Urteil des SozG Lüneburg vom 28.06.2006

SozG Lüneburg: arbeitslosigkeit, arbeitssuche, meldung, ausbildung, arbeitsvermittlung, verfügung, sicherheit, sanktion, klagebegehren, vergünstigung

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 28.06.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 18 AL 311/04
Die Bescheide der Beklagten vom 6.5.2004 und 13.5.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.6.2004
werden aufgehoben. Es wird festgestellt, das die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG ab 1. Januar 2004
vorliegen. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Leistungen nach § 4 AtG für die Zeit vom 1.1.2004 bis
31.3.2004 zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen nach § 4 Altersteilzeitgesetz (AtG).
Am 20. September 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten vorab darüber zu entscheiden, ob für ihren
Arbeitnehmer H. die Voraussetzungen des § 2 AtG erfüllt sind. Sie hatte am 21. Juli 2000 mit ihrem Mitarbeiter H.
eine Vereinbarung über Altersteilzeit geschlossen für den Zeitraum vom 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2006. Die
Altersteilzeit sollte nach dem Blockzeitmodell erfolgen, nach dem für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis 31. Dezember 2003
eine Vollzeittätigkeit erfolgen sollte und anschließend für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2006 eine
Freistellungsphase. Nach Prüfung der eingereichten Unterlagen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Januar
2002 fest, dass die Voraussetzungen des § 2 AtG nach Sachlage zum Entscheidungszeitpunkt für den Arbeitnehmer
H. erfüllt seien.
Am 1. März 2004 beantragte die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 AtG anzuerkennen. Sie gab an,
die Stelle des in Altersteilzeitarbeit beschäftigten Arbeitnehmers ab 1. November 2003 mit Herrn I. besetzt zu haben.
Aus dem bei der Beklagten vorliegenden Bewerberausdruck ergab sich, dass sich Herr I. am 9. Juni 2003
arbeitssuchend gemeldet hatte mit dem Hinweis, dass er ab 1. Januar 2004 arbeitslos sei.
Am 15. März 2004 beantragte die Beklagte Leistungen nach § 4 AtG.
Mit Bescheid vom 6. Mai 2004 stellte die Beklagte fest, dass die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG nicht
erfüllt seien. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der von der Klägerin benannte Wiederbesetzer nicht arbeitslos
gemeldet gewesen sei. Die Vorsprache im September 2003 ersetze keine Arbeitslosmeldung.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2004 lehnte die Beklagte die Zahlung von Leistungen nach § 4 AtG ab und verwies dazu
zur Begründung auf den Feststellungsbescheid vom 6. Mai 2004.
Gegen beide Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie trug vor, dass der Wiederbesetzer I. von
Arbeitslosigkeit bedroht gewesen sei und sich daher am 9. September 2003 arbeitssuchend gemeldet habe. Er habe
sich selbständig auf Arbeitssuche begeben und am 1. Oktober 2003 einen zunächst befristeten Vertrag mit ihr ab 1.
November 2003 abgeschlossen. Im April 2004 sei Herr I. in ein unbefristetes Anstellungsverhältnis übernommen
worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2004 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück. In ihrer
Begründung führte sie aus, ein Anspruch auf Leistungen nach § 4 AtG setze unter anderem voraus, dass der
Arbeitgeber aus Anlass des Übergangs des Arbeitnehmers in die Altersteilzeitarbeit einen beim Arbeitsamt arbeitslos
gemeldeten Arbeitnehmer oder einen Arbeitnehmer nach Abschluss der Ausbildung auf dem freigemachten oder auf
einem in diesem Zusammenhang durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz versicherungspflichtig im Sinne des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch – SGB III – beschäftige. Der Arbeitnehmer I. sei jedoch nur arbeitssuchend und
nicht arbeitslos gemeldet gewesen. Eine Arbeitslosmeldung am 9. September 2003 wäre nach § 122 Abs. 1 Satz 2
SGB III frühestens zum 1. November 2003 möglich gewesen. Der Arbeitnehmer habe sich jedoch ausdrücklich
arbeitssuchend gemeldet. Er habe daher nicht als Wiederbesetzer im Sinne der gesetzlichen Vorschriften anerkannt
werden können.
