Urteil des SozG Lüneburg vom 19.01.2010

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Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 19.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 7 AL 199/08
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. September 2008 ver-urteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01. bis 07. September
2008 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 18,26 Euro zu ge-währen. 2. Die Beklagte hat
der Klägerin ihre außergerichtlichen Koten zu erstatten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit für die
Zeit vom 01. bis 07. September 2008 und gegen die Minderung des Anspruchs um 7 Kalendertage.
Die H. geborene Klägerin bezog in der Vergangenheit mehrfach Arbeitslosengeld. Bis Mai 2007 war sie als Köchin
beschäftigt und meldete sich am 16. April 2007 arbeitslos. Dabei bestätigte sie den Erhalt des Merkblatts 1 für
Arbeitslose mit ihrer Unterschrift (Bl. 468 der Verwaltungsakte).
Im März 2008 nahm die Klägerin erneut ein Beschäftigungsverhältnis als Küchenhilfe auf, wobei die Beschäftigung
von der Beklagten bezuschusst wurde. Laut Arbeitsvertrag war das Arbeitsverhältnis bis zum 31. August 2008
befristet (Bl. 29 bis 33 der Gerichtsakte). Die Klägerin reichte der Beklagten am 18. März 2008 den Arbeitsvertrag ein.
Die Klägerin meldete sich, nachdem sie am 31. Juli 2008 vom Arbeitgeber erfuhr, dass das Arbeitsverhältnis nicht
verlängert werde, arbeitssuchend und am 01. September 2008 arbeitslos.
Mit Bescheid vom 15. September 2008 (Bl. 533 bis 535 der Verwaltungsakte) stellte die Beklagte das Ruhen des
Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 und die Minderung des Anspruchs um 7
Kalendertage fest. Sie be-gründete dies damit, dass die Klägerin sich nicht mindestens drei Monate vor Beendi-gung
ihres Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet habe.
Dagegen legte die Klägerin am 24. September 2008 Widerspruch ein (Bl. 545 der Ver-waltungsakte), welchen sie
damit begründete, dass sie der Beklagten den befristeten Arbeitsvertrag vorgelegt habe, ohne dass diese darauf
hingewiesen habe, dass sie sich drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend melden
müsse. Ferner sei sie davon ausgegangen, dass der Arbeitsvertrag verlängert werde. Im Juni sei ihr Urlaub geplant
und eingetragen worden, und zwar für die Zeit ab 08. September 2008.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2008 zurück (Bl. 547 bis 550 der
Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen fol-gendermaßen:
Die Klägerin hätte sich spätestens bis 31. Mai 2008 arbeitssuchend melden müssen. Ein wichtiger Grund für die
Unterlassung sei nicht erkennbar. Trotz der Urlaubsplanung habe sie nicht von einer Verlängerung der Beschäftigung
ohne Änderung des Arbeitsvertrages ausgehen dürfen.
Dagegen hat die Klägerin am 17. Oktober 2008 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Die Klägerin durfte von einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ausgehen, weil ihr bereits Urlaub für September
genehmigt worden sei. Erst am 31. Juli habe sie überra-schend die Nachricht erhalten, dass das Arbeitsverhältnis
nicht verlängert werde. Die Beklagte habe seit März 2008 Kenntnis von der Befristung, weil sie den Arbeitsvertrag
vorgelegt habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 2008 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. September 2008 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 Arbeitslosengeld
mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 18,26 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündli-chen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 29. September
2008 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 144 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 7 SGB III (in der Fassung vom
24. März 1997 (BGBl. I S. 594) zuletzt geändert durch Arti-kel 1, 3 des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III -
Verbesserung der Ausbil-dungschancen förderungsbedürftiger junger Menschen vom 26. August 2008 (BGBl. I S.
1728) (a.F.).
Nach Satz 1 dieser Norm ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer
sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach Satz 2 Nr. 7 liegt
versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 37 b nicht nachgekommen ist.
Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Arbeits- und Ausbildungsverhältnis en-det, verpflichtet, sich
spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Nach
Satz 2 dieser Norm hat die Meldung innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu erfolgen,
wenn zwischen Kenntnis und Beendigung weniger als drei Monate liegen. Nach Satz 4 der Norm besteht die Pflicht
zur Meldung unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses in Aussicht gestellt
wird.
Die Klägerin schloss im März 2008 einen Arbeitsvertrag, der von vornherein bis zum 31. August 2008 befristet war.
Sie hätte sich mindestens drei Monate vor Ende der Be-fristung, das heißt spätestens am 31. Mai 2008
arbeitssuchend melden müssen. Die Mel-dung am 31. Juli 2008 war verspätet.
Somit liegt objektiv ein Verstoß gegen diese Obliegenheit vor.
Der Verstoß müsste aber auch subjektiv sorgfaltswidrig erfolgt sein, so dass kein wichti-ger Grund für das
Versäumnis vorgelegen hätte, für dessen Vorliegen die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast trifft (§ 144 Absatz 1
Satz 4 SGB III a.F.). Eine unverschuldete Unkenntnis der Meldepflicht stellt einen wichtigen Grund dar (vgl.
Gagel/Winkler, Kommentar zum SGB III, § 144, Rd. 203).
Eine rechtzeitige Arbeitssuchendmeldung ist im vorliegenden Einzelfall nicht sorgfaltswid-rig unterlassen worden. Ein
Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld träte dann nicht ein, wenn der Versicherte nicht mindestens fahrlässig
diese Obliegenheit verletzt hätte, wobei ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, der die doppelte Prüfung
umfasst, ob der Arbeitssuchende nach seinem individuellen Vermögen fahrlässig in Unkenntnis über die ihm
auferlegte Obliegenheit war und sich fahrlässig nicht unmittelbar nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes an die
Agentur für Arbeit gewandt hat (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 25. Mai 2005 - B 11a/ 11 AL 81/04 R-; 18.
August 2005 - B 7a AL 4/05 R - und 20. Oktober 2005, - B 7a AL 50/05 R -).
Im Rahmen der Sorgfaltsprüfung ist der Umstand einzubeziehen, ob eine Belehrung über die Meldepflicht
vorgenommen wurde, welche im Übrigen aber nicht Tatbestandsvoraus-setzung für den Sperrzeiteintritt ist (vgl. Urteil
des Bundessozialgerichtes vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 56/06 R -).
Vorliegend ist die Klägerin nicht von der Arbeitgeberin darüber aufgeklärt worden, dass eine Arbeitssuchendmeldung
spätestens drei Monate vor Ende des befristeten Arbeits-verhältnisses notwendig ist. Sie erhielt im April 2007 das
Merkblatt für Arbeitslose 1 und damit nicht im engen zeitlichen Zusammenhang mit Abschluss des befristeten
Arbeitsver-trages.
Im Rahmen der Prüfung des subjektiven Tatbestands ist das Verhalten der Beklagten vor Ablauf der Frist der
Meldeobliegenheit am 31. Mai 2008 mit einzubeziehen. So zeichnet sich der Sachverhalt im vorliegenden Fall zum
einen dadurch aus, dass das Arbeitsver-hältnis von der Beklagten bezuschusst wurde, also ein gewisses
Näheverhältnis bestand. Zum anderen hat die Klägerin, worauf die Kammer entscheidend abstellt, der Beklagten am
18. März 2008 den befristeten Arbeitsvertrag eingereicht. Nun ist dieses Verhalten nicht als konkludente
Arbeitssuchendmeldung zu werten, weil eine Erklärung hätte abge-geben werden müssen, welche die Bereitschaft zur
Arbeitssuche beinhaltet, zumal der Arbeitsvertrag nicht bei einer persönlichen Vorsprache vorgelegt wurde. Jedoch ist
aus der Abgabe des Arbeitsvertrags eine Beratungspflicht der Beklagten zur Spontanbera-tung erwachsen, welche
unterlassen wurde. Aus diesem Grund sind die Voraussetzun-gen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
gegeben.
