Urteil des SozG Mainz vom 07.11.2007

SozG Mainz: anästhesie, vergütung, behandlung, kreis, leistungserbringer, abrechnung, vertragsarzt, operation, gemeinschaftspraxis, anmerkung

Sozialrecht
SG
Mainz
07.11.2007
S 2 KA 506/04
Problemkreis sachlich-rechnerische Berichtigung
1. Der Bescheid der Beklagten vom 1. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August
2004 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Berichtigung. Die Kläger
sind als Fachärzte für Chirurgie in Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit
Bescheid vom 1. April 2004 nahm die Beklagte eine sachlich-rechnerische Berichtigung hinsichtlich der
Honorarabrechung der Kläger für die Quartale 1/2000 bis 2/2002 vor und belastete das Honorarkonto der
Kläger mit insgesamt 10.847,98 €. Die vorgenommene sachlich-rechnerische Berichtigung betraf im
Wesentlichen den Ansatz der Gebührenordnungsziffer (im Folgenden: GOZ) 63 EBM. Die Beklagte vertrat
insofern die Auffassung, dass die GOZ 63 EBM, die die Beobachtung und Betreuung eines Kranken
während der Aufwach- und/oder Erholungszeit bis zum Eintritt der Transportfähigkeit betrifft, dann
berechnungsfähig sei, wenn eine ambulante, nach den GOZ 81 ff. EBM zuschlagsberechtigte Operation
durchgeführt worden sei und sofern außerdem eine nach GOZ 90, 186 und 194 EBM
zuschlagsberechtigte Anästhesie oder Narkose nach GOZ 462 EBM erfolgt sei. Hieraus sei abzuleiten,
dass Zuschläge zu ambulanten Operationen nach den GOZ 80 ff. EBM ausschließlich durch den
Operateur abrechnungsfähig seien. Bei ambulanter Durchführung von Anästhesien/Narkosen könne
ausschließlich der Arzt für Anästhesiologie für den damit verbundenen besonderen personellen und
sachlichen Aufwand einen der Zuschläge nach den GOZ 90, 186, 194 EBM berechnen. Erbringe der
Operateur die Anästhesie nach GOZ Nr. 462 selbst, so sei diese nicht zuschlagsberechtigt. Die
Voraussetzungen zur Abrechnung der GOZ 63 ff. seien durch die Kläger als Operateure somit nicht erfüllt.
Die Kläger haben gegen den vorgenannten Bescheid Widerspruch eingelegt und geltend gemacht, dass
es sich nach der einschlägigen Fachkommentierung bei der GOZ 63 EBM um eine Leistungsposition
handeln würde, mit der Kosten abgegolten werden sollten, die infolge der Bereithaltung von geeigneten
Ruhemöglichkeiten in entsprechenden Räumen und durch die Aufwendung für das beobachtende und
betreuende Personal entstünden. Vorliegend hätten sie Leistungen der Plexusanästhesie nach GOZ 462
EBM erbracht, wobei es sich nach dem Inhalt der Weiterbildung zum Chirurgen gemäß der einschlägigen
Weiterbildungsordnung nicht um eine fachfremde Leistung handele, so dass eine Abrechnungsfähigkeit
über die GOZ 63 EBM grundsätzlich gegeben sei.
Der Widerspruch der Kläger wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24. August 2004 zurückgewiesen.
Zur Begründung war ausgeführt, dass eine Absetzung der GOZ 63 EBM dann erfolgt sei, wenn die
Anästhesieleistung ohne Anästhesist durchgeführt worden sei, da zuschlagsberechtigte ambulante
Anästhesien/Narkosen nur vom Arzt für Anästhesiologie erbracht und abgerechnet werden dürften.
