Urteil des SozG Mainz vom 02.08.2006

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Sozialrecht
SG
Mainz
02.08.2006
S 6 AS 87/05
Kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bei unterlassener Beratung zu Leistungen nach dem SGB II
nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 28.01.2005 bis
23.02.2005.
Der Kläger hatte bis zum 27.01.2005 Arbeitslosengeld nach den Vorschriften des SGB III erhalten. Auf
seinen Antrag gewährte der Beklagte dem Kläger ab dem 24. 02.2005 - dem Zeitpunkt der Antragstellung
- Arbeitslosengeld II. Der gegen den Beginn der Leistungsgewährung seitens des Klägers erhobene
Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 03.05.2005 zurückgewiesen.
Mit seiner am 01.06.2005 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er ist der Ansicht,
ihm stehe ein Anspruch auf das Arbeitslosengeld II bereits ab dem 28.01.2005 zu. Er sei nicht über die
Notwendigkeit einer Antragstellung informiert und beraten worden. Im Fall einer fehlerhaften bzw.
unzureichenden oder - wie hier - gänzlich ausgebliebenen Auskunft bestehe ein öffentlich-rechtlicher
Ausgleichsanspruch in Form eines sozialrechtlichen (Wieder-) Herstellungsanspruchs. Da der Beklagte
durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für ihn, den Kläger, herbeigeführt habe, habe
der Beklagten ihn so zu stellen, als habe er den Antrag rechtzeitig gestellt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 02.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2005
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab dem 28.01.2005 Leistungen nach dem SGB II zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seinen Entscheidungen fest.
Mit Beschluss der 3. Kammer vom 27.07.2005 wurde der Antrag des Klägers auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt. Eine Stellungnahme des
Klägers zu den Gründen dieses Beschlusses erfolgt trotz Aufforderung durch das Gericht nicht.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die
Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf das begehrte Arbeitslosengeld II bereits ab dem 28.01.2005 zu.
Gemäß § 37 Abs. 2 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht für Zeiten vor
der Antragstellung erbracht. Der Kläger hat die strittigen Leistungen indes erst am 24.02.2005 gestellt. Für
vorausgegangene Zeiten besteht somit kein Leistungsanspruch.
Auch aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergibt sich nichts anderes.
Nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hat der Leistungsberechtigte in
Fällen objektiv rechtswidrigen Verwaltungshandelns Anspruch auf Herstellung des Zustands der
eingetreten wäre, wenn sich die Verwaltung nicht rechtswidrig verhalten hätte. Wurde infolge einer
fehlerhaften oder pflichtwidrig unterlassenen Beratung ein Antrag nicht oder erst später gestellt, so kann
der Berechtigte so zu behandeln sein, als hätte er den Antrag (früher) gestellt (Radügein: jurisPK-SGB II, §
37, Rn. 20). Die Beratungs- und Auskunftspflichten ergeben sich aus §§ 14, 15 SGB I. Danach hat jeder
Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch (§ 14 Satz 1 SGB I),
bzw. auf Erteilung von Auskünften (§ 15 SGB I). Die im vorliegenden Fall ausschließlich in Betracht
kommende Beratungspflicht gemäß § 14 Satz 1 SGB I setzt einen konkreten Anlass zur Beratung voraus
(vgl. Reinhardt in LPK-SGB I, § 14, RN. 10 m. w. N.). Eine konkreter Anlass liegt regelmäßig dann vor,
wenn eine Versicherter ein konkretes Beratungs- oder Auskunftsersuchen an eine Sozialbehörde richtet.
Auch die sog. Spontanberatung - d. h. ohne entsprechendes Beratungs- oder Auskunftsersuchen des
Betroffenen - setzt einen konkreten Anlass voraus. Diese ist nur dann gegeben, wenn sich im Rahmen
eines Verwaltungsverfahrens ein konkreter Anlass ergibt, den Betroffenen spontan auf klar zutage
liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und
die jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde (BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 8 RKn 1/97 -
SozR 3-2600 § 115 Nr. 2). Ob für den Bereich der steuerfinanzierten Sozialleistungen, die die
Hilfebedürftigkeit des Betroffenen voraussetzen, ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch überhaupt in
Betracht kommt, ist demgegenüber zweifelhaft, da dieser auf die rückwirkende Gewährung von
Sozialleistungen für die Vergangenheit abzielt, die bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistungen hingegen
auf die Behebung einer aktuellen Notlage abzielen (vgl. zum Meinungsstand Reinhardt in LPK-SGB I, §
14, RN. 14).
Letzteres kann indes im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da die Voraussetzungen eine
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach denn dargelegten Grundsätzen hier nicht erfüllt sind.