Nachdem die Klägerin einen Auszubildenden als Nachbesetzung des in Altersteilzeit gegangenen Mitarbeiters
gemeldet hatte, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2004 Leistungen nach § 4 AtG für die Zeit ab 29.
Juni 2004.
Am 21. Juli 2004 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem AtG auch bei der
Wiederbesetzung durch Herrn I. vorgelegen haben. Herr I. sei aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Dezember 2003
gekündigt worden. Er habe sich arbeitssuchend gemeldet, da er davon habe ausgehen müssen, ab 1. Januar 2004
arbeitslos zu sein. Parallel dazu habe sich Herr I. in Eigeninitiative um einen neuen Arbeitsplatz bemüht und mit ihr
Verhandlungen aufgenommen, die darin mündeten, dass ein Arbeitsvertrag habe geschlossen werden können. Die
Auffassung der Beklagten widerspreche dem Anliegen des Gesetzgebers, der ja gerade habe verhindern wollen, dass
von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer tatsächlich arbeitslos werden. Vielmehr solle die ununterbrochene
Aufnahme einer neuen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit verhindern.
Herr I. habe sich gar nicht innerhalb der geforderten zwei Monate vor seiner voraussichtlichen Arbeitslosigkeit
arbeitslos melden können, da er sich bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit selbst eine neue Arbeitsstelle gesucht
habe. Dies nun zu ihren Lasten auszulegen, könne dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen. Vielmehr müsse
die Meldung zur Arbeitssuche durch Herrn I. geltungserhaltend interpretiert werden. Ihrer Auffassung nach seien durch
diese Meldung die Voraussetzungen als Wiederbesetzer gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 6. Mai 2004 und 13. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni
2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 1. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG ab
1. Januar 2004 anzuerkennen und 2. Leistungen nach § 4 AtG für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 31. März 2004 zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Vorverfahren und führt ergänzend aus, dass Voraussetzung für den
Anspruch auf Leistungen nach § 4 AtG unter anderem sei, dass der Arbeitgeber einen bei der Agentur für Arbeit
arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer beschäftige.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und
Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung sind der Bescheid vom 6. Mai 2004, mit dem die Beklagte die
Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG verneint hat, sowie der Bescheid vom 13. Mai 2004, mit dem sie die
Leistungsgewährung nach § 4 AtG abgelehnt hat. Beide Bescheide sind Gegenstand des Widerspruchsbescheids.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG setzt der Anspruch auf Leistungen nach § 4 AtG voraus, dass der Arbeitgeber aus Anlass
des Übergangs des Arbeitnehmers in die Altersteilzeit
a) ein bei einer Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer oder einen Arbeitnehmer nach Abschluss der
Ausbildung auf dem freigemachten oder auf einem in diesem Zusammenhang durch Umsetzung freigewordenen
Arbeitsplatz versicherungspflichtig im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beschäftigt; bei Arbeitgebern, die
in der Regel nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigen, wird unwiderleglich vermutet, dass der Arbeitnehmer auf
dem freigemachten oder auf einem in diesem Zusammenhang durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz
beschäftigt wird oder b) einen Auszubildenden versicherungspflichtig im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
beschäftigt, wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die sonstigen Voraussetzungen des § 3 AtG für einen Anspruch nach § 4 AtG waren zwischen den Beteiligten nicht
streitig und sind nach den vorliegenden Unterlagen erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG vor, auch wenn der als
Wiederbesetzer benannte Arbeitnehmer I. nur arbeitsuchend und nicht formal arbeitslos gemeldet war.
Es entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 3 AtG in Verbindung mit den Vorschriften des SGB III über
die Arbeitslosmeldung und die frühzeitige Arbeitssuche, § 3 Abs. 1 Nr. 2 AtG dahingehend auszulegen, dass auch ein
arbeitsuchender, aber noch nicht formal gemeldeter künftiger Arbeitsloser als Wiederbesetzer in Betracht kommt.
