Urteil des SozG Mainz vom 31.05.2006

SozG Mainz: anerkennung, gerichtsakte, bestandteil, befreiung, quelle, behandlung, unterlassen, rücknahme, neugründung, facharzt

Sozialrecht
SG
Mainz
31.05.2006
S 2 KA 415/04
Problemkreis: Bestimmung der Basisvolumina
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.3.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.6.2004 verpflichtet, den Fallpunktzahlkorrekturfaktor für die
streitgegenständlichen Quartale 3/03 bis 1/04 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
festzusetzen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Streitig ist die Begrenzung vertragsärztlicher Honoraransprüche auf der Grundlage der Ermittlung des
sogenannten Basisvolumens.
Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2003 im Bereich der Beklagten als Facharzt für Diagnostische
Radiologie niedergelassen. Auf Grund der Neugründung wurde der Kläger mit Bescheid der Beklagten
vom 28. April 2003 bis zum 31. Dezember 2005 von der Fallzuwachsbegrenzung befreit.
Zum 1. Juli 2003 führte die Beklagte für ihren Zuständigkeitsbereich neue
Honorarbegrenzungsregelungen ein. Hintergrund der Änderung ihres Honorarvertteilungsmaßstabes (im
Folgenden: HVM) war die Abschaffung der Praxis- und Zusatzbudgetierung nach den Bestimmungen des
Einheitlichen Bewertungsmaßstabes zum 30. Juni 2003. Nach den vor diesem Hintergrund neu
gestalteten Bestimmungen des HVM der Beklagten werden jeder Arztpraxis zur Bestimmung des
Vergütungsanteils an dem von gesetzlichen Krankenkassen angeforderten Leistungsbedarf sogenannte
Basisvolumina zugewiesen.
In Ausführung des neu gestalteten HVM setzte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Juni 2003 die
Basisvolumen des Klägers für die vier Quartale eines jeden Jahres ab dem 3. Quartal 2003 fest.
Gemäß Punkt 3 der Anlage zu § 6 HVM wurde zur Ermittlung des Basisvolumens die Arztgruppe gemäß
Anhang 1 der Anlage 2 zu § 6 HVM eine durchschnittliche Fallzahl und eine durchschnittliche
Fallpunktzahl je Arzt und Quartal auf der Basis des angeforderten Leistungsbedarfs des Jahres 2001
berechnet. Als Fälle gelten alle ambulant-kurativen Fälle ohne reine Kostenfälle sowie ohne Fälle des
organisierten Notfalldienstes.
Der Kläger wurde gemäß Anhang 1 der Anlage 2 zu § 6 HVM der Arztgruppe der Radiologen mit CT, mit
MRT zugeordnet.
Zur Angleichung der praxisindividuellen Gegebenheiten an die Durchschnittswerte der entsprechenden
Arztgruppe wurde gemäß Punkt 4 der Anlage 2 zu § 6 HVM jede im Jahre 2001 tätige Praxis durch einen
Arztgruppe wurde gemäß Punkt 4 der Anlage 2 zu § 6 HVM jede im Jahre 2001 tätige Praxis durch einen
Fallzahlkorrekturfaktor, einen Fallpunktzahlkorrekturfaktor und einen Qualifikationskorrekturfaktor
angepasst.
Da der Kläger im zu Grunde liegenden Basisjahr 2001 noch nicht vertragsärztlich tätig war, wurden der
Fallzahl- und der Fallpunktzahlkorrekturfaktor gemäß der Regelung in Punkt 6.2 der Anlage 2 zu § 6 HVM
auf 1,00 festgesetzt. In dieser Höhe wurde auch der Qualifikationskorrekturfaktor der Arztgruppe
festgesetzt. Aus der Multiplikation der Durchschnittswerte der Arztgruppe, in die der Arzt eingeordnet ist,
und der 3 praxisindividuellen Korrekturfaktoren sowie der Arztzahl wurde das individuelle
Punktzahlvolumen der Praxis für das entsprechende Vergleichsquartal des Jahres 2001 ermittelt (Punkt
5.1 der Anlage 2 zu § 6 HVM). Das ermittelte Punktzahlvolumen wurde gemäß Punkt 5.2 der Anlage 2 zu §
6 HVM für die Fachgruppe der Radiologen mit 65% quotiert und bildet das individuelle Basisvolumen je
Praxis im Abrechnungsquartal. Mit den Basisvolumen wird dem Kläger gemäß Punkt 5.2.2 der Anlage 1 zu
§ 6 HVM je Quartal ein Punktzahlvolumen zugestanden, bis zu dem Leistungen mit einem festen
Punktwert von 4,00 Cent im Primär- und Ersatzkassenbereich vergütet werden sollen. Die darüber
hinausgehende Leistungsanforderung bei übrigen Leistungen (ohne Vorwegleistungen nach Punkt 5.1
der Anlage 1 zu § 6 HVM) wird gemäß Punkt 5.2.3 der Anlage 1 im Restvolumen mit einem
Mindestpunktwert von 1,0 Cent bis maximal 2,0 Cent im Primärkassenbereich und 2,0 Cent im
Ersatzkassenbereich vergütet. Der Widerspruch des Klägers gegen den vorgenannten
Festsetzungsbescheid wurde durch Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2003
zurückgewiesen. Das hiergegen beim erkennenden Gericht angestrengte Klageverfahren unter dem Az.:
S 2 KA 7/04 hat auf der Grundlage übereinstimmende Erledigungserklärungen der Verfahrensbeteiligten
inzwischen seine Erledigung gefunden.