Weder der Beklagte noch eine andere Sozialbehörde haben keine Beratungspflichten verletzt, da kein
konkreter Anlass zur Beratung bestand. Vielmehr wäre es Sache des Klägers gewesen, sich seiner
Angelegenheiten in eigener Verantwortung anzunehmen. Über das Ende der ihm seitens der
Bundesagentur für Arbeit bewilligten Leistungen war er durch den Bewilligungsbescheid vom 25.06.2004
hinreichend informiert. Sollte beim Kläger Hilfebedürftigkeit vorgelegen haben, so konnte von ihm verlangt
werden, sich diesbezüglich an die ihm bekannten Sozialbehörden zu wenden. Nach dem Auslaufen des
Arbeitslosengeldes, das eine Versicherungsleistung der Arbeitslosenversicherung darstellt, stellt das
Arbeitslosengeld II eine andere Sozialleistung dar, die nicht zum Bereich der Sozialversicherung gehört,
sondern aus Steuermitteln finanziert wird und die Hilfebedürftigkeit des Betroffenen voraussetzt. Liegt
Hilfebedürftigkeit vor, so ist es zunächst Sache des Betroffenen, sich an die ihm bekannten
Sozialbehörden zu wenden - wie etwa die Bundesagentur für Arbeit -, die ihn dann an den zuständigen
Leistungsträger verweisen kann. Es ist hingegen nicht Sache des Leistungsträgers des
Arbeitslosengeldes, von sich aus eine Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen, um dann entsprechend
beratend tätig zu werden. Zu Nachforschungen hinsichtlich der finanziellen Verhältnisse der Bezieher von
Arbeitslosengeld ist in die Bundesagentur für Arbeit ohne konkreten Antrag auch gar nicht berechtigt. Hat
die Bundesagentur für Arbeit aber keine Kenntnis davon, ob der frühere Bezieher von Arbeitslosengeld
hilfebedürftig ist, so haben sich ihm auch keine im Rahmen des geführten Verwaltungsverfahrens klar zu
Tage getretenen Gestaltungsmöglichkeiten aufgedrängt, die jeder Verständige mutmaßlich nutzen würde.
Auch aus der - nach Vortrag es Klägers - nicht erfolgten Übersendung von allgemeinen
Informationsmaterialien lässt sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht ableiten, da dieser -
wie oben dargelegt - an einer konkret in einem Verwaltungsverfahren zu Tage getretenen
Gestaltungsmöglichkeit ansetzt. Das Unterlassenen allgemeiner Aufklärung gemäß § 13 SGB I hat
hingegen keine haftungsrechtlichen Konsequenzen für die auskunftpflichtigen Stellen (Reinhardt in LPK-
SGB I, § 13, Rn. 11 m. w. N.). Das BSG hat - abweichend hiervon - nur in engen Grenzen Ausnahmen
zugelassenen, die im vorliegenden Fall indes nicht einschlägig sind (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.2001 - B 9
V 9/00 R - SozR 3-1200 § 14 Nr. 31, in dem aus der Ungleichbehandlung eines bestimmten
Personenkreises im Rahmen einer Allgemeininformation aus Art. 3 GG ein sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch abgeleitet wurde; oder BSG, Urteil vom 21.06.1990 - 12 RK 27/88 - SozR 3-1200 §
13 Nr. 1, in dem aus der unrichtigen oder missverständlichen Information der Bevölkerung über ein
befristetes Recht zur Beitragsnachentrichtung ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch abgeleitet
wurde).
Es kann daher im vorliegenden Fall letztlich dahin gestellt bleiben, ob dem Kläger der
Aufhebungsbescheid vom 26.01.2006 nebst den üblicherweise beigefügten Informationsmaterialien
zugegangen ist, oder - wie er vorträgt - nicht. Ebenfalls kann - mangels konkretem Beratungsanlass - für
den vorliegenden Fall letztlich dahingestellt bleiben, ob der sozialrechtliche Herstellungsanspruch für den
Bereich des Arbeitslosengeldes II überhaupt Anwendung findet, wogegen indes spricht, dass hierdurch
das Antragserfordernis des § 37 Abs. 1 SGB II ausgehebelt würde: Wäre die Sozialverwaltung verpflichtet,
von sich aus Bedürftigkeitsprüfungen vorzunehmen und die Betroffenen auf die Möglichkeit der Stellung
von Anträgen auf Leistungen nach dem SGB II hinzuweisen, würde das für diese Leistungen geltende
Antragserfordernis ausgehöhlt, das der Gesetzgeber nunmehr - in Abkehr von den früheren Regelungen
zur Sozialhilfe - eingeführt hat.
Nach alledem steht dem Kläger kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II für den strittigen Zeitraum zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.