Urteil des SozG Lüneburg vom 07.07.2009

SozG Lüneburg: jagd, versicherungsschutz, unfallversicherung, arbeitsunfall, anerkennung, unternehmen, gegenleistung, unternehmer, versicherter, munition

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 07.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 2 U 200/04
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Der im Jahr 1929 geborene Kläger übt seit 1991 die Jagd aus. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung
besitzt er kein eigenes Revier. Seit etwa 1994 ist er aber Inhaber eines Jagderlaubnisscheins für das Revier des Herrn
I. in der Gemeinde J ... Hierfür muss er pro Jahr 1.500,- EUR bezahlen. Im Revier von Herrn I. übt er pro Jahr ca. 60-
mal die Jagd alleine und ca. 40 - 60 mal mit Kameraden aus. Sechs bis acht mal im Jahr nimmt er auch an Drück-
und Treibjagden teil, wobei Herr I. dabei stets und bei den Jagden mit den Kameraden sporadisch teilnimmt. Der
Kläger erhält für die Ausübung der Jagd weder Geld noch andere Leistungen. Er muss vielmehr die Munition selbst
bezahlen. Auch für den Fall, dass er eines der erlegten Tiere mitnehmen will, muss er ein Entgelt entrichten.
Am 19. März 2004 war der Kläger gemeinsam mit Herrn I. und einem weiteren Jagdberechtigten damit beschäftigt,
einen Hochsitz umzustellen, da eine zwischenzeitlich hochgewachsene Fichtenschonung die Sicht am bisherigen
Standort behinderte. Dazu wurde der Hochsitz zunächst mit einem Schlepperfrontlader zum neuen Standort verbracht
und installiert. Der Kläger stieg sodann auf den Hochsitz, um die Freisicht zu prüfen. Dabei rutschte er von einer
Leitersprosse ab und zog sich u. a. eine Schulterverletzung zu. Mit dem Bescheid vom 4. August 2004 lehnte die
Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass gem. § 4
Abs. 2 Nr. 1 SGB VII kein Versicherungsschutz für solche Personen bestehen würde, die aufgrund einer vom
Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis jagen bzw. die sich aus dem Jagderlaubnisschein ergebenden
Pflichten wahrnehmen würden. Dazu würden auch Arbeiten gehören, die im Zusammenhang mit dem Bau, der
Reparatur und der Umstellung von Hochsitzen stehen würden. Mit dem hiergegen erhoben Widerspruch machte der
Kläger geltend, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf ihn nicht anwendbar sei. Er sei vielmehr "wie ein
Arbeitnehmer" tätig und daher gesetzlich unfallversichert gewesen. Der Widerspruch wurde mit dem
Widerspruchsbescheid vom 17. November 2004 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2004
beim Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben und geltend gemacht, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls mit dem Willen
des Revierinhabers (= Unternehmers) eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit durchgeführt habe. In der mündlichen
Verhandlung hat er ergänzend mitgeteilt, dass er schön öfters mit anderen Jägern im Revier des Herrn I. Hochsitze
umgestellt habe. Von dem Hochsitz, von dem er abgerutscht sei, habe er auch schon zuvor - ca. 20-mal pro Jahr -
gejagt. Er habe von diesem Hochsitz aus auch noch am selben Tag die Jagd ausüben wollen. Dies sei jedoch
aufgrund des Unfalls nicht mehr möglich gewesen. Für das Umstellen des Hochsitzes habe er kein Geld oder eine
andere Leistung erhalten. Der Kläger hat deutlich gemacht, dass es ihm mit der Durchführung des Klageverfahrens
auch um die politische Zielsetzung geht, dass die Jägerschaft insgesamt unter den Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung fällt.
Der Kläger beantragt,
1.) den Bescheid der Beklagten vom 4. August 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 17. November 2004
aufzuheben,
2.) festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 19. März 2004 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten sowie die Akten der Beklagten zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da das Ereignis vom 19. März
2004 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden kann. Gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB
VII) sind Arbeitsunfälle nur solche Unfälle, die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Dies war beim
Kläger jedoch nicht der Fall, weil er zum Unfallzeitpunkt nicht versichert war.
Allerdings ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII über die
Versicherungsfreiheit hier keine Anwendung finden kann. Nach der jetzigen Fassung der gesetzlichen Regelung ist der
sog. Jagdgast in der gesetzlichen Unfallversicherung nämlich nicht mehr generell versicherungsfrei (so wie früher in §
542 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung (= RVO)), sondern nur dann, wenn er zu dem in § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII
genannten Personenkreis gehört. Ricke hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die
meisten Jagdgäste schon begrifflich nicht als Unternehmer, sondern "als Gestalten sui generis" anzusehen sind und
daher der heutigen - unternehmerbezogenen - Regelung ein äußerst marginaler Anwendungsbereich zukommt (vgl.
