Urteil des SozG Lüneburg vom 30.03.2010

SozG Lüneburg: vermieter, abrechnung, zivilprozessordnung, energieversorgung, selbsthilfe, wohnung, einkünfte, wahrscheinlichkeit, unterbrechung, notlage

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 30.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 157/10 ER
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderung bei
Unterliegen im Hauptsacheverfahren einen Betrag von 814,10 EUR als Darlehn für die Restforderung aus der
Schlussverbrauchsrechnung der D. Vertrieb GmbH zu gewähren. Der Betrag ist auf das Konto der D. Vertrieb GmbH
zu überweisen. Das Darlehn ist ab 1. Mai 2010 mit monatlich 50,- EUR zu tilgen. Die Antragsgegnerin hat dem
Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Dem Antragsteller wird für die Durchführung des
Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt E., Lüneburg, beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Übernahme der Nachzahlungen für Strom aus der
Schlussverbrauchsrechnung vom 18. Februar 2010.
Der 1988 geborene Antragsteller ist im Juli 2007 bei seiner Mutter ausgezogen und bewohnt seit 1. September 2007
mit Zustimmung der Antragsgegnerin eine ca. 20 qm große Wohnung im Souterrain in F ... Hierfür beträgt die
Grundmiete 200,- EUR, die Nebenkostenvorauszahlung 45,- EUR und die Heizkostenvorauszahlung 35,- EUR
(insgesamt 280,- EUR). Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller für die Zeit vom 2. August 2007 bis 31.
August 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung.
Vom 1. September 2008 bis 5. Juni 2009 absolvierte der Antragsteller seinen Zivildienst.
Mit Bescheid vom 8. September 2009 bewilligte die Antragstellerin Leistungen ab 1. Juli 2009 bis 30. November 2009,
wegen wechselnder Unterhaltszahlungen zunächst in Höhe von 198,21 EUR. Auf den Widerspruch erhöhte sie mit
Änderungsbescheid vom 7. Dezember 2009 die Leistungen und berechnete ab 1. Juli 2009 das Einkommen aus
Unterhalt neu. Die Nachzahlung in Höhe von 888,- EUR wurde direkt an den Vermieter zur Tilgung seit Mai 2009
aufgelaufener Mietrückstände in Höhe von insgesamt 1.758,- EUR überwiesen.
Unter dem 18. November 2009 erstellte die G. Vertrieb GmbH für die Zeit vom 12. November 2008 bis 5. November
2009 die Jahresverbrauchsabrechnung für Strom und forderte abzüglich geleisteter Abschlagzahlungen von 112,- EUR
einen Betrag von 655,75 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abrechnung (Blatt 162 ff. Verwaltungsakte) Bezug
genommen. Die Abschlagzahlung wurde beginnend ab Januar 2010 auf 39,- EUR festgesetzt. Der Antragsteller
beantragte unter dem 1. Dezember 2009 die Übernahme der Stromschulden als Darlehn. Mit Bescheid vom 7.
Dezember 2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung ab, er könne eine
Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorgungsunternehmen abschließen und über die Raten und den
laufenden Abschlag eine Abtretungserklärung ausfüllen, sodass der Betrag von seinen Leistungen direkt an den
Energieversorger überwiesen werden könne.
Nachdem der Antragsteller nichts weiter veranlasste, unterbrach die D. Vertrieb GmbH nach Ankündigung zum 16.
Februar 2010 die Anschlussnutzung für Strom, weil der Antragsteller seiner Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung nicht
nachgekommen sei. Nach der Schlussrechnung vom 18. Februar 2010 beträgt der zu zahlende Restbetrag 814,10
EUR. Den Antrag auf Wiederherstellung der Energieversorgung seiner Wohnung gegen das Versorgungsunternehmen
lehnte das Amtsgericht Lüneburg mit Beschluss vom 23. Februar 2010 - H. - ab.
Auf den erst am 18. Februar 2010 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24.
