Urteil des SozG Mannheim vom 28.03.2014

unfallversicherung, organisierte kriminalität, versicherungsschutz, anerkennung

SG Mannheim Urteil vom 28.3.2014, S 14 U 1691/13
Gesetzliche Unfallversicherung - Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 13
Buchst a SGB 7 - Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr - Zeuge der Erschießung
eines Gewalttäters durch die Polizei - Verfolgung des Gewalttäters und Warnung
von Dritten - innere Hilfeleistungsabsicht - Beendigung der Hilfeleistung
Leitsätze
1. Wer Dritte vor einem Gewalttäter warnen will und hierbei Zeuge der Erschießung
des Gewalttäters durch die Polizei wird, ist gesetzlich unfallversichert.
2. Es ist nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Dritte Person gewarnt werden konnte,
da die Hilfeleistungsabsicht ausreichend ist.
3. Eine Hilfeleistung ist nicht im Moment des Eintreffens der Polizei beendet, sondern
erst wenn auch keine Gefahr mehr für die Polizeibeamten besteht und der
Hilfeleistende den Gefahrenbereich verlassen hat.
Tenor
1. Der Bescheid vom 06.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
23.04.2013 wird aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom
04.07.2012 um einen Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung
gehandelt hat.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses vom 04.07.2012 als
Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung.
2 Der am 01.11.1956 geborene Kläger war zum Zeitpunkt des
streitgegenständlichen Ereignisses bei der V-Bank in deren Filiale in W.
beschäftigt.
3 Ausweislich des in der Verwaltungsakte enthaltenen Ermittlungsergebnisses der
Landespolizeidirektion Karlsruhe, Dezernat Sonderfälle/Organisierte Kriminalität,
begab sich der T. (im Folgenden: Täter) am Vormittag des 04.07.2012 zunächst in
ein Tabakgeschäft in der Innenstadt von W.. Dort fiel er durch seine Aggressivität
auf. Nachdem er von einer Verkäuferin aufgefordert wurde, die an sich
genommene Ware zu bezahlen, warf er die Ware auf die Verkaufstheke und
verließ das Geschäft. Auf dem Weg Richtung Rathaus passierte er die Bäckerei
Sachs. Hier warf er einen Stuhl auf zwei vor der Bäckerei sitzende Zeuginnen,
wobei eine leicht an der Stirn getroffen wurde. Im Anschluss daran kam es zur
Verfolgung des Täters durch mehrere Personen, unter denen sich auch der Kläger
sowie der Zeuge Sch. befanden. Der Täter wurde mehrfach aufgefordert, stehen
zu bleiben, woraufhin dieser aus seiner Jacke ein Messer zog und die ihn
verfolgende Personengruppe bedrohte. Auf seinem weiteren Weg verletzte der
Täter einen unbeteiligten Jugendlichen, indem er diesem mit den Fingernägeln in
den Hinterkopf krallte und ihn zugleich aufforderte, zu verschwinden.
4 Der Zeuge Sch. und der Kläger verfolgten den Täter weiter, um andere Personen
vor dem Täter zu warnen. Im weiteren Verlauf begab sich der Täter im Bereich des
Marktplatzes in einen Hauseingang. In der Nähe des Hauseingangs saß eine
ältere Dame, die vom Zeugen Sch. vor der drohenden Gefahr durch den Täter
gewarnt wurde. Nach mehrmaligen Aufforderungen durch den Zeugen Sch. verließ
die ältere Dame den Gefährdungsbereich. Der Kläger und der Zeuge Sch.
verharrten in der Nähe des Täters. Kurz darauf traf eine Polizeistreife ein.
5 Der Kläger und der Zeuge Sch. beobachteten sodann, wie der Täter von
Polizeibeamten aufgefordert wurde, das Messer, dass er noch in der Hand hielt
und mit dem er zielstrebig auf die Beamten zuging, niederzulegen. Trotz
mehrfacher Aufforderung und der Abgabe eines Warnschusses bewegte sich der
Täter fortgesetzt in Richtung der Polizeibeamten und führte hierbei
Stichbewegungen aus. Daraufhin gaben die Polizeibeamten mehrere Schüsse in
Richtung des Täters ab. Der Täter verstarb aufgrund der Schussverletzungen noch
am Ereignisort.