Tatbestandliche Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind:
1. eine Pflichtverletzung, die der Beklagten zuzurechnen ist, 2. ein dadurch beim Kläger eingetretener
sozialrechtlicher Nachteil und 3. die Befugnis der Beklagten, durch eine Amtshandlung den Zustand herzustellen, der
bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom
18. Februar 2004 - B 10 EG 10/03 R -).
Die Klägerin hat nachgewiesen, dass die Beklagte eine Beratungspflichtverletzung be-ging.
Es liegt eine Verletzung der Beratungspflicht nach § 14 SGB I vor. Nach Satz 1 dieser Norm hat jeder Anspruch auf
Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Nach Satz 2 sind zuständig für die Beratung die
Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.
Voraussetzung ist ferner, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade ge-genüber dem Versicherten
obliegt, diesem also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 22.
Oktober 1996 - 13 RJ 23/95 -).
Prämisse für das Entstehen einer Beratungspflicht nach § 14 SGB I ist ein Beratungsbe-gehren oder zumindest ein
konkreter Anlass zur Beratung (vgl. Urteile des Bundessozial-gerichtes vom 28. September 1976 - 3 RK 7/76 -, 21.
März 1990 - 7 RAr 36/88, - 16. De-zember 1993 - 13 RJ 19/92 - und 16. Juni 1994 - 13 RJ 25/93 -).
Ein konkreter Anlass für eine Spontanberatung wurde nachgewiesen, so dass eine Pflich-tenstellung der Beklagten
zur Beratung über die Obliegenheit zur Arbeitssuchendmel-dung erwiesen ist. Die spontane Beratungspflicht besteht
nur bei einem engen Verhältnis Bürger-Verwaltung (vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 14, Rd.17), dessen
Vor-aussetzung im vorliegenden Fall bejaht werden muss, da die Klägerin in einem bezu-schussten
Beschäftigungsverhältnis stand und der Beklagten der befristete Arbeitsvertrag bekannt war.
Eine Beratungspflicht erstreckt sich auf Gestaltungsmöglichkeiten, die der Betroffene anspricht und deren Relevanz
auch unmittelbar für die Behörde erkennbar ist. Letztere muss nicht gleichsam ins Blaue hinein vermutete
Beratungsbedarfe ermitteln und befrie-digen, wenn sie nicht klar zu Tage treten (vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum
SGB I aaO.) oder sich unmittelbar aus der Beratungssituation aufdrängen. Es müsste dabei im Übri-gen für die
Behörde klar erkennbar sein, dass die Wahrnehmung der Rechte offensicht-lich so zweckmäßig ist, dass sie jeder
vernünftige Bürger mutmaßlich nutzen würde (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ
88/75 -).
Das Interesse der Klägerin am ungekürzten Bezug von Arbeitslosengeld nach Ende der Beschäftigung war evident
und klar ersichtlich.
Die Pflichtverletzung ist der Beklagten zuzurechnen und kausal für die unterlassene rechtzeitige
Arbeitssuchendmeldung. Eine Naturalrestitution ist im vorliegenden Fall grundsätzlich möglich, indem die rechtzeitige
Meldung fingiert wird. Dies wurde in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bejaht für die Heilung des
Versäumnisses von Ausschlussfristen (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 -
und 26. Oktober 1982 - 12 RK 37/81 -; Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 14, Rd. 42; Lilge, Kommentar zum
SGB I, vor §§ 13 bis 15, Rd. 26).
Eine offensichtliche Zweckmäßigkeit einer solchen Gestaltungsmöglichkeit wäre für die Beklagte erkennbar gewesen.
(2) Die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um § 128 Absatz 1 Nr. 3 SGB III a.F. war rechtswidrig, weil
keine Verwirklichung eines Sperrzeittatbestandes vorlag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer der
Beklagten mit 255,64 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen,
weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerich-
tes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des
Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.