Urteil des SozG Lüneburg vom 27.02.2001

SozG Lüneburg: gonarthrose, arbeitsunfall, unfallfolgen, gutachter, entstehung, eingliederung, gesundheitsschaden, anhörung, unfallversicherung, distorsion

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 27.02.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 2 U 115/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 141/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Meniskusschadens am linken Knie als Folge eines Arbeitsunfalls und die
Zahlung von Verletztenrente. Der 1941 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Baumaschinenführer bei der
Firma C. beschäftigt. Am 8. März 1996 sprang er von einem Radlader ab, als dieser umzukippen drohte. Beim
Aufkommen auf dem Boden rutschte er von einem Kantholz ab und knickte mit dem linken Knie ein oder um. Er
arbeitete weiter und stellte sich am 12. März 1996 bei dem Durchgangsarzt Dr. D. vor. Dieser fand einen minimalen
Erguss bei freier Streckung und Beugung, jedoch Schmerzen in der Streckendphase. Die Seitenbänder waren stabil,
ein sicheres vorderes Schubladenzeichen war nicht feststellbar. Die röntgenologische Untersuchung ergab keinen
Anhalt für eine frische knöcherne Verletzung, jedoch eine Gonarthrose II. Grades und eine Verkalkungsreaktion
(Chondrocalcinose). Das MRT des linken Kniegelenks vom 26. März 1996 ergab eine drittgradige Innenmeniscopathie
mit Einrissdefekten sowie eine leichtgradige Gonarthrose mit einer zweit- bis drittgradigen Chondromalazie des
Schienbeins und des Oberschenkelknochens (Bericht vom 26. März 1996). Am 11. April 1996 erfolgte im
Kreiskrankenhaus E. die Arthroskopie und die Glättung des Innenmeniskus. Dr. F. diagnostizierten eine degenerative
Meniskusläsion im mittleren Anteil des Innenmeniskus. Auch bei der feingeweblichen Untersuchung fanden sich
degenerative Veränderungen des Meniskus (Bericht Dr. G. vom 16. April 1996). Am 11. Juni 1996 wurde eine
Kontrollarthrographie durchgeführt, die einen freien Gelenkkörper im linken Kniegelenk ergab, dieser wurde entfernt.
Die Beklagte holte das Gutachten von Dr. H. vom 10. September 1996 ein. Nach dessen Beurteilung hat der Kläger
am 8. März 1996 nur eine geringgradige Zerrung des Kapselbandapparates am linken Kniegelenk erlitten. Die
Geringfügigkeit der Verletzung zeige sich daran, dass er erst 4 Tage später ärztliche Hilfe in Anspruch genommen
habe. Durch die arthroskopische Untersuchung seien verletzungsbedingte Strukturveränderungen am linken Knie im
Bereich der Bänder und Menisken ausgeschlossen worden. Wesentliche Teilursache für die Arbeitsunfähigkeit sei
vielmehr die röntgenologisch und makroskopisch gesicherte unfallunabhängige Schädigung des linken Kniegelenkes
(Verschleißreaktion und Stoffwechselstörung im Sinne einer Chondrocalcinose). Mit Bescheid vom 24. Oktober 1996
lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, es habe kein Arbeitsunfall vorgelegen. Im
Widerspruchsverfahren holte sie das Gutachten des Orthopäden I. vom 22. Januar 1998 ein. Dieser kam ebenfalls zu
dem Ergebnis, dass der Knieschaden des Klägers nicht auf das Ereignis vom 8. März 1996 zurückzuführen sei.
Verletzungstypische Befunde seien nicht festgestellt worden. Es lägen aber mehrere unfallunabhängige Faktoren vor,
die geeignet seien, auch Spontanrupturen und Aufspleißungen, vor allem des Innenmeniskus herbeizuführen (Varus-
Gonarthrose, Chondrocalcinose, deutlich über die Altersnorm hinaus fortgeschrittene degenerative Veränderungen des
Meniskusgewebes). Die Veränderungen seien am Unfalltag bereits soweit fortgeschritten gewesen, dass die
Schädigung bei jedem anderen (banalen) Ereignis zum selben Zeitpunkt ebenfalls hätte stattfinden können (z.B. beim
Aussteigen aus einem Kfz, Herumdrehen im Bett, Hinhocken bei der Gartenarbeit). Dafür spreche auch, dass bereits
1973 bei einem ähnlich banalen Anlass (Hochkommen aus der Hocke) am rechten Bein eine degenerative
Meniskopathie offenbar geworden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1998 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. J. vom 21. Juni 1999 nebst ergänzender Stellungnahme vom
16. Juli 1999 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Unfallzusammenhang mit den Kniebeschwerden sei
unstrittig. Neben dem bisher im Mittelpunkt stehenden Meniskus müsse auch das mediale Seitenband
Berücksichtigung finden. Nach der Unfallschilderung müsse an eine mediale Seitenband- und eine mediale
Meniskusverletzung gedacht werden. Eine Seitenbandverletzung mache auch eine zumindest vorübergehende
Verletzung des Meniskus wahrscheinlich. Die Gesundheitsstörungen seien durch den Unfall allein verursacht worden.