6 Am 01.08.2012 stellte sich der Kläger beim Durchgangsarzt Dr. A. vor. Dieser
stellte die Verdachtsdiagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
7 Unter dem 06.11.2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom
04.07.2012 als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung ab.
Voraussetzung für die Anerkennung eines Versicherungsfalls sei ein
innerer/sachlicher Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten
Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses. Das bloße verbale
Hinwirken, um andere zu warnen, reiche zur Anerkennung einer Hilfeleistung im
Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII nicht aus. In den Staatsanwaltschaftsakten
sei der Kläger lediglich ein Mal namentlich im Rahmen einer Zeugenbefragung
erwähnt worden. Der Kläger selbst sei zu dem Vorfall nicht vernommen worden.
Ein aktives Handeln zu Gunsten einer dritten Person sei nicht ersichtlich.
8 Mit Schreiben vom 21.11.2012 legte der Kläger gegen diesen Bescheid
Widerspruch ein. Er legte einen Befundbericht des Universitätsklinikums
Heidelberg vom 02.11.2012 vor. Diesem ist zu entnehmen, dass beim Kläger die
Diagnosen einer Anpassungsstörung und einer Posttraumatischen
Belastungsstörung gestellt wurden.
9 Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2013 wies die Beklagte den Widerspruch
des Klägers zurück. Sie wiederholte die Ausführungen aus dem
Ausgangsbescheid.
10 Mit seiner am 24.05.2013 zum Sozialgericht Mannheim erhobenen Klage verfolgt
der Kläger sein Anerkennungsbegehren weiter. Er habe gehandelt und nicht
einfach weggeschaut. Er und sein Kollege hätten den Täter verfolgt, um weiteren
Schaden an Passanten zu verhindern. Kurz nachdem der Täter in der
Hauseingangsnische entdeckt worden sei, habe er zusammen mit seinem
Kollegen die Lage sondiert und sich so aufgestellt, dass Passanten hätten
rechtzeitig gewarnt werden können. Durch die Beobachtung der Erschießung sei
eine gesundheitliche Beeinträchtigung bei ihm eingetreten.
11 Der Kläger beantragt sinngemäß,
12
den Bescheid vom 06.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23.04.2013 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem
Ereignis vom 04.07.2012 um einen Versicherungsfall in der gesetzlichen
Unfallversicherung gehandelt hat.
13 Die Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15 Sie ist der Auffassung, der Kläger habe keine Hilfe geleistet. Selbst wenn man eine
Hilfeleistung unterstellen würde, sei diese beendet gewesen, als die Schüsse auf
den Täter gefallen seien, sodass es an einer versicherten Tätigkeit fehlen würde.
16 Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen Sch.. Des
Weiteren wurde der Kläger informatorisch zum Geschehen angehört. Zum
Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.10.2013
Bezug genommen.
17 Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche
Verhandlung zugestimmt.
18 Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakten der Beklagten in der Sache des Klägers sowie bezüglich des
Zeugen Sch. und der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
19 Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht erhobene Klage, über
die die Kammer nach Zustimmung der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist
zulässig. Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und
Feststellungsklage. Insbesondere ist die Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr.
3 SGG zulässig, da die Beklagte bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls
verneint hat (vgl. BSG, 28.04.04, B 2 U 21/03 R). Der Kläger hat auch ein
berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung, ob ein
Versicherungsfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht.
Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil er nach ständiger
Rechtsprechung des BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der
Beklagten zur Feststellung des Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden
Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der prozessuale Nachrang der
Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und) Leistungsklagen
(Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn das
jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser
spezieller ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist
aber gerade bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls
jedenfalls gleich rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des
Versicherungsfalls mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch
materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs 1, 179, 180 SGG). Allerdings kann die
Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG) Begehren des Verletzten im
Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein Wahlrecht des Verletzten
zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen
Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG 5.7.2011, B 2 U 17/10 R; 27.4.2010, B 2 U
23/09 R; 30.10.2007, B 2 U 29/06 R).
