Urteil des SozG Lüneburg vom 22.04.2009

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Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 22.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 7 AL 169/07
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt von der Beklagten die Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit ab dem 10.
Juli 2007 bis zum Ende der Ausbildung am 04. Februar 2009.
Die H. geborene Klägerin nahm zum 01. August 2006 eine dreijährige Ausbildung als Zahnmedizinische
Fachangestellte in I. auf (vgl. Ausbildungsvertrag vom 12. April 2003; Bl. 25 bis 26 der Verwaltungsakte). Die Klägerin
ist ledig und hat eine im Jahre 2003 geborene Tochter, welche seit November 2006 die Kindertagesstätte aufsucht,
wofür monatlich ein Beitrag von 102,30 Euro zu leisten ist (Bl. 67 der Verwaltungsakte). Die Klägerin erhielt ferner seit
August 2006 eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich anfänglich 209,56 Euro bis zum 31. Juli 2009 (Bl. 54 bis 57
der Gerichtsakte) und monatliche Unterhaltsleistungen für das Kind in Höhe von 127,- Euro. Ferner erhielt sie für sich
und ihre Tochter Kindergeld. Ihr Vater ist verstorben und ihre Mutter, die Zeugin J., bezieht eine Rente wegen
Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 632,82 Euro (Bl. 16 bis 17 der Verwaltungsakte).
Die Klägerin stellte zunächst am 01. Juli 2006 einen Antrag auf Gewährung von BAB, welchen die Beklagte mit
Bescheid vom 05. Juli 2008 ablehnte (Bl. 29 der Verwaltungsakte). Bei der Antragstellung gab sie an, dass sie seit
April 2006 in der K. in L. mit der Zeugin in einer Wohnung wohne (Bl. 1 der Verwaltungsakte). Zuvor wohnte die
Klägerin mit dem Kindsvater in einer Wohnung in I ... Die Zeugin bewohnte eine eigene Wohnung in der Nähe von M
...
Am 10. Juli 2007 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Gewährung von BAB. Sie gab an, dass sie während ihrer
Ausbildung mit dem Kind zur Untermiete bei der Zeugin wohne. Das Haus werde auch von dieser mitbewohnt (Bl. 57
der Verwaltungsakte). Die Klägerin legte gleichzeitig einen Untermietvertrag vor, welcher das Datum des 01. Januar
2007 trug (Bl. 58 bis 61 der Verwaltungsakte). Daraus ging hervor, dass Wohnzimmer, Esszimmer, Bad und Küche
gemeinsam genutzt werden würden. Sie verpflichtete sich für den 84 m² großen Wohnraum zur Zahlung einer
monatlichen Miete von 630,- Euro. Ferner reichte sie einen Grundriss des Hauses ein (Bl. 65 der Verwaltungsakte),
aus dem sich ergibt, dass sie und ihre Tochter im Obergeschoss zwei Zimmer bewohnen und gemeinsam mit der
Zeugin das Badezimmer nutzen. Letztere bewohnt ein eigenes Zimmer im Obergeschoss. Im Erdgeschoss befänden
sich demnach das Wohn- und Esszimmer sowie die Küche, welche gemeinsam genutzt würden. Die
Gesamtwarmmiete der insgesamt etwa 125 m² großen Wohnung beläuft sich auf 830,- Euro.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. September 2006 ab (Bl. 70 der Verwaltungsakte) und
begründete dies damit, dass BAB nur dann gewährt werden könne, wenn die Auszubildende außerhalb des Haushalts
der Eltern unterbracht sei. Die Klägerin lebe jedoch mit der Zeugin in einem gemeinsamen Haushalt.
Dagegen legte die Klägerin am 28. September 2007 Widerspruch ein (Bl. 72 der Verwaltungsakte), den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2007 (Bl. 74 bis 76 der Verwaltungsakte) zurückwies und im
Wesentlichen folgendermaßen begründete:
Die Klägerin lebe mit der Zeugin in einem gemeinsamen Haushalt, und eine getrennte Lebensführung liege nicht vor,
da keine räumliche Trennung vorhanden sei. Es fände weitgehend eine gemeinsame Nutzung der Räume statt.
Dagegen hat die Klägerin am 02. November 2007 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Die Klägerin führe einen eigenständigen Haushalt mit ihrer Tochter. Es bestehe lediglich eine Wohngemeinschaft mit
der Zeugin. Es werde getrennt gewirtschaftet.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
02. Oktober 2007 zu verurteilen, der Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe im gesetzlichen Umfang für die Zeit vom 10.
Juli 2007 bis zum Ende der Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte am 04. Februar 2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:
Die tatsächliche Nutzung des Hauses bestätige, dass die Klägerin im Haushalt der Zeugin wohne.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J., der Mutter der Klägerin, zu den Lebens- und
Wohnverhältnissen der Klägerin.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2007
erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten.
Streitgegenständlich hinsichtlich der Gewährung von BAB ist der Zeitraum von der Antragstellung vom 10. Juli 2007
bis zum Ende der Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte am 04. Februar 2009.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind §§ 59 ff. SGB III.