Die Kläger haben daraufhin mit Schriftsatz vom 17. September 2004 Klage erhoben und zur Begründung
nochmals darauf hingewiesen, dass die Vergütung nach der GOZ 63 EBM für die Beobachtung und
Betreuung von dem Vertragsarzt beansprucht werden könne, der die räumlichen, personellen und
apparativen Voraussetzungen für die Behandlung des Patienten und die daran anschließende
Beobachtung und Betreuung vorhalte. Allerdings müsse es sich um einen Arzt handeln, der an der
eigentlichen Leistungserbringung, wie sie in GOZ 63 EBM umschrieben sei, beteiligt gewesen sei. Dies
sei bei den von ihnen durchgeführten Operationen der Fall. Im Zusammenhang mit den von ihnen
durchgeführten ambulanten Operationen hätten sie Anästhesieleistungen gemäß GOZ 462 EBM erbracht
und seien deshalb berechtigt, die GOZ 63 EBM zur Abrechnung zu bringen.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August
2004 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihnen den angeforderten Regressbetrag in Höhe
von 10.847,98 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie nochmals im Einzelnen ihren Rechtsstandpunkt, wonach in den Fällen, in denen
ein Operateur Anästhesieleistungen ohne die Anwesenheit eines Anästhesisten erbringe, die GOZ 63 ff.
EBM nicht in Ansatz bringen könne und von daher eine sachlich-rechnerische Korrektur geboten sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und die in diesem Zusammenhang zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen,
sowie auf den Inhalt der beigezogenen und zum Verhandlungsgegenstand gemachten
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.
Die mit Bescheid vom 1. April 2004 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides der
Beklagten vom 24. August 2004 vorgenommenen Kürzungen der von den Klägern in den Quartalen
1/2000 und 2/2000 in Ansatz gebrachten Leistungen gemäß GOZ 63 EBM sind rechtsfehlerhaft erfolgt.
Nach § 45 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung die
Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen
hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Dies gilt insbesondere für die Anwendung des
Regelwerks. Bei Fehler hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit berichtigt die Kassenärztliche
Vereinigung gemäß § 45 Abs. 2 BMV-Ä die Honorarforderung des Vertragsarztes. Für die Auslegung der
vertragsärztlichen Gebührenordnung ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden maßgeblich.
Erweiternde Interpretationen der Leistungslegenden sind nur in engen Grenzen zulässig. Die
Zurückhaltung bei der Auslegung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) beruht auf seinem, dem
Ausgleich der unterschiedlichen Interessen einerseits und Krankenkassen andererseits dienenden
vertraglichen Charakter. Es ist in erster Linie Aufgabe der Bewertungsausschüsse, unklare Regelungen
der Gebührenordnung zu präzisieren. Wegen der gebotenen Zurückhaltung der Gerichte bei der
Auslegung der Gebührenordnungen kann eine systematische Interpretation lediglich im Sinne einer
Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen
Gebührenregelungen erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen. Die
Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewandt werden. Auf
Grund dessen ist es beispielsweise ausgeschlossen, unter Hinweis auf eine tatsächlich bestehende oder
nur behauptete übereinstimmende medizinisch-wissenschaftliche Auffassung erweiterte
Abrechnungsmöglichkeiten damit zu begründen, die Terminologie der Gebührenordnungen werde der
medizinischen Realität nicht gerecht (vgl. etwa BSG, Urteil vom 7. Februar 2007 - Az.: B 6 KA 32/05 R -).
Die vorstehenden Grundsätze sind von der Beklagten nicht genügend beachtet worden. Insbesondere hat
die Beklagte sich bei ihrer Handhabung, die von den Klägern als Operateure berechtigterweise zugleich
erbrachten Anästhesie-Leistungen nach der GOZ 462 EBM und die im Anschluss daran notwendige
Beobachtung und Betreuung eines Kranken während der Aufwach- und/oder Erholungszeit nicht über
GOZ 63 EBM zu vergüten, zu wenig am Wortlaut dieser Leistungslegende orientiert bzw. der sprachlichen
Fassung dieser Leistungslegende einen so nicht vertretbaren Inhalt zugeordnet.
