Urteil des SozG Lüneburg vom 16.02.2010

SozG Lüneburg: aufschiebende wirkung, wichtiger grund, zumutbare arbeit, arbeitsmarkt, vollziehung, auszahlung, eingliederung, sanktion, wahrscheinlichkeit, anhörung

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 16.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 67/10 ER
Der Antrag des Antragstellers vom 3. Februar 2010 wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die dem Antragsteller zustehende Regelleistung, die wegen
wiederholter Pflichtverletzungen abgesenkt wurde.
Der 1963 in Brasilien geborene Antragsteller bezieht seit Januar 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Zuletzt
wurden ihm mit Änderungsbescheid vom 20. Oktober 2009 für die Zeit vom 1. August 2009 bis 28. Februar 2010
Leistungen in Höhe von 747,- EUR bewilligt; dabei entfielen 359,- EUR auf die Regelleistung, 388,- EUR auf Kosten
der Unterkunft und Heizung.
Bereits vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 und vom 1. April bis 30. Juni 2008 hatte die Antragsgegnerin die
Regelleistungen wegen Eintritt einer Sanktion um jeweils 30 v.H. abgesenkt.
Am 22. Oktober 2009 schloss der Antragsteller mit der Antragsgegnerin eine bis zum 21. April 2010 befristete
Eingliederungsvereinbarung. Als Eigenbemühungen des Antragstellers ist aufgeführt, dass er innerhalb der nächsten
zwei Wochen Kontakt zum Maßnahmeträger C. aufnimmt und, wenn eine geeignete Einsatzstelle angeboten wird,
diese anzunehmen und regelmäßig wahrzunehmen hat. In der Rechtsfolgenbelehrung ist u. a. ausgeführt, sollte sich
der Antragsteller weigern, die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten zu erfüllen, werde das
Arbeitslosengeld II um 30 % der Regelleistung abgesenkt. Der Antragsteller sprach am 26. Oktober 2009 bei Herrn D.,
C., vor und gab an, dass er momentan nicht für 20 Stunden in der Woche für eine Arbeitsgelegenheit zur Verfügung
stehe, weil er einen alten Herrn betreue und deshalb nicht genügend Zeit habe.
Nach Anhörung des Antragstellers senkte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 20. November 2009 die
Regelleistung für den Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis 28. Februar 2010 um 30 v. H. (107,70
EUR) ab, weil der Antragsteller sich geweigert habe, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit bei "C." trotz Belehrung über
die Rechtsfolgen aufzunehmen. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass bei wiederholter gleichartiger
Pflichtverletzung der Anspruch für die Dauer von drei Monaten um 60 v. H. gemindert werden könne. Mit
Änderungsbescheid vom 20. November 2009 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit vom 1.
Dezember 2009 bis 28. Februar 2010 Leistungen nur noch in Höhe von 639,30 EUR. Hiergegen legte der Antragsteller
Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2010 - E. - zurückgewiesen wurde.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2009 bot die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit vom 4. Januar 2010 bis
30. April 2010 eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung (1,- EUR) als Helfer im Rahmen der
Maßnahme Neue Arbeit - neue Chancen bei der F. gGmbH im Umfang von 30 Stunden wöchentlich an. Dem Angebot
war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Die F. gGmbH teilte unter dem 18. Februar 2009 und auf telefonische
Nachfrage vom 20. Januar 2010 mit, dass sich der Antragsteller nicht gemeldet bzw. beworben habe.
Im Rahmen der Anhörung gab der Antragsteller an, dass er den Ansprechpartner, Herrn G., weder am 17. Dezember,
22. Dezember noch 29. Dezember 2009 angetroffen habe.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2010 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, das Arbeitslosengeld II werde für
die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2010 um 60 v. H. der Regelleistung - hier um 215,40 EUR - abgesenkt, weil er
trotz Belehrung über die Rechtsfolgen das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses über eine zumutbare
Arbeitsgelegenheit bei der "F." dadurch vereitelt habe, dass er sich bei dem Träger nicht vorgestellt habe. Mit
Änderungsbescheid vom 21. Januar 2010 bewilligte sie für den Monat Februar 2010 Leistungen in Höhe von
insgesamt 531,60 EUR. Auch der Widerspruch gegen den weiteren Sanktionsbescheid blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2010 - H. -).
