Urteil des SozG Lübeck vom 14.03.2017

SozG Lübeck: stationäre behandlung, psychiatrische behandlung, psychisch kranker, rehabilitation, gutachter, klinik, zeugenaussage, krankheit, krankenkasse, pflegepersonal

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Gericht:
SG Lübeck 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 1 KR 485/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 54 Abs 5 SGG, § 39 SGB 5, §
109 Abs 4 SGB 5, § 107 Abs 2
SGB 5
Abgrenzung zwischen
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit und stationärer
medizinischer Rehabilitation bei psychischer Erkrankung
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.469,39 € nebst 2 % Zinsen oberhalb
des Basiszinssatzes der EZB seit dem 07.01.2003 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die
Gerichtskosten.
Der Streitwert wird auf 2.469,39 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Vergütung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung.
In der Klinik der Klägerin wurde im Zeitraum vom 02. Januar bis zum 06. März 2002
die bei der Beklagten krankenversicherte Patientin D. M., geb. am ...1980,
vollstationär behandelt. Der die Patientin behandelnde Arzt für Psychiatrie Dr. E.
hatte eine vollstationäre Krankenhausbehandlung am 05. Dezember 2001 wegen
einer akuten psychischen Dekompensation verordnet. Zunächst wurde die
Patientin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums
Lübeck vom 18. Dezember bis zum 27. Dezember 2001 vollstationär behandelt.
Die dortigen Diagnosen im Entlassungsbericht vom 15. Januar 2002 lauteten:
Anpassungsstörung (F43.2) sowie Verdacht auf emotional instabile
Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ (F60.31). Die dortige Behandlung
wurde mit dem Hinweis auf eine geplante stationäre Psychotherapie am 02. Januar
2002 beendet.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Patientin von der Klägerin zur vollstationären
Behandlung aufgenommen. Die Aufnahmediagnosen lauteten: Affektive
Störungen, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode.
Die Beklagte ließ nach der Anzeige der Aufnahme ein Gutachten des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Schleswig-Holstein
fertigen (11. Januar 2002). Der Gutachter Dr. B. empfahl eine Kostenübernahme
für die Dauer von sechs Wochen, mithin bis zum 12. Februar 2002. Nach einer
Verlängerungsanzeige der Klägerin vom 24. Januar 2002 ließ die Beklagte ein
weiteres Gutachten des MDK fertigen (30. Januar 2002). Der Gutachter führte aus,
die Notwendigkeit der stationären Behandlung bis zum 06. März 2002 könne
empfohlen werden. Eine medizinisch zwingende Notwendigkeit für eine akut
stationäre Krankenhausbehandlung gehe jedoch aus den Unterlagen nicht
zwingend hervor. Insoweit wurde eine Kostenübernahme nach § 40 SGB V bis zum
06. März 2002 empfohlen.
Mit Schreiben vom 04. Februar 2002 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin
eine weitere Kostenübernahme über den 12. Februar 2002 hinaus ab. Nach einem
weiteren Verlängerungsantrag der Klägerin vom 25. Februar 2002 ließ die Beklagte
erneut ein Gutachten des MDK fertigen (14. März 2002). Der mit allen drei
Gutachten beauftragte Dr. B. führte nunmehr aus, bei der Behandlung in dem
Zeitraum vom 13. Februar bis zum 06. März 2002 „scheinen rehabilitative Aspekte
im Vordergrund zu stehen“. Die Beklagte lehnte daraufhin erneut eine
Kostenübernahme über den 12. Februar 2002 hinaus mit Schreiben vom 18. März
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Kostenübernahme über den 12. Februar 2002 hinaus mit Schreiben vom 18. März
2002 ab. Dagegen erhob die Klägerin am 21. März 2002 „Widerspruch“ und
mahnte den ausstehenden Betrag für den Zeitraum vom 13. Februar bis 05. März
2002 in Höhe von 2.469,39 € am 19. Mai 2003 zur Zahlung an.