Für die Kammer ist der Wortlaut der GOZ 63 in der Weise eindeutig ausgestaltet, als sich der Nachsatz
unter dem ersten Spiegelstrich dieser Leistungsziffer "Bei Durchführung unter zuschlagsberechtigten
ambulanten Anästhesien/Narkosen (Nrn. 90, 186, 194) sowohl auf die unter diesem Spiegelstrich
genannte Alternative nach zuschlagsberechtigten Operationen" als auch auf "bei Eingriffen nach den Nrn.
96 bis 98" bezieht. Das bedeutet, dass im Prinzip alle die von dem ersten Spiegelstrich erfassten, an der
Leistungserbringung (Operation, Anästhesie, Narkose usw.) beteiligten Ärzte, gleichwohl ob es sich um
den operierenden Arzt oder etwa den Anästhesisten handelt, die für eine anschließende Beobachtung
und Betreuung zeitbezogen bewerteten Nrn. 63 bis 64 EBM berechnen dürfen (so auch Kölner
Kommentar zum EBM, 8. Auflage, Nrn. 67 bis 69, Anmerkung 1, S. 220).
Der Kreis der solcherart abrechnungsberechtigten erfährt auch durch die im Klammerzusatz zum ersten
Spiegelstrich erwähnte Zuschlagsziffer GOZ 90 EBM keine Einschränkung. Zwar ist die Berechnung
dieser Zuschlagsziffer, die für die ambulante Durchführung von Anästhesien/-Narkosen nach GOZ 462
EBM vorgesehen ist, ausschließlich denjenigen Ärzten vorbehalten, die die Berechtigung zum Führen der
Gebietsbezeichnung "Arzt für Anästhesiologie" haben. Nach den erkennbar gewordenen
Regelungszusammenhängen der GOZ 63 ff. EBM ist jedoch entscheidend auf die insoweit deutlich zum
Ausdruck gekommene Absicht des Bewertungsausschusses abzustellen, wonach die Vergütung für die
Beobachtung und Betreuung nach den GOZ 63 bis 69 EBM nur der Vertragsarzt beanspruchen kann, der
einerseits die räumlichen, personellen und apparativen Voraussetzungen für eine Behandlung des
Patienten und die daran anschließende Beobachtung und Betreuung vorhält und andererseits zugleich
als Leistungserbringer der von den unter Spiegelstrich eins der GOZ 63 EBM alternativ aufgezählten
ärztlichen Leistungen aufzufassen ist.
Bezogen auf den vorliegenden Streitfall sind dies die Kläger, die als Operateure auf Grund ihrer
beruflichen Qualifikationen zugleich auch befähigt sind, die von der GOZ 462 EBM erfasste
Plexusanästhesie und die intravenöse Regionalanästhesie durchzuführen. Auch wenn sie gemäß den
allgemeinen Vorgaben der Zuschlagsziffer GOZ 90 EBM nicht dem Kreis der hiernach allein
zuschlagsberechtigten Ärzte für Anästhesie zugeordnet werden können, so sind sie jedenfalls dem nach
GOZ 63 ff. EBM abrechnungsbefugten Personenkreis zuzurechnen. Für die Abrechnungsbefugnis dieser
Abrechnungsziffer kommt es lediglich darauf an, ob der betreffende Arzt - hier die Kläger als operierende
Ärzte und zugleich Leistungsberechtigte von durch die GOZ 462 EVM erfassten Anästhesie-Leistungen -
jedenfalls abstrakt gesehen, d.h. gäbe es die weitere im Vorspann zur GOZ 90 EBM vorgesehene
Beschränkung nicht, als hiernach zuschlagsberechtigter Leistungserbringer anzusehen ist. Hiervon ist
aber auf der Grundlage der bisherigen Darlegungen ohne weiteres auszugehen.
So gesehen war der Klage mit der aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO folgenden
Kostenentscheidung stattzugeben.