Urteil des SozG Lüneburg vom 06.01.2010

SozG Lüneburg: S 31 AS F., eheähnliche gemeinschaft, lebensgemeinschaft, wohnung, mietvertrag, wohngemeinschaft, rechtsgrundlage, rechtsschutz

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 06.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 44 AS 2051/09 ER
Die aufschiebende Wirkung der Klage - S 31 AS F. - gegen den Bescheid vom 2. September 2009 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Den
Antragstellern wird für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg Prozesskostenhilfe bewilligt
und Rechtsanwalt G., Lüneburg, beigeordnet. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihnen
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ohne die
Berücksichtigung einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn Hans-Peter H. zu gewähren.
Die 1979 geborene Antragstellerin zu 1. wohnt zusammen mit ihrem am 24. Dezember 2003 geborenen Sohn, dem
Antragsteller zu 2. und der am 22. November 2008 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 3.
Die Antragstellerin zu 1. war vom 17. September 2007 bis 31. Januar 2009 (befristet) als Produktionshelferin bei der I.
Direktzeitarbeit und Personalentwicklung GmbH beschäftigt. Sie bezog bis zum 29. Januar 2009 Mutterschaftsgeld
nebst einem Zuschuss des Arbeitgebers.
Zum 1. März 2008 schlossen die Antragstellerin zu 1. und Hans-Peter H. als Wohngemeinschaft einen Mietvertrag
über eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 75 qm in J ...
Auf ihren Antrag bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit Bescheid vom 27. März
2009/Änderungsbescheid vom 5. Mai 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für den folgenden
Bewilligungsabschnitt vom 1. August 2009 bis 31. Januar 2010 bewilligte sie mit Bescheid vom 25. Juni 2009
Leistungen weiter.
Am 2. Juli 2009 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Hausbesuch durch; insoweit wird auf den Vermerk vom
3. Juli 2009 (Blatt 83 f. Verwaltungsakte) Bezug genommen. Mit Bescheid vom 11. August 2009 stellte die
Antragsgegnerin die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig ein und
gab der Antragstellerin Gelegenheit einen Antrag ggf. mit der Verdienstbescheinigung des Herrn H. einzureichen.
Außerdem forderte sie Herrn H. auf, Auskunft über seine Einkünfte und Vermögen zu erteilen. Nach Stellungnahme
der Antragstellerin und des Herrn Hans-Peter H. hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. September
2009/Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 1. September 2009
ganz auf. Hiergegen haben die Antragsteller am 11. November 2009 Klage vor dem Sozialgericht Lüneburg - S 31 AS
F. - erhoben.
Außerdem haben die Antragsteller am 23. Dezember 2009 den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem
Sozialgericht Lüneburg beantragt. Sie tragen vor, sie leben in keiner Einstandsgemeinschaft mit Herrn H., sondern es
handele sich um eine Wohngemeinschaft. Das Wohn-/Esszimmer und das Kinderzimmer würden von ihnen benutzt,
das Schlafzimmer von Herrn H., jeweils unter Ausschluss des anderen. Bad, Küche und Arbeitszimmer werden
gemeinsam genutzt. Die Vermutung, sie lebten in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sei falsch. Herr H. sei
homosexuell und unterhalte eine Beziehung zu einem anderen Mann, Herrn K ... Zur Stützung ihres Vorbringens
versichert die Antragstellerin zu 1. die Richtigkeit des Vorbringens eidesstattlich und überreicht eidesstattliche
Versicherungen von Hans-Peter H. und K. vom 21. Dezember 2009.
Die Antragsteller beantragen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne die Berücksichtigung einer Einstandsgemeinschaft mit Herrn Hans-Peter H.
zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, für einen Antrag nach Klageerhebung fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Außerdem fehle eine
hinreichende Glaubhaftmachung. Im Übrigen verweist sie zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen
im Widerspruchsbescheid sowie den Inhalt des Verwaltungsvorgangs.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und
die die Antragsteller betreffenden Leistungsakten der Antragsgegnerin (25012BG23464) verwiesen.
II.
Die Antragsteller begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Da die Antragsgegnerin
bereits Leistungen mit Bescheid vom 25. Juni 2009 für die Zeit bis 31. Januar 2010 bewilligt hatte, müssen die
Antragsteller ihr Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) richten.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind
einerseits das Interesse der Verwaltung an der - sofortigen - Vollziehung der getroffenen Entscheidung und
andererseits das Interesse der Antragsteller an der Auszahlung des Arbeitslosengeldes II gegeneinander abzuwägen.
Bei dieser Abwägung ist auch auf die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens und auf Billigkeitsgesichtspunkte
abzustellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86 b, Rn 12 c). Nach der hiernach vorzunehmenden
Interessensabwägung kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1. September
2009 ist § 45 Abs. 1 und 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X). Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit der Begünstigte nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes
vertraut hat. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Bewilligungsbescheid vom 25. Juni 2009 von Anfang an
rechtswidrig war. Zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz bestehen mehr Anhaltspunkte
gegen als für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB
II, so dass Herr Hans-Peter H. nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört und sein Einkommen im Rahmen der
Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigen wäre.
Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass
nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und
füreinander einzustehen. Trotz des nicht eindeutigen Wortlauts sind damit eheähnliche, also
verschiedengeschlechtliche und partnerschaftlichähnliche, also gleichgeschlechtliche (unverpartnerte) Partner
gemeint. Die Neufassung des Gesetzestextes zum 1. August 2006 sollte keine Abkehr von den Merkmalen, die das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 – (BVerfGE 87, 234)
festgelegt hatte, darstellen. Danach lag eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau vor,
wenn diese auf Dauer angelegt war, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuließ und sich durch
innere Bindungen auszeichnete, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründete, also über die
Beziehungen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen. Es ist davon auszugehen, dass es dem
Gesetzgeber lediglich darum ging, die eheähnliche Gemeinschaft um die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft
zu erweitern. Daher ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) zu fordern, dass die
Beziehung auf eine gewisse Ausschließlichkeit hin angelegt ist (Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II. 2. Auflage
2008, § 7 Rn 45). Die Antragstellerin zu 1. hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen von Herrn Hans-
Peter H. und Herrn K. glaubhaft gemacht, dass Herr H. eine andere Beziehung führt. Die Schilderung, dass er nach
Auszug seines Bruders einen Mitbewohner gesucht hat, unterstützt das Vorbringen, ebenso wie der vorgelegte
Mietvertrag. Die Zweifel, die sich aufgrund der beschriebenen Aufteilung der Wohnung und der Unterstützung bei der
Kindererziehung ergeben, sind in einem Hauptsachverfahren weiter aufzuklären. Sie rechtfertigen nach summarischer
Prüfung jedoch nicht den für eine Rücknahme der Bewilligung erforderlichen Nachweis der Rechtswidrigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Den Antragsteller ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt G.,
Lüneburg, zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73 a SGG in Verbindung mit §
114 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -).