Beklagte im Nachhinein eine neue Software beschafft und die Betriebsabläufe in
der Apotheke so verändert habe, dass derartige Abrechnungsverstöße künftig
nicht mehr möglich seien. Hiermit bestätige die Beklagte im Grunde genommen
lediglich die Wirksamkeit der hier verhängten Vertragsmaßnahme, denn es könne
durchaus bezweifelt werden, ob sich die Beklagte hierzu auch ohne die
eingeforderte Vertragsstrafe entschlossen hätte bzw. ob sie dies auch bei einer
schlichten Verwarnung umgesetzt hätte. Die Investition in die neue
Computersoftware und die Umstellung der Betriebsorganisation könnte der
Verhältnismäßigkeit der Vertragsstrafe nur dann entgegenstehen, wenn sich die
Beklagte hierzu vor Verhängung der Vertragsmaßnahme entschlossen hätte.
16 - Zum Schluss tritt die Klägerin dem gerichtlichen Hinweis, die Klage könne
unzulässig sein, weil sie die Möglichkeit habe, die Vertragsstrafe ohne
Einschaltung des Gerichts durch einen Verwaltungsakt geltend zu machen,
entgegen. Denn nach vielfacher Rechtsprechung sei in dem vertraglichen
Gleichordnungsverhältnis zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Apotheken
für die Erteilung eines Verwaltungsakts kein Raum. Dies gelte für alle Rechte bzw.
Pflichten innerhalb dieses Gleichordnungsverhältnisses, eine Differenzierung je
nach Art und Inhalt des Rechts bzw. der Pflicht sei ausgeschlossen. Wenn dies in
der juristischen Literatur zum Teil abweichend beurteilt werde, sei dies nicht
überzeugend. Im Übrigen habe das LSG Baden-Württemberg die Zulässigkeit
einer Leistungsklage bei einer Retaxierung ausdrücklich für zulässig erklärt. Das
Argument, die hier durchgeführte vorherige Anhörung sei für die Erteilung eines
belastenden Verwaltungsaktes typisch, sei nicht überzeugend, denn hieraus
könne nicht abgeleitet werden, dass eine Anhörung vor Geltendmachung einer
Vertragsmaßnahme durch Leistungsklage unüblich oder untunlich sei.
17 - Der Anspruch auf die Verzugszinsen beruhe auf § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V in
Verbindung mit §§ 286 und 288 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und
berücksichtige, dass die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 15.1.2013 die
Zahlung ernsthaft und endgültig verweigert habe.
18 Somit beantragt die Klägerin,
19 die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Vertragsstrafe von 6.560 EUR nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab
dem 18.1.2013 zu zahlen.
20 Die Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt,
21 die Klage abzuweisen.
22 Über ihr bisheriges Vorbringen hinaus wendet die Beklagte noch folgendes ein:
23 - Offensichtlich wolle die Klägerin „ein Exempel statuieren“ und übersehe, dass
die fehlerhafte Angabe der PZN keinen schweren Vertragsverstoß darstelle und
somit die Verhängung einer Vertragsstrafe nicht rechtfertigen könne. Denn die
Klägerin trage nicht einmal nachvollziehbar vor, ob und wenn ja in welcher Höhe
ihr überhaupt ein Schaden entstanden sei.
24 - Zudem seien auch Umstände, die in die Sphäre der Klägerin fielen, für die
Falschabrechnung maßgeblich geworden: Denn die Abgabe bzw. Abrechnung
der Arzneimittel erfolge im System der Gesetzlichen Krankenversicherung mit
einer speziellen Computer-Software, die von einer Zentralstelle im Auftrag der
Krankenkassen aktualisiert werde; die einzelnen Apotheker hätten hierauf keinen
Zugriff. Es sei also Sache der Klägerin gewesen, sicherzustellen, dass die
rabattierten Arzneimittel auch tatsächlich lieferfähig gewesen wären; wenigstens
hätte sie aber auf die fehlende Verfügbarkeit der Arzneimittel hinweisen müssen.
25 - Letztlich bestehe ihr Fehlverhalten nur darin, dass sie bzw. ihre Mitarbeiterinnen
versäumt hätten, nach Feststellung der fehlenden Lieferfähigkeit der verordneten
Präparate die auf den Rezepten bereits aufgedruckte PZN abzuändern und durch
die PZN der tatsächlich abgegebenen Arzneimittel zu ersetzen. Diesen Fehler
bedauere sie, er stelle jedoch ihres Erachtens kein gravierendes vertragswidriges
Verhalten dar, das die Verhängung einer Vertragsstrafe rechtfertigen könne. In
diesem Zusammenhang wolle sie darauf hinweisen, dass Sie zwischenzeitlich in
eine neue Computer-Software investiert habe und somit in der Lage sei, die
Verfügbarkeit der verordneten Medikamente vor Aufdruck der PZN auf dem
Kassenrezept online zu überprüfen. Sie habe also Vorsorge getroffen, dass sich
ein entsprechender Abrechnungsfehler nicht mehr wiederholen könne.
