Urteil des SozG Mainz vom 29.12.2006

SozG Mainz: aufschiebende wirkung, abrechnung, genehmigung, treu und glauben, leichte fahrlässigkeit, richtigstellung, öffentlich, therapie, vertragsarzt, wissentlich

Sozialrecht
SG
Mainz
29.12.2006
S 6 ER 276/06 KA
Zum Umfang der Hinweis- und Beratungspflicht einer Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber einem
Vertragsarzt und dem bei deren Verletzung bestehenden Schadensersatzanspruch.
1. Die aufschiebende Wirkung der bei der Kammer unter dem Aktenzeichen S 6 KA 458/06 anhängigen
Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.10.2006 wird in Höhe eines Betrages von € 415.756,30 gegen Gestellung einer unbefristeten,
unbedingten und selbstschuldnerischen Bankbürgschaft über diesen Betrag angeordnet.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 1/5 und die Antragsgegnerin zu 4/5.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2006, die bei der
Kammer unter dem Aktenzeichen S 6 KA 458/06 anhängig ist.
Die Antragsteller sind in B als Radiologen bzw. Diagnostische Radiologen in Gemeinschaftspraxis zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit dem 3. Quartal 2003 erbringen sie strahlentherapeutische
Leistungen nach den Ziffern 7024, 7025, 7026 EBM bzw. 25321, 25322 und 25323 EBM 2000 plus (ab
dem 01.04.2005) mit einem vom Krankenhaus S in B angemieteten Linearbeschleuniger. Bis zum
05.06.2005 verfügten sie nicht über eine Abrechnungsgenehmigung, wie sie gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der
Vereinbarung von Qualifikationsvoraussetzungen gemäß § 135 Abs. 2 SGB V zur Durchführung von
Untersuchungen in der diagnostischen Radiologie und Nuklearmedizin und von Strahlentherapie vom
10.02.1993 (Vereinbarung Strahlendiagnostik und -therapie) für die Erbringung der
verfahrensgegenständlichen Leistungen erforderlich ist. Trotzdem rechneten die Antragsteller die strittigen
Leistungen mit der Antragsgegnerin ab und erhielten hierfür während der verfahrensgegenständlichen
Quartalen (3/ 2003 bis 2/2005 - bis zum 05.06.2005) auch die Vergütung. Mit den angefochtenen
Bescheiden stellte die Antragsgegnerin die Abrechnung der Antragsteller sachlich-rechnerisch unter
Kürzung der genannten Abrechnungsziffern während des verfahrensgegenständlichen Zeitraums richtig
und forderte die ausgezahlte Vergütung in Höhe von insgesamt € 520.150,99 von den Antragstellern
zurück.
Vor dem Quartal 3/2003 hatten die Antragsteller strahlentherapeutische Leistungen mit einem - ebenfalls
im Krankenhaus S in B befindlichen - Telekobalt-Gerät erbracht und abgerechnet, was seitens der
Antragsgegnerin entsprechend deren Schreiben vom 28.03.1996 geduldet worden war. Dem war ein
Antrag des Antragstellers zu 1. vom 21.11.1995 vorausgegangen, mit dem er die Erteilung einer
"Genehmigung, kassenärztliche Leistungen auf dem Gebiet der Strahlentherapie vornehmen und
abrechnen zu dürfen" beantragt hatte. Die Leistungen sollten, so der Antragsteller in dem Schreiben
weiter, derzeit noch an der im Krankenhaus S installierten Telekobaltanlage erbracht werden. Nach
entsprechender Umrüstung auf einen Linearbeschleuniger bitte er auch um die Abrechnungserlaubnis für
dieses noch zu installierende Gerät. Beiliegend erhalte die Antragsgegnerin den Fachkundenachweis
dieses noch zu installierende Gerät. Beiliegend erhalte die Antragsgegnerin den Fachkundenachweis
"Linearbeschleuniger". Mit Schreiben vom 03.02.1997 hatte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1.
darauf hingewiesen, dass zur Erteilung der Abrechnungsgenehmigung für die Leistungen mit dem
Linearbeschleuniger noch die Vorlage einer Gewährleistungsgarantie des Herstellers oder Vertreibers
der Anlage und einer Umgangsgenehmigung nach § 3 Abs. 1 der Strahlenschutzverordnung (zu erteilen
vom Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht M) erforderlich sei. Der Antragsteller zu 1.
bestätigte mit Schreiben vom 20.02.1997, er werde der Antragsgegnerin nach Treffen der
Kaufentscheidung die zur Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung noch erforderlichen Unterlagen
umgehend zukommen lassen. In der Folge entschieden sich die Antragsteller dann allerdings, aus
finanziellen Gründen keinen eigenen Linearbeschleuniger anzuschaffen, sondern den des
Krankenhauses S zu mieten, sobald dort einer angeschafft würde, was schließlich zum Quartal 3/2003
erfolgte.
