Urteil des SozG Lüneburg vom 19.01.2010

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Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 19.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 7 AL 227/09 WA
1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Vergleich vom 18. August 2009 beendet ist. 2. Die Beteiligten
haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt von der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld. Der I. geborene Kläger war zunächst als
Lehrer mit acht Unterrichtsstunden pro Woche beschäftigt.
Er meldete sich am 05. Juli 2006 arbeitssuchend und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Im
Antragsbogen gab er an, dass er sich für eine Tätigkeit von höchs-tens acht Wochenstunden zur Verfügung stelle (Bl.
29 der Verwaltungsakte). Auf Nach-frage bestätigte er diese Angabe als zutreffend (Bl. 41 der Verwaltungsakte).
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. März 2008 ab (Bl. 42 bis 43 der Verwaltungsakte) und
begründete dies damit, dass er den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung stehe, weil er
nicht mindestens eine 15-stündige Beschäftigung pro Woche ausüben könne.
Dagegen legte der Kläger am 25. April 2008 Widerspruch ein (Bl. 45 bis 46 der Verwal-tungsakte), welchen er damit
begründete, dass die Tätigkeit versicherungspflichtig gewe-sen sei, so dass auch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld
bestehen müsse.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2008 zurück (Bl. 55 bis 58 der
Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgenderma-ßen:
Wenn man die Arbeitszeit eines Lehrers mit acht Wochenstunden zur Arbeitszeit eines Tarifangestellten ins
Verhältnis setzen würde, erreichte der Kläger wöchentlich 13,28 Stunden und stehe den Vermittlungsbemühungen der
Beklagten nicht zur Verfügung.
Dagegen hat der Kläger am 20. Juni 2008 Klage erhoben.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2009 einen Ver-gleich geschlossen, in dem sich
die Beklagte zur Zahlung von Arbeitslosengeld bei einem Bemessungsentgelt von 23,76 Euro für die Zeit vom 05. Juli
2006 bis 28. Februar 2007 verpflichtete. Der Vergleich wurde laut diktiert, erneut laut vorgespielt und von den Betei-
ligten als richtig genehmigt.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 16. September 2009 (Bl. 91 bis 94 der Gerichtsakte) dem Kläger für die Zeit vom
05. Juli 2006 bis 28. Februar 2007 Arbeitslosengeld mit ei-nem täglichen Leistungssatz von 9,02 Euro bewilligt.
Der Kläger hat den Vergleich mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2009 angefochten.
Er trägt vor:
Dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten sei nicht aufgefallen, dass der Ver-gleich sich auf das
Bemessungsentgelt gerichtet habe. Sie seien davon ausgegangen, dass dies der Auszahlungsbetrag sei.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren fortzusetzen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2008, abgeändert durch Bescheid vom 16. September 2009, zu verurteilen,
dem Kläger Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts in Höhe von 17.902,- für die Zeit ab
dem 05. Juli 2006 für die Dauer von 510 Tagen bezogen auf das Jahreseinkommen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 18. August 2009 be-endet ist bzw. hilfsweise, die Klage
abzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündli-chen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvor-gänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist nunmehr unzulässig.
Der Rechtsstreit ist durch Vergleich der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2009 wirksam
beendet worden und damit nicht mehr rechtshängig im Sinne von § 94 SGG. Nur bei Unwirksamkeit des Vergleiches
wäre das Klageverfahren fortzu-setzen (vgl. Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, § 794, Rd. 36; Zöller/Stöber,
Kommen-tar zum ZPO, § 794, Rd. 15a).
Ein geschlossener Vergleich kann sowohl aus prozessrechtlichen als auch materiell-rechtlichen Gründen unwirksam
sein (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 24. Ja-nuar 1991 - 2 RU 51/90 -). Letzteres ist der Fall, wenn der
Vergleich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig oder wirksam angefochten ist (vgl. Meyer/Ladewig/Keller/ Leitherer,
Kommentar zum SGG, § 101, Rd. 13).
Der Vergleich ist nicht aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam. Der Vergleich wurde vom Vorsitzenden
ordnungsgemäß protokolliert, erneut laut vorgespielt und von den Be-teiligten als richtig genehmigt. An der Handlungs-
und Prozessfähigkeit der Beteiligten bestehen keine Zweifel.
Der Vergleich ist nicht wirksam wegen Irrtums gemäß § 119 BGB angefochten worden. Da es sich um eine
prozessbeendigende Erklärung handelt, ist eine Anfechtung nicht statthaft (vgl. Urteil des Bayerischen
Landessozialgerichtes vom 05. November 2008 - L 16 AS 388/08 -; Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-
Westfalen vom 30. Juli 2008 - L 20 B 86/08 ER SO -; Urteil des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 28.
Februar 2009 - L 2 KN 221/07 U -). Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 01. April 1981 - 9 RV 43/80 - diese
Frage offen gelassen, aber beispielsweise für die An-fechtung der Berufungsrücknahme verneint (vgl. Urteil vom 14.
Juni 1978 - 9/19 RV 31/77 -).
Selbst bei Annahme der Statthaftigkeit der Anfechtung, würde diese aber - unabhängig vom Vorliegen eines
Anfechtungsgrundes, welcher weder Motiv- noch Rechtsfolgeirrtum sein dürfte - an der Tatsache scheitern, dass die
Anfechtungsfrist nicht gewahrt ist.
Das Bayerische Landessozialgericht hat hierzu mit Urteil vom 11. Juni 2008 - L 13 KN 22/07 - folgendes ausgeführt:
"Die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs.1 BGB st unverzüglich zu erklären (§ 121 Abs.
1 BGB). Dies ist der Fall, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern, also spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen
nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolgt ist. Notwendige Erkundigungen sind mit der
gebotenen Eile durchzuführen (BAG NJW 1991, 2723 m.w.N.; LAG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2002, Az.: 5 Sa
1091/01)."
Der Vergleich wurde am 18. August 2009 geschlossen und die Anfechtung erfolgte nach Umsetzung des Vergleichs
durch die Beklagte mit Bescheid vom 16. September 2009 am 27. Oktober 2009. Dies war nicht unverzüglich.
Im Übrigen liegen auch nicht die Voraussetzungen für einen Widerruf vor. Denn Wieder-aufnahmegründe nach §§ 179
SGG, 578 ff. ZPO sind nicht ersichtlich (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06. Dezember 1996 - 8 C
33/95 -; Urteil des Landes-sozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 20. August 2008 - L 3 U 226/08 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialge-richt Niedersachsen-
Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-
Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Lüneburg,
Lessingstraße 1, 21335 Lüneburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich-te eingehen. Sie soll das
angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag ent-halten und die zur Begründung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel an-geben.
Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialge-richt zugelassen werden,
wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulas-sung der Revision ist innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Urteils bei dem Sozial-gericht Lüneburg, Lessingstraße 1, 21335 Lüneburg, schriftlich zu stellen. Die
Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.
Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.
Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung
dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der
gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
F.