Urteil des SozG Lüneburg vom 08.04.2010

SozG Lüneburg: treu und glauben, öffentlich, verwaltungsakt, leistungsverhältnis, rechtsgrundlage, absicht, behörde, heizung, kostenbefreiung, rückerstattung

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 08.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 28 AS 315/08
1. Die Bescheide der im Auftrag der Beklagten handelnden Agentur für Arbeit Lüchow vom 21. Dezember 2007 und
28. Januar 2008, abgeändert durch Bescheide vom 8. Februar 2008, in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19.
Februar 2008 werden aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Gerichtskosten werden nicht
erhoben. 4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Erstattung eines Betrages von 741,36 Euro.
Die Klägerin war bis Ende August 2007 Vermieterin der Frau F., welche seit dem Jahre 2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II bezog.
Das Mietverhältnis endete im August bzw. September 2007.
Im September 2007 überwies die Beklagte der Klägerin einen Betrag von 75,69 Euro als Nachzahlung. Mit an diese
gerichtetem Schreiben vom 10. September 2007 (Bl. 244 der Verwaltungsakte) teilte sie mit, dass die Überweisung
irrtümlich und ohne Rechtsgrund erfolgt sei, so dass die Rückerstattung verlangt werde. Die Klägerin verweigerte die
Rückzahlung und buchte die Zahlung auf die Mietschulden der Frau G ...
Am 07. Dezember 2007 überwies die im Auftrag der Beklagten handelnde Agentur für Arbeit Lüchow der Klägerin
einen Betrag von 394,02 Euro. Ende Dezember 2007 überwies sie nochmals einen Betrag von 347,34 Euro.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2007 (Bl. 289 der Verwaltungsakte) forderte die Agentur für Arbeit Lüchow die
Klägerin zur Erstattung des Betrages von 394,02 Euro auf, da der Betrag versehentlich nicht an Frau G. überwiesen
worden sei.
Dagegen legte die Klägerin am 02. Januar 2008 Widerspruch ein (Bl. 315 der Verwaltungsakte), welchen sie damit
begründete, dass Frau G. Mietschulden in Höhe von 2.800,- Euro habe.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2008 forderte die Agentur für Arbeit Lüchow von einer Frau H. die Erstattung des
Betrages von 347,34 Euro und begründete dies damit, dass ihr die Zahlung nicht zustünde.
Dagegen legte die Klägerin am 06. Februar 2008 Widerspruch ein.
Mit Bescheiden vom 08. Februar 2008 (Bl. 317 bis 318 der Verwaltungsakte) forderte die Agentur für Arbeit Lüchow
von der Klägerin Beträge in Höhe von 394,02 Euro und 347,34 Euro zurück.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheiden vom 19. Februar 2008 zurück (Bl. 319 bis 325 der
Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Es seien Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden, so dass diese nach § 50 Absatz 2 SGB X zu
erstatten seien. Sie habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Zahlung, die lange nach Ende des Mietverhältnisses
im Sommer 2007 erfolgt sei, an sie gerichtet gewesen sei.
Dagegen hat die Klägerin am 26. Februar 2008 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Die Klägerin habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Frau G. habe nur sporadisch die Miete überwiesen. Die Klägerin
habe im September 2007 von der Beklagten 75,69 Euro erhalten und im Dezember 394,02 Euro und 347,34 Euro. Dies
habe dem zuvor erhaltenen Mietzuschuss entsprochen.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der im Auftrag der Beklagten handelnden Agentur für Arbeit Lüchow vom 21. Dezember 2007 und 28.
Januar 2008, abgeändert durch Bescheide vom 08. Februar 2008, in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19.
Februar 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg.
Die Bescheide der im Auftrag der Beklagten handelnden Agentur für Arbeit Lüchow vom 21. Dezember 2007 und 28.
Januar 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08. Februar 2008 erweisen sich als rechtswidrig und
verletzen die Klägerin in eigenen Rechten.
Die Beklagte stützt die angegriffenen Bescheide auf § 50 Absatz 2, 3 SGB X, welche über § 40 Absatz 1 Satz 1 SGB
II auch in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II Anwendung finden.
Nach § 50 Absatz 2 Satz 1 SGB X sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind,
zu erstatten. Nach Satz 2 gelten §§ 45 und 48 entsprechend.
Gemäß § 50 Absatz 3 Satz 1 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 Absatz 2 Satz 1 SGB X liegen nicht vor.
Unter diese Norm fallen Leistungen im Wege schlichten Verwaltungshandelns, welche insbesondere nicht durch einen
Bewilligungsbescheid gedeckt sind (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 07. Dezember 1962 - 1 RA 227/59 -;
von Wulffen/Wiesner, § 50, Rd. 14). Die Leistung dürfte weder formell auf einer Bewilligung noch materiell auf einem
gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruhen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 21. März 1990 - 7 RAr
112/88 -; Kasseler Kommentar/Steinwedel, § 50, Rd. 29). Eine Gewährung auf diese Weise kann im Sinne eines
Dreiecksverhältnisses erfolgen, wenn diese in Ausführung eines gegenüber einem Dritten ergangenen
Verwaltungsaktes erfolgt (vgl. LPK/SGB X/Waschull, § 50, Rd. 30).