Während der Arbeitsunfähigkeitszeit (12. März bis 21. Oktober 1996) habe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
um 20 vH bestanden. Außerdem hat das SG im Termin am 27. Februar 2001 als Sachverständigen Dr. K. gehört, der
seine am 12. Februar 2001 verfasste Stellungnahme zu den Akten gereicht hat. Nach dessen Beurteilung war der
Meniskus in Folge der degenerativen Veränderungen rissbereit. In einem solchen Fall genügten schon geringfügige
Anlässe des täglichen Lebens (z.B. das Aufrichten aus kniender Stellung), um die Berstung zu vollziehen. Es könne
auch keine erhebliche Gewalt auf das Knie eingewirkt haben, weil der Kläger erst nach 4 Tagen einen Arzt aufgesucht
habe.
Mit Urteil vom 27. Februar 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein
Arbeitsunfall liege nicht vor, weil das Ereignis vom 8. März 1996 nicht wesentlich mitursächlich für den Gesundheits-
schaden sei. Der Kläger habe zunächst weitergearbeitet, bei der Untersuchung 4 Tage später sei ein erheblicher
Vorschaden festgestellt worden, der durch die weitere Diagnostik bestätigt worden sei. Dieser Vorschaden sei die
allein wesentliche Ursache. Der Beurteilung von Dr. J. könne nicht gefolgt werden, weil dieser eine nicht bewiesene
Verletzung der Seitenbänder unterstellt habe.
Gegen dieses am 12. März 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. April 2001 Berufung eingelegt, mit der er sein
Begehren weiter verfolgt. Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. das Urteil des SG Lüneburg vom 27. Februar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 1996 in
Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 13. Mai 1998 aufzuheben,
2. festzustellen, dass der Kniebinnenschaden am linken Knie des Klägers Folge des Arbeitsunfalls vom 8. März 1996
ist,
3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 27. Februar 2001 zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit der Verfügung der Berichterstatterin vom 15. Oktober 2001 darauf hingewiesen worden, dass
der Senat beabsichtigt, über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur
Stellungnahme geben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde
gelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichts-gesetz (SGG) zulässige Berufung
nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und
eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 153 Abs. 4 SGG).
Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, denn der Kläger hat
weder einen Anspruch auf Feststellung von Unfallfolgen noch auf Zahlung einer Verletztenrente.
Das Begehren des Klägers richtet sich auch nach Eingliederung des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung in
das Sozialgesetzbuch (SGB) zum 01. Januar 1997 nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Das ergibt sich aus der Übergangsregelung in § 212 SGB VII, wonach auf Versicherungsfälle, die vor dem 01. Januar
1997 aufgetreten sind, das alte Recht (§§ 548, 580, 581 RVO) anzuwenden ist.
Es lässt sich lediglich feststellen, dass der Unfall vom 8. März 1996 zu einer Distorsion (Zerrung bzw. Verstauchung)
des linken Kniegelenkes und damit zu einer ihrer Natur nach folgenlos abgeklungenen Gesundheitsstörung geführt
hat. Dagegen ist es nicht wahrscheinlich, dass der vorgenannte Unfall den Kniebinnenschaden, dessen Feststellung
als Unfallfolge der Kläger begehrt (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG), verursacht hat. Dabei kann offen bleiben, ob es nach dem
Sprung vom Radlader beim Aufkommen auf dem Boden zu einem Verdrehen des linken Knies oder einem Umknicken
des linken Beines gekommen ist, so dass den ungenauen Angaben des Klägers nicht nachzugehen ist. Denn es ist
nicht wahrscheinlich, dass bei dem Unfall das linke Knie strukturell - insbesondere in Gestalt eines Meniskusrisses
und durch Absprengung von Gelenkkörpern - geschädigt worden ist.