Die gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.10.2006 erhobene Klage ist bei der Kammer unter dem Aktenzeichen S 6 KA 458/06 anhängig.
Mit ihrem am 24.11.2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begehren die Antragsteller einstweiligen
Rechtsschutz.
Sie tragen vor,
sie hätten es aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verabsäumt, die Gewährleistungsgarantie
des Geräteherstellers vom 23.07.2003 und die durch Genehmigungsbescheid der Struktur- und
Genehmigungsdirektion vom 01.09.2003 erteilte Umgangsgenehmigung unmittelbar nach Vorlage an die
Antragsgegnerin weiterzuleiten und damit die Fortschreibung der zuvor erteilten
Abrechnungsgenehmigung zu bewirken. Der Antragsteller zu 1. sei nach bestem Wissen und Gewissen
davon ausgegangen, dass mit der Erteilung der Genehmigung vom 28.03.1996 auch die
strahlentherapeutischen Leistungen mit einem Linearbeschleuniger abgedeckt seien. Die
Antragsgegnerin habe die abgerechneten Leistungen über einen Zeitraum von 8 Quartalen auch vergütet
und die Erbringung und Abrechnung der Leistungen damit geduldet. Zumindest hätte der Antragsgegnerin
bei Prüfung der Quartalsabrechnungen auffallen müssen, dass keine Genehmigung vorhanden sei. Wäre
das Fehlen der Genehmigung zeitnah moniert worden, so hätten die fehlenden Unterlagen umgehend
vorgelegt und die Genehmigung erteilt werden können. Es wäre so nicht zu einer Rückforderung in der
vorliegenden Höhe gekommen. Die Antragsgegnerin müsse sich die Kenntnis vom Fehlen der
Abrechnungsgenehmigung zurechnen lassen und sei daher an einer nachgehenden
Honorarberichtigung gehindert. So habe etwa das BSG mit Urteil vom 09.05.1990 - 6 RKa 5/98
entscheiden, dass die Kassenärztliche Vereinigung im Hinblick auf einen nach § 45 SGB X und nach den
Grundsätzen von Treu und Glauben bestehenden Vertrauenstatbestand an einer sachlich-rechnerischen
Richtigstellung gehindert sei, wenn sie eine bestimmte Abrechnungsweise über mehrer Quartale
wissentlich geduldet habe. Vertrauensschutztatbestände seien auch nach dem Urteil des BSG vom
30.06.2004 - B 6 KA 34/03 im Honorarberichtigungsverfahren zu berücksichtigen. Das Vertrauen auf die
Zulässigkeit der Abrechnung sei im vorliegenden Fall nach den Grundsätzen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB
X schutzwürdig, da ihnen, den Antragstellern, hinsichtlich des Fehlens der Abrechnungsgenehmigung
lediglich leichte Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei. Nachdem das Fehlen der Abrechnungsgenehmigung
im Jahren 2005 aufgefallen sei, habe der Antragsteller zu 1. die fehlenden Unterlagen binnen Wochenfrist
vorgelegt und die erforderliche Genehmigung umgehend erhalten. Zumindest bestehe ein Anspruch
gegen die Antragsgegnerin auf Ersatz des Schadens, der durch die seitens der Antragsgegnerin
unterlassene Information über das Fehlen der Abrechnungsgenehmigung verursacht worden sei, mit dem
hiermit aufgerechnet werde.
Sie, die Antragsteller, seien im Hinblick auf die Höhe des geforderten Betrages nicht in der Lage, die
Rückforderung derzeit wirtschaftlich zu verkraften. Der Erlass eines Beschlusses im Eilverfahren sei daher
notwendig.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.03.2006 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2006 anzuordnen,
hilfsweise, gegen Gestellung einer unbefristeten, unbedingten und selbstschuldnerischen Bürgschaft der
Sparkasse R, B, über einen Betrag von € 520.151,00.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hält die Voraussetzungen für den Erlass des beantragten Beschlusses für nicht gegeben:
Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich zweifelsfrei, dass die Antragsteller nicht über die
erforderlich Abrechnungsgenehmigung für die Leistungen mit dem Linearbeschleuniger während der
strittigen Quartale verfügt habe und dass ihnen auch - wie sie selbst mit Schreiben vom 20.02.1997
mitgeteilt hätten - bewusst gewesen sei, welche Unterlagen noch nachgereicht werden mussten. Sie, die
Antragsgegnerin, habe mit der in ihrem Schreiben vom 03.02.1997 gegebenen Information bereits mehr
getan, als sie nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 84/03 R) hätten tun
müssen. Bei den Vertragsärzten handele es sich nämlich um einen Personenkreis, der mit den
Grundsätzen der Honorarabrechnung vertraut sei oder jedenfalls in der Lage sei, sich vertraut zu machen,
und der daher selbstverantwortlich für die ordnungsgemäße Leistungserbringung und -abrechnung zu
sorgen habe. Sie, die Antragsgegnerin, habe die fehlerhafte Abrechnung der Antragsteller während der
strittigen Quartale zwar nicht bemerkt, damit aber nicht wissentlich geduldet.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und die
Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat überwiegend Erfolg.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in
denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende
Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen
einen Rückforderungsbescheid im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung setzt voraus, dass
mehr für den Erfolg der Klage in der Hauptsache spricht, als dagegen. Dies ist der Fall, wenn zumindest
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen (Keller in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b, Rn. 12c).
Im vorliegenden Fall bestehen nach Ansicht der Kammer zwar dem Grunde nach keine durchgreifenden
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Nach einer im Eilverfahren nur möglichen
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht indes einiges dafür, dass die Antragsteller mit
einer ihnen gegen die Antragsgegnerin zustehenden Schadensersatzforderung zumindest in Höhe des
aus dem Tenors ersichtlichen Betrags wirksam aufgerechnet haben, so dass die Vollziehung des
verfahrensgegenständlichen Bescheides in dieser Höhe nicht zu erfolgen hat.
Gegen die mit Bescheid vom 08.03.2006 erfolgte sachlich-rechnerische Richtigstellung bestehen vom
Grundsatz her keine tatsächlichen oder rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin hat das den
Antragstellern in den verfahrensgegenständlichen Quartalen zustehende Honorar auf der Grundlage von
§ 83 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Verbindung mit § 45 Abs. 1
Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), bzw. § 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV)
sachlich-rechnerisch berichtigt. Nach diesen Vorschriften berichtigt die Kassenärztliche Vereinigung die
Honorarforderung des Vertragsarztes bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Ein
Fehler in der sachlichen Richtigkeit einer Abrechnung liegt auch dann vor, wenn der Vertragsarzt nicht
über eine erforderliche Abrechnungsgenehmigung verfügt. Dies war im vorliegenden Fall während des
verfahrensgegenständlichen Zeitraums der Fall, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist: Nach §
2 Abs. 1 Satz 1 der Vereinbarung Strahlendiagnostik und -therapie setzt die Abrechnung von Leistungen
der Strahlentherapie, zu denen die vorliegende gestrichenen Ziffern gehören, eine Genehmigung der
Kassenärztlichen Vereinigung voraus. Die Genehmigung erfordert das Vorliegen persönlicher und
sächlicher Voraussetzungen, bezieht sich mithin jeweils auf das als zulässige apparative Ausstattung
nachgewiesene Gerät. Für den Linearbeschleuniger, mit dem die strittigen Leistungen erbracht wurden,
lag den Antragstellern - unstreitig - keine Genehmigung vor.
Die Vereinbarung Strahlendiagnostik und -therapie ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 135 Abs. 2
SGB V gedeckt; auch ansonsten bestehen keine - insbesondere verfassungsrechtliche - Bedenken gegen
deren Rechtmäßig- und damit Gültigkeit (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 29.09.1999 - B 6 KA 65/98 R;
Beschluss vom 14.02.1997 - 6 RKa 6/96; BVerfG, Beschluss vom 16.07.2004 - 1 BvR 1127/01 - SozR 4-
2500 § 135 Nr. 2; SG Marburg, Urteil vom 09.11.2005 - S 12 KA 36/05) Die Erbringung und Abrechnung
von Leistungen, für die nach der Vereinbarung Strahlendiagnostik und -therapie eine Genehmigung
erforderlich ist, ist damit ausnahmslos nur mit einer solchen Genehmigung zulässig; die rückwirkende
Erteilung einer Genehmigung kommt hingegen nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 28.01.1998 - B 6 KA
93/96 R), und zwar auch dann nicht, wenn die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen vorgelegen
haben. Andernfalls würden Sinn und Zweck des Genehmigungsvorbehalts ausgehöhlt. Die Antragsteller
waren damit während der strittigen Quartale nicht zur Abrechnung strahlentherapeutischer Leistungen
berechtigt.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten an einer sachlich-rechnerischen
Richtigstellung gehindert. Anders als in den Fällen, die den seitens der Antragsteller ins Feld geführten
Entscheidungen des BSG zugrunde gelegen haben (z. B. BSG, Urteil vom 09.05.1990 - 6 RKa 5/98) hat
die Antragsgegnerin nämlich die Abrechnung der strahlentherapeutischen Leistungen durch die
Antragsteller mit dem Linearbeschleuniger nicht wissentlich geduldet, sondern lediglich über 8 Quartalen
nicht bemerkt; dies kann indes keinen Vertrauenstatbestand mit der Folge begründen, dass die
Kassenärztliche Vereinigung an der sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung
gehindert wäre, da ansonsten jede unbemerkte - leicht fahrlässige - Falschabrechnung die Richtigstellung
ausschließen würde und dieses Instrument damit entwertet würde.