Nach § 1 AtG soll durch das Altersteilzeit älteren Arbeitnehmer ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die
Altersrente ermöglicht werden. Gefördert wird dieser gleitende Übergang aus dem Erwerbsleben nach § 1 Abs. 2 AtG,
wenn durch die Teilzeitarbeit die Einstellung eines sonst arbeitslosen Arbeitnehmers ermöglicht wird. § 1 AtG definiert
danach zwei Ziele, an die sich die Auslegung der nachfolgenden Vorschriften zu orientieren hat. Das in § 1 Abs. 2
AtG formulierte Ziel, nämlich die Arbeitslosigkeit zu verringern, wird auch erreicht, wenn nicht nur formal gemeldete
Arbeitslose als Wiederbesetzer anerkannt werden, sondern auch Personen, die nachweislich von der Arbeitslosigkeit
bedroht sind, sich zwar aus formalen Gründen noch nicht arbeitslos melden können, jedoch zur Vermeidung von
Leistungskürzungen verpflichtet sind, sich arbeitssuchend zu melden und damit der Arbeitsvermittlung bereits zur
Verfügung stehen.
Der als Wiederbesetzer benannte I. war unstreitig von seinem alten Arbeitgeber mit Wirkung zum 31. Dezember 2003
gekündigt worden. Hätte er am 1. November 2003 bei der Klägerin die Stelle nicht angetreten, so wäre er mit
Sicherheit am 1. Januar 2004 arbeitslos geworden. Diese Arbeitslosigkeit wurde durch die Einstellung zum 1.
November 2003 verhindert.
Insbesondere angesichts von § 37 b SGB III, der mit Wirkung zum 1. Juli 2003 eingeführt wird und mit dem die
frühzeitige Arbeitssuche einen besonderen Stellenwert erhielt, erscheint es nicht konsequent, die Leistung nach § 4
AtG von der formalen Arbeitslosenmeldung abhängig zu machen. Sinn und Zweck der frühzeitigen Arbeitslosmeldung
ist es, die Arbeitsvermittlung in die Lage zu versetzen, einen potentiellen Arbeitslosen ohne zwischenzeitliche
Arbeitslosigkeit von Beschäftigung in Beschäftigung zu vermitteln. Um diese frühzeitige Arbeitslosmeldung
sicherzustellen wird an eine verspätete Meldung eine nicht unerhebliche Sanktion geknüpft.
Unter Zusammenschau der Vorschriften des AtG und den Vorschriften des SGB III erscheint es folgerichtig, die
Vergünstigung für einen Arbeitgeber, der einen Arbeitslosen oder einen potentiell Arbeitslosen vor der Arbeitslosigkeit
bewahrt, bereits dann zu gewähren, wenn noch keine formale Arbeitslosmeldung im Sinne des § 122 SGB III vorliegt.
Das Festhalten am formalen Wortlaut, wie es von Seiten der Beklagten praktiziert wird, widerspricht nach
Überzeugung des Gerichts insbesondere im Hinblick auf § 37 b SGB III dem Sinn und Zweck der gesetzlichen
Vorschriften des AtG.
Es bleibt daher festzustellen, dass die Klägerin mit der Einstellung von Herrn I. die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1
Nr. 2 AtG erfüllt hat.
Nach § 4 Abs. 1 AtG erstattet die Bundesagentur dem Arbeitgeber für längstens sechs Jahre 1. den
Aufstockungsbetrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a in Höhe von 20 vom Hundert des für die Altersteilzeitarbeit
gezahlten Regelarbeitsentgelts und 2. den Betrag, der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b in Höhe des Beitrags
geleistet worden ist, der auf den Betrag entfällt, der sich aus 80 vom Hundert des Regelarbeitsentgelts für die
Altersteilzeitarbeit ergibt, jedoch höchstens des auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 vom Hundert der
monatlichten Beitragsbemessungsgrenze und dem Regelarbeitsentgelt entfallenen Beitrags.
Die Klägerin hat Anspruch auf den geltend gemachten Erstattungsbeitrag, da die Voraussetzungen nach § 3 AtG
vorliegen. Die sonstigen Voraussetzungen für die Erstattung der Aufwendungen, die sich aus den eingereichten
Unterlagen ergeben, waren zwischen den Beteiligten nicht strittig. Folgerichtig hat die Beklagte auch für die Zeit ab
29. Juni 2004 die gewünschten Leistungen der Klägerin erbracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei ihr war zu berücksichtigen, dass das Klagebegehren erfolgreich
war. Da die Klägerin Leistungsempfängerin i.S.d. § 183 SGG ist, findet § 197 a SGG keine Anwendung.