Mit Bescheid vom 18. März 2004 nahm die Beklagte rückwirkend eine Neufestsetzung des Basisvolumens
des Klägers für die Quartale 3/2003, 4/2003 und 1/2004 vor, in dem der ursprünglich mit Bescheid vom 31.
Juli 2003 festgesetzte Fallzahlkorrekturfaktor von 1,0 auf 1,20 angehoben wurde. Den hiergegen
erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2004 zurück.
Mit seiner daraufhin am 23. Juli erhobenen Klage verfolgt der Kläger das Ziel, abweichend von der
Regelung in Punkt 6.2 der Anlage 2 zu § 6 HVM eine Erhöhung des Fallpunktzahlkorrekturfaktors auf der
Grundlage der praxisindividuellen Abrechnungswerte für die vorgenannten Quartale zu erreichen.
Insofern stellten sich die vom Kläger abgerechneten Fallzahlen so dar, dass er im Quartal 3/2003 einen
individuellen Fallzahlkorrekturfaktor von 1,21, im Quartal 4/2003 einen individuellen
Fallzahlkorrekturfaktor von 1,42 und im Quartal 1/2004 einen individuellen Fallzahlkorrekturfaktor von 1,25
erreicht habe. Demgegenüber sei der Fallzahlkorrekturfaktor seitens der Beklagten bislang auf nur 1,20
festgesetzt worden. Diese Festsetzung werde aber dem Umstand, dass der Kläger erst seit dem 1. Januar
2003 seine kassenärztliche Tätigkeit aufgenommen habe und sich daher in der sogenannten Aufbau-
bzw. Gründungsphase befinde, nicht gerecht. Überdies weise das von ihm angebotene
Leistungsspektrum Besonderheiten auf, die ebenfalls mit der von der Beklagten vorgenommenen
Festsetzung des Fallzahlkorrekturfaktors nicht gebührend berücksichtigt würden. Dass der Kläger einen
Anspruch auf Erhöhung der Fallpunktzahlkorrekturfaktoren für die streitgegenständlichen Quartale habe,
folge im Übrigen daraus, dass die Beklagte ihm - den Kläger - noch mit Bescheid vom 28. April 2003 bis
zum 31. Dezember 2005 von der Fallzuwachsbegrenzung befreit habe, eine Rücknahme dieses
Befreiungsbescheides sei nicht erfolgt. Letztendlich habe es die Beklagte auch in rechtswidriger Weise
unterlassen, in dem maßgeblichen HVM Härtefallregelungen vorzusehen, die die in seiner Praxis
vorherrschenden individuellen Besonderheiten ausreichend Rechnung tragen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2004 zu verpflichten, den Fallpunktzahlkorrekturfaktor für die
streitgegenständlichen Quartale 3/03 bis 1/04 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, dass die in dem maßgeblichen HVM getroffenen
Regelungen hinsichtlich der Berechnung der Basisvolumina für sogenannte Anfängerpraxen in der
Aufbau- bzw. Gründungsphase rechtlich nicht zu beanstanden seien. Auch der vom Kläger reklamierte
Befreiungsbescheid vom 28. April 2003 sei nicht geeignet, die vom Kläger angestrebte Anhebung des
Fallpunktzahlkorrekturfaktors zu erreichen. Nach Inkrafttreten des streitgegenständlichen HVM, der
sogenannte Basisvolumina eingeführt habe, sei die im HVM zuvor geregelte Fallzahlbegrenzung sowie
die vom Kläger erreichte Befreiungsregelung zum Fortfall gekommen, ohne dass hiervon noch irgendwie
geartete Rechtswirkungen ausgehen würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der
beigezogenen und zum Verhandlungsgegenstand gemachten Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.
