Urteil des SozG Lüneburg vom 18.05.2009

SozG Lüneburg: fahrtkosten, beihilfe, schulbesuch, öffentliche aufgabe, niedersachsen, darlehen, gymnasium, werk, verkehrsmittel, zugang

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 18.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 41 AS 662/07
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
29.03.2007 verurteilt, die Fahrtkosten der Klägerin für den Schulbesuch seit August 2007 in Höhe von 1.639,55 Euro
zu übernehmen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Sprungrevision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Fahrtkosten für den Schulbesuch.
Die am H. 1991 geborene Klägerin ist Mitglied einer siebenköpfigen Bedarfsgemeinschaft. Sie erhielt in der
Vergangenheit Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese setzten sich aus der
Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 278,- Euro monatlich sowie anteiligen Kosten für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 106,60 Euro monatlich zusammen. Sie besucht ein Gymnasium in I., welches 22
km von ihrem Wohnort entfernt liegt. Ein näher gelegenes Gymnasium besteht nicht. Im Schuljahr 2007/2008,
welches am 30.08.2007 begann, besuchte sie die 11. Klasse. Bis einschließlich der 10. Schulklasse wurden die
Kosten für die Anschaffung einer Monatskarte vom Schulamt bezahlt. Ab dem 30.08.2007 musste die Klägerin die
Fahrtkosten für eine Schülermonatskarte bzw. für Einzelfahrkarten selbst aufwenden.
Während des Rechtsstreits über die Kostentragungspflicht erhielt die Klägerin vom Diakonischen Werk des
Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises I. für die mit dem Schulbesuch verbundenen Fahrtkosten eine Beihilfe von
110,- Euro.
Am 15.01.2007 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer
Monatsfahrkarte ab dem 11. Schuljahr. Sie machte geltend, die Kosten könnten aus den ihr gewährten Leistungen
nicht finanziert werden.
Mit Bescheid vom 01.02.2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, für das Begehren
bestehe keine Anspruchsgrundlage. Die Kosten seien aus der Regelleistung zu tragen.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit am 13.04.2007 zugegangenem
Widerspruchsbescheid vom 29.03.2007 zurückwies.
Die Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit Uelzen - lehnte einen gleichlautenden Antrag der Klägerin ebenfalls
ab.
Die Klägerin hat am 08.05.2007 Klage erhoben. Sie trägt vor, ohne die Übernahme der Schülerbeförderungskosten sei
es ihr nicht möglich, das Gymnasium in I. besuchen. Das Niedersächsische Schulgesetz gehe offensichtlich davon
aus, dass Personen ab dem 11. Schuljahr ihren Schulweg mit dem Fahrrad zurücklegen könnten. Dies könne für
kurze Strecken sinnvoll sein. Bei einer Entfernung von 22 km sei jedoch die Benutzung des Fahrrades unzumutbar.
Die aufgewendeten Kosten seit dem 30.08.2007 bis zum Tage der mündlichen Verhandlung betrugen insgesamt
1.749,55 Euro. Darin waren in den meisten Monaten die Kosten für eine Monatsfahrkarte in Höhe von 89,25 Euro
enthalten. In einigen Monaten, insbesondere in Ferienzeiten, kaufte die Klägerin statt dessen günstigere, für kürzere
Zeiträume geltende Fahrkarten. Ein Jahresabonnement hätte 74,40 Euro pro Monat gekostet. Der Beklagte gewährte
der Klägerin aufgrund eines Beschlusses des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in einem Eilverfahren
(Beschluss v. 03.12.2007, Az.: L 7 AS 666/07 ER) bis zur mündlichem Verhandlung Leistungen in Höhe von
insgesamt 1.639,55 Euro.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
29.03.2007 zu verurteilen, ihre Fahrtkosten für den Schulbesuch seit August 2007 zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Schulbesuch eines Kindes folge aus der Schulpflicht und stelle keinesfalls eine besondere
Lebenslage dar. Weite Schulwege und daraus resultierende hohe Beförderungskosten seien insbesondere im
ländlichen Raum keine Besonderheit. Die Schülerbeförderung sei grundsätzlich in landesrechtlichen Vorschriften
geregelt. Diese dürften nicht durch einen Sozialleistungsträger oder durch ein Sozialgericht außer Kraft gesetzt
werden. Die Klägerin habe die Möglichkeit, bei der Agentur für Arbeit ein Darlehen für die Fahrtkosten zu beantragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid in der Fassung des
Widerspruchsbescheides beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Bescheide sind
rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf vollständige Übernahme der mit dem
Schulbesuch verbundenen Fahrtkosten.
