Urteil des SozG Leipzig vom 09.06.2005

SozG Leipzig: versicherung, umlageverfahren, anstalten, satzung, arbeiter, krankenkasse, verein, eigenschaft, stadt, brd

Sozialgericht Leipzig
Urteil vom 09.06.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 8 KR 87/03
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Teilnahme an der Lohnfortzahlungs-Versicherung im Kalenderjahr 2003.
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der nach Satzungszweck ausschließlich gemein-nützige Zwecke verfolgt (§ 1
Abs. 2 , § 2 Abs. 1 der Satzung). Hierbei bediente er sich für Maßnahmen zur Erhaltung des ... in B ...Arbeitskräften
im Rahmen einer Arbeitsbe-schaffungsmaßnahme (ABM).
Durch Bescheid vom 06.06.2002 stellte das Finanzamt B ... den Kläger von der Körper-schafts- und Gewerbesteuer
frei.
Mit Schreiben vom 20.09.2002 wies die Beklagte darauf hin, dass für das Kalenderjahr 2003 nach einer
Grundsatzentscheidung der Beitragsreferenten des AOK-Bundesverbandes auch eingetragene Vereine und "ABM-
Firmen" an der Lohnfortzahlungs-Versicherung teilnähmen. Dass diese vorher nicht zum Umlageverfahren
herangezogen worden seien, beruhe auf "differenzierten Kommentierungen zu den Ausnahmevorschriften des § 18
Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG)". Unter dem 11.01.2003 teilte der Kläger mit, dass er am Umlageverfahren nicht
teilnehme, da er gemeinnützig und nicht betriebswirtschaftlich/gewinnorientiert tätig sei.
Durch Bescheid vom 15.01.2003 zog die Beklagte den Kläger ab 01.01.2003 zur Lohnfort-zahlungs-Versicherung
heran. Vereine seien "privatrechtliche Einrichtungen", die nicht an Tarifverträge von Bund, Ländern und Gemeinden
gebunden seien. Einzig die fehlende Gewinnerzielungsausrichtung spreche für das Vorliegen eines
Ausnahmetatbestandes.
Hiergegen legte der Kläger am 29.01.2003 Widerspruch ein. Vereine seien "keine privat-rechtlichen Einrichtungen",
sondern Körperschaften des öffentlichen Rechts (?). Er sei nicht auf Gewinnerzielung aus. Arbeitnehmer würden im
Rahmen von ABM beschäftigt. Die Bezahlung erfolge aus Mitteln der Bundesanstalt (jetzt: Bundesagentur) für Arbeit,
die demzufolge nicht vom Kläger selbst erwirtschaftet seien. Tariflöhne würden lediglich ge-zahlt, weil es sich um
ABM handele, sodass der Bundesmanteltarif der Gemeinden Ost (BMT-G-O) angewandt werde. Die AOK sei die
einzige Krankenkasse, die sie zum Umla-geverfahren heranziehe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie weise die
Rechtsposition des Klägers zurück, wonach die Gemeinnützigkeit und Be-schäftigung von ABM-Kräften eine
Teilnahme an der Lohnfortzahlungs-Versicherung aus-schließe. Da auch Beschäftigte im Rahmen von ABM
Arbeitnehmer mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung seien, müsse dieser Personenkreis bei Ermittlung der
Beschäftigtenzahl für die Teilnahme an der Lohnfortzahlungs-Versicherung berücksichtigt werden. Ein Aus-
nahmetatbestand nach § 18 LFZG liege nicht vor.
Der Kläger hat daraufhin am 27.05.2003 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Der Intention nach unterfalle er der
Ausnahmevorschrift des § 18 Ziffer 1 LFZG.
Er beantragt,
den Bescheid vom 15.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2003 aufzuheben und
festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Kläger zu Umlagen zur Lohnfortzahlungs-Versicherung
heranzuziehen.
Die Beklagte beantragt unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut des § 18 LFZG und ihre Bindung an den Beschluss
der Beitragsreferenten vom 04. und 05.06.2002,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie
ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage statthafte Klage ist zulässig (§§ 54, 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG); vgl. auch: Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage, § 54 Rdnr. 44).
Sie ist indes nicht begründet. Der Bescheid vom 15.01.2003 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 24.04.2003
ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht den Kläger zum Umlageverfahren der Lohnfortzahlungs-
Versicherung herangezogen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 LFZG erstatten die Ortskrankenkassen, die In-nungskrankenkassen, die
Bundesknappschaft und die See-Krankenkasse den Arbeitgebern, die in der Regel ausschließlich der zu ihrer
Berufsausbildung Beschäftigten nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, 80 v. H. des für den in § 1 Abs. 1 und 2
und den in § 7 Abs. 1 bezeichneten Zeitraumes an Arbeiter fortgezahlten Arbeitsentgelts und der nach § 12 Abs. 1 Nr.
