Urteil des SozG Lüneburg vom 04.02.2010

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Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 04.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 13/10 ER
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und unter dem
Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen in der Hauptsache für die Zeit ab 1. Januar 2010 bis längstens 30. Juni
2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft von weiteren
82,- EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Den
Antragstellern wird für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt G., beigeordnet.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die den Antragstellern zu gewährenden
Kosten für Unterkunft und Heizung.
Die Antragsteller zu 1. und 2. sind verheiratet, sie sind die Eltern des Antragstellers zu 5. (geb. am 23. Oktober 2001)
und der Antragstellerin zu 6. (geb. 13. Februar 2007). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören außerdem aus der zweiten
Ehe der Antragstellerin zu 1. die Antragstellerinnen zu 3. (geb. am 11. September 1994) und 4. (geb. am 13. Mai
1996). Außerdem wohnt im Haushalt der 1988 geborene Sohn aus erster Ehe, der nicht im Leistungsbezug steht. Die
Familie bewohnt ein Einfamilienhaus in Celle. Dieses verfügt über eine Wohnfläche von 148 qm. Die Antragsteller
zahlen hierfür eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 750,- EUR zuzüglich Nebenkosten von 70,69 EUR und
Wasser/Abwassergebühren von 78,- EUR (Betriebskosten insgesamt 138,69 EUR, Gesamtkosten 888,69 EUR).
Beheizt wird das Einfamilienhaus über eine Gasheizung, die monatliche Abschläge betragen hierfür 211,- EUR.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2009 wies der Antragsgegner die Antragsteller darauf hin, dass hinsichtlich ihrer
Wohngröße eine Fläche von 115 qm für sieben Personen angemessen sei. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft
(Kaltmiete und Nebenkosten ohne Heizkosten) liege der Höchstbetrag nach dem vom Landkreis erstellten
Wohnungsmarktgutachten bei 686,- EUR. Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern mit Bescheid vom 26. Mai
2009/Änderungsbescheiden vom 21. Juli 2009 und 16. September 2009 die Kosten der Unterkunft und Heizung für Juli
und August auf der Grundlage anerkannter Kosten von 852,50 EUR und Heizkosten von 128,90 EUR, ab 1.
September 2009 in Höhe von 686,- EUR und Heizkosten von 128,90 EUR.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern die Leistungen für die Zeit vom
1. Januar bis 30. Juni 2010 unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft von 686,- EUR und Heizkosten von
164,83 EUR weiter. Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch mit der Begründung ein, aufgrund einer
Entwicklungsstörung mit Wahrnehmungsproblemen und schulischen Problemen des Antragstellers zu 5. sei es ihnen
nicht zuzumuten, mit ihrem Sohn umzuziehen. Eine neue Wohnung wäre für sie als große Familie schwer zu finden.
Über den Widerspruch wurde - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Am 11. Januar 2010 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel
gestellt, ihnen die vollständigen Kosten der Unterkunft zu gewähren. Sie wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen aus
dem Widerspruchsverfahren. Zur Stützung des Vorbringens, dass ein Wohnort- und Schulwechsel aus medizinischer
Sicht schädlich sei, überreichen sie eine ärztliche Bescheinigung der Dres. J., Celle, vom 18. Dezember 2009, als
Nachweis für eine intensive Wohnungssuche Einzelverbindungsnachweise für die Zeit von September 2009 bis 8.
Januar 2010.
Die Antragsteller beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihnen als Kosten der Unterkunft und Heizung weitere 183,34 EUR monatlich zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt schriftlich, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Er ist der Auffassung, eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht glaubhaft gemacht, da die Kosten bereits seit 3
Monaten herabgesetzt seien und die Antragsteller über einen monatlichen Freibetrag aus dem Erwerbseinkommen von
598,13 EUR verfügen. Hinsichtlich der Angemessenheitsgrenze für die Bruttokaltmiete verweist der Antragsgegner auf
die von der Analyse und Konzeptberatungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien und Tourismus GmbH in seinem
Auftrag durchgeführte Mietwerterhebung 2009, die nach seiner Auffassung in sich schlüssig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte
sowie die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der Entscheidung.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zulässig, er ist teilweise begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen
teilweise vor.
Ein Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Leistungen
für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Diese
Voraussetzungen liegen hinsichtlich einer Grundmiete einschließlich Nebenkosten von 782,- EUR sowie der
bewilligten Heizkosten von 164,83 EUR vor.