26 - Auch wolle sie betonen, dass sie zuvor immer vertragstreu gewesen sei und den
Fehler bis Mitte Juli 2011 abgestellt habe. Zudem fehle für die Verhängung einer
Vertragsstrafe der gebotenen Vorsatz bzw. die gebotenen Bereicherungsabsicht.
In diesem Zusammenhang werde nochmals auf die Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft Mannheim vom 2.8.2012 verwiesen. Deshalb sei die
geforderte Vertragsstrafe ihres Erachtens unverhältnismäßig. Denn bei den von
der Klägerin sanktionierten (zehn) Apotheken divergiere die Zahl der angeblich
falsch abgerechneten Packungen erheblich (zwischen 37 und 120). Sie halte die
geforderte Vertragsstrafe daher für unverhältnismäßig, zumal in Anbetracht der
Besonderheiten des Einzelfalls eine schlichte Verwarnung ausgereicht hätte.
27 - Ihres Erachtens seien die Regelungen zur Vertragsstrafe (§ 11 Abs. 1
Rahmenvertrag sowie §§ 5 und 6 des Ergänzungsvertrages) ohnehin unwirksam.
Denn die Auslegung einer Vertragsstrafenvereinbarung richte sich nach den §§
133 und 157 BGB. Auch wenn die entsprechende vertragliche Abrede nicht den
Bestimmtheitsanforderungen genügen müsse, die für einen Vollstreckungstitel
maßgeblich seien, sei aber erforderlich, dass die Pflichtverletzung, die die Strafe
auslösen solle, bestimmt oder wenigstens bestimmbar sei. Wenn die auslösende
Pflichtwidrigkeit unbestimmt sei, entfalle die Vertragsstrafe. Diesen Kriterien
genügten die von der Klägerin herangezogenen Klauseln nicht.
28 - Schließlich fehle für die Verhängung der Vertragsstrafe das notwendige
„Benehmen“ mit dem LAV. Unter dem „Benehmen“ werde eine stärkere
Beteiligungsform als die einfache Anhörung verstanden. Dem werde das
vorliegende Verfahren nicht gerecht, denn der LAV habe der geplanten
Vertragsstrafe ausdrücklich widersprochen und klar zum Ausdruck gebracht, er
könne diese nicht mittragen (Schreiben vom 31.7.2012). Vor diesem Hintergrund
könne sich die Klägerin nicht auf die frühere Äußerung des DAV vom 11.8.2011
berufen. Seinerzeit habe der DAV auch nur zum Ausdruck gebracht, dass er und
seine Mitgliedsorganisationen (also auch der LAV) die konsequente Aufklärung
der Fälle für notwendig erachtet habe. Hierüber gehe die schließlich geforderte
Vertragsstrafe jedoch weit hinaus.
29 - Im Übrigen teile sie die gerichtliche Einschätzung, dass die allgemeine
Leistungsklage der Klägerin unzulässig sei. Denn die Klägerin habe die
Möglichkeit, die Vertragsstrafe mittels eines Verwaltungsakts durchzusetzen.
Hierfür spreche auch, dass sie von der Klägerin vor der Verhängung der
Vertragsstrafe angehört worden sei. Dies sei bei vertraglichen Ansprüchen nicht
vorgesehen sondern entspreche dem Regelfall vor der Erteilung eines
belastenden Verwaltungsakts.
30 Das Gericht hat die Sach- und Rechtslage am 2.7.2014 mit den Beteiligten
erörtert. Auf die entsprechende Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die dem Gericht
vorliegende Verwaltungsakte der Klägerin und auf die Prozessakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
31 Die Klage kann keinen Erfolg haben, denn es fehlt das für eine allgemeine
Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis, so dass die Klage bereits
unzulässig ist (II.). Hilfsweise erweist sich die Klage zudem als unbegründet (III.).
II.
(1.)
32 Das Klagesystem des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) basiert, wie § 54 SGG
entnommen werden kann, auf drei verschiedenen Klagearten, nämlich auf der
Leistungsklage (Sonderfall: Verpflichtungsklage), der Gestaltungsklage (Sonderfall:
Anfechtungsklage) und der Feststellungsklage (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnr. 1). Vorliegend steht – entsprechend dem von
der Klägerin formulierten Klageantrag – eine echte Leistungsklage in Streit. Diese
ist nach § 54 Abs. 5 SGG immer dann statthaft wenn mit der Klage eine Leistung,
auf die ein Rechtsanspruch besteht, gefordert wird, ohne dass zuvor ein
Verwaltungsakt zu ergehen hat (zur echten Leistungsklage vgl. allgemein Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnrn. 41ff.). Die echte
Leistungsklage hat ihren Ort dementsprechend vorwiegend in einem zwischen den
Verfahrensbeteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnis. Ihr
Anwendungsbereich betrifft somit vor allem Streitigkeiten um Rechte und Pflichten
aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag (vgl. hierzu Breitkreuz/Fichte, SGG, 2.