Dem Kläger steht der von ihm reklamierte Anspruch auf Anerkennung eines höheren
Fallpunktzahlkorrekturfaktors für die streitgegenständlichen Quartale dem Grunde nach zu.
Diese Einschätzung folgt bereits daraus, dass der Kläger auf Grund der mit Wirkung ab 1. Januar 2003
erfolgten Praxisneugründung durch Bescheid vom 28. April 2003 bis zum 31. Dezember 2005 von der
Fallzuwachsbegrenzung befreit worden ist. Von diesem Befreiungsbescheid gehen jedenfalls für die
streitgegenständlichen Abrechnungsquartale Rechtswirkungen aus, da es die Beklagte versäumt hat,
etwa in Anwendung von § 48 SGB X eine Aufhebung dieses Befreiungsbescheides vorzunehmen. Die im
Verlaufe des Klageverfahren geäußerte Rechtsauffassung der Beklagten, der Befreiungsbescheid sei auf
Grund der streitgegenständlichen Neuregelungen des HVM zum 1. Juli 2003 praktisch gegenstandslos
geworden, ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen.
Dessen ungeachtet geht die Kammer aber auch davon aus, dass der HVM der Beklagten vom 1. Juli
2003, was die Regelungen der Fallzahlen und dabei insbesondere des sogenannten
Fallzahlkorrekturfaktors als einen wesentlichen Bestandteil für die Bestimmung des praxisindividuellen
Basisvolumens angeht, über die Vorgaben in Anlage 2 zu § 6 HVM für die ab dem 1. Quartal des Jahres
2001 neu niedergelassenen Arztpraxen nur eine unzureichende Regelung erfahren hat, die den in
ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Grundsätze (vgl etwa BSG Urteil vom
13.3.2002, Az.: B 6 KA 1/01 R oder Urteil vom 21.10.1998, Az.: B 6 KA 71/97 R) über
Fallzahlungsbegrenzungsregelungen der Arztpraxen in der Aufbau- bzw. Gründungsphase nicht in
ausreichendem Maße entspricht. Diese Regelungsdefizite werden auch weder über die für
Anfängerpraxen gleichfalls unzureichenden Sonderregelungen gemäß Anlage 2.6.10 zu § 6 HVM
aufgefangen noch sind sie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu
Anfangs- und Erprobungsregelungen in rechtlicher Hinsicht hinzunehmen. Die Problematik der
Fallzahlbegrenzungsregelungen in Honorarverteilungsmaßstäben gehört angesichts der hierzu
entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze des Bundessozialgerichts sozusagen zu den unverrückbaren,
höchstrichterlich bereits abschließend geklärten Standards, die im Rahmen von Regelungen zur
Honorarverteilung zwingend zu beachten sind, so dass Umsetzungsfehler unter dem Blickwinkel von
Anfangs- und Erprobungsregelung nicht entschuldbar sind.
Wegen der deshalb anzunehmenden Teilrechtswidrigkeit des maßgeblichen HVM der Beklagten vom 1.
Juli 2003 kommt dem Regelungsbereich über Anfängerpraxen in gleicher Weise nicht die von der
Beklagten angenommene Ersetzungswirkung zu. Vielmehr bleibt es dabei, dass sich die Beklagte den
Bescheid vom 28. April 2003 über die Befreiung von der Fallzuwachsbegrenzung des Klägers im zu
Grunde liegenden Verfahren entgegenhalten lassen muss.
Allerdings führt diese Einschätzung der Kammer dazu, dass sich der Kläger hinsichtlich der von ihm
angestrebten Anhebung des Fallzahlkorrekturfaktors ebenso wenig auf die im streitgegenständlichen
HVM nur rudimentär vorhandenen Sonderregelungen über die Behandlung von Anfängerpraxen berufen
kann. Das hat zur Folge, dass ihm zwar dem Grunde nach ein Anspruch auf Neufestsetzung des
Fallpunktzahlkorrekturfaktors für die streitgegenständlichen Quartale 3/03 bis 1/04 zusteht, indes die
Kammer vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage zur möglichen Höhe des
Fallpunktzahlkorrekturfaktors den Verfahrensbeteiligten keine weitergehenden Vorgaben machen kann.
Einen sachgerechten Interessenausgleich zu finden, muss vielmehr den Verfahrensbeteiligten selbst
überlassen bleiben. Dabei könnte allerdings die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers für die
streitgegenständlichen Quartale unterbreitete tatsächliche Fallzahlentwicklung eine sachgerechte
Ausgangsbasis bilden.
Die Kostenentscheidung zum Nachteil der Beklagten basiert auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1
VWGO.