Februar 2010 Leistungen vom 18. Februar bis 31. Juli 2010 weiter. Den Antrag auf Übernahme der restlichen
Mietschulden und der Stromnachzahlung lehnte die Antragsgegnerin mit zwei Bescheiden vom 9. März 2010 ab.
Gegen die Ablehnung der Gewährung eines Darlehns für die Stromnachzahlung legte der Antragsteller am 17. März
2010 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.
Am 19. März 2010 hat der Antragsteller außerdem beim Sozialgericht Lüneburg den Erlass einer einstweiligen
Anordnung mit dem Ziel begehrt, die Stromschulden bei der D. GmbH darlehnsweise zu übernehmen. Er trägt vor, der
Energieversorger habe sich mit einer Ratenzahlung nicht einverstanden erklärt.
Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Stromschulden bei der G. GmbH in Höhe von 814,10 EUR darlehnsweise zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, im Rahmen der Ermessensentscheidung sei die Mitwirkungs- und Selbsthilfeverpflichtung des
Hilfesuchenden zu beachten, die hier nicht erkennbar sei. Es sei ihm aufgrund der Einkünfte möglich gewesen, seine
finanziellen Verpflichtungen sowohl gegenüber dem Vermieter als auch dem Energieversorger zu erfüllen. Dies habe
er offensichtlich nicht getan. Es müsse davon ausgegangen werden, dass selbst bei Gewährung eines Darlehns
immer weitere Forderungen auflaufen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und
die Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist als Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, der Antrag
hat auch Erfolg.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Den Anspruch auf ein Darlehn hat der Antragsteller gemäß § 22 Abs. 5 SGB II glaubhaft gemacht. Eine
Unterbrechung der Energieversorgung ist für den Antragsteller eine vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 5
SGB II.
Bei der Ermessensentscheidung über die Übernahme von Energiekostenrückständen sind im Rahmen einer
umfassenden Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls u. a. zu berücksichtigen die Höhe der Rückstände, die
Ursache, die zu dem Rückstand geführt haben, die Zusammensetzung des von einer Sperre bedrohten
Personenkreises, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten und ein erkennbarer Selbsthilfewille.
Die Forderung der G. GmbH beruht ganz wesentlich auf der Abrechnung des Verbrauchs bis 5. November 2009 mit
einer Restforderung von 655,75 EUR. Einmalig 29,- EUR muss der Antragsteller seitdem erbracht haben, da die
Forderung noch 626,80 EUR beträgt. Darüber hinaus sind seit Januar 2010 Abschläge nicht geleistet worden. Indes ist
zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin zum Teil verspätet und in unrichtiger Höhe Leistungen bewilligt hatte
und der Antragsteller seit Dezember 2009 mangels Antragstellung keine Leistungen bezog. Es hätte nahe gelegen, bei
der ersten Antragstellung auf Übernahme der Stromschulden vom 1. Dezember 2009 auf den fehlenden
Weiterbewilligungsantrag hinzuweisen. Denn andernfalls wäre bereits mangels Leistungsbezug eine Übernahme nicht
in Betracht gekommen.
Zwar darf im Einzelfall die darlehnsgestützte Hilfe versagt werden, wenn der Hilfebedürftige trotz der Hilfe der
Leistungsträger keine Hilfe zur Selbsthilfe erkennen lässt. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller
erstmals ein Darlehn beantragt hat (bei der Antragstellung vom 1. Dezember 2009 handelt es sich um die gleichen
Schulden) und er sich um Selbsthilfe bemüht hat, wie der Antrag beim Amtsgericht Lüneburg zeigt. Im Übrigen belegt
der verspätete Antrag auf Weitergewährung von Leistungen, dass er in den bürokratischen Angelegenheiten
unerfahren ist, und ein Missbrauchsverdacht wird gerade nicht belegt.
Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt E.,
Lüneburg, zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 73 a SGG in Verbindung mit §§
114 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -)