Urteil des SozG Lüneburg vom 12.02.2007

SozG Lüneburg: abfindung, willenserklärung, freibetrag, leistungsbezug, witwenrente, einfluss, versicherungsleistung, ausschluss, gestaltung, beratungspflicht

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 12.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 24 AS 344/06
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II) für den Zeitraum 19.01.2006
bis 20.03.2006.
Der Kläger bezog zunächst in eigener Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Am 01.11.05 heiratete er.
Die Leistungsbewilligung wurde daraufhin von der Beklagten für November und Dezember 2005 aufgehoben. Am
19.01.2006 beantragte der Kläger für sich und seine Ehefrau erneut Leistungen nach dem SGB II.
Für die Ehefrau des Klägers besteht bei der H. Versicherung eine Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer I
... Der Rückkaufwert dieser Lebensversicherung betrug zu Beginn des Jahres 2006 18.588,00 EUR. Zum 17.03.2006
wurde für diese Lebensversicherung ein Verwertungsausschluss vereinbart. Am 06.12.2005 erhielt die Ehefrau des
Klägers eine Abfindung für Witwenrente im Sinne des § 107 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB XI) in Höhe
von 15.138,24 EUR.
Mit Bescheid vom 27.01.2006 wurde der Antrag des Klägers zum Leistungsbezug nach dem SGB II abgelehnt. Zur
Begründung führte die Beklagte aus, dass aufgrund der nachgewiesenen Vermögensverhältnisse der Kläger nicht
hilfebedürftig sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.02.2006 Widerspruch. Er begründete dies damit, dass die Rentenversicherung
seiner Ehefrau zur Altersabsicherung gedacht sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2006 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Gemäß § 12
Abs. 2 Nr. 1 bestehe für den Kläger und dessen Ehefrau ein Gesamtfreibetrag in Höhe von 22.500,00 EUR. Das
Vermögen der Bedarfsgemeinschaft belaufe sich auf 33.726,24 EUR. Selbst wenn man verschiedene Ausgaben, die
der Kläger vorgetragen habe, vermögensmindernd berücksichtigen würde, übersteige das vorhandene Vermögen noch
immer den Freibetrag erheblich und reiche zur Bedarfsdeckung aus.
Im März 2006 wurden dem Kläger ab dem 21.03.2006 Leistungen bewilligt.
Mit der am 27.03.2006 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Leistungsbewilligung für den Zeitraum zwischen dem
19.01.2006 und 20.03.2006. Zur Begründung trägt er vor, dass er nicht gewusst habe, dass die Lebensversicherung
mit einem Verwertungsausschluss belegt sein müsse, hierauf habe ihn niemand hingewiesen. Hätte man ihn darauf
bei der Antragstellung hingewiesen, hätte er entsprechendes schneller vereinbaren können. Der
Lebensversicherungsvertrag sei bereits 1999 abgeschlossen worden. Er sei von vornherein für die Altersvorsorge
geplant gewesen.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2006
aufzuheben,
2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum
19.01.2006 bis 20.03.2006 zu bewilligen, ohne die Lebensversicherung der Ehefrau als Vermögen zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass der Verwertungsausschluss zum Zeitpunkt der Antragstellung nach 165 VVG noch nicht
vereinbart gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen
haben.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat im genannten Zeitraum
keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da er nicht hilfebedürftig ist. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist
hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu
berücksichtigenden Vermögen sichern kann. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Dazu gehören sowohl die Lebensversicherung der Ehefrau des Klägers
als auch die Abfindung für die Witwenrente.
Die Lebensversicherung ist nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II geschützt. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II sind
vom Vermögen abzusetzen, Altersvorsorge in Höhe des nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge
geförderten Vermögens. Diese Norm bezieht sich auf die so genannten "Riester-Verträge". Bei dem von der Ehefrau
des Klägers abgeschlossenen Vertrag handelte es sich nicht um einen "Riester-Vertrag", sondern um eine klassische
Lebensversicherung mit Rentenbezugsrecht.
Die Lebensversicherung ist auch nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II geschützt. Anzuwenden ist § 12 Abs. 3 SGB
II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der genannten Fassung sind
vom Vermögen abzusetzen, geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie aufgrund
einer vertraglichen Vereinbarung nicht vor dem Eintritt in den Ruhestand verwerten kann und der Wert der geldwerten
Ansprüche 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und eines Partners, höchstens
jedoch jeweils 13.000,00 EUR nicht übersteigen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar übersteigt der Wert der Lebensversicherung nicht 13.000 EUR pro
Partner. Der Verwertungsausschluss nach § 165 VVG wurde aber erst zum 17.03.2006 vereinbart. Damit wäre es der
Ehefrau des Klägers im Zeitraum 19.01.2006 bis 17.03.2006 möglich gewesen, diese Lebensversicherung zu
verwerten und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft aus dem zu verwertenden Vermögen zu bestreiten.
Der Vermögensfreibetrag ist von der Beklagten zutreffend berechnet worden, das Vermögen aus der
Lebensversicherung und der Abfindung übersteigt diesen Freibetrag und reicht zur Bedarfsdeckung aus.
Der nachträglich vereinbarte Verwertungsausschluss hat keine Auswirkungen auf den Klagezeitraum.
Entscheidungserheblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage in der Verpflichtungsklage ist die
Tatsachenlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 8. Auflage, §
54 Rz. 34). Das Gericht hat dabei die Tatsachen, wie sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung darstellen, nach den
Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung zu würdigen. Dabei ist im Bereich des Sozialhilferechts
anerkannt, dass sowohl für laufende als auch für einmalige Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt auf den
Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist (Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung – BVerwGE –
38, Seite 299 ff.). Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind das letzte Auffangmittel für Hilfebedürftige.
Wenn es der Hilfebedürftige geschafft hat, die Notsituation auch ohne staatliche Leistungen zu überbrücken, können
diese Leistungen nachträglich nicht aufgrund von nachher eingetretenen Änderungen bewilligt werden. Sowohl zum
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, als auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist der
Verwertungsausschluss erst nach der Antragstellung vereinbart worden.
Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne die Berücksichtigung der Lebensversicherung besteht auch nicht
nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist gegeben, wenn eine sich aus
dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis ergebende Pflicht des Sozialleistungsträgers oder eines anderen Organs oder
Leistungsträgers (sofern dieser mit der Erfüllung der Pflicht für den Sozialleistungsträger beauftragt gewesen ist), die
dem Sozialleistungsträger gerade dem Versicherten bzw. Leistungsberechtigten gegenüber obliegt, objektiv
rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt worden ist und die Pflichtverletzung einen dem Sozialleistungsträger
zurechenbaren sozialrechtlichen Nachteil verursacht hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist der Zustand
wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre und der
Sozialleistungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte. Dabei muss die Wiederherstellung notwendig sowie rechtlich
und tatsächlich möglich sein (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.2006, B 11a AL 15/05 R; BSG, Beschluss vom 05.07.2005,
B 1 KR 7/04 R).
Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger auf die Möglichkeit eines Verwertungsausschlusses hinzuweisen
(letztlich offen gelassen LSG für NRW, Urteil vom 20.11.2006 – L 20 AS 89/06). Denn es gibt vielerlei Gründe, einen
solchen Verwertungsausschluss nicht zu vereinbaren. Die Einschätzung der divergierenden Interessen und das
zweckmäßigste Vorgehen bezüglich der Vertragsgestaltung kann von der Beklagten nicht erwartet werden. Eine
entsprechende Beratung kann nur durch einen ausgebildeten Finanzberater erfolgen. Die Gründe, einen
Verwertungsausschluss nicht zu vereinbaren, sind vielschichtig. So können beispielsweise geplante Finanzierungen
oder anderweitige Anschaffungen dagegen sprechen, da diese oft aus gespartem Vermögen aus
Rentenversicherungen bedient oder zumindest gesichert werden. Auch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
wird durch die aufgrund einer verwertbaren Lebensversicherung erhöhte Bonität erleichtert. Viele Versicherungsnehmer
behalten sich deswegen bewusst die Möglichkeit vor, angespartes Vermögen anderweitig zu verwerten.
Zwar hat der Kläger angegeben, der Vertrag sei von vornherein zur Altersvorsorge gedacht gewesen. Aus der Art der
Vertragsgestaltung ergibt sich dies aber nicht. Der Kläger ist der Meinung, dass der Vertrag nur für die Altersvorsorge
gedacht gewesen sei, sei daraus zu erkennen, dass ein Kapitalwahlrecht ausgeschlossen sei und die
Versicherungsleistung ab Leistungsbezug verrentet würde. Der Ausschluss des Kapitalwahlrechts hat jedoch keinen
Einfluss auf die Beleihbarkeit einer Lebensversicherung. Gerade deswegen gibt es die weitergehende Möglichkeit des
Verwertungsausschlusses.
Bedenkenswert wäre allenfalls, der Beklagten die Pflicht aufzuerlegen, den Leistungsberechtigten aufzufordern, ein
Beratungsgespräch bei einem qualifizierten Berater bezüglich der Gestaltung seiner Vermögensverhältnisse
durchzuführen. Im Rahmen eines solchen Gesprächs könnten dann mit einem Finanzberater die Vor- und Nachteile
der Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses besprochen werden. Doch auch eine solche Verpflichtung vermag
die Kammer nicht zu erkennen. Denn dem Leistungsberechtigten wird bereits bei Antragstellung mitgeteilt, dass er zur
Verwertung seines Vermögens verpflichtet ist und er deshalb seine Vermögensverhältnisse offen zu legen hat. Dem
Leistungsberechtigten ist deshalb bei Antragstellung bewusst, dass er sich über eventuelle Möglichkeiten, seine
Vermögensgegenstände zu schützen, informieren muss. Bezüglich seiner Versicherungsverträge liegt es damit auf
der Hand, solche Möglichkeiten mit dem ihn betreuenden Vertreter zu besprechen.
Darüber hinaus besteht auch eine tatsächliche Unmöglichkeit dahingehend, den Kläger so zu stellen, wie er stünde,
wenn eine rechtswidrig unterbliebene Beratungspflicht bestanden hätte. Die Beklagte selbst ist nicht in der Lage, die
für den Verwertungsausschluss erforderliche Willenserklärung abzugeben (LSG für NRW Urteil vom 20.11.2006 – L 20
AS 89/06). Auch dem Leistungsberechtigten ist die Möglichkeit genommen, die erforderliche Willenserklärung
rückwirkend zum 10.01.06 nachzuholen (siehe zur Naturalrestitution durch die nachträgliche Vornahme von
Handlungen: Hauck/Noftz, SGB I, § 14 Rz. 42). Denn die Ehefrau des Klägers hat mit der Versicherung den
Vertragsausschluss schon vereinbart, und zwar erst ab dem 17.03.06.
Zu denken wäre damit allenfalls noch an einen Anspruch gegen die Versicherung wegen einer möglicherweise
unterbliebenen Hinweispflicht. Solche Ansprüche geltend zu machen, bleibt dem Kläger unbenommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.