Mit der am 04. Februar 2004 bei dem Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage
begehrt die Klägerin die Zahlung dieses Betrages nebst 2 % Zinsen oberhalb des
Basiszinssatzes der EZB seit dem 07. Januar 2003. Zur Begründung führte sie aus,
nach Auffassung des behandelnden Krankenhausarztes sei die Patientin über den
gesamten Zeitraum vollstationär krankenhausbehandlungsbedürftig gewesen. In
der Zeit des Klinikaufenthaltes sei am 28. Januar 2002 ein Termin vor einem
Gericht zu bewältigen gewesen, zu dem die Patientin als Zeugin in einem
Missbrauchsverfahren geladen worden sei. Bereits die erste Verhandlung habe bei
ihr zu einer schweren depressiven Krise und Reaktivierung alter Traumatisierungen
geführt. Die Patientin habe sich nur deshalb in der Lage gesehen, den
Gerichtstermin wahrzunehmen, weil ihr die stationäre Behandlung Sicherheit
geboten habe und Probleme durch ärztliche Präsenz aufgefangen werden konnten.
Sie sei auch zum Gerichtstermin begleitet worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.469,39 € nebst 2 % Zinsen über dem
Basiszinssatz der EZB seit dem 07.01.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass sie nur befristet bis zum 12. Februar 2002 eine
Kostenübernahmeerklärung abgegeben habe und die beiden
Verlängerungsanträge negativ beschieden worden seien. Im anschließenden
Zeitraum bis zum 06. März 2002 hätten rehabilitative Aspekte im Vordergrund
gestanden, so dass grundsätzlich eine Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten eines
anderen Kostenträgers durchzuführen gewesen sei.
Auch wenn der Gerichtstermin am 28. Januar 2002 eine besondere Belastung für
die Patientin bedeutet habe, so müsste diese doch spätestens am 12. Februar
2002 als abgeschlossen gelten.
Die Kammer hat zur Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten des Arztes für
Neurologie Dr. P. (11. April 2007) eingeholt. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 34 bis
54 der Gerichtsakte verwiesen.
Die Klägerin hat dem Gutachten nicht zu folgen vermocht und ausgeführt, der
tatsächliche Krankenstand der Patientin sei nicht zutreffend wiedergegeben
worden. Die Patientin habe bis zum Entlassungstag eine durchgehende
regelmäßige tiefenpsychologisch fundierte Einzel- und Gruppentherapie erhalten
und sei zusätzlich in der physiotherapeutischen Abteilung behandelt worden. Sie
sei auch regelmäßig ärztlich visitiert worden, habe daneben regelmäßig am
autogenen Training und an der Gymnastik teilgenommen. Zu berücksichtigen sei
ferner, dass sie latent suizidal gewesen und auf die tragfähige Beziehung zur
Therapeutin mit der Möglichkeit der täglichen Ansprache angewiesen gewesen sei.
Auch der MDK-Gutachter habe eine stationäre Behandlung bis zum 06. März 2002
für gerechtfertigt gehalten. Es muss auch berücksichtigt werden, dass eine
Verlegung in eine Rehabilitationsklinik einen Wechsel der therapeutischen
Bezugsperson mit sich gebracht hätte. Allein dieses hätte bei der Patientin zu
einer Destabilisierung geführt. Es sei dringend erforderlich gewesen, dass die
Beziehung der Patientin zur Therapeutin erhalten bleiben konnte. Die Klägerin hat
beantragt, den die Patientin behandelnden Arzt Dr. W. als Zeugen zu vernehmen.
Der Gerichtsgutachter hat unter dem 23. Juni 2007 eine ergänzende
Stellungnahme vorgelegt und ist bei seiner bisherigen Auffassung geblieben. Im
Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2007 hat die Kammer den
benannten Zeugen befragt. Der Zeuge hat - wie aus der Sitzungsniederschrift
ersichtlich - geäußert (Blatt 87 bis 89 der Gerichtsakte). Die die Klägerin
betreffende Verwaltungsakte und die Patientin betreffende Krankenakte haben
vorgelegen. Darauf wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des
Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zulässig. Denn es geht bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten eines
Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine
Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis,
in dem eine Regelung durch einen Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE
86, 166, 167 ff.; BSGE 90, 1 ff.). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen,
die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.
