Urteil des SozG Lüneburg vom 21.10.2009

SozG Lüneburg: sozialhilfe, sachliche zuständigkeit, erlass, hauptsache, gesundheit, versorgung, körperpflege, eltern, ernährung, selbsthilfe

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 21.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 22 SO 160/09 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten
zu erstatten. 3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin erstrebt vom Antragsgegner die Übernahme der Kosten der Pflegeheimunterbringung ab dem 01.
September 2009 im Rahmen der Sozialhilfe.
Die F. geborene Antragstellerin steht unter gesetzlicher Betreuung, ist in Pflegestufe I eingestuft und im G. in H. seit
dem Jahre 2002 untergebracht.
In einem im November 2002 erstellten Vermögensverzeichnis des Betreuers wurde der Wert ihres gesamten
Vermögens mit 65.459,67 Euro angegeben (Bl. 78 der Verwaltungsakte). Sie veräußerte im Jahre 2004 ein
Einfamilienhaus, das als Pension genutzt wurde, für einen Betrag in Höhe von 45.000,- Euro (vgl. Nummer 164 der
Urkundenrolle für 2004 des Notars I., J.; Bl. 60 bis 70 der Verwaltungsakte). Den Verkaufserlös zahlte sie auf ein
Bankkonto ein. Bereits seit dem Jahre 2000 erfolgten diverse Abhebungen, wobei die Antragstellerin vorträgt, sie habe
damit im Wesentlichen die Heimkosten gedeckt.
Die Antragstellerin bezieht derzeit eine Altersrente in Höhe von monatlich 526,43 Euro, eine Betriebsrente in Höhe von
monatlich 6,67 Euro und eine Kriegsopferversorgungsrente nach ihrem K. verstorbenen Ehemann in Höhe von
monatlich 326,- Euro.
Die Pflegekasse zahlt monatlich für Leistungen der vollstationären Pflege in Höhe von 1.023,- Euro. Die
Gesamtkosten der Heimunterbringung schwankten im Jahre 2008 zwischen monatlich 1.900,- und 2.100,- Euro.
Die Antragstellerin stellte am 24. Februar 2009 einen Antrag auf Übernahme der ungedeckten Pflegeheimkosten aus
Mitteln der Sozialhilfe im Rahmen der Hilfe zur Pflege.
Der Antragsgegner legte den Antrag einerseits als Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Pflege nach § 26 c
Bundesversorgungsgesetz (BVG) aus und lehnte diesen im Namen und im Auftrag des überörtlichen Trägers der
Kriegsopferfürsorge (Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie) mit Bescheid vom 16. Juni
2009 ab (Bl. 229 bis 230 der Verwaltungsakte). Er begründete dies damit, dass die Antragstellerin nicht bedürftig sei,
weil sie seit dem Jahre 2000 Kontoverfügungen in Höhe von 27.203,25 Euro vorgenommen habe und nicht den
Verbleib dieser Mittel nachweisen könne.
Andererseits wertete er den Antrag als Sozialhilfeantrag und forderte diesbezüglich die Vorlage weiterer Unterlagen
und Belege hinsichtlich der Vermögenssituation der Antragstellerin.
Gegen den Bescheid legte sie am 20. Juli 2009 Klage vor dem Verwaltungsgericht L. ein (4 A 219/09), wobei sie
überdies eine Verurteilung des Antragsgegners als Sozialhilfeträger wegen Untätigkeit beantragte. Mit Beschlüssen
vom 22. September 2009 trennte das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit hinsichtlich der Ansprüche auf Sozialhilfe
ab und verwies den abgetrennten Rechtsstreit (4 A 262/09) an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht
Lüneburg.
Die Antragstellerin hat am 01. September 2009 vor dem Verwaltungsgericht L. einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner als Sozialträger beantragt (4 B 38/09). Mit Beschluss vom 08.
September 2009 hat das Verwaltungsgericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit
an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Lüneburg verwiesen.
Die Antragstellerin trägt vor:
Es seien keine Ersparnisse mehr vorhanden. Es drohe die Kündigung des Heimverhältnisses. Ferner werde Bezug
genommen zu dem Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in Rahmen dessen sie Leistungen nach dem BVG
erstrebe.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig die durch
Einkommen und Leistungen der Pflegekasse ungedeckten Kosten der Heimunterbringung im Rahmen der Hilfe zur
Pflege aus Mitteln der Sozialhilfe ab dem 01. September 2009 zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor:
Die Antragstellerin sei anspruchsberechtigt nach § 26 c BVG, so dass der nachrangige Sozialhilfeträger nicht
eintreten müsse.