Bei den Zahlungen im Dezember 2007 handelt es sich um keine Leistungen im Sinne des § 50 Absatz 2 Satz 1 SGB
X.
Unter dem Begriff der öffentlich-rechtlichen Leistung versteht man allein Sozialleistungen in Geld-, Sach- oder
Dienstleistungsform, welche zur Erfüllung eines Zahlungsanspruchs bestimmt sind, der (vermeintlich) aus sozialem
Recht entstanden ist, dem (vermeintlich) Empfangszuständigen zufließt, soweit ein an Treu und Glauben orientierter
Zahlungsempfänger dies bei Erhalt des Bescheides erkennen muss (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 24.
Juli 2001 - B 4 RA 102/00 R -).
Eine öffentlich-rechtliche Leistung ist an den Leistungsberechtigten erbracht, wenn der Sozialleistungsträger sie
bewusst und zielgerichtet - mindestens in der Annahme, er habe sie dem Empfangsberechtigten zugewendet und
damit dessen Vermögen vermehrt - geleistet und der Empfänger den Zweck der Leistung aus dem Empfängerhorizont
als öffentlich-rechtlich erkennen konnte (vgl. von Wulffen/Wiesner, § 50, Rd. 5).
Nicht unter diesen Rechtsbegriff der öffentlich-rechtlichen Leistung zu subsumieren sind die Fälle, in denen lediglich
versehentlich an einen Nichtbeteiligten überwiesen bzw. eine Zahlung fehlgeleitet wurde und gerade keine bewusste
und zweckgerichtete Leistung vorlag (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 29. Oktober 1986 - 7 RAr 77/85 -
und 24. Juli 2001 - B 4 RA 102/00 R -; Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 09. Dezember 2008
- L 13 AS 651/07 -; LPK/SGB X/Waschull, § 50, Rd. 8). § 50 Absatz 2 SGB X ist nur insofern abschließend, als er
den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Falle nicht durch Verwaltungsakt erbrachter Leistungen normiert.
Insoweit hatte der Gesetzgeber die Absicht, lediglich die Kehrseite des Leistungsanspruchs zu regeln (vgl. BT-Drucks
8/2430, 36). Fiskalisch aufgrund Irrtums der Behörde erbrachte Zahlungen sind nach §§ 812 ff. BGB abzuwickeln, so
dass die Beklagte in diesem Fall vor den Zivilgerichten klagen müsste, weil die Klägerin außenstehende
Nichtberechtigte ist (vgl. von Wulffen/Wiesner, § 50, Rd. 5). Insoweit ist auch die Befugnis, einen Verwaltungsakt zu
erlassen, nicht gegeben.
Die Beklagte räumt selbst ein, dass die Zahlung ohne Rechtsgrundlage und versehentlich erfolgt sei. Die Zahlungen
beruhten auf einem EDV-Fehler, also nicht zweckgerichtetem behördlichen Handeln. So kam es im damaligen
Zeitraum auch gegenüber anderen Vermietern bundesweit zu technisch ungeklärten Fehlüberweisungen. Ein
öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis zur Klägerin, dessen Spiegelbild der Erstattungsanspruch nach § 50 Absatz
2 SGB X wäre, bestand gerade nicht, sondern nur zur Hilfebedürftigen.
Dabei ist im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich, dass die Zahlungen im Dezember 2007 zu Unrecht erfolgten,
zumal es sich nicht um Leistungen der Unterkunft und Heizung handelte. Zum einen war die Beklagte nicht zuständig,
sondern der kommunale Träger. Zum anderen bestand zum damaligen Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten kein
Mietverhältnis der Hilfebedürftigen zur Klägerin. Zur Zahlung auf etwaige Mietrückstände bestand keine
Rechtsgrundlage.
Der vorliegende Fall ist auch von der Fallkonstellation abzugrenzen, nach der ein Verwaltungsakt aufgehoben wurde
oder sich erledigt hat und dann dennoch Leistungen ausgezahlt werden. Denn in diesem Fall bestand noch ein
(vermeintliches) Leistungsverhältnis. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall, weil die Klägerin zu keinem Zeitpunkt
ein Leistungsverhältnis zur Beklagten hatte, welches die Annahme eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs
als Kehrseite rechtfertigte. Denn ein solches bestand nur zwischen Beklagter und Hilfebedürftiger.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197 a Absatz 1 Satz 1 SGG, 154 Absatz 1 VwGO entsprechend. Das Verfahren
ist gerichtskostenkostenpflichtig, weil die Klägerin als Vermieterin nicht zum privilegierten Personenkreis des § 183
SGG zählt. Die Gerichtskosten waren der Beklagten aber trotz Unterliegens aufgrund der in § 64 Absatz 3 Satz 2
SGB X normierten Kostenbefreiung nicht aufzuerlegen. Die Erstattungspflicht außergerichtlicher Kosten bleibt davon
jedoch unberührt.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer der
Klägerin mit 741,36 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen,
weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des
Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des
Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.