Nach den übereinstimmenden und überzeugenden Erläuterungen der Gutachter Dr. L. spricht entscheidend gegen eine
unfallbedingte Schädigung des linken Kniegelenkes, dass weder bei den klinisch-funktionellen und röntgenologischen
Untersuchungen am 12. März 1996 noch bei den im April 1996 durchgeführten arthroskopischen und feingeweblichen
Untersuchungen verletzungsbedingte Strukturveränderungen im Bereich der Bänder oder der Menisken (z.B.
Einblutungen in das linke Kniegelenk, frische scharfrandige Rissbildungen oder Ablösungen von Meniskusgewebe)
festgestellt wurden. Diese Ausführungen stehen in Einklang mit den aktuellen medizinischen Erkenntnissen, wonach
ein isolierter Meniskusriss ohne verletzungsspezifische Veränderungen an anderen Strukturen nicht auftritt
(Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 650). Die festgestellte
Kniebinnenschädigung ist vielmehr nach den auch insoweit übereinstimmenden und den Senat überzeugenden
Beurteilungen von Dr. M. allein durch vorbestehende degenerative Veränderungen des linken Kniegelenkes verursacht
worden. Beim Kläger besteht neben einer Varus-Gonarthrose eine Stoffwechselstörung (Chondrocalcinose oder
Pseudo-Gicht), wodurch die Menisken spröde und brüchig werden und ihre Elastizität verlieren (Gutachten des
Orthopäden I.). Außerdem haben sämtliche diagnostischen Maßnahmen erhebliche Verschleißveränderungen im
gesamten Verlauf des Innenmeniskus ergeben, die deutlich über das altersübliche Ausmaß hinausgehen. Diese
Veränderungen können sich auch nicht - wie der Kläger meint – in der Zeit zwischen dem Unfall und der Operation
entwickelt haben. Vielmehr hat der Orthopäde I. ausdrücklich festgestellt, dass über einen langen Zeitraum
Meniskusgewebe zu Grunde gegangen ist. Außerdem haben Dr. K. und der Orthopäde I. darauf aufmerksam gemacht,
dass auch die Umfangsminderung am linken Oberschenkel des Klägers für einen längeren Abnutzungsprozess
spricht.
Schließlich spricht gegen eine unfallbedingte Entstehung des Kniebinnenschadens, dass der Kläger die Arbeit nicht
eingestellt und erst 4 Tage nach dem Unfall einen Arzt aufgesucht hat (vgl. Gutachten Dr. N.). Auch waren nach den
Angaben des Klägers anlässlich der Untersuchung bei dem Orthopäden I. die Beschwerden bereits 2 Stunden nach
dem Absprung weitgehend verschwunden.
Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. J ...
Denn dieses Gutachten überzeugt nicht. Der Sachverständige stellt entscheidend darauf ab, dass eine mit einer
vorübergehenden Meniskusverletzung einhergehende Seitenband-verletzung vorgelegen hat. Eine Verletzung eines
Seitenbandes ist jedoch nicht bewiesen, im Gegenteil hat Dr. D. bei der Erstunter-suchung stabile Seitenbänder
gefunden. Der Senat hat – anders als der Kläger – keinen Zweifel daran, dass am 12. März 1996 trotz des geringen
Kniegelenksergusses eine Untersuchung der Bänder möglich war. Derartige Bedenken hat auch keiner der
behandelnden Ärzte oder der Gutachter (sämtlich Orthopäden oder Chirurgen) geäußert. Abgesehen davon käme es
für die Bejahung eines Zusammenhanges zwischen Unfall und Gesundheitsschaden auf die positive Feststellung
einer Bandverletzung an.
Der Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens bedarf es nicht. Der Kläger hat keine konkrete
klärungsbedürftige Frage aufgezeigt, eine solche ist auch nicht ersichtlich.
Da dauerhafte Unfallfolgen nicht feststellbar sind, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Zahlung einer
Verletztenrente, also unabhängig davon, dass nach dem orthopädischen Gutachten des Dr. J. vom 21. Juni 1999 im
Bereich des Bewegungsapparates keine Funktionseinschränkungen festzu-stellen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht
gegeben.