Auflage 2014, § 54 Rdnr. 119). Aus der Systematik und dem Wortlaut von § 54
Abs. 5 SGG folgt aber zugleich, dass eine echte Leistungsklage unzulässig ist,
wenn der Kläger die Möglichkeit hat, die streitgegenständliche Forderung durch
einen Verwaltungsakt (§ 31 Sozialgesetzbuch X - SGB X) festzusetzen. Denn
dann ist er in der Lage, die Forderung selbst zu titulieren und nach Eintritt der
Bestandskraft aus diesem Bescheid zu vollstrecken, so dass die Einschaltung des
Gerichts nicht erforderlich ist (vgl. zu dieser Funktion des Verwaltungsakts: VG
Cottbus, Urteil vom 26.9.2014 - 1 K 214/13, VGH Mannheim, Urteile vom 24.7.2012
- 10 S 2554/10 und vom 7.12.2007 - 1 S 1255/06 sowie BVerwG, Urteil vom
24.11.1998 - 1 C 33/97). Dies hat nach Auffassung des Gerichts zur Konsequenz,
dass bei einer Verwaltungsakt-Befugnis des Klägers für eine echte Leistungsklage
im allgemeinen kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist (vgl. hierzu LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 23.8.2011 - L 13 AL 350/11). Denn ein Wahlrecht der
Behörde, nach ihrem Belieben zur Durchsetzung der Forderung entweder einen
Verwaltungsakt zu erlassen oder eine echte Leistungsklage zu erheben, besteht
im allgemeinen nicht (zum diesbezügliche Streitgegenstand vergleiche Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnr. 41b und vor § 51
Rdnr. 17). Gegen ein solches Wahlrecht, sprechen nämlich – wie die folgenden
Ausführungen zeigen werden – gewichtige Argumente. Zwar vertritt das BSG
(Urteile vom 30.1.1990 - 11 RAr 87/88 und vom 29.10.1997 - 7 RAr 80/96) die
Auffassung, dass eine echte Leistungsklage auch bei bestehender
Verwaltungsakt-Befugnis ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn –
insbesondere unter Berücksichtigung hierzu divergierender Judikatur – Zweifel
bestehen, ob die Geltendmachung der Forderung durch Verwaltungsakt einer
gerichtlichen Kontrolle standhalten wird (vgl. zu einem weitgehenden Wahlrecht
der Behörde: BVerwG, Urteil vom 31.1.2002 - 2 C 6/01, kritisch zu dieser
Entscheidung OVG Lüneburg, Urteile vom 13.3.2008 - 8 LC 2/07 und 8 LC 1/07).
Dies kann allerdings nur dann gelten, wenn die betreffende Behörde bei der
Geltendmachung der Forderung kein Ermessen auszuüben hat (so ausdrücklich
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, vor § 51 Rdnr. 17) und
wenn für die Überprüfung der Forderung im Rahmen eines etwaigen
Widerspruchsverfahrens (§ 78 SGG) innerhalb der Behörde dieselbe Stelle
zuständig ist, wie für den Erlass der Ausgangsentscheidung (vgl. hierzu Gagel,
Eventualanträge und Widerklagen gegenüber dem Prozessgegner und
Drittbeteiligten, in: Die Sozialgerichtsbarkeit, 1989, Seiten 405ff.). Würde man der
Behörde in diesen Konstellationen nämlich trotz Verwaltungsakt-Befugnis die
Möglichkeit einräumen, von der Erteilung eines Verwaltungsakts abzusehen und
stattdessen eine echte Leistungsklage zu erheben, würde dies nämlich zwingende
Rechte des Prozessgegners beschneiden: Denn im Rahmen einer allgemeinen
Leistungsklage kann das Gericht lediglich eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle
durchführen, während im Widerspruchsverfahren eine nochmalige
behördeninterne Kontrolle auch unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit
eröffnet wird (vgl. hierzu § 78 Satz 1 SGG). Diese Opportunitätskontrolle würde
dem Schuldner genommen, wenn die Behörde bei bestehender Verwaltungsakt-
Befugnis zur Vermeidung des Widerspruchverfahrens auf eine echte
Leistungsklage ausweichen könnte. Diesem Gesichtspunkt kommt dann umso
größere Bedeutung zu, wenn die Erteilung des Widerspruchsbescheides einer
anderen Behörde vorbehalten ist oder aber wenigstens durch eine von der
bisherigen Sachbearbeitung organisatorisch abgegrenzte (gegebenenfalls
kollegial bzw. paritätisch besetzte) Stelle der Ausgangsbehörde erfolgt.
(2.)
33 Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ergibt sich vorliegend folgendes:
34 Nach Auffassung des Gerichts wäre die Klägerin gehalten gewesen, die
streitgegenständliche Vertragsstrafe durch einen Verwaltungsakt festzusetzen.
Wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG
und § 31 Sozialgesetzbuch I - SGB I) und der weitreichenden Folgen, die die
Erteilung eines Verwaltungsakts für den Bürger haben kann, bedarf die
Begründung einer Verwaltungsakt-Befugnis einer klaren rechtlichen Grundlage
(grundlegend hierzu BVerwG, Urteil vom 29.11.1985 - 8 C 105/83). Diese Befugnis
kann auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung beruhen (sozialrechtliche
Beispiele hierfür: § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X oder § 118 Abs. 4 Satz 2
Sozialgesetzbuch VI - SGB VI ). Auf der anderen Seite kann sich die
Verwaltungsakt-Befugnis bei fehlender, eindeutiger Gesetzesgrundlage aber auch
aus dem Regelungszusammenhang des maßgeblichen Normengefüges, also aus
dem materiellen Recht selbst (Kintz, Öffentliches Recht im Assessorexamen, 8.
Auflage 2012, Rdnr. 325), ergeben. Hierbei sind die allgemeinen
Auslegungsgrundsätze (Wortlaut, Entstehungs-geschichte, Sinn und Zweck sowie
Systematik der maßgeblichen Normen) heranzuziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom
7.12.2011 - 6 C 39/10 und zuletzt OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.3.2014 -
7 A 1844/12). Als Grundsatz mag insoweit gelten, dass die Befugnis, einen
Verwaltungsakt zu erteilen, in aller Regel ein Subordinationsverhältnis voraussetzt.
Denn dann ergibt sich die Berechtigung der Behörde, gegenüber dem
Normunterworfenen eine verbindliche Einzelfallentscheidung zu treffen, im Grunde
von selbst. Auf der anderen Seite kennt das allgemeine Verwaltungsrecht
durchaus Konstellationen, in denen ein Verwaltungsakt auch außerhalb eines
Subordinationsverhältnisses erteilt werden kann. Dies gilt beispielsweise im Bau-
oder Immissionsschutzrecht oder im Steuerrecht. Hier kommt den zuständigen
Genehmigungsbehörden bzw. dem Finanzamt durchaus die Befugnis zu,
entsprechende Bescheide (z. B. Baugenehmigung, Baueinstellungsverfügung,
Auflagen für den Anlagenbetrieb oder Steuerbescheid) auch gegenüber einer
Gemeinde, einem Landkreis oder einem sonstigen Hoheitsträger zu erteilen,
obwohl zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen gerade kein
Subordinationsverhältnis angenommen werden kann. Wenn also ein allgemein
bestehendes Subordinationsverhältnis nicht ausnahmslos notwendige
Voraussetzung für eine Verwaltungsakt-Befugnis darstellt, ergibt sich zwanglos,
dass ein allgemein bestehendes Gleichordnungsverhältnis nicht zwingend einer
solchen Verwaltungsakt-Befugnis entgegensteht. Vielmehr ist stets eine
Einzelfallbetrachtung notwendig, die sich nicht auf eine Beschreibung der
allgemeinen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten beschränkt sondern
das konkrete Recht, um dessen Durchsetzung es geht, in den Blick nimmt. So wird
beispielsweise die der Erteilung einer Baugenehmigung oder einer
Baueinstellungsverfügung gegenüber einer Gemeinde zugrunde liegende
Verwaltungsakt-Befugnis der Baurechtsbehörde dadurch gerechtfertigt, dass sich
die Gemeinde als Bauherr in einer dem gewöhnlichen Bürger vergleichbaren
Position befindet und in gleicher Weise wie ein privater Bauherr der besonderen
Sachkunde und Regelungshoheit der Baurechtsbehörde unterworfen ist. Ähnlich
verhält es sich im Immissionsschutzrecht oder im Steuerrecht. Vor diesem
Hintergrund wird die Verknüpfung der Verwaltungsakt-Befugnis mit einem
allgemein bestehenden Subordinationsverhältnis zwar dem Regelfall gerecht,
bereichsspezifische Ausnahmen von diesem Regelfall sind jedoch in beiden
Richtungen durchaus möglich.
35 Vorliegend geht das Gericht zwar mit einhelliger Rechtsprechung und Literatur
davon aus, dass der Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung (§ 129 SGB V)
grundsätzlich Ausdruck eines zwischen den Beteiligten bzw. Vertragsparteien
bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ist (vgl. hierzu bspw. BSG, Urteil vom
3.8.2006 - B 3 KR 6/06 R und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2009 - L
11 KR 389/09). Hieraus folgt für das Verhältnis zwischen den gesetzlichen
Krankenkassen und den Inhabern einer Apotheke jedoch in Anknüpfung an die
obigen Ausführungen nicht zwingend und vollumfänglich der Ausschluss einer
Verwaltungsakt-Befugnis schlechthin. Denn dies ist wie dargelegt
bereichsbezogen zu beurteilen, so dass je nach dem Inhalt der in Streit stehenden
Maßnahme eine Verwaltungsakt-Befugnis auch innerhalb eines grundsätzlich
bestehenden Gleichordnungsverhältnisses in Betracht kommen kann. So hat auch
das BSG jüngst im Kassenarztrecht – trotz der dort grundsätzlich bestehenden
Gleichordnung der Verfahrensbeteiligten – in Einzelfällen gleichwohl zu Gunsten
der Krankenkassen eine Verwaltungsakt-Befugnis angenommen (BSG, Urteile
vom 13.8.2014 - B 6 KA 46/13 R und B 6 KA 5/14 R).