Den Antragstellern steht indes nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage gegen die
Antragsgegnerin ein fälliger Schadensersatz in Höhe des für die Quartale 2/2004 bis 2/2005
zurückgeforderten Honorars zu, mit dem sie wirksam aufgerechnet haben. Der Schadensersatzanspruch
gründet sich auf eine Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten durch die Antragsgegnerin. Die
Vertragsärzte stehen zur zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung in einem sozialrechtlichen
Schuldverhältnis, aus dem gegenüber den Vertragsärzten auch Nebenpflichten im Sinne von Aufklärungs-
Informations- und Beratungspflichten folgen (LSG Hessen, Urteil vom 14.12.2005 - L 4 KA 41/05). Diese
bestehen indes nicht in dem gleichen Umfang, wie diejenigen der Sozialleistungsträger gegenüber
Sozialleistungsempfängern, weil Vertragsärzte nicht in gleicher Weise schutzbedürftig sind. Insbesondere
findet das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Vertragsarztrecht keine
Anwendung (LSG Hessen, a. a. O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.09.2000 - L 11 KA 16/00). Bei
den Vertragsärzten handelt es sich vielmehr um einen sachkundigen Personenkreis, der mit den
Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist bzw. zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der
Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen Bescheid zu wissen (BSG, Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA
84/03 R), so dass die Hinweis- und Beratungspflichten der Kassenärztlichen Vereinigung nicht
überspannt werden dürfen. Eine Hinweis- und Beratungspflicht besteht im Hinblick auf die im
Vertragsarztrecht bestehende gegenseitige Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit allerdings
dann, wenn sich eine Antragstellung ohne weiteres aufgedrängt hätte (SG Marburg, Urteil vom 09.11.2005
- S 12 KA 36/05) und die Kassenärztliche Vereinigung dies mit vertretbarem Aufwand hätte feststellen
können.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage
nach Ansicht der Kammer erfüllt. Es kann hierbei für den vorliegend zu entscheidenden Fall dahingestellt
bleiben, ob die Antragsgegnerin generell verpflichtet ist, die Abrechnung sämtlicher Leistungen, für die ein
Genehmigungsvorbehalt auf der Grundlage des § 135 Abs. 2 SGB V besteht, durch ihre Mitglieder zu
überwachen und ggf. bei fehlender Genehmigung zeitnah Hinweise auf die Unzulässigkeit der Erbringung
und Abrechnung zu erteilen. Die Qualitätssicherung für ärztliche Leistungen dient vorrangig der
Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen
Leistungen, somit der Gesundheit und dem Leben von Menschen und damit einem besonders wichtigen
Gemeinschaftsgut (BSG, Urteil vom 18.03.1998 - B 6 KA 23/97 R; BVerfG, Beschluss vom 31.03.1998 - 1
BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 - NJW 1998, 1776). Zum Schutz dieser Rechtsgüter ist die Kassenärztliche
Vereinigung verpflichtet, die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der Leistungen, für die auf der
Grundlage des § 135 Abs. 2 SGB V ein Genehmigungsvorbehalt vereinbart wurde, zu überwachen. Hierzu
gehört insbesondere die zeitnahe Kontrolle, dass solche Leistungen nur von denjenigen Ärzten erbracht
und abgerechnet werden, die über die erforderliche Abrechnungsgenehmigung verfügen.