Mit der Behauptung, es habe sich - obwohl die Behandlungen in einer lediglich als
Krankenhaus zugelassenen Einrichtung stattgefunden hat - nicht um eine
Krankenhausbehandlung, sondern um eine Reha-Maßnahme gehandelt, macht die
Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht wegen einer sogenannten Aliud-
Leistung geltend, wie es im zivilrechtlichen Schuldverhältnis bekannt ist (vgl. § 434
Abs. 3 BGB; dazu Palandt-Putzo, bürgerliches Gesetzbuch, 64. Aufl. 2005, § 434
Rn. 52).
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist §
109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. mit der
entsprechenden Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2002. Die
Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer
Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den
Versicherten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser im Sinne
des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf
der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und nach Maßgabe der
Bundespflegesatzverordnung (BPflV) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen
Krankenkasse und Krankenhausträgern festgelegt wird (BSGE 86, 166, 168; BSGE
90, 1, 2).
Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert mit dem Anspruch des
Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Dem gemäß müssen beim
Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen, wobei unter
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Krankheitszustand zu verstehen ist,
dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses
erforderlich macht. Neben der Krankenbehandlung, die bereits notwendig ist, wenn
es gilt, die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu lindern, verlangt eine Behandlung mit den besonderen
Mitteln des Krankenhauses nach § 39 SGB V die medizinische Notwendigkeit eines
besonders qualifizierten Pflegepersonals, die besondere apparative Ausstattung
und insbesondere die intensive Behandlung und jederzeitige Präsenz bzw.
Rufbereitschaft qualifizierter Ärzte. Es wird allerdings für die Notwendigkeit einer
Krankenhausbehandlung weder der Einsatz aller dieser Mittel gefordert noch stets
als ausreichend angesehen (BSGE 59,116,117; BSGE 83,254,259).
Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht
auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten
einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt
(Höfler in Kasseler Kommentar: SGB V, § 39 RdNr 15 ). Bei einer psychiatrischen
Krankenhausbehandlung kann der Einsatz einer bestimmten apparativen
Ausstattung in den Hintergrund treten und der notwendige persönliche Einsatz von
Ärzten, nichtärztlichen Fach- und Hilfskräften der unterschiedlichsten
Therapierichtungen und Pflegekräften die Notwendigkeit eine stationären
Behandlung begründen (BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 Az. B 3 KR 18/03 R in SozR
4-2500 § 39 Nr. 2). Andererseits genügt es nicht, wenn nur in gelegentlichen
Ausnahmesituationen, z. B. beim Auftreten von Erregungszuständen psychisch
Kranker die sofortige Hinzuziehung eines Arztes notwendig ist, weil in derartigen
Fällen zumeist ambulante Notarztdienst gerufen werden kann (BSG SozR 2200 §
184 Nr. 28, Seite 43 f; Urteil des Landessozialgerichts für das Land Niedersachsen
vom 26. Januar 2000 Az: L 4 KR 105/98).
Die Abgrenzung zwischen einer vollstationären Krankenhausbehandlung und
stationärer medizinischer Rehabilitation ist vor allem im Bereich der
psychotherapeutischen Medizin schwierig, weil Rehabilitationseinrichtung und
Krankenhaus sich darin decken, dass beide auf die Behandlung von Krankheiten
und die Beseitigung ihrer Folgen beim Betroffenen gerichtet sind. Deshalb kann
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und die Beseitigung ihrer Folgen beim Betroffenen gerichtet sind. Deshalb kann
eine Unterscheidung im Wesentlichen nur nach der Art der Einrichtung, den
Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung getroffen werden, die
sich auch in der Organisation der Einrichtung widerspiegeln (BSG, SozR 3-2500, §
107 Nr. 1).
Anhaltspunkte für die Differenzierung sind in dem Gesetz enthalten. Gemäß § 107
Abs. 2 Nr. 1 a und b SGB V sind Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen im
Sinne dieses Gesetzbuches Einrichtungen, die der stationären Behandlung der
Patienten dienen, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit
voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder einer
Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegen zu wirken
(Vorsorge) oder eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankhausbehandlung
den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem
Ziel, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu
beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation), wobei Leistungen der aktivierenden Pflege
nicht von den Krankenkassen übernommen werden dürfen.