Ricke: Von Yachteignern, Jagdgästen, Häuslebauern und anderen privatnützig tätigen Personen in der
Unfallversicherung, SGb 2007, 342, 343). Auch der Kläger ist kein Versicherter i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII,
insbesondere aber kein landwirtschaftlicher Unternehmer. Er fällt auch nicht unter den Personenkreis des § 2 Abs. 1
Nr. 5 d SGB VII, da auch die Jagd (des Herrn I.) selbst kein Unternehmen ist, "welches unmittelbar der Sicherung,
Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dient" (vgl. hierzu eingehend: LSG Niedersachsen-
Bremen, Urt. v. 19. Dezember 2005 - L 6 U 190/04). Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII läuft daher im Fall
des Klägers ins Leere.
Im vorliegenden Fall kann daher Versicherungsschutz nur aufgrund des § 2 Abs. 2 SGB VII in Betracht kommen.
Danach sind Personen versichert, die "wie ein Beschäftigter tätig werden". Nach der Rechtsprechung des BSG sind
diese Voraussetzungen grundsätzlich dann erfüllt, wenn es sich um eine ernstliche, dem Unternehmen (eines
anderen) dienende Tätigkeit handelt, diese dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ihrer Art, ihres
Umfangs und ihrer Zeitdauer nach Ähnlichkeit mit einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses hat (vgl.
BSGE 42, 36, 38; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 57). Diese Voraussetzungen sind jedoch im vorliegenden Fall nicht
gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Versetzen und der Neueinrichtung des Hochsitzes um eine
Tätigkeit handelt, die üblicherweise auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von Beschäftigten verrichtet werden kann.
Weiterhin kann zu Gunsten des Kläger davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit dem tatsächlichen Willen des
Unternehmers, d. h. des Revierinhabers Herrn I., entsprach. Allerdings kann § 2 Abs. 2 SGB VII dann keine
Anwendung finden, wenn eine Person mit einem Verhalten, das ansonsten einer Tätigkeit aufgrund eines
Beschäftigungsverhältnisses ähnelt, in Wirklichkeit eigene Angelegenheiten verfolgt. In diesem Fall wird sie nicht mit
fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung und somit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig
(BSG, Urt. v. 5. Juli 2005 - B 2 U 22/04). So liegt es auch hier. Für den Kläger stand nämlich beim Umsetzen des
Hochsitzes die eigene oder auch gemeinsame Ausübung der Jagd völlig im Vordergrund. Er hat von dem genannten
Hochsitz bereits ca. 20-mal pro Jahr die Jagd ausgeübt und hatte dies auch nach dessen Umsetzung am gleichen
Tag noch vor. Da bei der im Rahmen des § 2 Abs. 2 SGB VII zu beurteilenden Handlung auf das beabsichtigte
Gesamtvorhaben abzustellen ist (s. Bereiter-Hahn, Kommentar, § SGB VII, Rz. 34.7 b, m. w. N.), stellt sich das
Umsetzen des Hochsitzes für die Kammer als notwendige Vorbereitungshandlung für die unmittelbar nachfolgende
und auch künftig beabsichtigte Jagdausübung dar. Diese kann wiederum in keiner Weise als arbeitnehmerähnlich
angesehen werden, zumal der Kläger keine Gegenleistung erhält, sondern - im Gegenteil - pro Jahr 1500,- EUR an den
Revierinhaber für die Ausübung seiner Passion entrichten muss, keine Erstattung für seine Aufwendungen (z. B.
Munition) erhält, und sogar für das von ihm selbst geschossene Wild ein Entgelt bezahlen muss. Auch für das
Umsetzen des Hochsitzes, welches keine unübliche Tätigkeit um Rahmen der vom Kläger im Revier des Herrn I.
ausgeübten jagdlichen Tätigkeiten darstellt, hat er keinerlei Gegenleistung erhalten. Der Kläger ist daher bei der
Ausübung des Hobbys "Jagd" und nicht im Rahmen einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit verunglückt.
Die Kammer verkennt nicht, dass die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen des Unfallversicherungsschutzes im
Hinblick auf das freiwillige Engagement im Rahmen des - jagdlichen - Tierschutzes sowie der Hege und Pflege mit
Unsicherheiten für die Beteiligten behaftet sind. Ein Versicherungsschutz für die Jägerschaft insgesamt, wie sie der
Kläger offenbar anstrebt, ist aber im SGB VII nicht vorgesehen. Hier für eine Klarstellung zu sorgen, wäre jedoch eine
Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.