Urteil des SozG Lüneburg vom 03.11.2009

SozG Lüneburg: beendigung, rechtsgrundlage, pilz, abgeltung, arbeitslosigkeit, vergleich, surrogat, begriff, verwaltungsakt, verzicht

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 03.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 7 AL 226/08
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Erstattungsforderung vorläufig geleisteten Arbeitslo-sengeldes in Höhe von 549,60
Euro für die Zeit vom 28. September bis 09. Oktober 2006.
Der G. geborene Kläger war seit dem 15. März 2006 als Verkaufsleiter bei der H. be-schäftigt. Diese kündigte das
Arbeitsverhältnis zum 27. September 2006 während der Probezeit. Der Kläger meldete sich mit Wirkung zum Folgetag
arbeitslos.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 25. Oktober 2006 (Bl. 131 der Verwaltungsak-te) vorläufig Arbeitslosengeld.
Mit Schreiben vom 13. November 2006 (Bl. 140 bis 141 der Verwaltungsakte) stellte die Beklagte gegenüber der
Arbeitgeberin einen Anspruchs-übergang nach § 143 Absatz 3 SGB III fest.
Der Kläger verklagte die Arbeitgeberin auf ausstehende Gehaltszahlungen für die Zeit von Juli bis September 2006.
Dem gab das Arbeitsgericht I. mit Urteil vom 31. Mai 2007 teilweise statt (1 Ca 1461/06). Die Klage wurde hinsichtlich
eines Urlaubsabgeltungsan-spruches abgewiesen, da der Kläger trotz gerichtlichen Hinweises nicht mitgeteilt habe, in
welcher Höhe er Sozialleistungen erhalten habe. Dagegen legte der Kläger Berufung vor dem Landesarbeitsgericht J.
ein (8 Sa 409/07).
Am 27. September 2007 schloss der Kläger mit der Arbeitgeberin einen Vergleich (1 Ca 676/07), in dem auf
wechselseitige Ansprüche verzichtet wurde und erklärte die Berufung für erledigt.
Mit Bescheid vom 14. August 2008 (Bl. 234 der Verwaltungsakte) forderte die Beklagte die Erstattung von
Arbeitslosengeld in Höhe von 549,60 Euro für die Zeit vom 28. Sep-tember bis 09. Oktober 2006 und begründete dies
damit, dass der Anspruch auf Arbeits-losengeld in dieser Zeit wegen Urlaubsabgeltung ruhe. Auf eine Abgeltung habe
der Klä-ger gegenüber der Arbeitgeberin verzichtet.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2008 zurück
(Bl. 244 bis 248 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Der Kläger hätte nicht auf die Urlaubsabgeltung verzichten dürfen, weil der Anspruch auf die Beklagte übergegangen
sei. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld habe geruht.
Dagegen hat der Kläger am 28. November 2008 Klage erhoben.
Er trägt vor:
Er habe dem Vergleich zugestimmt, um eine Widerklage abzuwehren.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14. August 2008 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 27. Oktober 2008
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündli-chen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvor-gänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 27. Oktober 2008
erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 328 Absatz 3 Satz 2 SGB III.
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist eine vorherige Anhörung nach § 24 Absatz 1
SGB X nicht erforderlich (vgl. Niesel, Kommentar zum SGB III, § 328, Rd. 19).
Die Bescheide sind auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 328 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden,
wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des An-spruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich
längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorlie-gen
und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entschei-dung entgegenstehen, nicht zu
vertreten hat. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (Satz 2). In den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 ist auf
Antrag vorläufig zu ent-scheiden (Satz 3).
Gemäß Absatz 2 der Norm ist eine vorläufige Entscheidung nur auf Antrag des Berech-tigten für endgültig zu erklären,
wenn die nicht aufzuheben oder zu ändern ist.
Nach Absatz 3 Satz 1 der Norm sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die
zustehende Leistung anzurechnen.
Gemäß § 328 Absatz 3 Satz 2 SGB III sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung er-brachte Leistungen zu
erstatten, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leis-tungsanspruch nicht oder nur in geringer Höhe
zuerkannt wird.
Vorgenannte Rechtsgrundlage ist eigenständige öffentlich-rechtliche Erstattungsnorm und lex specialis zu § 50 SGB
X (vgl. Niesel § 328, Rd. 22; Gagel/Pilz, Kommentar zum SGB III, § 328, Rd. 49).
Bei der Entscheidung der Beklagten über den Erstattungsanspruch handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.
Die Ausübung von Ermessen ist nicht erforderlich (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 15. August 2002 - B 7
AL 24/01 R -).
Darüber hinaus sind Vertrauensschutzgesichtspunkte anders als im Rahmen der §§ 45 und 48 SGB X nicht zu prüfen,
weil die Vorläufigkeit der Entscheidung die Bildung schutzwürdigen Vertrauens am Behalten der gewährten Leistung
verhindert (vgl. Ei-cher/Schlegel, Kommentar zum SGB III, § 328, Rd. 65; Gagel/Pilz § 328, Rd. 49).
Die vorläufige Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 28. September bis 09. Oktober 2006 war rechtswidrig,
weil der Anspruch auf diese Leistung gemäß § 143 Absatz 2 Satz 1 SGB III (in der Fassung vom 24. März 1997
(BGBl. I S. 594), zuletzt ge-ändert durch Artikel 28 Absatz 3 Zweites Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse
insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 07. September 2007 (BGBl. I S. 2246) (a.F.)) während der Zeit,
für die der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeits-verhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu
beanspruchen hat, ruhte. Es ist nach dem Wortlaut der Norm nicht erforderlich, dass der Zahlungsanspruch
tatsächlich erfüllt wird (vgl. Voelzke, SGb 2007, 713, 717).