36 Gerade im Hinblick auf die Forderung einer Vertragsstrafe im Rahmen der
Arzneimittelversorgung nach dem SGB V bestehen eine Reihe von in diesem
Zusammenhang wesentlichen Besonderheiten:
37 Zunächst ist zu beachten, dass § 129 Abs. 4 SGB V anordnet, dass in dem
Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung zu regeln „ist“ welche Maßnahmen die
Vertragspartner bei Vertragsverstößen „ergreifen“ können. Insoweit besteht also für
den Inhalt des Rahmenvertrags eine gesetzliche Vorgabe, die die
Vertragsautonomie der Vertragsparteien von vornherein nicht unerheblich
einschränkt. Dies spricht im Hinblick auf die „Vertragsmaßnahmen“ gerade gegen
ein Gleichordnungsverhältnis, denn die entsprechenden Regelungen stehen
gerade nicht im freien Belieben der Vertragspartner. Somit stellen die
Vertragsmaßnahmen letztlich hoheitliches Handeln dar, das an die Verletzung
öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen anknüpft. Zudem haben die
Vertragsmaßnahmen eine hohe Grundrechtsrelevanz, da sie in das
Eigentumsrecht bzw. die Gewerbefreiheit der betroffenen Apotheker eingreifen
(Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 Abs. 1
GG). Wenn weiter berücksichtigt wird, dass die Apothekenseite bei Abschluss des
Rahmenvertrages „als Beliehener handelt“, besteht insoweit also „gerade kein
Gleichordnungsverhältnis“ (so ausdrücklich Becker/Kingreen, SGB V, 4. Auflage
2014, § 129 Rdnr. 30). Unter der Beleihung (vgl. hierzu grundsätzlich: BVerwG,
Urteil vom 26.8.2010 - 3 C 35/09) wird im allgemeinen Verwaltungsrecht die
Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf ein Privatrechtssubjekt verstanden. Die
Beleihung kann auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung beruhen
(Beispiel aus dem Sozialrecht: § 43b Abs. 3 Satz 4 SGB V). Sie kann jedoch auch
auf sonstige Weise erfolgen, wenn sich hierfür im materiellen Recht eine
hinreichende gesetzliche Grundlage findet. Dies stellt wiederum eine
Auslegungsfrage dar. In jedem Fall muss für die Übertragung des hoheitlichen
Rechts auf ein Privatrechtssubjekt ein sachlich rechtfertigender Grund bestehen,
da die Beleihung in einer gewissen Wechselwirkung zu den
Verfassungsgrundsätzen des Rechtsstaats und der Demokratie (Art. 20 Abs. 1 und
3 GG) steht. Dies gilt nicht nur für das „Ob“, sondern auch für das „Wie“ bzw. die
genaueren „Modalitäten“ der Beleihung. In diesem Zusammenhang ist anerkannt,
dass im Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung
beispielsweise die Befugnis des Vertragsarztes, bestimmte Medikamente (nicht) zu
verordnen den krankenversicherungs-rechtlichen Leistungsanspruch des
Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse modifizieren oder gar einschränken
kann, so dass der Kassenarzt insoweit gegenüber dem Versicherten mit der
Ausübung von Hoheitsrechten beliehen ist (so ausdrücklich: LG Hamburg, Urteil
vom 9.12.2010 - 618 KLs 10/09, vgl. hierzu auch Steege, Die Konkretisierung des
Krankenbe-handlungsanspruchs im Sachleistungsprinzip der gesetzlichen
Krankenversicherung, in: Festschrift 50 Jahre BSG, 2004). Diese Erwägungen sind
nach Auffassung des Gerichts auch auf den Abschluss des Rahmenvertrags zur
Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V zu übertragen. Denn aufgrund des
zwingenden gesetzlichen Auftrags, hierbei Regelungen über Vertragsmaßnahmen
vorzusehen, ist die für ein vertragliches Gleichordnungsverhältnis vorausgesetzte
Privatautonomie in einem wesentlichen Punkt beschränkt, so dass sich die
„Verhängung“ der Vertragsstrafe auf Basis des Rahmenvertrags in der Tat als
Ausübung hoheitlicher Gewalt darstellt. Indem die Vertragsparteien hierfür im
Rahmenvertrag genauere Modalitäten vereinbaren, liegt auf Apothekenseite also
in der Tat eine Beleihung vor. Dies hat zur naheliegenden Konsequenz, dass die
Verhängung einer Vertragsstrafe durch die Krankenkasse nur in der Rechtsform
eines anfechtbaren Verwaltungsaktes erfolgen kann (so ausdrücklich Hauck/Noftz,
SGB V, Loseblatt, § 129 Rdnr. 41).