20 In der Sache ist die Klage begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen
Anspruch auf Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 04.07.2012 um
einen Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt hat.
II.
21 1. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle in der gesetzlichen
Unfallversicherung Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz
1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den
Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist für das Vorliegen einer Arbeitsunfalles
erforderlich, dass eine Verrichtung des Verletzten zur Zeit des Unfalls (genauer:
davor) den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben
muss. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper
einwirkendes Ereignis und dieses Unfallereignis muss einen
Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht
haben (BSG, 27.03.2012, B 2 U 7/11 R). Das Entstehen von länger andauernden
Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende
Kausalität) ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung eines
Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. BSG, Urteil
vom 04.09.2007, Az.: B 2 U 24/06 R; BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 11/04 R;
BSG, Urteil vom 09.05.2006; Az. B 2 U 1/05 R).
22 Der Kläger war zunächst während des streitgegenständlichen Vorfalls nicht
vorrangig als Beschäftigter gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert, da das
Verhalten des Klägers nicht zu seiner versicherten Tätigkeit als Angestellter der V-
Bank zuzurechnen ist.
23 Der Kläger war jedoch zum streitgegenständlichen Zeitpunkt gem. § 2 Abs. 1 Nr.
13 a 2. Alt. SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung kraft Gesetzes
versichert. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich der Versicherungsschutz auf
Personen, die bei gemeiner Gefahr Hilfe leisten. Durch das Verhalten des Täters
bestand eine gemeine Gefahr. Nach der Rechtsprechung liegt eine gemeine
Gefahr vor, wenn aufgrund der objektiv gegebenen Umstände zu erwarten ist,
dass ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder
bedeutenden Sachwerten eintreten wird (BSG, 27.03.2012, B 2 U 7/11 R).
Vorliegend verletzte der Täter im Rahmen seiner Tat zunächst einen Gast der
Bäckerei, indem er einen Stuhl auf diesen warf. In der Folge zog der Täter ein
Messer und verletzte einen unbeteiligten Jugendlichen durch einen gewaltsamen
Griff an dessen Kopf. Aufgrund dieses Verhaltens bestand die latente Gefahr,
dass weitere Personen vom Täter angegriffen werden und diese durch den
Einsatz des vom Täter mitgeführten Messers erheblich verletzt werden. Dem
Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist darüber hinaus zu
entnehmen, dass der Täter an einer paranoiden Schizophrenie litt. Vor dem
Hintergrund des gesamten Verhaltens des Täters ist daher davon auszugehen,
dass jederzeit eine weitere Verletzung unbeteiligter Personen aufgrund eines
psychotischen Zustands des Täters hätte eintreten können. Wie akut die
Gefährdungslage war, die durch den Täter hervorgerufen wurde, zeigt sich schon
daran, dass die eintreffenden Polizeibeamten die Gefährdungslage nur durch
einen Schusswaffengebrauch beenden konnten.
24 Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses hat der Kläger auch Hilfe geleistet. Das BSG
(27.03.2012, B 2 U 7/11 R) führt zur Hilfeleistung wie folgt aus:
25 „Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit der Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr
iS des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a Alt 2 SGB VII ist nicht auf Hilfeleistungen
begrenzt, deren Unterlassen nach § 323c StGB mit Strafe bedroht ist. Er setzt,
anders als der Straftatbestand, nicht voraus, dass die erforderliche Hilfeleistung
dem Helfenden zuzumuten und insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr
und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich war. Gesetzlich
unfallversichert ist nicht nur jede vom Handlungszwang des § 323c StGB erfasste
Hilfeleistung. Auch eine nach dieser Vorschrift nicht gebotene erforderliche
Hilfeleistung ist gemäß § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a Alt 2 SGB VII versichert, falls
objektiv eine gemeine Gefahr vorliegt. Eine gemeine Gefahr besteht, wenn
aufgrund der objektiv gegebenen Umstände zu erwarten ist, dass ohne sofortiges
Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden
Sachwerten eintreten wird (vgl BSG vom 13.9.2005 - B 2 U 6/05 R - SozR 4-2700
§ 2 Nr 7 RdNr 14).“
26 Unter einer Hilfeleistung ist nach der Rechtsprechung des BSG (aaO.) auch eine
Unterstützungshandlung zu verstehen, „die darauf ausgerichtet ist, eine gemeine
Gefahr zu beseitigen oder aus ihr erwachsende Störungen abzuwenden (vgl BSG
vom 15.6.2010 - B 2 U 12/09 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 15 RdNr 17)“.