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen sind auch Einrichtungen, die der
stationären Behandlung der Patienten dienen, um fachlich medizinisch unter
ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders
geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der
Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung
von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie,
Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere
geeignete Hilfen auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern
und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu
helfen (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V).
Krankenhäuser sind demgegenüber Einrichtungen, die der
Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich medizinisch unter
ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag
entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und
nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, mit Hilfe von jederzeit
verfügbarem ärztlichen, pflege-, funktions- und medizinisch-technischem Personal
darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung
Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten (§ 107
Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB V). Die Rechtsprechung hat u. a. daraus als besondere
Mittel des Krankenhauses auf eine apparative Mindestausstattung, ein geschultes
Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten bzw. rufbereiten Arzt geschlossen
(BSGE, Urteil vom 20.01.2005, B 3 KR 9/03 R m.w.N.). Dabei ist jedoch im Hinblick
auf das Merkmal „Krankenhausbehandlung“ weder der Einsatz aller dieser Mittel
gefordert noch stets als ausreichend angesehen worden. Regelmäßig ist eine
Gesamtschau unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles
erforderlich, die jedoch nur nach objektiven Merkmalen und Kriterien erfolgen kann
(BSGE 81, 189, 193). Bei einer psychiatrischen Erkrankung kann der Einsatz von
krankenhausspezifischen Geräten in den Hintergrund treten und allein der
notwendige Einsatz von Ärzten, therapeutischen Hilfskräften oder Pflegepersonal
sowie die Art der Medikation die Notwendigkeit einer stationären Behandlung
begründen (BSG 92, 300, 305).
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze und unter Auswertung des
eingeholten Gerichtsgutachtens einerseits sowie der Zeugenaussage andererseits
ist zur Überzeugung der Kammer festzustellen, dass auch in dem Zeitraum vom
13. Februar bis zum 05. März 2002 eine medizinische Notwendigkeit für eine
vollstationäre Krankenhausbehandlung vorgelegen hat und diese auch tatsächlich
durchgeführt worden ist. Zwar hat der medizinische Sachverständige ausgeführt,
dass nach Aktenlage nichts dagegen spricht, dass die Behandlung in dem
streitgegenständlichen Zeitraum auch unter teilstationären Bedingungen hätte
erfolgen können. Der Sachverständige hat jedoch in seiner Ergänzung vom 23. Juni
2007 deutlich gemacht, dass er nach den ihm gestellten Beweisfragen sich nicht
aufgerufen gefühlt hat, die Frage zu beantworten, ob eine stationäre
Behandlungsbedürftigkeit in einem Akutkrankenhaus oder in einer
Rehabilitationseinrichtung vorgelegen hat. Insoweit widerspricht die Einschätzung
des Gerichtsgutachters nicht der Feststellung der Kammer, dies auch deshalb, weil
dem Sachverständigen die Aussagen des Zeugen nicht bekannt waren.
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Zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Beweisführung über die
medizinische Notwendigkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung und
deren Dauer nicht allein über die Auswertung der Krankenakten durch einen
Gerichtssachverständigen möglich ist sondern auch über die Anhörung des
behandelnden bzw. verantwortlichen Arztes geführt werden kann. Denn selbst die
Tatsache, dass Krankenakten als lückenhaft und nicht aussagekräftig bewertet
worden sind, ändert hieran nichts. Maßgeblich ist allein der tatsächliche
Geschehensablauf und nicht seine Dokumentation: Eine Krankenhausbehandlung
kann nicht durch lückenhafte bzw. nicht aussagekräftige Krankenakten zu einer
medizinischen Rehabilitation werden ( BSG, Urteil vom 20. Januar 2005, B 3 KR
9/03 R, S. 12 ).
Zur Überzeugung der Kammer ist die Beweisführung der stationären
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Klägerin im vorliegenden Fall gelungen.
Sie hält die Aussagen des Zeugen für glaubhaft und den Zeugen für glaubwürdig.