Der streitige Zeitraum erstreckt sich im Falle zeitlich unbefristet ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur
mündlichen Verhandlung des Gerichts (vgl. etwa Bundessozialgericht, Urteil v. 13.11.2008, Az.: B 14 AS 24/07 R, Rn.
13). Das Gericht hatte daher über die Zeit ab August 2007 bis zur mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Nach dieser
Vorschrift können Leistungen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel
rechtfertigen; Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Wie auch schon das
Bundessozialgericht ausgeführt hat, kann diese Regelung bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen dann zur Anwendung
gelangen, wenn eine atypische Bedarfslage besteht, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB
XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt
(Bundessozialgericht, Urteil v. 07.11.2006, Az.: B 7b AS 14/06 R, Rn. 22; Urteil v. 25.06.2008, Az.: B 11b AS 19/07
R, Rn. 28). § 73 SGB XII soll dabei keine allgemeine Auffangnorm darstellen, die dazu könnte, alle im
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ungedeckten Bedarfe - insbesondere, soweit sie eigentlich von der
Regelleistung umfasst sein müssten - im SGB XII geltend zu machen (Bundessozialgericht, Beschluss v.
27.01.2009, Az.: B 14/11b AS 9/07 R, Rn. 45). Die Vorschrift ist auf der anderen Seite aber nicht auf Einzelfälle
beschränkt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil v. 07.11.2006, Az.: B 7b AS 14/06 R, Rn. 22: Fahrtkosten im
Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts eines Elternteils mit seinen Kindern).
Eine andere, vorrangige Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin besteht nicht. Sie kann namentlich keine
Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB II gegenüber der Agentur für Arbeit geltend machen. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II
sieht vor, dass, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer
Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf
andere Weise gedeckt werden kann, die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als
Sachleistung oder als Geldleistung erbringt und dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen gewährt. Zwar sind
Kosten für die Monatsfahrkarte eines Schülers von der Regelleistung umfasst (vgl. O´Sullivan, SGb 2005, 369;
Sozialgericht Aurich 16.06.2005, Az.: S 13 SO 18/05). Allerdings kommt diese Regelung bei Sonderbedarfen, die zwar
von der Regelleistung umfasst sind, aber keine einmalige Bedarfsspitze darstellen, sondern dauernd und zumindest
so regelmäßig wiederkehrend auftreten, dass die in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II angeordnete Aufrechnung faktisch eine
unerträgliche Schuldenspirale zur Folge hätte, nicht in Betracht (Bundessozialgericht, Urteil v. 07.11.2006, Az.: B 7b
AS 14/06 R; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.12.2007, Az.: L 7 AS 666/07 ER).