27 Die Hilfeleistung des Klägers sowie des Zeugen Sch. bestand darin, dem Täter zu
folgen, um Dritte vor der von diesem ausgehenden Gefahr zu warnen. Hierbei ist
es unerheblich, dass es der Zeuge Sch. war, der eine Passantin wegschickte und
der Kläger hierbei nicht aktiv wurde, da es – in Anlehnung an die Rechtsprechung
zur Handlungstendenz (statt aller BSG, 04.07.2013, B 2 U 3/13 R; 18.06.2013, B 2
U 7/12 R) – entscheidend darauf ankommt, ob die konkrete Verrichtung (hier das
Verfolgen des Täters) auf einer inneren Hilfeleistungsabsicht beruhte (vgl. zur
Rettungsabsicht LSG Rheinland-Pfalz, 25.06.2007, L 2 U 16/06 R). Das sowohl
der Kläger, als auch der Zeuge Sch. den Täter in der Absicht verfolgten
unbeteiligte Personen zur warnen steht für die Kammer nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme zweifelsfrei fest. Zunächst ist der Zeugenaussage der Zeugin A.,
die in der Verwaltungsakte enthalten ist, zu entnehmen, dass diese zwei Personen
„aus der Volksbank“ sah, die dem Täter folgten, wobei sie später eine der beiden
Personen als den Kläger identifizierte. Sodann ist die Aussage des Zeugen Sch.,
den die Kammer für uneingeschränkt glaubwürdig hält, ohne hierbei zu
verkennen, dass dieser eine mittelbares Interesse am Ausgang des Verfahrens
hat, absolut glaubhaft. Der Zeuge schilderte detailreich die Geschehnisse am
04.07.2012 und machte auch aus seiner Enttäuschung über das Verhalten der
Beklagten keinen Hehl, was seine Aussage umso glaubhafter erscheinen lässt.
Auch seine emotionale Beteiligung während der Schilderung der Ereignisse ließ
keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Zeuge die Situation so wie er sich
geschildert hat, erlebt hat. Auch die Einlassung des Klägers war für die Kammer
uneingeschränkt glaubhaft.
28 Anders als die Beklagte meint, war die Hilfeleistung des Klägers noch nicht
beendet, als das Unfallereignis – die Erschießung des Täters – eintrat (vgl. zum
Unfallereignis bei psychischen Traumen LSG Baden-Württemberg, 17.05.2013, L
8 U 2652/12). Das BSG (18.11.2008, B 2 U 27/07 R) führt zur Dauer des
Versicherungsschutzes folgendes aus:
29 „Der Versicherungsschutz nach diesen Vorschriften dauert nur so lange, wie zB
der Unglücksfall mit seinen unmittelbaren Schadensfolgen nicht abgeschlossen
ist und ein weiterer Schaden droht (so schon BSGE 35, 140, 144 = SozR Nr 39 zu
§ 539 RVO; BSGE 57, 134, 135 = SozR 2200 § 539 Nr 103) . Diese
Voraussetzung trägt der besonderen Struktur der Versicherungstatbestände nach
§ 2 Abs 1 Nr 13a und 13c SGB VII Rechnung, die zeitlich relativ eng begrenzt
sind und bei denen zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der
Verrichtung zur Zeit des Unfalls oftmals praktisch nicht unterschieden werden
kann. Der Versicherungsschutz besteht nur, solange der Unglücksfall, die Gefahr
oder der Angriff andauert und zu dessen bzw deren Abwehr gehandelt wird.“
30 Zusätzlich erstreckt sich der Versicherungsschutz auch noch auf den Weg in den
und aus dem Gefahrenbereich, der zur Gefahrenbeseitigung zurückgelegt wird,
sodass der Versicherungsschutz mit dem Eintritt in den Gefahrenbereich beginnt
und mit dem Verlassen endet. Der darin zurückgelegte Weg zum und vom Ort der
unmittelbaren Gefahr sowie die Hilfeleistung selbst bilden einen einheitlichen
Lebensvorgang (BSG, 27.03.2012, B 2 U 7/11 R; 30.01.1986, 2 RU 19/84; LSG
Baden-Württemberg, 20.10.2011, L 10 U 1283/10).