Am 3. Februar 2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Lüneburg die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
beantragt und u. a. vorgetragen, die Arbeitsgelegenheiten stellen eine Zwangsarbeit dar, wie sie im Dritten Reich, aber
nicht hier möglich seien. Die angebotenen Arbeitsgelegenheiten hätten mit der Zimmerei nichts zu tun, er aber
bewerbe sich für Tätigkeiten als Zimmerer. Er sei dringend auf die Leistungen angewiesen, da er Winterbekleidung
benötige und in diesem Monat nur noch 115,- EUR zum Leben habe. Im Übrigen zahle ihm die Antragsgegnerin nur
141,50 EUR statt der bewilligten 143,60 EUR aus.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der
Widerspruchsbescheide vom 8. Februar 2010.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag, der für die Zeit bis zum 28. Februar 2010 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und ab 1. März 2010 auf eine Regelungsanordnung auf Gewährung höherer
Leistungen gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG gerichtet sein muss, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag zunächst die Gewährung von Arbeitslosengeld II in der im Bescheid der
Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2009 bewilligten Höhe. Da Leistungen bewilligt wurden, bedeutet das, dass sich der
Antragsteller im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Vollziehung der
Änderungsbescheide vom 20. November 2009 und 21. Januar 2010 wenden muss. Da die Widersprüche gegen die
Bescheide gemäß § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfalten, hat der Antragsteller das Begehren zunächst
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu richten. Die einstweilige
Anordnung ist bis zum Ablauf der Klagefrist gegen die Widerspruchsbescheide vom 8. Februar 2010 zulässig.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind
einerseits das Interesse der Verwaltung an der - sofortigen - Vollziehung der getroffenen Entscheidung und
andererseits das Interesse des Antragstellers an der ungekürzten Auszahlung des Arbeitslosengeldes II
gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist auch die Erfolgsaussicht des zugrundeliegenden Widerspruchs
und auf Billigkeitsgesichtspunkte abzustellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86 b, Rn 12 i ff.).
Nach der hiernach vorzunehmenden Interessenabwägung kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in
Betracht. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht keine überwiegende Erfolgsaussicht der
Widersprüche.
Die Antragsgegnerin hat die vom Antragsteller angefochtenen Bescheide zu Recht auf § 48 SGB X gestützt, weil eine
Änderung (mit Wirkung für die Zukunft) eingetreten ist, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 SGB II für eine
Absenkung des Arbeitslosengeldes II vorgelegen haben. Der Antragsteller hat sich im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 b SGB II geweigert, eine in der Eingliederungsvereinbarung vom 22. Oktober 2009 festgelegte Pflicht zu erfüllen,
ohne hierfür im Sinne von Satz 2 der Vorschrift einen wichtigen Grund zu haben.
Die Eingliederungsvereinbarung vom 22. Oktober 2009 legte als Pflicht des Antragstellers fest, dass er Kontakt zum
Maßnahmeträger C. aufnehme und, wenn eine geeignete Einsatzstelle angeboten werde, diese auch anzunehmen und
regelmäßig wahrzunehmen. Der Antragsteller hat sich jedoch, wie er zunächst angab, aus zeitlichen Gründen
geweigert, eine Arbeitsgelegenheit wahrzunehmen. Dies ergibt sich aus dem Vermerk über das Gespräch vom 26.