Gemäß § 59 SGB III in der Fassung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594), zuletzt geändert durch Artikel 3 des
Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der
Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) (a.F.) haben
Auszubildende Anspruch auf Berufsbildungsbeihilfe während einer beruflichen Ausbildung oder einer
berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, wenn
1. die berufliche Ausbildung oder die berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme förderungsfähig ist, 2. sie zum
förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt
sind und 3. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrtkosten, die
sonstigen Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.
Gemäß § 64 Absatz 1 Satz 1 SGB III a.F. wird der Auszubildende bei einer beruflichen Ausbildung nur gefördert,
wenn er
1. außerhalb des Haushaltes der Eltern oder eines Elternteiles wohnt und 2. die Ausbildungsstätte von der Wohnung
der Eltern oder eines Elternteiles aus in nicht in angemessener Zeit erreichen kann.
Lediglich von Nr. 2 der Regelung lässt Satz 2 der Norm Ausnahmen zu.
Die Vorläuferregelung des § 64 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III wurde Anfang der neunziger Jahre in § 40 AFG
normiert, wobei der Gesetzesentwurf als Begründung anführte, dass der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit
gestützt werden solle, weil die Ausbildungsförderung auf diejenigen Auszubildenden und Familien konzentriert werden
sollte, die wegen der hohen Kosten der auswärtigen Unterbringung in besonderem Maße auf die Förderung
angewiesen seien. Durch die Neuregelung bleibe die arbeitsmarktpolitische Funktion der BAB, die notwendige
regionale Mobilität zu erleichtern, erhalten (BT-Drucks. 11/2990 S. 18).
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 28. November 2007 (B 11a AL 39/06 R) keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen diese Norm erhoben und insbesondere einen Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz
verneint.
Das Wohnen bei den Eltern erfordert ein Mindestmaß an häuslicher Gemeinschaft, wobei vom elterlichen Haushalt
Wohnraum und ein wesentlicher Aufwand der Lebensbedürfnisse wie z. B. Nahrung und Kleidung zur Verfügung
gestellt werden muss (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2008 - L 7 AL
162/06 -).
Wenn der Leistungsberechtigte jedoch zur Miete wohnt und einen selbständigen Haushalt führt, wohnt er nicht im
Sinne des Gesetzes bei den eigenen Eltern (vgl. Niesel-Stratmann, Kommentar zum SGB III, § 64, Rd.3). Hinsichtlich
letzterer Voraussetzung darf keine Integration in den Haushalt der Eltern vorliegen (vgl. Gagel/Fuchsloch, Kommentar
zum SGB III, § 64, Rd. 22). Ferner ist ein entscheidender Aspekt, ob eine räumliche Abgrenzung der Wohnung des
Leistungsberechtigten von derjenigen seiner Eltern oder eines Elternteiles gegeben ist (vgl. Eicher/Schlegel/Buser,
Kommentar zum SGB III, § 64, Rd.37; Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2008 -
L 7 AL 162/06 -).
Die Feststellung der Ausschlussnorm des § 64 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. hat nach den jeweiligen
Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. Niesel-Stratmann, § 64, Rd.3).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den Einlassungen der Klägerin gelangt die Kammer zu der
Überzeugung, dass die Klägerin nicht außerhalb des Haushaltes des verbliebenen Elternteiles wohnt:
Die Klägerin lebt mit ihrer Tochter und der Zeugin gemeinsam in einer Wohnung. Ein selbständiger Haushalt liegt nicht
vor. Die Wohngemeinschaft wird von ihr auch eingeräumt und ergibt sich aus der gemeinsamen Nutzung der einzelnen
Wohnräume. Wohn-, Esszimmer, Küche und Bad werden gemeinsam genutzt, wie der im Januar 2007
abgeschlossene Untermietvertrag zeigt. Es besteht die Berechtigung, die im Obergeschoss befindlichen Zimmer der
Wohnung wechselseitig zu betreten, welche auch nicht abgeschlossen werden, wenn die Bewohner die Wohnung
zwischenzeitlich verlassen. Es mag zutreffen, dass aufgrund des Alters der Tochter es als untunlich erscheint, die
Zimmerschlösser dauerhaft mit einem feststeckenden Schlüssel zu versehen. Jedoch wäre es auch denkbar und
praktikabel, die Zimmerschlüssel nicht im Schloss zu belassen, sondern sie lediglich zum Öffnen und Schließen der
Tür einzusetzen. Die Klägerin hat in der Vergangenheit den Computer im Zimmer der Zeugin, der in deren Eigentum
steht, genutzt. Gleiches gilt für die Nutzung der Waschmaschine im Erdgeschoss, die ebenfalls im Eigentum der
Zeugin steht. Somit überlagern sich teilweise die Nutzungsbereiche. Es liegt ferner auf der Hand, dass die Zeugin,
wenn sie an zwei Nachmittagen in der Woche die Betreuung ihrer Enkelin übernimmt, auch deren Zimmer bzw.
Gegenstände, welche sich dort befinden, nutzen muss. Ferner werden unstreitig sämtliche Möbel und Gegenstände in
den gemeinsam genutzten Räumen auch von allen Bewohnern genutzt.
