Urteil des SozG Lübeck vom 18.12.2008

SozG Lübeck: aufwand, gebühr, ermessen, direktor, bestätigung, nummer, unterkunftskosten, hauptsache

Sozialgericht Lübeck
Beschluss vom 18.12.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 29 AS 638/07 | S 1 SK 29/08
Die Erinnerung wird zurückgewiesen. Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache war die Übernahme der Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe streitig. Der Klage vom 11. Juli
2007 half die Beklagte durch Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2007 ab. Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007
nahm die Klägerin das Anerkenntnis an. Angesichts des Kostengrundanerkenntnisses erklärte sich die Beklagte mit
Schriftsatz vom 14. Dezember 2007 bereit, die Kosten in folgender Höhe zu übernehmen:
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG 250,00 EUR Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG 20,00 EUR Pauschale
gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR insges. einschließlich Umsatzsteuer 345,10 EUR
Unter dem 27. Dezember 2007 hat die Klägerin die Festsetzung der Kosten in folgender Höhe bei dem Sozialgericht
Lübeck beantragt:
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG 200,00 EUR insges. einschließlich Umsatzsteuer 238,00 EUR
Mit Beschluss vom 27. Februar 2008 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Kosten wie folgt festgesetzt:
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG 100,00 EUR einschließlich Umsatzsteuer 119,00 EUR
Zur Begründung der Absenkung der Terminsgebühr wurde ausgeführt, um den Umstand, dass der Anwalt einen
geringeren Aufwand gehabt habe, der insbesondere dadurch entstanden sei, dass er nicht zum Termin habe anreisen
müssen, werde die Hälfte der Mittelgebühr in Höhe von 100,00 EUR für angemessen und ausreichend erachtet.
Dagegen richtet sich die am 26. März 2008 bei dem Sozialgericht Lübeck eingelegte Er-innerung. Der
Erinnerungsführer macht geltend, die beantragte Festsetzung der Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr sei nicht
unbillig. Ebenso wie bei der Terminsgebühr richte sich deren Höhe nach der Schwierigkeit, Umfang der Tätigkeit usw.
Die fehlende Anreise zum Termin und das Ausbleiben der Verhandlung dürfe mithin bei der Festsetzung der Gebühren
nicht berücksichtigt werden.
Der Erinnerungsführer beantragt nach Lage der Akten,
die Terminsgebühr antragsgemäß festzusetzen.
Die Erinnerungsgegnerin beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Sie wendet ein, gehe einer mündlichen Verhandlung ein zuvor erklärtes Anerkenntnis voraus, sei die Wahrnehmung
eines (fiktiven) Termins für den Rechtsanwalt nicht mit besonderem Aufwand oder besonderen Schwierigkeiten
verbunden. Die anwaltliche Tätigkeit beschränke sich im Termin vielmehr auf die Annahmeerklärung und dürfte nur
wenige Minuten beanspruchen. Eine inhaltliche Vorbereitung und Auseinandersetzung mit materiellen Rechtsfragen
wäre nicht erforderlich gewesen. Deshalb erscheine eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR bei einem mit 20,00 EUR
beginnenden Gebührenrahmen für ausreichend hoch bemessen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abzuhelfen vermocht.
II.
Die Erinnerung ist zulässig, jedoch unbegründet. Denn die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die fiktive
Terminsgebühr zutreffend in Höhe der halben Mittelgebühr mit 100,00 EUR festgesetzt.
Bei Rahmengebühr, die in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz
nicht anzuwenden ist, entstehen (§ 3 Abs. 1 RVG), bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem
Ermessen. Dabei ist der Wortlaut des "billigen" Ermessens unglücklich gewählt, vielmehr hat der Anwalt ein
pflichtgemäßes Ermessen auszuüben. Nach der Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG fällt eine Terminsgebühr in Verfahren vor den
Sozialgerichten, in denen Beitragsrahmengebühren entstehen, auch dann an, wenn das Verfahren nach
angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Der Gebührenrahmen beträgt auch in diesem Fall
20,- bis 380,- EUR.