Oktober 2009, dessen Richtigkeit der Antragsteller nicht in Abrede gestellt hat. Ein wichtiger Grund bestand bei
summarischer Prüfung hierfür keineswegs. Der Antragsteller ist seit langen Jahren nicht mehr am ersten Arbeitsmarkt
tätig gewesen. Er kann sich daher nicht darauf beschränken, sich als Zimmerer zu bewerben. Bereits während des
Bezugs von Arbeitslosenhilfe waren ihm nach § 122 SGB III alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden
Beschäftigungen zumutbar. Gemäß § 2 Abs. 3 SGB II hat der Antragsteller auch eine ihm angebotene
Arbeitsgelegenheit zu übernehmen, weil eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit
nicht möglich ist. Erfahrungsgemäß kann in einer solchen Situation die Einübung in allgemeine, am ersten
Arbeitsmarkt regelmäßig abgefragte Arbeitstugenden unter den Bedingungen einer Arbeitsgelegenheit die
Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt fördern.
Wichtige Gründe gegen die Aufnahme der Tätigkeit hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Die zunächst aufgestellte
Behauptung, er betreue eine Pflegeperson, hat er durch keine Angaben belegt. Er hat sie in diesem Verfahren auch
nicht wiederholt.
Mit der Eingliederungsvereinbarung vom 22. Oktober 2009 wurde auch mit dem Hinweis auf eine 30 %ige Absenkung
der Regelleistung für einen erstmaligen Pflichtenverstoß eine ausreichende Belehrung über die Rechtsfolgen erteilt. Ist
damit der Bescheid vom 20. November 2009 bei summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
rechtmäßig, besteht kein Grund, abweichend von § 39 Nr. 1 SGB II die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
anzuordnen.
anzuordnen.
Der Bescheid vom 21. Januar 2010 ist nach summarischer Prüfung ebenfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
rechtmäßig. Hinsichtlich des Monats Februar 2010 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller mit dem
Änderungsbescheid vom 21. Januar 2010 als Leistungen die Regelleistung in Höhe von 143,60 EUR und die Kosten
der Unterkunft gewährt.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 d SGB II wird das Arbeitslosengeld II in Verbindung mit § 31 Abs. 3 SGB II bei einer
wiederholten Pflichtverletzung um 60 v. H. der maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige
Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II
auszuführen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller eine Tätigkeit angeboten, die den gesetzlichen Anforderungen an eine
Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II genügt. Die Arbeitsgelegenheiten gehören systematisch zum
Katalog der in § 16 SGB II geregelten Eingliederungsleistungen, deren Aufgabe die umfassende Unterstützung der
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit ist. Es widerspricht dem für
Arbeitsgelegenheiten geltenden Prinzip auch nicht, wenn für die Ausübung einer derartigen Tätigkeit ein zeitlicher
Umfang von bis zu 30 Stunden anzusetzen ist (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R).
Gründe, die dem Eintritt einer Sanktion wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes entgegen stehen könnten,
werden vom Antragsteller nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Das Angebot der Arbeitsgelegenheit war hinreichend bestimmt und der Antragsteller ist im zeitlichen Zusammenhang
mit dem Arbeitsangebot über die Rechtsfolgen einer Ablehnung belehrt worden. Jedenfalls hat der Antragsteller dies
nicht in Abrede gestellt.
Es handelt sich auch um eine "wiederholte Pflichtverletzung" im Sinne von § 31 Abs. 3 SGB II, weil die
Antragsgegnerin das 1. Sanktionsereignis bereits mit Bescheid vom 20. November 2009 festgestellt und hierbei auf
die Folgen bei wiederholter Pflichtverletzung hingewiesen hatte.
Damit kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nicht im Hinblick auf den Bescheid vom 21. Januar
2010 in Betracht.
Bei dieser Sachlage kann die Regelungsanordnung mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem
Antragsteller ab 1. März 2010 höhere Leistungen zu gewähren, keinen Erfolg haben.
Im Hinblick auf die dem Antragsteller nur ausgezahlten 141,50 EUR statt der bewilligten 143,60 EUR ist darauf
hinzuweisen, dass es sich insoweit wahrscheinlich um die Kosten der Auszahlung per Postscheck handelt. Jedenfalls
besteht wegen der geringfügigen Größenordnung insoweit kein Anordnungsgrund.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.