Die Eheleute B., welche Betreuer der Antragstellerin sind, haben mit eidesstattlicher Versicherung vom 28. August
2009 erklärt, dass auf deren Sparbuch ein Betrag in Höhe von 2.600,- Euro vorhanden sei.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Absatz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtzuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Absatz 2 Satz 2
SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf
die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen
(§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem
Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -
). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des
Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes vom
29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER - und vom 12. Februar 1997 - L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).
Unabhängig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes scheitert der Antrag daran, dass kein Anordnungsanspruch
glaubhaft dargelegt worden ist. Denn der Antragsgegner ist als örtlicher Sozialhilfeträger nicht zuständiger
Leistungsträger, weil Leistungen nach dem BVG im Rahmen der Hilfe zur Pflege grundsätzlich vorrangig sind:
Nach § 61 Absatz 1 Satz 1 SGB XII ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit
oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen
Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen,
Hilfe zur Pflege zu leisten.
Nach § 61 Absatz 2 Satz 1 SGB XII umfasst die Hilfe zur Pflege häusliche Pflege, Hilfsmittel, teilstationäre Pflege,
Kurzzeitpflege und stationäre Pflege. Nach Satz 2 bestimmt sich der Inhalt der Leistungen nach Satz 1 nach den
Regelungen der Pflegeversicherung für die in § 28 Absatz 1 Nr. 1, 5 bis 8 SGB XI aufgeführten Leistungen.
Gemäß § 64 Absatz 1 SGB XII erhalten Pflegebedürftige, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität
für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen
und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (erheblich
Pflegebedürftige), ein Pflegegeld in Höhe des Betrages nach § 37 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI.
Unstreitig zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Pflegebedarfes der Antragstellerin, der durch den MDK
festgestellt wurde (§ 62 SGB XII).
Gemäß § 19 Absatz 3 SGB XII werden Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur
Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen nach dem
Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden
Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem
Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels
dieses Buches nicht zuzumuten ist.
§ 19 Absatz 3 SGB XII konkretisiert das Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe gemäß § 2 Absatz 1 SGB XII.
Nach § 2 Absatz 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines
Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalten kann. Nach Absatz 2 Satz 2 dürfen Leistungen
gerade nicht versagt werden, die auch nach Vorschriften der Sozialhilfe vorgesehen sind.
Der Nachrangigkeitsgrundsatz ist ein zentrales Prinzip der Sozialhilfe und knüpft an den Rechtsgedanken der
Selbsthilfe an (vgl. LPK/SGB XII/Armborst/Brühl § 2, Rd. 1). Insoweit hat der Leistungsberechtigte kein Wahlrecht,
weil der Nachrang Bindungswirkung hat (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 2, Rd. 7). Ein
Verzicht auf vorrangige Leistungen zu Lasten des Sozialhilfeträgers ist unwirksam (§ 46 Absatz 2 SGB I).
Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach §§ 25 bis 27 e BVG sind grundsätzlich nachrangig zu Leistungen der Hilfe
der Pflege im Rahmen der Sozialhilfe (vgl. Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 2001 - 12 B
97.2933 -; LPK/SGB XII/ Krahmer Vorb. §§ 61 ff., Rd. 9; Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, Einl., Rd. 18).
Im Übrigen hat dies auch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Oktober 1998 - 5 C 2/98 - hinsichtlich der
Eingliederungshilfe nach § 25 BVG a.F. festgestellt.
Die Vorschrift des § 26 c BVG verdrängt somit § 61 SGB XII, so dass der Anspruch an den Voraussetzungen der
Kriegsopfervorsorge zu prüfen ist. Dies ist der Kammer aber sowohl im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes als
auch der Hauptsache verwehrt, weil die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit hinsichtlich dieser,
vorrangigen Ansprüche gegeben ist. Die Verfolgung des Rechtsschutzes ist der anwaltlich vertretenen Antragstellerin
innerhalb dieser Vorgaben zumutbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war mangels Erfolgsaussicht abzulehnen (§§ 73 a SGG, 114 ZPO
ff.).