Eine atypische, besondere Bedarfslage, die auch in anderen Bereichen des Sozialrechts nicht abschließend geregelt
ist, liegt vor. Der Regelbedarf nach § 20 SGB II umfasst zwar auch Aufwendungen zum typischen Schulbesuch und in
einem bestimmten Umfang auch Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl.,
§ 20, Rn. 24, 30), nicht jedoch die atypische Lebenssituation, dass im besonderen Einzelfall sonst der Besuch einer
zur Hochschulreife führenden Schule nicht möglich wäre. Mit diesem Normverständnis enthält § 73 SGB XII eine
Ermächtigung an die Verwaltung, vom Gesetzgeber übersehene oder noch nicht erkannte und somit vom
Sozialleistungssystem nicht erfasste aber gleichwohl regelungsbedürftige Hilfetatbestände im Ermessenswege
aufzufangen. Die von der Klägerin begehrten Kosten für die Monatsfahrkarte zwecks Besuches des Gymnasiums sind
nicht den in den Kapiteln 3 bis 9 liegenden Tatbeständen des SGB XII zuzuordnen. Es handelt sich nicht um
Aufwendungen für den allgemeinen Lebensunterhalt, d. h. Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,
Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 27 SGB XII), oder Grundsicherung (§§ 41, 42 SGB XII)
oder um krankheits-/behinderungsbedingten, durch besondere soziale Schwierigkeiten bedingten Bedarf oder um
Pflegebedarf (§§ 47 ff., 53 ff., 61 ff., 67 ff. SGB XII) oder um Haushalts-, Alten-, Blindenhilfe oder Bestattungskosten
(§§ 70 - 72, 74 SGB XII). Die Möglichkeit einer Hilfegewährung durch andere sozialrechtliche Vorschriften ist somit
nicht gegeben. Soweit die Klägerin vom Diakonischen Werk eine einmalige Beihilfe für Schulwegkosten erhalten hat,
ist dieser karitative Einsatz auf die ablehnende Haltung des Beklagten zurückzuführen und schon deshalb gegenüber
dem Anspruch aus § 73 SGB XII nachrangig (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.12.2007,
Az.: L 7 AS 666/07 ER).
Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geforderte gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74
SGB XII geregelten Bedarfslagen ist insofern gegeben, als nach § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch Hilfen zur
Ausbildung in Betracht kommen. Bei diesen Hilfen wie bei der hier im Streit stehenden Übernahme der Fahrtkosten
handelt es sich um Leistungen, die den Zugang zur Bildung ermöglichen. Es handelt sich somit um eine Aufgabe von
erheblichem Gewicht.
Die sonstige Lebenslage im Falle der Klägerin ist darin zu sehen, dass sie ohne die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel nicht in der Lage ist, die Oberstufe eines Gymnasiums zu besuchen. Der niedersächsische
Gesetzgeber ist in § 114 Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Schulgesetz mit der Beschränkung der Kostenübernahme
bis zum 10. Schuljahrgang davon ausgegangen, dass ab einer gewissen Altersstufe die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel nicht mehr erforderlich ist. Von diesem typischen Regelfall weicht jedoch die individuelle
Lebenssituation der Klägerin ab. Die von ihr besuchte Schuleinrichtung liegt 22 km von ihrem Wohnort entfernt. Ihr
kann nicht zugemutet werden, diese Strecke täglich mit dem Fahrrad zu bewältigen. Sie muss fast ein Drittel ihrer
Regelleistung für die Fahrt zur Schule aufwenden, ohne dass ihre Eltern sie finanziell unterstützen können. Es liegt
also eine atypische Bedarfslage vor und nicht nur ein erhöhter Bedarf, der allein für die Anwendung des § 73 SGB XII
nicht ausreichen würde (vgl. hierzu und auch zum Folgenden Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss
v. 03.12.2007, Az.: L 7 AS 666/07 ER).
Die sonstige Bedarfslage rechtfertigt auch den Einsatz öffentlicher Mittel. Geboten ist eine wertende Entscheidung mit
anderen Bedarfslagen, wobei Ausmaß und Schwere der atypischen Lebenssituation in den Vergleich einzubeziehen
sind. Zu berücksichtigen ist auch, ob durch die erforderliche Hilfestellung etwaige spätere und unter Umständen
höhere Kosten vermieden werden können. Entscheidend ist insoweit, ob Art und Dringlichkeit der sonstigen
Lebenslage eine Hilfestellung erfordern, ohne dass die Vorschrift des § 73 SGB XII zu einem allgemeinen
Auffangbecken für sämtliche Notlagen wird.
Der Einsatz öffentlicher Mittel zur Übernahme der Schülerbeförderungskosten in der atypischen Situation der Klägerin
ist geboten, um ihre Teilhabechancen für Jugendliche aus Haushalten von SGB II-Leistungsbeziehern zu fördern. Es
ist durch viele Studien der letzten Jahren belegt, dass in der Bundesrepublik Deutschland Kinder und Jugendliche aus
armen Haushalten nicht dieselben Chancen haben, am Bildungserfolg zu partizipieren wie Kinder und Jugendliche von
besser situierten Eltern. So haben z.B. Kinder aus der oberen Einkommensschicht bei gleichen kognitiven
Fähigkeiten eine sechs Mal höhere Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als jene aus unteren bis mittleren
Einkommensschichten (BT-Drucksache 16/5253). Der Zugang zu Bildung ist eine zentrale Aufgabe des Einsatzes
öffentlicher Mittel, weil dadurch die Zukunftsperspektiven des Landes maßgeblich beeinflusst werden. Dabei ist sicher
zu stellen, dass der Zugang zu Bildung nicht nur formal gleichberechtigt allen Kindern und Jugendlichen offen steht,
sondern dass auch die materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Angebote tatsächlich beanspruchen
zu können (BT-Drucksache 16/4486).
Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Einwand des Beklagten, die Schülerbeförderung sei grundsätzlich
in landesrechtlichen Vorschriften geregelt, die nicht durch die Verpflichtung zur Erbringung von Sozialleistungen
faktisch außer Kraft gesetzt werden dürften. Es ist zunächst zu beachten, dass die hier im Streit stehenden
sozialrechtlichen Normen in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen. Die Normsetzungsbefugnis über die
Grundsicherung für Arbeitsuchende und über die Sozialhilfe obliegen nicht den einzelnen Bundesländern. Wenn der
Bundesgesetzgeber eine entsprechende Regelungskompetenz an die Länder delegieren wollte, ist dies im Rahmen
einer Öffnungsklausel geschehen (vgl. § 70 SGB II). Das ist jedoch für die Übernahme von
Schülerbeförderungskosten als Hilfestellung in außergewöhnlichen Lebenssituationen nicht feststellbar. Dessen
ungeachtet ist aber auch zu bedenken, dass das Land Niedersachsen mit der Regelung des § 114 Abs. 1 Nr. 1
Niedersächsisches Schulgesetz offenbar nicht beabsichtigte, die finanzielle Unterstützung von Schülern abschließend
zu regeln, d. h. zu begrenzen, und damit bedürftigen Schülern die Möglichkeit des Schulbesuchs ab der 11. Klasse zu
versperren.
Der Einsatz öffentlicher Mittel ist bis auf einen Betrag von 110,- Euro (dazu sogleich) hinsichtlich der Übernahme der
vollständigen tatsächlichen Kosten gerechtfertigt. Die Klägerin war namentlich nicht auf den Erwerb eines
Jahresabonnements zu verweisen. Insbesondere im Hinblick auf die Schulferien und etwaige Krankheitszeiten war es
nicht erforderlich, ein Jahresabonnement zu nutzen, da ein solches auch in den genannten Zeiträumen zu bezahlen
gewesen wäre.
Von den tatsächlich entstandenen Fahrtkosten ist auch nicht derjenige Betrag abzusetzen, welcher in der
Regelleistung für die Teilnahme am Verkehr vorgesehen ist (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 20, Rn. 24, 30:
4,5 %). Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem Anteil zumindest auch um solche Kosten handelt,
die im Zusammenhang mit Fahrten in der Freizeit entstehen. Zum anderen würde eine nur anteilige Übernahme dazu
führen, dass die Klägerin hinsichtlich des ungedeckten Teils auf ihre Regelleistung zurückgreifen müsste. Diese
würde faktisch eine Absenkung der Regelleistung bedeuten. Eine Abweichung von dem als Regelleistung vorgesehen
pauschalierten Betrag ist jedoch, wie sich aus § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ergibt, nicht zulässig (vgl. auch
Bundessozialgericht, Urteil v. 18.06.2008, Az.: B 14 AS 22/07 R, Rn. 22).