38 Ein Wahlrecht der Klägerin, stattdessen eine echte Leistungsklage zu erheben,
besteht vorliegend nicht, denn in Anknüpfung an die obigen Ausführungen ist
festzuhalten, dass für die Erteilung eines Widerspruchsbescheides nach § 85 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 SGG gemäß dem innerorganisatorischen Recht der Klägerin ein
paritätisch bzw. kollegial besetzter Widerspruchs-ausschuss berufen ist. Dessen
Mitwirkungsrechte würden durch die Flucht in die echte Leistungsklage
ausgehebelt. Zudem vereitelt die Klägerin durch ihr Vorgehen auch die
(nochmalige) Opportunitätskontrolle im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens,
das zudem auch die Funktion hat, die Sozialgerichte im Rahmen einer vorherigen
Selbstkontrolle der Verwaltung von unnötiger Inanspruchnahme zu schützen.
39 Für eine (zwingende) Verwaltungsakt-Befugnis spricht zudem auch der Wortlaut
(vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urteil vom 13.8.2010 - 8 LC 2/07) der in Rede
stehenden Normen: Wenn § 129 Abs. 4 SGB V hinsichtlich der
Vertragsmaßnahmen das Verb „ergreifen“ verwendet und § 11 des
Rahmenvertrages der Kasse die Befugnis verleiht, eine Vertragsmaßnahme
„aussprechen“ zu können (Abs. 1) bzw. klarstellt, dass Vertragsmaßnahmen
mehrfach bzw. nebeneinander „verhängt“ werden können (Abs. 2), ein Verb, das
die Klägerin auch selbst verwendet hat, belegt dies nachdrücklich, dass die
Geltendmachung einer Vertragsstrafe gerade nicht in einem
Gleichordnungsverhältnis erfolgt, sondern die einseitige Ausübung einer
Machtposition darstellt. Dem korrespondiert zudem, dass die vertraglichen
Regelungen zu den Vertragsmaßnahmen in § 11 des Rahmenvertrages und §§ 5
und 6 der Zusatzvereinbarung – wie bei den Hilfsüberlegungen zur Begründetheit
der Klage vertieft werden wird – in hohem Maße offen bzw. ausfüllungsbedürftig
sind und gerade keinen klaren - auf einer vertraglichen Einigung beruhenden –
Maßstab für die Tatbestände und die Höhe der Vertragsstrafe enthalten. Sie alleine
vermitteln also keine taugliche Grundlage für die vorliegend in Streit stehende
Vertragsstrafe.
40 Im Übrigen ist auch die prozessuale Argumentation der Klägerin widersprüchlich:
Wenn die Klägerin zum Schluss einwendet, ihr stehe bei der „Verhängung“ der
Vertragsstrafe eine „Einschätzungsprärogative“ zu und das nachträgliche
Verhalten der Beklagten könne die Verhältnismäßigkeit der geforderten Strafe nicht
mehr beeinflussen, bezieht sie sich nämlich gerade auf Prozessrechtsgrundsätze,
die für die Anfechtung eines Verwaltungsakts entwickelt worden sind. Bei der
Anfechtungsklage hat das Gericht nämlich in der Tat nur zu überprüfen, ob der
angefochtene Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses mit der seinerzeit
maßgeblichen Sach- und Rechtslage in Übereinstimmung stand; spätere
Veränderungen bleiben grundsätzlich außer Betracht (Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnr. 33). Zudem ist die
gerichtliche Kontrolldichte bei der Anfechtung eines Verwaltungsaktes, der auf der
Tatbestandsseite einen Beurteilungsspielraum oder auf der Rechtsfolgenseite eine
Ermessensentscheidung der Behörde beinhaltet, eingeschränkt (vgl. hierzu Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnrn. 31a ff.). Diese
Besonderheiten gelten jedoch nicht bei einer echten Leistungsklage, mit der eine
vertragliche Forderung geltend gemacht wird. Hier ist das Gericht gehalten, mit
Vollbeweis (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 128
Rdnr. 3b) festzustellen, ob die tatbe-standlichen Voraussetzungen der
vertraglichen Anspruchsgrundlage erfüllt und ob die rechtlichen Voraussetzungen
der begehrten Rechtsfolge gegeben sind; maßgeblich ist insoweit aber die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der die Instanz abschließenden mündlichen
Verhandlung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rdnr.
34).
41 Nicht zuletzt spricht auch der Umstand, dass die Beklagte vor Geltendmachung
der Vertragsstrafe angehört worden ist (§ 24 SGB X), durchaus für eine
Verwaltungsakt-Befugnis der Klägerin. Denn bei Geltendmachung einer
Vertragsforderung mittels echter Leistungsklage wäre dies nicht erforderlich
gewesen.
42 Somit erweist sich die Klage als unzulässig.
III.
43 Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage
erweist sich die Forderung einer Vertragsstrafe (hilfsweise) zudem als
unbegründet: Zum einen mangelt es an einer wirksamen vertraglichen
Vereinbarung einer Vertragsstrafe in der geforderten Höhe (1.). Zudem fehlt das für
die Forderung einer Vertragsstrafe notwendige „Benehmen“ mit dem LAV (2.).
Schließlich erweist sich die eingeklagte Vertragsstrafe als unverhältnismäßig (3.).
44 Hierzu – in der gebotenen Kürze – nur die folgenden Hilfserwägungen:
(1.)