31 Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses (Beobachtung der Erschießung des Täters)
befanden sich der Kläger und der Zeuge Sch. zumindest noch im
Gefahrenbereich des Täters, sodass schon deshalb noch Versicherungsschutz
bestand. Naheliegender ist jedoch, dass die Hilfeleistung als solche zum Zeitpunkt
des Unfallereignisses noch nicht beendet war, da bei lebensnaher Betrachtung die
beiden Polizeibeamten sich in unmittelbarer Gefahr befanden. Darüber hinaus
bekundete die Zeugin S, deren Aussage in der Verwaltungsakte enthalten ist,
dass sie davon ausging, dass nicht nur die beiden Polizisten, sondern auch sie
selbst sich in unmittelbarer Lebensgefahr befunden hätten. Diese Gefahr sei erst
durch den Schusswaffengebrauch beseitigt worden. Die Auffassung der
Beklagten, der Kläger und der Zeuge Sch. hätten, weil sie sich nicht unmittelbar
nach Eintreffen der Polizei entfernt hätten, auf eigenes Risiko gehandelt, verkennt
den oben dargestellten Rahmen des Versicherungsschutzes. Es ist nicht nur
lebensfremd dies vom Kläger zu verlangen, sondern berücksichtigt zudem nicht,
dass auch Polizeibeamte in eine Gefahrensituation geraten können in der sie die
Hilfe Dritter Personen benötigen und sei dies nur dadurch das diese Personen den
Polizeinotruf wählen, sodass Unterstützung geschickt werden kann. Daran, dass
der Kläger und der Zeuge Sch. „hilfsbereit“ in der Nähe des Geschehens
verharrten, in der Absicht jederzeit die erforderliche Hilfe zu leisten, besteht für die
Kammer kein Zweifel. Die weiteren Motive, wie bspw. der Polizei als Zeugen zur
Verfügung zu stehen, ändern hieran nichts.
32 Die Beobachtung der Erschießung des Täters (Unfallereignis) stand nach dem
Gesagten in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der
Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr. Denn ohne die versicherte Tätigkeit hätten sich
weder der Kläger noch der Zeuge Sch. die Erschießung des Täters beobachtet.
33 Das Unfallereignis hat beim Kläger einen Gesundheitserstschaden im Sinne der
Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu zuletzt BSG, 24.07.2012, B 2 U
9/11 R) hervorgerufen. Wie aus dem Befundbericht der Universitätsklinik
Heidelberg zu entnehmen ist, erlitt der Kläger aufgrund des Unfallereignisses eine
Anpassungsstörung und eine posttraumatische Belastungsstörung. Dies wurde
von der Beklagten zu Recht nicht in Frage gestellt. Es bestehen für die Kammer
keine Zweifel daran, dass der Kläger sich bei dem Unfallereignis ein psychisches
Trauma zugezogen hat, zumindest in Form einer Anpassungsstörung, zugezogen
hat, sodass sämtliche Voraussetzung für die Anerkennung des
streitgegenständlichen Ereignisses als Versicherungsfall in der gesetzlichen
Unfallversicherung vorliegen. Der Klage war daher vollumfänglich stattzugeben.
III.
34 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.