Danach ist davon auszugehen, dass aufgrund der Notwendigkeit der täglichen
Anwesenheit der Psychotherapeutin und der übrigen Mitglieder des Teams zur
Erreichung eines inneren Wachstums und einer Stabilität die stationäre
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit auch über den 12. Februar 2002 und bis
zum 05. März 2002 vorgelegen hat. Schon die auch in diesem Zeitraum zu
beobachtenden Selbstverletzungen der Patientin erforderten die besonderen
Mittel des Krankenhauses und ein geschultes Pflegepersonal sowie einen jederzeit
präsenten bzw. rufbereiten Arzt. Diese Selbstverletzungen als Folge einer latenten
Suizidalität wären mit einer medizinischen Rehabilitation nicht zu begegnen
gewesen, auch wenn nach der Aussage des Zeugen sich die Patientin nicht derart
gravierend verletzte („geritzt“) wie in der ersten Phase der Behandlung
(„geschlitzt“). Auf diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung des
Gerichtssachverständigen, die Behandlung habe auch unter teilstationären
Bedingungen erfolgen können, als zwar übereinstimmend mit der Aktenlage,
jedoch nicht übereinstimmend mit den tatsächlichen Verhältnissen der
vollstationären Behandlung. Die von dem Zeugen geschilderte therapeutische
Gemeinschaft mit der Möglichkeit eines ständigen Austausches zwischen der
Patientin, dem therapeutischen Personal und der Psychotherapeutin war nur unter
vollstationären Bedingungen möglich.
Diese Beurteilung stimmt insoweit mit der Einschätzung des MDK überein, als
auch Dr. B. eine vollstationäre Behandlung über den 12. Februar 2002 bis zum 06.
März 2002 für erforderlich gehalten hat. Seine Einschätzung in dem letzten MDK-
Gutachten vom 18. März 2002, „bei dargelegter Notwendigkeit einer stationären
Behandlung darüber hinaus bis 06. März 2002 scheinen diesbezüglich
rehabilitative Aspekte im Vordergrund zu stehen …“, beinhaltet eher eine
Mutmaßung als eine Feststellung. Zur Auffassung der Kammer steht jedenfalls die
Einschätzung von Dr. B. nicht in direktem Widerspruch zu der Aussage des
Zeugen. Zu berücksichtigen ist auch, dass Dr. B. in seinem Gutachten vom 30.
Januar 2002 sogar noch davon ausgegangen ist, dass ggf. eine stationäre
Behandlung - allerdings nach § 40 SGB V - über den 06. März 2002 hinaus für
erforderlich erachtet werden könnte. Dr. B. hat auch stets seine Einschätzung auf
die ihm vorliegenden Unterlagen gestützt und daraus hergeleitet, auch über den
12. Februar 2002 bis zum 06. März 2002 könne nach den vorliegenden Unterlagen
die Notwendigkeit der Fortführung einer stationären Behandlung empfohlen
werden (Gutachten vom 30.01.2002). Auch dieses Gutachten enthält die
Einschränkung, dass aus den vorliegenden Unterlagen die medizinisch zwingende
Notwendigkeit für eine akut stationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V
mit den besonderen Mitteln einer Klinik nicht zwingend hervorgehe. „Allein das
Bevorstehen einer angstbesetzten und ggf. auch traumatisch erlebten Situation
rechtfertige nicht von vornherein eine akut stationäre Krankenhausbehandlung“.
Auch diese Einschätzung von Dr. B. beinhaltet einige Unsicherheiten (zwingend,
von vornherein). Geht man weiterhin von einem jedem Gutachter zustehenden
Ermessensspielraum aus, so vermochte die Kammer auch aus diesen
Feststellungen keine direkten Widersprüche zu den Einlassungen des Zeugen zu
erkennen.