Für die Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten kommt es auf die Besonderheit des Einzelfalls, vor
allem die Person des Hilfebedürftigen, die Art seines Bedarfs und die örtlichen Verhältnisse an. Maßgeblich ist der zu
entrichtende Mietzins. Dabei werden auf dem Wohnungsmarkt die Unterkunftskosten insbesondere durch die
Wohnungsgröße und das jeweils örtliche Mietniveau bestimmt. Dort ist jeweils auf den unteren Bereich der
marktüblichen Wohnungsmiete für nach Größe und Wohnstandard zu berücksichtigenden Wohnungen abzustellen. Die
angemessene Wohnfläche wird nach der Rechtsprechung des Bundesssozialgericht (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7
b AS 18/06 R -) nach den Durchführungsbestimmungen der Länder zum Gesetz zur Sicherung der
Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnraumförderungsgesetz) bestimmt. In Niedersachsen gilt nach Nr.
11.2 der Richtlinie über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmung - WFB - 2003, Runderlass
vom 27.6.2003, Nieders. Ministerialblatt 2003, S. 580) bei sieben Haushaltsmitgliedern eine Wohnfläche mit einer
Gesamtfläche bis 115 qm als angemessen. Die Antragsteller bewohnen eine Wohnung, die mit 148 qm den
angemessenen, aus den Durchführungsbestimmungen der sozialen Wohnraumförderung ableitbaren Wert für einen
Sieben-Personen-Haushalt übersteigt.
Die geltend gemachten Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 888,69 EUR sind nur dann nicht angemessen,
wenn dieser Betrag über der für eine angemessene Wohnungsgröße marktüblichen Wohnungsmiete liegt.
Die Prüfung der sog. abstrakten Angemessenheit muss die örtlichen Verhältnisse erfassen und beurteilen, damit auf
dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspannne für die im unteren Bereich für vergleichbare Wohnungen am
Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmiete festgelegt werden kann. Die Darlegung dieser
Entscheidungsgrundlage im Prozess obliegt allein den Behörden und nicht den Hilfebedürftigen. Liegen für die
örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt kein Mietspiegel bzw. keine validen Mietdatenbanken vor, so ist
der Grundsicherungsträger gehalten, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene - grundsicherungsrelevante -
Tabellen zu erstellen (BSG, Urteil vom 19.3.2008 - B 11 b AS 41/06 R -). Dann ist die konkrete
Angemessenheitsprüfung möglich, ob der Hilfebedürftige eine realistische Chance hat, seinen Unterkunftsbedarf
innerhalb dieser durchschnittlichen Mietspanne zu decken (Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, Urteil
vom 11.3.2008 - L 7 AS 332/07 -). In dieser zweiten "konkreten Angemessenheitsprüfung" ist zu prüfen, ob dem
Hilfebedürftigen eine andere bedarfsgerechte kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Auf
dieser zweiten Ebene ist der Hilfebedürftige verpflichtet, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er trotz intensiver
Bemühungen keine preisgünstigere Wohnung gefunden hat.
Die Kammer lässt dahin stehen, ob die vom Antragsgegner in Auftrag gegebene "Celler Mietwerterhebung 2009" ein
tragfähiges Konzept darstellen kann. Denn das Gutachten enthält keine Feststellungen, welche Miete für eine
Wohnung mit 115 qm und sechs Zimmern abstrakt angemessen ist. Das Gutachten hat in dem Bereich von 85 qm
und mehr 81 Bestandsmieten und 64 Angebotsmieten im Bereich der Stadt K. zugrunde gelegt. An keiner Stelle wird
dargelegt, dass sich für erheblich größere Wohnungen als 85 qm die Mieten um ca. 50,- EUR je weiteres
Haushaltsmitglied bzw. je 10 qm erhöhen, wie es der Antragsgegner unter Berücksichtigung einer Nettokaltmiete von
4,95 EUR pro Quadratmeter und kalten Betriebskosten von 1,01 EUR/qm für Wohnungsgrößen von 85 qm und mehr
zugrunde gelegt hat. Für die erforderliche Wohnungsgröße von 115 qm und 6 Zimmern (einem Wohn- und
Schlafzimmer und aufgrund des unterschiedlichen Alters und der Herkunft aus unterschiedlichen Familien mindestens
4 Kinderzimmern) kann auf die Erhebung nicht zurückgegriffen werden.
Daher ist auf die Beträge der Tabelle zu § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz in der seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung
zurückzugreifen. Ein solcher Rückgriff ist ausnahmsweise möglich (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 11 AS 18/06 R -).