Auch bei einem angenommenen Anerkenntnis hat der Normgeber den genannten Gebührenrahmen eröffnet. Er hat
dabei nicht angeordnet, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen nur die Annahme einer Mindestgebühr (oder einer
geringfügig erhöhten Mindestgebühr) gerechtfertigt sei (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3.
November 2008 L 7 B 289/07 AS). Vielmehr sind auch bei der Terminsgebühr die Kriterien des § 14 RVG zu prüfen,
jedoch fiktiv, weil keine Verhandlung stattgefunden hat (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss
vom 28. April 2008 (L 1 SK 11/07); Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Juli 2008 - L 1
B 127/08 SK). Die Kriterien des § 14 RVG sind mithin auch bei einer fiktiven Terminsgebühr so zu prüfen, als hätte
real eine Verhandlung stattgefunden, so dass der hypothetische Aufwand des Anwalts zu ermitteln ist. Diese
hypothetische Ermittlung darf jedoch nicht den tatsächlichen Stand des Verfahrens vernachlässigen. Die Prüfung der
hypothetischen Dauer einer mündlichen Verhandlung muss deshalb berücksichtigen, dass ein Anerkenntnis der
Beklagten bzw. Erinnerungsgegnerin vorliegt. In einem derartigen Fall hätte ein streitiger Verhandlungstermin auch
hypothetisch nicht mehr stattfinden können. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Anwalt das Anerkenntnis dann
im Termin angenommen hätte, die Verhandlung also sehr kurz gewesen wäre. Eine Mittelgebühr bei einer
stattgefundenen Verhandlung nach der Nummer 3106 VV RVG fällt erst dann an, wenn es sich um eine
durchschnittliche Verhandlung von durchschnittlicher Schwierigkeit und durchschnittlicher Dauer gehandelt hat
(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. September 2006, L 1 B 320/05 SF SK). Nach den
in jenem Verfahren durchgeführten empirischen Untersuchungen kann in einem erstinstanzlichen Verfahren eine
durchschnittliche Terminslänge von 50 Minuten zugrunde gelegt werden. Rechtfertigt sich jedoch die Mittelgebühr erst
bei einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer von etwa 50 Minuten, so kann bei einer Dauer von 25 Minuten die
halbe Mittelgebühr anfallen, sofern keine weiteren Umstände im Einzelfall, die eine Erhöhung rechtfertigen, vorliegen.
Eine Verhandlung, in der vom Erinnerungsführer lediglich das bereits vorliegende Anerkenntnis angenommen worden
wäre, hätte keinesfalls länger als 25 Minuten gedauert, so dass die festgesetzte halbe Mittelgebühr rechtlich nicht zu
beanstanden ist.
Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Beschlüssen des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (am
angegebenen Ort), denn dort handelte es sich zum einen um einen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Nr.
3106 VV RVG Nr. 1) bzw. um eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid (Nr. 3106 VV RVG Nr. 2).
Letztlich ist mithin festzuhalten, dass grundsätzlich auch bei einer fiktiven Terminsgebühr die hypothetische Dauer
der Verhandlung bei der Festsetzung der Gebühr zugrunde zu legen ist. Rechtlich relevant dürfte dieser Maßstab
jedoch allein bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bzw. durch Gerichtsbescheid sein, da bei einem
angenommenen Anerkenntnis keine Verhandlungsdauer von mehr als 25 Minuten denkbar ist.
Insoweit vermag die Kammer dem Beschluss des Landessozialgerichts Essen vom 3. November 2008 – L 7 B 289/07
AS – nicht zu folgen. Wenn dort zunächst argumentiert wird, dass bei der Annahme des Anerkenntnisses nach Nr.
3106 VV-RVG Nr. 3 nicht die Mindestgebühr oder die geringfügig erhöhte Mindestgebühr gerechtfertigt sei und alle
Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen, so vermag die Bestätigung der festgesetzten Mittelgebühr
bei einem angenommenen Anerkenntnis nicht zu überzeugen.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).
Klingauf Direktor des Sozialgerichts