Der Einsatz öffentlicher Mittel ist allerdings nach Ansicht der Kammer nur gerechtfertigt, soweit die Klägerin keine
Unterstützungsleistungen Dritter erhalten hat. Die vom Diakonischen Werk gerade für die Tragung der Fahrtkosten
gewährte Beihilfe von 110,- Euro ist daher in Abzug zu bringen, weil es ansonsten insoweit zu einer ungerechtfertigten
Doppelzahlung käme. Dem könnte nicht entgegengehalten werden, dass die Beihilfe als Einkommen gemäß § 11 Abs.
1 SGB II auf den Bedarf der Klägerin angerechnet werden und daher eine Rückforderung durch die Agentur für Arbeit
erfolgen könnte: Es handelte sich bei der Beihilfe um eine zweckbestimmte Einnahme bzw. eine Zuwendung der
freien Wohlfahrtspflege, welche einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II diente - nämlich dem
Zweck einer Hilfe in einer besonderen Lebenslage gemäß § 73 SGB XII; zudem beeinflusste die Beihilfe, weil damit
nur die notwendigen Aufwendungen zum Teil ausgeglichen wurde, die Lage der Klägerin nicht so günstig, dass
daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wäre. Aufgrund dessen ist sie gemäß § 11 Abs. 3 SGB II
nicht als Einkommen zu berücksichtigen.
Die der Klägerin entstandenen tatsächlichen Fahrtkosten in Höhe von 1.749,55 Euro sind somit in der bisher
entstandenen Höhe von 1.639,55 Euro zu übernehmen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass dem Beklagten in § 73 SGB XII ein Ermessensspielraum eingeräumt ist.
Das Ermessen kann hinsichtlich der Frage, ob überhaupt Leistungen zu gewähren sind, nach Auffassung der Kammer
nur im Sinne einer Übernahme der Fahrtkosten ausgeübt werden. Das Entschließungsermessen ist damit auf Null
reduziert. Der Beklagte hat im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens selbst eingeräumt, die Klägerin können
die Fahrtkosten nicht aus ihrer Regelleistung aufbringen. Ohne die Übernahme der Kosten wäre der Klägerin der
Schulbesuch verwehrt. Angesichts der wesentlichen Bedeutung des Schulbesuchs könnte dies nicht hingenommen
werden. Sonstige Ermessensgesichtspunkte, die gegen einen Einsatz öffentlicher Mittel sprächen und dem
Erfordernis des Schulbesuchs entgegengehalten werden könnten, bestehen nicht.
Aufgrund der überragenden Bedeutung, den die Ermöglichung des weiteren Schulbesuchs hat, kommt auch nur die
vollständige Übernahme des ungedeckten Bedarfs in Betracht. Andernfalls wäre die weitere schulische Laufbahn der
Klägerin gefährdet.
Die Entscheidung darüber, ob die Kostenübernahme als Geldleistung in Form einer Beihilfe oder als Darlehen zu
erfolgen hat, ist ermessensfehlerfrei nur im Sinne der Gewährung einer Beihilfe zu treffen. Im Falle einer
Darlehensgewährung würde sich, da ein beständig sich erneuernder Bedarf besteht, eine der Klägerin nicht zumutbare
Schuldenspirale entstehen (s. die obigen Ausführungen zu § 23 Abs. 1 SGB II). Die Dauer des Schulbesuchs ist zwar
begrenzt. Da die Ermöglichung des Zugangs zur Bildung jedoch eine vordringliche öffentliche Aufgabe bildet,
erschiene es der Kammer nicht gerechtfertigt, wenn die hierfür gewährten Leistungen vom Leistungsempfänger
zurückgefordert werden könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit die Sprungrevision zugelassen (§§ 161, 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG).