Urteil des SozG Lübeck vom 15.03.2017

SozG Lübeck: örtliche zuständigkeit, umzug, rechtsschutz, wahrscheinlichkeit, rückzahlung, erlass, unterkunftskosten, rechtsmittelbelehrung, arbeitsgemeinschaft, mietvertrag

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
SG Lübeck 30.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 30 SO 2/07 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 29 Abs 1 S 7 SGB 12, § 29
Abs 1 S 8 SGB 12, § 98 Abs 1
S 1 SGB 12, § 86b Abs 2 SGG,
§ 16 Abs 2 S 2 SGB 1
Sozialhilfe - einstweiliger Rechtsschutz -
Anordnungsanspruch - Unterkunftskosten - Mietkaution -
örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten
des Antragstellers.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird nach teilweiser Abhilfe der
Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Gründe
Der am 19.01.2007 beim Sozialgericht Lübeck gestellte Antrag des Antragstellers,
der sich nach Übernahme der Sozialhilfeleistung ab dem 01.10.2006 und der
Leistungen der Erstausstattung sinngemäß darauf reduziert hat,
1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Mietkaution in voller Höhe für den Umzug des Antragstellers wegen vorheriger
Kündigung der bisherigen Unterkunft durch die Vermieterin zu übernehmen sowie
2. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bereits ab dem 27.09.2006 zu
gewähren und
3. dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen
ist zulässig aber nicht begründet.
Die statthafte Antragsart richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG), da der Antragsteller die Bewilligung von Leistungen begehrt.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung
treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile
abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum
anderen ein Anordnungsanspruch, d.h. ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte
Maßnahme. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung (ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch
glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich dabei auf die reduzierte
Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde
Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des
Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im so genannten
summarischen Verfahren (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar,
8. Auflage 2005, § 86 b Rn. 16 b, c).
In einem Anordnungsverfahren einstweilen zugesprochene Mittel werden in aller
Regel verbraucht und können, abgesehen von Ausnahmefällen, nach einer
etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im
9
10
11
12
13
14
15
etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren nicht mehr zurückgezahlt werden. Rein faktisch - wenn auch
nicht rechtlich - werden somit im Eilverfahren regelmäßig vollendete Tatsachen
geschaffen; daher muss die Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs auf die begehrte
Leistung sehr hoch sein.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antragsteller weder einen
Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft machen
können.
Hinsichtlich der Regelleistung für die Zeit vom 27.09.2006 bis zum 30.09.2006
fehlt es an einem Anordnungsgrund. Die Antragsgegnerin hat die Leistung mit
Bescheid vom 30.01.2007 abgelehnt, da der Antragsteller anders als ab dem
01.10.2006 bis zum 06.10.2006 über hinreichendes Einkommen verfügte, um
seinen Lebensunterhalt sicher zu stellen. Da das einstweilige Anordnungsverfahren
lediglich dazu dient, eine gegenwärtige Notsituation zu beseitigen, können
vergangene Leistungszeiträume wie hier grundsätzlich mangels Eilbedürftigkeit
nicht Gegenstand eines Eilverfahrens sein.
Auch hinsichtlich der Mietkaution ist bereits zweifelhaft, ob die erforderliche
Eilbedürftigkeit vorliegt. Zwar trägt der Antragsteller nachweislich der
eingereichten Darlehensvereinbarung vom 31.08.2006 vor, monatlich 30,00 € an
Frau C. H. zur Rückzahlung der von Frau H. ausgezahlten Mietkaution in Höhe von
550,00 € begleichen zu müssen. Es ist allerdings anzumerken, dass dem
Antragsteller diese Begleichung in den letzten Monaten offensichtlich auch möglich
war. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch eine Übernahme der Mietkaution
durch den Sozialhilfeträger lediglich darlehensweise erfolgt. Zwar wird in einem
solchen Fall von einer monatlichen ratenweise Zurückbehaltung der
Sozialhilfeleistungen abgesehen und vielmehr eine Abtretung des Anspruchs auf
Rückzahlung der Mietkaution vereinbart. Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass
eine solche vergleichbare Abtretungsvereinbarung nicht auch zwischen Frau H.
und dem Antragsteller getroffen werden könnte.
Ungeachtet dieser Zweifel an dem Anordnungsgrund hat der Antragsteller keinen
Anspruch auf Übernahme der Mietkaution durch die Antragsgegnerin glaubhaft
gemacht.
Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 7 und 8 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) können
Wohnungsbeschaffungskosten und Mietkautionen bei vorheriger Zustimmung
übernommen werden. Eine Zustimmung soll erteilt werden, wenn der Umzug
durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen
notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem
angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.
Zum einen ist anzumerken, dass einer vorläufigen Entscheidung durch das Gericht
bereits eine ablehnende bestandskräftige Entscheidung der Antragsgegnerin
entgegensteht. Den Antrag des Antragstellers durch seine Prozessbevollmächtigte
vom 10.07.2006 hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 01.08.2006 abgelehnt.
Der Bescheid enthält eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. Da kein
fristgerechter Widerspruch eingelegt worden ist, ist dieser Bescheid
bestandskräftig und lässt für eine vorläufige Eilentscheidung durch das Gericht
keinen Raum mehr.
Darüber hinaus besteht vor dem Hintergrund der sich auf den Grundsatz der
Gegenwärtigkeit der Sozialhilfeleistungen beruhenden Regelung der örtlichen
Zuständigkeit kein materiell rechtlicher Anspruch des Antragstellers gegen die
Antragsgegnerin.
Der Antragsgegner wandte sich erstmals am 27.09.2006 an die
Arbeitsgemeinschaft der Hansestadt Lübeck. Diesen Zeitpunkt rechnet sich die
Antragsgegnerin gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)
zu. Den Mietvertrag hatte der Antragsteller jedoch bereits am 12.09.2006 mit
Beginn des Mietverhältnisses zum 01.10.2006 unterschrieben. Laut Bestätigung
von Frau C. H. vom 31.08.2006 übernahm diese zu diesem Zeitpunkt „leihweise“
die Mietkaution des Antragstellers. Der vom Antragsteller eingereichte
Überweisungsträger bestätigt eine Überweisung der Mietkaution an die
Vermieterin am 12.09.2006. Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist der
Sozialhilfeträger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die
Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Im Zeitpunkt der Überweisung der
Mietkaution und damit des bestehenden gegenwärtigen Bedarfes hielt sich der
17
18
19
20
Mietkaution und damit des bestehenden gegenwärtigen Bedarfes hielt sich der
Antragsteller noch in L. auf. Ferner wird vertreten, dass bei Umzugskosten
grundsätzlich der Träger des Wegzugsortes für die entstehenden Auslagen
zuständig ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht vom 05.03.1998, Az.: 5 C 12/97, in
FEVS 48, 433). Erst ab dem Umzug soll dann der für den neuen Aufenthaltsort
zuständige Sozialhilfeträger zuständig sein (vgl. Falterbaum, in: Hauck/Noftz SGB
XII-Kommentar, § 29 RdNr. 24). Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung,
dass bei Mietkautionen hinsichtlich der Zuständigkeit des Leistungsträgers auf die
Fälligkeit der Kaution abzustellen ist, besteht kein Anspruch gegen die
Antragsgegnerin. Zwar ist § 4 des Mietvertrages vom 12.09.2006 mit der W. W.
GmbH nicht zu entnehmen, wann die Mietkaution in Höhe von 555,00 € fällig wird.
Die frühzeitige Zahlung durch den Antragsteller spricht jedoch dafür, dass die
Vermieterin bereits vor Einzug die Mietkaution mit der Folge verlangte, dass die
örtliche Zuständigkeit in L. bestand.
Schließlich bestehen die bereits beim erforderlichen Anordnungsgrund diskutierten
Zweifel an einer gegenwärtigen Bedarfslage. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf
den Selbsthilfegrundsatz nach § 2 Abs. 1 SGB XII. Sozialhilfe erhält danach nicht,
wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und
seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistungen von
anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen erhält. Dem Antragsteller ist es zuzumuten und anzuraten, sich
darum zu bemühen, die monatliche Ratenzahlung im Rahmen einer
Abtretungsvereinbarung mit Frau H. hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs der
Mietkaution einzustellen.
Nach alledem hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach der
Abhilfe der Antragsgegnerin hinsichtlich des Leistungsbeginns sowie der
Erstausstattung der Wohnung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1
SGG. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass die Abhilfe durch die Antragsgegnerin
hinsichtlich der Erstausstattung erst mit Bescheid vom 30.01.2007 und damit nach
Antragstellung bei Gericht erfolgte.
Da nach der umgehenden Abhilfe durch die Antragsgegnerin die weitere
Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg mehr hatte, war der Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe ungeachtet der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, vgl. § 73 a SGG i. V.
m. § 114 ZPO.