45 Aus § 339 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) folgt, dass eine Vertragsstrafe nur dann
gefordert werden kann, wenn insoweit bei Vertragsabschluss zwischen den
Vertragsparteien eine vertragliche Einigung erzielt worden ist, die sich sowohl auf
die Tatbestände, die den Strafanspruch auslösen sollen, als auch auf die Höhe der
jeweiligen Strafzahlungen beziehen muss (LPK-BGB, 6. Auflage 2009, § 339 Rdnr.
9). Insoweit gelten die allgemeinen vertragsrechtlichen Maßstäbe, so dass
einseitige Willenserklärungen und ähnliches die Forderung einer Vertragsstrafe
grundsätzlich nicht rechtfertigen können (juris-PK, § 339 BGB Rdnrn. 4ff.).
Allenfalls kann es in Betracht kommen, im Hinblick auf die konkreten Umstände,
die für die Verwirkung und die Höhe der Vertragsstrafe maßgeblich sein sollen, der
anderen Vertragspartei ein Bestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB
einzuräumen. Eine solche Delegation erfordert jedoch eine dahingehende klare
vertragliche Abrede (vgl. hierzu bspw. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.4.2010 - I 20
U 191/09 und 20 U 191/09).
46 Gemessen an diesen Vorgaben sind die in dem Rahmenvertrag zur
Arzneimittelversorgung (§ 11) bzw. in der maßgeblichen Zusatzvereinbarung (§§ 5
und 6) enthaltenen Regelungen zu den Vertragsmaßnahmen bzw. zu den
Vertragsverstößen nach Auffassung des Gerichts zu unbestimmt. Denn den
genannten vertraglichen Bestimmungen kann nicht entnommen werden, bei
welcher Verfehlung eine Vertragsstrafe fällig werden und wie diese bemessen
werden soll. Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang auf § 5 Abs. 2 Bstb. b)
des Ergänzungsvertrages hinweist, ist dies unerheblich. Denn aus dem Umstand,
dass die „Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen“ als
„schwerer Vertragsverstoß“ gilt, ergibt sich nicht automatisch und ausnahmslos,
das dann dies zwingend einen Vertragsstrafentatbestand darstellt. Eine solche
vertragliche Einigung ist nicht ersichtlich. Denn wegen des einschneidenden
Charakters einer Vertragsstrafe ist insoweit eine restriktive Auslegung geboten. Im
Übrigen enthält der Rahmenvertrag ebensowenig wie der Ergänzungsvertrag
Regelungen zur Bemessung bzw. zur Begrenzung der Vertragsstrafe. Somit findet
sich für die Klageforderung keine hinreichende vertragliche Grundlage.
47 Es wäre daher Sache der Vertragspartner gewesen, die vertragsstrafenwürdigen
Verfehlungen entweder tatbestandlich genauer zu bezeichnen und die Grundsätze
zur Bemessung und Begrenzung der Vertragsstrafe (vgl. zu diesem Erfordernis:
Staudinger, BGB, 2009, § 339 Rdnrn. 107ff. mit Rechtsprechungsnachweisen)
vertraglich festzulegen oder aber insoweit der Kassenseite ein Bestimmungsrecht
(§ 315 Abs. 1 BGB) einzuräumen. Beides ist nicht erfolgt.
(2.)
48 11 Abs. 1 des Rahmenvertrages ordnet ausdrücklich an, dass die Verhängung
einer Vertragsstrafe durch die Kasse nur „im Benehmen“ mit dem LAV erfolgen
kann. Diesem Erfordernis genügt der vorliegende Sachverhalt soweit derzeit
ersichtlich nicht. Die etwas altertümliche, heute im Grunde genommen nicht mehr
gebräuchliche Formulierung „im Benehmen“ meint „mit jemanden wegen etwas
Kontakt aufnehmen“, „sich mit jemanden verständigen“ (Duden, Band. 11,
Wörterbuch der Deutschen Idiomatik, 2002) bzw. „sich besprechen“ oder „sich
verständigen“ (Kluge, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache, 25.
Auflage 2011) und bedeutet in rechtlicher Hinsicht ein „Verhandeln mit dem Ziel der
Einigung“ bzw. den „Versuch einer einvernehmlichen Lösung“ (vgl. zur
Verwendung dieses Begriffs im Bauplanungsrecht: Battis u.a., BauGB, Beck-
online, § 7 Rdnr. 18 und Ernst u.a., BauGB, Beck-online, § 7 Rdnr. 16).
49 Diesen Vorgaben wird das Verwaltungshandeln der Klägerin soweit derzeit
erkennbar nicht gerecht. Denn die Klägerin hat dem LAV ihr beabsichtigtes
Vorgehen mit Schreiben vom 25.7.2012 in recht apodiktischer Form mitgeteilt und
sodann, nachdem der LAV in seinem Schreiben vom 31.7.2012 zum Ausdruck
gebracht hatte, dass er eine Verwarnung der Klägerin für ausreichend erachte und
die Verhängung einer Vertragsstrafe für unverhältnismäßig halte, keinen weiteren
Versuch unternommen, sich mit dem LAV abzustimmen. Vor diesem Hintergrund
erschöpft sich die Beteiligung des LAV im Grunde genommen in einer schlichten
Anhörung. Der Versuch einer gütlichen Einigung bzw. eine vertiefte
Auseinandersetzung mit den vom LAV vorgebrachten Argumenten sind somit nicht
ersichtlich. Wenn die Klägerin nunmehr einwendet, nach dem angeführten
Schriftwechsel habe es noch weitere telefonische Unterredungen mit dem LAV
gegeben, bei denen die gegenseitigen Argumente vertieft und der Versuch einer
Annäherung unternommen worden sei, müsste dies (wenn es hierauf ankommen
sollte) gegebenenfalls noch aufgeklärt werden.