Im Hinblick auf die Folgen der Erbringung und Abrechnung von genehmigungsbedürftigen
Abrechnungsziffern, die sich dann als besonders einschneidend erweisen, wenn der Vertragsarzt - wie
vorliegend - zwar die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt, es aber an der formalen
Genehmigung fehlt, trifft die Kassenärztliche Vereinigung nach Ansicht der Kammer jedenfalls aber dann
die Verpflichtung zur Weitergabe ihrer aus der im Interesse der Qualitätssicherung durchgeführten
zeitnahen Kontrolle der ordndungsgemäßen Leistungserbringung und -abrechnung an den betroffenen
Vertragsarzt, wenn sich ihr ein Versehen des Vertragsarztes im Zusammenhang mit der Beantragung
einer Abrechnungsgenehmigung aufdrängen musste. So liegt es im vorliegenden Fall: Aufgrund des
umfangreichen Schriftverkehrs zwischen den Beteiligten war offenkundig, dass der Antragsteller zu 1. in
absehbarer Zeit sein Leistungsspektrum auf die Strahlentherapie mittels Linearbeschleuniger umzustellen
gedachte; er hatte hierfür mit Schreiben vom 21.11.1995 auch bereits um Genehmigung nachgesucht,
wobei sich die Anschaffung bzw. Anmietung des Gerätes allerdings bis zum Jahre 2003 verzögerte.
Aufgrund dieser konkreten Vorgeschichte bezog sich im vorliegenden Einzelfall die Schutzrichtung der die
Antragsgegnerin treffenden Verpflichtung zur zeitnahen Überwachung der ordnungsgemäßen Erbringung
und Abrechnung der verfahrensgegenständlichen genehmigungsbedürftigen Leistungsziffern auch auf
den Antragsteller zu 1. Als zeitlichen Rahmen für die Erteilung eines entsprechenden Hinweises an die
Antragsteller sieht die Kammer die ersten drei Quartale seit Abrechnung der neuen Leistungsziffern (für
die Leistungserbringung mit dem Linearbeschleuniger) an: Die Prüfung der Quartalsabrechnung für das
erste Quartal konnte frühstens im zweiten Quartal erfolgen; im Rahmen einer sachgerechten
Aufgabenwahrnehmung ist der Antragsgegnerin indes noch ein weiteres Quartal zuzugestehen.
Spätestens nach Ablauf des dritten Quartals traf die Antragsgegnerin allerdings die Pflicht zur Erteilung
eines Hinweises an die Antragsteller.
Die Verletzung dieser Nebenpflicht aus dem zwischen den Beteiligten bestehenden sozialrechtlichen
Schuldverhältnis führt zu einem Anspruch auf Schadensersatz (vgl. hierzu SG Marburg, Urteil vom
09.11.2005 - S 12 KA 36/05). Die Höhe des Schadens entspricht dem Honorar, das den Antragstellern für
die - ansonsten materiell ordnungsgemäße - Erbringung der strahlentherapeutischen Leistungen
zugestanden hätte. Die Höhe dieses Honorars entnimmt die Kammer der mit der Verwaltungsakte
vorgelegten Berechnung des Rückforderungsanspruchs für die Quartale 2/2004 bis 2/2005 mit €
415.756,30.
Für die Entscheidung über das Bestehen des Schadensersatzanspruchs ist auch der Rechtsweg zu den
Sozialgerichten eröffnet. Zwar bestimmen § 839 BGB und Art. 34 GG, dass für Amtshaftungsansprüche der
Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Darüber hinaus bestimmt § 40 Abs. 2 VwGO, dass
für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem
öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Vorliegend besteht die
Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten indes nicht aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages; es
handelt sich vielmehr um ein nichtvertragliches sozialrechtliches und damit öffentlich-rechtliches
Schuldverhältnis, das durch Verwaltungsakt (Vertragsarztzulassung) begründet wird. Hierauf ist indes der
in § 40 Abs. 2 VwGO gemachte Vorbehalt für Schadensersatzansprüche aufgrund öffentlich-rechtlicher
Verträge auszudehnen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.06.2003 - L 11 KA 99/01; Redeker/von
Oertzen, VwGO, § 40, Rn. 25; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 40, Rn. 121; a. A. BVerwG, Beschluss vom
22.04.2003 - 3 A 5/02 - NVwZ 2003, 1383; BGH, Urteil vom 03.10.1985 - III ZR 60/84 - NJW 1986, 1109).
Nachdem die Antragsteller mit der Antragsschrift gegen die Rückforderung der Antragsgegnerin aufgrund
der sachlich-rechnerischen Richtigstellung wirksam aufgerechnet haben, war die aufschiebende Wirkung
ihrer gegen den strittigen Rückforderungsbescheid erhobenen Klage in dieser Höhe - zur Sicherung eines
eventuellen Rückforderungsanspruchs der Antragsgegnerin auf Grund einer im Hauptsacheverfahren ggf.
anderen Beurteilung gegen Gestellung einer Bankbürgschaft - anzuordnen.
Im übrigen war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.