Das Erstattungsverlangen in den angegriffenen Bescheiden fällt zusammen mit der end-gültigen Entscheidung über
den Anspruch nach § 328 Absatz 2 SGB III.
Nach § 143 Absatz 2 Satz 2 SGB III a.F. beginnt der Ruhenszeitraum mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung
beendenden Arbeitsverhältnisses.
Dabei wird der arbeitsrechtliche Begriff der Urlaubsabgeltung nach § 7 Absatz 4 Bundes-urlaubsgesetz in Bezug
genommen. Dieser stellt ein Surrogat für den wegen der Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren
Urlaubsanspruch dar (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 29. Juli 1993 - 11 RAr 17/92 - und 23. Januar 1997 -
7 RAr 72/94 -).
Die Beklagte bewilligte vorläufig Arbeitslosengeld im Rahmen der Gleichwohlgewährung nach § 143 Absatz 3 SGB III
und erklärte mit Schreiben vom 13. November 2006 der Arbeitgeberin den Anspruchsübergang hinsichtlich der
Ansprüche des Klägers auf Ar-beitsentgelt und Urlaubsabgeltung (§ 115 SGB X), worüber sie auch letzteren in
Kenntnis setzte und darüber aufklärte, dass er bezüglich der übergegangenen Ansprüche keine Verfügungen
vornehmen dürfe.
Mit der Gleichwohlgewährung wandelte sich die vorläufige Gewährung von Arbeitslosen-geld nicht in eine
vorbehaltlose Bewilligung um. Selbst wenn man das Schreiben vom 13. November 2008 als Verwaltungsakt
betrachten würde, würde damit die Vorläufigkeit der ursprünglichen Bewilligung nicht aufgehoben, weil
Anpassungsbescheide das Schicksal der Vorläufigkeit teilen (vgl. Eicher/Schlegel, § 328, Rd.86).
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 27. September 2006. Zu diesem Zeitpunkt stand
diesem arbeitsrechtlich noch ein Anspruch auf 12 Kalenderta-ge Urlaub zu, welche ihm bis einschließlich zum 09.
Oktober 2006 zu gewähren gewesen wären (vgl. Arbeitsbescheinigung; Bl. 138 der Verwaltungsakte).
Nach § 143 Absatz 3 Satz 1 SGB III wird im Rahmen der Gleichwohlgewährung das Ar-beitslosengeld auch für die
Zeit geleistet, in der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, wenn der Betroffene die Urlaubsabgeltung tatsächlich nicht
erhält. Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn er auf die Durchsetzung der Urlaubsabgeltung verzichtet, obwohl
eine Rechtsdurchsetzung möglich und zumutbar gewesen wäre.
Der Kläger hat mit dem Verzicht der gerichtlichen Durchsetzung auf die Urlaubsabgeltung im Rahmen eines
gerichtlichen Vergleichs im Klageverfahren gegen die Arbeitgeberin den Umstand selbst verursacht, dass er keine
Zahlungen für die Zeit bis zum 09. Oktober 2006 erhielt.
Zum einen kann materiell-rechtlich auf Urlaubsentgelt gemäß § 13 Bundesurlaubsgesetz nicht wirksam verzichtet
werden (vgl. Eicher/Schlegel/Henke § 143, Rd.81). Zum anderen war der Kläger aufgrund des Anspruchsübergangs
gemäß § 115 SGB X nicht mehr For-derungsinhaber und somit nicht zur Verfügung über die übergegangenen
Ansprüche be-rechtigt, worüber ihn die Beklagte auch mit Schreiben vom 13. November 2006 ausdrück-lich aufgeklärt
hatte. Gleichwohl hat er im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens prozessual wirksam das Verfahren für
beendet erklärt und gleichsam auf die Durchset-zung der ihm zustehenden Ansprüche verzichtet. Dass dem Grunde
nach ein Rechtsan-spruch auf die Urlaubsabgeltung bestanden hat, erscheint der Kammer als evident. Aus den
Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichtes I. vom 31. Mai 2007 geht hervor, dass der Kläger
grundsätzlich einen Anspruch auf Abgeltung hatte, dieser aber an der Verletzung seiner Mitwirkungspflichten
scheiterte, da er trotz gerichtlichen Hinwei-ses nicht vorgetragen hatte, in welcher Höhe er Sozialleistungen bezogen
hat, und eine bezifferte Überleitungsanzeige nicht vorgelegt habe.
Sinn und Zweck der Urlaubsabgeltung ist es, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu ver-schaffen, vor Beginn, während
oder nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Zeit zur Erholung zu nutzen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes
vom 26. Juni 1991 - 10 RAr 9/90 -).
Während dieser Zeit bedarf der Arbeitslose aber nicht des Schutzes der Versichertenge-meinschaft, weil sich das
Risiko der Arbeitslosigkeit in finanzielle Hinsicht nicht aktuali-siert hat (vgl. Eicher/Schlegel/Henke § 143, Rd. 84).
Sofern der Kläger auf die Durchsetzung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung zu Lasten der Beklagten verzichtet,
sorgt er jedoch durch eigenes Handeln dafür, dass sich das Risiko der Arbeitslosigkeit auch während der Zeit der zu
beanspruchenden arbeitsver-traglichen Leistung realisiert.
Es entspricht weder dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung noch dem Interesse der
Versichertengemeinschaft an einer sparsamen und effektiven Verwendung der Mittel der Beitragszahler, dass in
solchen Fällen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld einseitig ausgelöst werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des
Klägers mit 549,60 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil
die Rechtssache keine grund-sätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes,
des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des
Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.