Urteil des SozG Lüneburg vom 10.04.2001

SozG Lüneburg: berufskrankheit, anerkennung, merkblatt, gesellschaft, chirurgie, erwerbsfähigkeit, hauptsache, widerspruchsverfahren, minderung, niedersachsen

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 10.04.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 2 U 130/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 B 155/01 U
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß das Sozialgericht (SG) die Übernahme der durch die Einholung des
Gutachtens von Dr. F. unter dem 21. Juli 1999 entstandenen Kosten auf die Staatskasse abgelehnt hat.
In der Hauptsache hat der Beschwerdeführer die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (BKVO) und die Gewährung einer Verletztenrente begehrt. Nachdem der bereits im
Widerspruchsverfahren gehörte Dr. G. das Vorliegen einer wahrscheinlich lärmbedingten beginnenden
Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits angenommen und diese unter Einschluß eines Ohrgeräusches mit einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 15 v.H. bewertet hatte, hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109
des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten des Allgemeinarztes Dr. F. eingeholt. Der Sachverständige hat die
durch die Berufskrankheit bedingte MdE für die Zeit seit mindestens 1970 mit 25 v.H. einschließlich des
Ohrgeräusches bewertet. Er ist hierbei im wesentlichen von einem im Jahr 1995 gefertigten Audiogramm
ausgegangen und hat ausgeführt, dies unterscheide sich von den im Jahr 1990 gefertigten Audiogrammen nicht
wesentlich.
Mit Urteil vom 10. April 2001 hat das SG das Vorliegen einer Berufskrankheit im wesentlichen unter Bezugnahme auf
das Gutachten des Dr. G. festgestellt, die auf die Rentengewährung gerichtete weitergehende Klage aber abgewiesen.
Entgegen der Auffassung des Dr. F. müsse man der Bewertung der MdE das Audiogramm vom 24. August 1990
zugrunde legen.
Gegen die mit dem Beschluss vom 27. April 2001 erfolgte Ablehnung der Übernahme der Kosten des Gutachtens des
Dr. F. wendet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers, mit der er im wesentlichen rügt, das SG habe seine
Sachkunde an die Stelle der Sachkunde der medizinischen Sachverständigen gesetzt. Sofern das Gutachten des Dr.
F. Fragen offen gelassen habe, sei das SG verpflichtet gewesen, eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme
einzuholen.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. April 2001 aufzuheben und die durch die Begutachtung durch Dr.
F. - Gutachten vom 21. Juli 1999 - entstandenen Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Übernahme der Kosten des
Gutachtens des Dr. F. abgelehnt.
Das SG hat insoweit zutreffend gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG eine Ermessensentscheidung getroffen. Die
Überprüfung einer solchen Entscheidung im Beschwerdeverfahren beschränkt sich auf die Prüfung etwaiger
Ermessensfehler; das Beschwerdegericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens des SG setzen,
Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG § 176 RdNr. 4.
Das SG hat zunächst zulässig zum Kernpunkt seiner Ermessenserwägungen die Frage gemacht, ob das Gutachten
des Dr. F. für die gerichtliche Hauptsacheentscheidung wesentliche Bedeutung erlangt hat, insbesondere etwa
dadurch, daß durch das Gutachten der entscheidungserhebliche Sachverhalt weiter aufgeklärt worden ist. Dieser
Gesichtspunkt korreliert mit dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der für die Beteiligten
grundsätzlich kostenfreien Amtsermittlung. Er wird auch von dem erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung
seinen Entscheidungen zugrundgelegt.
Das SG ist auch zu Recht davon ausgegangen, daß das Gutachten des Dr. F. den entscheidungserheblichen
Sachverhalt nicht wesentlich weiter aufgeklärt hat. Soweit es um die Anerkennung der Berufskrankheit dem Grunde
nach ging, ergaben sich die wesentlichen Erkenntnisse bereits aus dem Gutachten des Dr. G ... Ohne ausdrückliche
Feststellung ist auch die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid von dem Vorliegen einer Berufskrankheit dem
Grunde nach ausgegangen. Soweit es andererseits um die durch die Berufskrankheit bedingte MdE ging, hat das
Gutachten des Dr. F. zu Recht keine wesentliche Bedeutung für die Entscheidung des SG erlangt. Insoweit irrt der
Beschwerdeführer, wenn er aus einer bloß noch bestehenden Erläuterungsbedürftigkeit des fraglichen Gutachtens den
Anspruch auf die Übernahme der Kosten herleitet.
Im übrigen hat eine Erläuterungsbedürftigkeit des Gutachtens des Dr. F. objektiv auch nicht bestanden. Auch ohne
Befragen eines weiteren Arztes konnte und durfte das SG von dem zum unfallversicherungsrechtlichen Grundwissen
gehörenden Lehrsatz ausgehen, daß sich eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmeinwirkung üblicherweise
nicht verschlimmert. Offensichtlich hat auch Dr. F. diesen Grundsatz anwenden wollen. Zur Begründung seiner
Vorgehensweise, der MdE-Bewertung das Audiogramm von 1995 zugrunde zu legen, hat er ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß sich die Hörstörung von etwa 1970 bis 1995 nicht wesentlich verändert habe. Insbesondere wichen
auch die Audiogramme von 1990 und 1995 nicht wesentlich voneinander ab.
In einer solchen Situation ist das handwerklich allein korrekte Vorgehen das von dem SG gewählte, nämlich der MdE-
Bewertung das frühestmögliche Audiogramm nach dem bereits 1975 erfolgten Ende der gehörschädigenden
Lärmbelastung zugrunde zu legen. Dieses hätte ohnehin auch nach der Auffassung des Dr. F. zunächst ausgewertet
werden müssen, um dann nach Auswertung auch des späteren Audiogrammes zu der Frage der bestehenden oder
nicht bestehenden wesentlichen Identität überhaupt fundiert Stellung nehmen zu können.
Zu Recht hat das SG insoweit auch das Audiogramm vom 24. August 1990 bewertet, weil dasjenige vom 28. Juni
1990 noch von einer zusätzlichen, durch eine vorübergehende Erkrankung bedingten Hörbeeinträchtigung beeinflußt
gewesen ist. In Auswertung des genannten Audiogramms, das anhand der in dem "Königsteiner Merkblatt”
mitgeteilten Tabellen von Röser 1980 und der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals
Chirurgie erstellt worden ist, ergeben sich die folgenden mitgeteilten Meßwerten:
für das rechte Ohr bei 1 KHz ein Tonverlust von 15 dB Summe Tonverlust bei 2 und 3 KHz von 75 dB prozentualer
Hörverlust von 10
für das linke Ohr bei 1 KHz ein Tonverlust von 15 dB Summe Tonverlust bei 2 und 3 KHz von 105 dB prozentualer
Hörverlust von 20
Daraus resultiert eine MdE von weniger als 10 v.H ... Auch unter Einbeziehung einer Erhöhung dieses Wertes um 5
für das Ohrgeräusch wird die Grenze der Rentenberechtigung von 20 v.H. sicher nicht erreicht.
Alle anderen etwaigen Mängel des Gutachtens des Dr. F. sind nicht entscheidungserheblich.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.