Die räumlichen Lebens- und Wohnbereiche sind daher anders als in der zitierten Entscheidung des LSG
Niedersachsen-Bremen nicht klar abgegrenzt.
Überdies bestand der Zweck des Zusammenziehens vor allem darin, die Versorgung der Tochter der Klägerin
sicherzustellen. Die Zeugin übernimmt an zwei Nachmittagen deren Betreuung und ist somit fest in den Wochenablauf
der Klägerin eingebunden, so dass sie auf einander angewiesen sind und eine Integration in den Haushalt besteht.
Darüber hinaus liegt in wesentlichen Bereichen auch eine Wirtschaftsgemeinschaft vor. Dies ergibt sich zuvörderst
aus der von der Klägerin und der Zeugin eingeräumten Tatsache, dass die Klägerin am Monatsanfang ihre kompletten
Einnahmen aus Ausbildungsvergütung, Unterhalt, Halbwaisenrente und Kindergeld auf das Konto der Mutter
überweist, auch wenn diese Beträge die Höhe der Untermiete von 630,- Euro übersteigen. Es mag für den Ausgang
des vorliegenden Rechtsstreites auf sich beruhen, ob die Untermiete im Verhältnis zu einer Gesamtmiete von 830,-
Euro als angemessen anzusehen ist, da zivilrechtlich Vertragsfreiheit besteht. Jedoch ist entscheidend, dass
sämtliche Einkünfte der Klägerin in den (alleinigen) Zugriffsbereich der Zeugin gelangen, die dann - nach
übereinstimmenden Angaben - bedarfsweise Beträge an die Klägerin auszahlt. Die Verfügungsbefugnis der Klägerin
über ihr Einkommen ist somit erheblich eingeschränkt und hängt vom Verhalten der Zeugin ab.
Dem steht nicht die vorgetragene separate Nutzung zweier Kühlschränke entgegen, weil entscheidend ist, dass die
Geldmittel zunächst in den Verfügungsbereich der Zeugin gelangen und diese dann Geldbeträge autonom an die
Klägerin weiterleiten kann. Davon ist auch der Bereich der Beschaffung von Lebensmitteln betroffen.
Eine Wirtschaftsgemeinschaft besteht ferner insoweit, als die Klägerin über die Zeugin haftpflicht- und
rechtsschutzversichert ist. Eigene privatrechtliche Versicherungsverträge der Klägerin bestehen nicht. Zudem hat die
Zeugin ihr in der Vergangenheit einen Pkw geschenkt, den sie zuvor selbst genutzt hat. Sie übt weiterhin die
Haltereigenschaft aus. Ausdruck einer über eine Wohngemeinschaft hinausgehenden Lebensgemeinschaft ist auch
der Umstand, dass gelegentlich gemeinsame Mahlzeiten stattfinden.
Ferner sind die Angaben der Klägerin und der Zeugin hinsichtlich aufgelaufener Schulden widersprüchlich und nicht
nachvollziehbar. Die Zeugin hat behauptet, sie habe ihrer Tochter monatlich 150,- bis 200,- Euro seit Beginn der
Ausbildung zugeschossen, was teilweise schenkungsweise oder als Darlehen geschehen sei. Sie war aber auf
Nachfrage der Kammer - ebenso wie die Klägerin - nicht in der Lage, den insgesamt geschuldeten Betrag zu beziffern.
Sie vermochte auch nicht zu erklären, welcher Teilbetrag von ihr gestundet sei. Jedenfalls führte sie aber aus, dass
derzeit keine Zahlungsrückforderung erfolge und ließ dies für die Zukunft offen mit dem Hinweis, dass die Klägerin in
der jetzigen Situation finanziell überfordert sei. Dieser Vorgang erscheint insgesamt als widersprüchlich, weil es üblich
und zweckmäßig ist, dass ein Gläubiger genau über die Außenstände seiner Schuldner informiert ist und Interesse an
einem Tilgungsplan hat.
Hinzu tritt, dass die Vereinbarungen einem Vergleich zwischen einander fremden Dritten nicht standhält. Denn bei der
Prüfung von Schuldverpflichtungen unter nahen Angehörigen gilt der Grundsatz, dass ein Vertrag und seine
tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten einem Fremdvergleich standhalten, also dem zwischen
fremden Dritten Üblichen entsprechen muss (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 24. Mai 2006 - B 11 a AL 7/05
R -; Urteile des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 14. Dezember 2007 und 14. März 2008 - L 8 AS
5912/06 und L 13 AL 2389/05 -; Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli 2008 - L 20 B
32/08 AS ER -; Urteil des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg 22. Februar 2008 - L 28 AS 1065/07 -; Urteil des
Bundesfinanzhofes vom 5. Februar 1988 - III R 234/84 -; Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 25. Juni 2002 - X B
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Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil die behaupteten gestundeten Darlehen nicht schriftlich vereinbart wurden.
Ferner wurde auch keine Vereinbarung über die Zinsen und die Modalitäten der Rückzahlung getroffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.