Zwar sind die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes kein von vornherein geeigneter Maßstab für die Angemessenheit
der Kosten der Unterkunft, weil für das Wohngeld rechtlich ohne Bedeutung ist, inwieweit die Wohnung als solche im
Sinne eines notwendigen Bedarfs angemessen ist. Die Tabelle zu § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz stellt aber mangels
anderer Erkenntnismöglichkeiten und -mittel den einzig normativen Ansatz dar, an den die Angemessenheitsprüfung
nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angelehnt werden kann.
Nach der Tabelle in § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz sind für einen Sieben-Personen-Haushalt in der Stadt K.
Bruttokaltmieten bis zum einem Höchstbetrag von 782,- EUR angemessen.
Dagegen ist bei der Anwendung der Tabelle zu § 12 Abs. 1 des Wohngeldgesetzes in seiner ab dem 1. Januar 2009
geltenden Fassung kein Aufschlag von 10 Prozent vorzunehmen, wie dies unter Geltung von § 8 Abs. 1
Wohngeldgesetz bis zum 31.12.2008 der Fall war. Dies erfolgte wegen des Umstandes, dass die Wohngeldtabelle
längere Zeit nicht verändert worden war. Mit der Änderung des Wohngeldgesetzes sind die veralteten Werte an die
neue Entwicklung angepasst worden.
Die Antragsteller haben im Rahmen der zweiten "konkreten Angemessenheitsprüfung" nicht dargelegt, dass sie trotz
intensiver Bemühungen keine preisgünstigere Wohnung gefunden haben. Eine eidesstattliche Versicherung der
Antragsteller zu 1. oder 2. liegt nicht vor. Auch ist ihr Vorbringen insoweit widersprüchlich, als sie selbst davon
ausgehen, dass sie aufgrund der Entwicklungsstörung des Antragstellers zu 5. nicht zum Umzug verpflichtet sind.
Insoweit weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass bei einem Umzug innerhalb des Landkreises K. weiterhin
der Schulbesuch möglich wäre. Eine Wohnungssuche kann durch den Einzelverbindungsnachweis ohne Vorlage der
Vermieter-Rufnummern nicht geführt werden.
Da die Antragsteller unter dem 26. Mai 2009 auf die angemessenen Kosten der Unterkunft hingewiesen wurden,
kommt ab Januar 2010 die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht in Betracht.
Hinsichtlich der Heizkosten ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner, nachdem er zur Kostensenkung
aufgefordert hatte, diese auf der Grundlage einer Wohnfläche von 115 qm berechnet.
Die als Anordnungsgrund erforderliche Eilbedürftigkeit folgt daraus, dass um Leistungen zur Sicherung des
soziokulturellen Existenzminimums gestritten wird. Da über die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung
eine abschließende Entscheidung im Eilverfahren nicht möglich ist, muss aufgrund einer Folgenabwägung
entscheiden werden, bei der die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend einzubeziehen sind
(Bundesverfassungsgericht – BverfG – Breithaupt 2005, 803/806f). Die Kammer hält es für erforderlich, aber auch
ausreichend, dass der Antragsgegner den Antragstellern vorläufig weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in
Höhe des Höchstbetrages nach § 12 Wohngeldgesetz, also von weitern 96,00 EUR gewährt, von dem sechs Siebtel
auf die Antragsteller entfallen (also gerundet 82,00 EUR). Dabei berücksichtigt sie zum einem, dass die Antragsteller
mit dem Freibetrag aus der Erwerbstätigkeit und den in den Regelsätzen enthaltenen Beträgen für Warmwasser den
anteiligen Mietzins in Höhe von 912, 62 EUR aufbringen können. Angesichts der Größenordnung können die
Antragsteller aber nicht auf den gesamten Freibetrag aus dem Erwerbseinkommen (Höchstbetrag 210,00 EUR)
verwiesen werden, weil damit auch kleine erwerbsbedingte Mehraufwendungen, deren Einzelnachweis
unverhältnismäßig aufwändig wäre, ausgeglichen werden sollen. Soweit der Antragsgegner von höheren Freibeträgen
ausgeht, handelt es sich hierbei um nachgewiesene Werbungskosten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG entsprechend.
Den Antragstellern ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt G.,
zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 73 a SGG iVm §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die
Berufung nicht zulässig wäre (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008, BGBl I, S. 444). Vorliegend beträgt der
Beschwerde keine 750,- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Beschluss ist dahin mit der Beschwerde nicht
anfechtbar.