Zwar befindet sich der Zeuge als Chefarzt der Klinik in unmittelbarer Nähe zur
Klägerin, allein dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des
Zeugen in Zweifel zu ziehen. Dies insbesondere deshalb nicht, weil es mittlerweile
immer noch ungeklärt ist, ob sich ein Gericht im Streitfall mit den Äußerungen der
behandelnden Krankenhausärzte zur Notwendigkeit der stationären Behandlung
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behandelnden Krankenhausärzte zur Notwendigkeit der stationären Behandlung
zufrieden geben darf und diese nur auf bloße Vertretbarkeit hin kontrollieren darf (
subjektive Betrachtung ) oder ob der Leistungsanspruch des Versicherten auf
Krankenhausbehandlung bereits dann ausgeschlossen ist, wenn die Krankheit bei
abstrakter Betrachtung anders als stationär im Krankenhaus hätte behandelt
werden können ( Rspr. des 1. Senats des BSG, z.B. Urteil vom 16. Februar 2005, B
1 KR 18/03 R). Der klarstellende Beschluss des Großen Senats nach
Vorlagebeschluss des 1. Senats des Bundessozialgerichts (B 1 KR 32/04 R) vom
07. November 2006 liegt noch nicht vor.
Nach der Auffassung des 3. Senats des BSG, die die Kammer für überzeugend
hält, muss die Prognose des Krankenhausarztes, dass eine - weitere -
psychiatrische Behandlung im Krankenhaus notwendig ist, von der Krankenkasse
hingenommen werden, sofern sie vertretbar ist, weil der Arzt auch die volle
strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortung für seine Entscheidung trägt. Die
Entscheidung des Krankenhausarztes ist daher stets aus seiner
vorausschauenden Sicht unter Zugrundelegung der im Entscheidungszeitpunkt
bekannten ( oder auch nur erkennbaren ) Umstände zu beurteilen. Diese
Prognoseentscheidung , eine Krankenhausbehandlung sei weiterhin notwendig,
wäre nur dann nicht vertretbar, wenn sie im Widerspruch zur allgemeinen oder
besonderen ärztlichen Erfahrung steht oder medizinische Standards verletzt ( vgl.
z.B., BSG, Urteil vom 20. Januar 2005, B 3 KR 9/03 R ). Der Zeuge sowie die
behandelnde Ärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. Sippel haben in den
Verlängerungsanträgen vom 24. Januar und 11. Februar begründet die weitere
stationäre Krankenhausbehandlung der Patientin für dringend indiziert erachtet.
Einen Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung
vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Auch der medizinische
Sachverständige hat dies nicht festzustellen vermocht. Seine Auffassung, die
Behandlung über den 12. Februar hinaus bis zum 6. März 2002 hätte auch unter
teilstationären oder ggf. ambulanten Bedingungen erfolgen können, beinhaltet
keinen Widerspruch zur prognostischen Einschätzung des Krankenhausarztes,
allein die ex-post Betrachtung ist eine andere.
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass tatsächlich keine
stationäre Krankenhausbehandlung sondern eine Maßnahme zur Rehabilitation
durchgeführt wurde, denn diese Auffassung lässt sich weder aus der
Zeugenaussage noch aus dem - ergänzten - Sachverständigengutachten ableiten.
Der Gutachter hat sich - mangels Beweisthema - dieser Frage nicht zugewandt.
Die Beurteilung des MDK vermag ebenfalls keine Aliud-Leistung zu beweisen, denn
- wie ausgeführt - handelt es sich zum einen bei den Ausführungen von Dr. B. um
eine Einschätzung nach Aktenlage ohne Berücksichtigung der Zeugenaussage und
zum anderen kann nach der gewählten Formulierung eher von einer Mutmaßung
ausgegangen werden. Zur Überzeugung der Kammer ist jedenfalls nach der
Zeugenaussage von einer Krankenhausbehandlung auszugehen.
Nach allem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben. Der Zinsanspruch
resultiert aus der zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen
Pflegesatzvereinbarung für 2002 unter Zugrundelegung einer Zahlungsfrist von 14
Tagen nach Erhalt der Rechnung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert richtet sich nach der geltend gemachten Forderung, denn gemäß §
197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG ist bei einer Klage auf eine
bezifferte Geldleistung deren Höhe maßgebend. Die geltend gemachten Zinsen
waren gemäß § 43 Abs. 1 GKG nicht zu berücksichtigen.