(3.)
50 Nach Auffassung des Gerichts ist die geforderte Vertragsstrafe zudem
unverhältnismäßig. Im Anschluss an seine obigen Ausführungen hat das Gericht
im Rahmen seiner diesbezüglichen Hilfserwägungen die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen. Somit
kann der Umstand, dass die Beklagte zwischenzeitlich in eine neue
Computersoftware bzw. eine neue Computeranlage investiert und damit dafür
Sorge getragen hat, dass sich ein derartiger Vorfall nicht wiederholen kann, nicht
ausgeblendet werden. Zugunsten der Beklagten muss nach Auffassung des
Gerichts weiter berücksichtigt werden, dass – insbesondere nach Einstellung des
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Mannheim –
allenfalls von einem (einfach) fahrlässigen Verschulden ausgegangen werden
kann und der – ohnehin wohl nur sehr geringe – wirtschaftliche Schaden der
Klägerin nicht genau beziffert werden kann. Wenn zudem weiter gewürdigt wird,
dass es im Abrechnungsverfahren mit der Beklagten bislang zu keinerlei
Problemen gekommen ist, wäre nach Auffassung des Gerichts zunächst eine
Verwarnung ausreichend gewesen. Denn der Reihenfolge der in § 11 Abs. 1 des
Rahmenvertrages angeführten Sanktionen (Verwarnung, Vertragsstrafe, befristeter
Ausschluss aus der kassenärztlichen Versorgung) kann durchaus ein
grundrechtlich gefordertes Rangverhältnis entnommen werden
(Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2013, § 129 Rdnr. 40), so dass von besonders
schwerwiegenden Einzelfällen einmal abgesehen eine Vertragsstrafe nur in
Betracht kommen kann, wenn zuvor (fruchtlos) eine Verwarnung ausgesprochen
worden ist. Die Forderung einer Vertragsstrafe erscheint deshalb hier –
unabhängig von deren Höhe und dem Umsatz bzw. dem Gewinn der Beklagten –
unverhältnismäßig.
51 Hieran können auch die Argumente der Klägerin nichts ändern:
52 Es mag zwar zutreffen, dass die ordnungsgemäße Durchführung der Abrechnung
im Gesundheitswesen einen wichtigen Allgemeinwohlbelang darstellt. Dies allein
rechtfertigt die verhängte Vertragsstrafe zumindest in dieser Höhe jedoch nicht. Die
Argumentation, die Beklagte habe durch die fehlerhafte Dokumentation die
Gesundheit der Versicherten gefährdet, erscheint nicht nachvollziehbar, denn
wegen der anonymisierten Abrechnungsweise sind die gesetzlichen
Krankenkassen bzw. die an der Arzneimittelversorgung beteiligten Apotheken
ohnehin nicht in der Lage, rückwirkend zu rekonstruieren, welcher Versicherte
welches Arzneimittel erhalten hat und einen entsprechenden „Rückruf“
durchzuführen. Der Hinweis auf ein wettbewerbswidriges Verhalten der Beklagten
dürfte rein theoretischer Natur sein, denn das Gericht kann nicht erkennen,
inwiefern sich die Beklagte durch den Abrechnungsfehler gegenüber anderen
Apothekern, denen dieser Fehler nicht unterlaufen ist, einen wettbe-werbswidrigen
Vorteil verschafft haben könnte. Die weiter angeführte Gefahr, dass der Hersteller
(„betapharm“) durch die Falschabrechnung der Beklagten in die Gefahr geraten
sei, zu Unrecht im Rahmen des Rabattvertrags in Anspruch genommen zu
werden, dürfte ebenfalls nicht stichhaltig sein, da die Falschabrechnung ja gerade
in diesem Zusammenhang aufgedeckt worden ist und es für den Hersteller
unschwer möglich gewesen sein dürfte, zu belegen, dass er das streitige
Medikament damals noch gar nicht zur Verfügung stellen konnte. Auch die
Argumentation, durch die Falschabrechnung seien wichtige Datengrundlagen für
das Abrechnungssystem im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
verfälscht worden, dürfte im Hinblick auf die äußerst geringe wirtschaftliche
Bedeutung der monierten Falschabrechnung letztlich ohne Belang sein.
IV.
53 Die auf § 197a SGG (in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO) beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage keinen
Erfolg haben kann. Die Festsetzung des endgültigen Streitwerts erfolgt mit einem
gesonderten Beschluss.