2 Buchst. b des Berufsbildungsgesetzes an Auszubildende fortgezahlten Vergü-tung (Nr. 1), sowie der auf die
Arbeitsentgelte und Vergütungen nach den Nr. 1 und 3 ent-fallenden von den Arbeitgebern zu tragenden Beiträge zur
Bundesagentur für Arbeit und Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung (Nr.
4); in den Fällen der Nr. 4 i.V.m. Nr. 3 werden die Aufwendungen der Arbeitgeber abwei-chend vom 1. Halbsatz voll
erstattet. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Ar-beitgeberaufwendungen werden durch eine Umlage von
den am Ausgleich beteiligten Ar-beitgebern aufgebracht (§ 14 Abs. 1 LFZG).
Ausnahmsweise sind nach § 18 Nr. 1 LFZG die Vorschriften dieses Abschnittes nicht an-zuwenden auf den Bund, die
Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonsti-ge Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts sowie die Vereini-gungen, Einrichtungen und Unternehmungen, die hinsichtlich der für die Arbeiter
des Bundes, der Länder oder der Gemeinden geltenden Tarifverträge tarifgebunden sind und die Verbände von
Gemeinden, Gemeindeverbänden und kommunalen Unternehmen ein-schließlich deren Spitzenverbände.
Dieser Ausnahmetatbestand liegt indes nicht vor, sodass der Kläger zur Umlage heranzu-ziehen ist. In der
Rechtsform eines eingetragenen Vereins ist er keine "Vereinigung" im Sinne der Vorschrift. Aus dem sprachlichen
Zusammenhang mit dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie sonstiger
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ist ersichtlich, dass nur öffentlich-rechtliche Vereini-
gungen erfasst sein sollen, die einen organisatorischen Zusammenschluss auf Bundes-, Länder- oder Gemeindeebene
bilden, für die die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gelten. Daran fehlt es hier.
Für diese am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung spricht insbesondere die Ver-wendung des Wortes "sowie",
das einen Zusammenhang mit Körperschaften des öffentli-chen Rechts herstellt. Dieser Auslegung war auch das
Landessozialgerichtes (LSG) Nord-rhein-Westfalen gefolgt (vgl. Urteil vom 31.05.1979, Az.: L 16 Kr 173/77). Danach
wird der in § 18 LFZG normierte Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber vom Aus-gleichsverfahren allein
durch die Zugehörigkeit zum öffentlich-rechtlichen Bereich be-gründet, ohne dass es im Einzelfall darauf ankommt,
wer die Mittel der jeweiligen Einrich-tungen trägt.
Dass der privatrechtlich als Verein organisierte Kläger die im öffentlichen Interesse lie-gende Kulturarbeit der Stadt B
..., insbesondere im Jugendbereich, unterstützt (vgl. § 2 Abs. 1 der Satzung), sich nach Absatz 2 der Vorschrift
parteipolitisch neutral erklärt und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der "BRD" bekennt, und von der
Ge-meinde im Wesentlichen unterstützt wird, verleiht ihm darum noch keine öffentlich-rechtliche Eigenschaft.
Die Auslegung in der Kommentierung des § 18 LFZG von Geyer/Knorr/Krasney (LFZG-Kommentar, § 18 LFZG Rdnr.
4 EL 1/98 unter Berufung auf: Kai-ser/Dunkl/Hold/Kleinsorge § 18 LFZG Rdnr. 2), wonach die Ausnahmevorschrift,
über den öffentlichen Dienst im engeren Sinne hinausgehend, auch für solche privatrechtlichen Vereinigungen,
Einrichtungen und Unternehmungen gelte, die nicht selbst Vertragspartner der für die Arbeitnehmer des Bundes, der
Länder oder der Gemeinden geltenden Tarifver-träge seien, die aber die Geltung der genannten Tarifverträge für ihren
Bereich übernom-men haben, ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut mangels öffentlich-rechtlicher Trä-gerschaft
ausgeschlossen. Das Gericht ist auf Grund seiner Verpflichtung an Gesetz und Recht an den Wortlaut der Vorschrift
gebunden, wenngleich an der Sinnhaftigkeit dieser Bestimmung durchaus Zweifel bestehen. Denn die vorgenannte
Kommentierung weist zu Recht darauf hin, dass die Ausnahmeregelung für den Bund, die Länder sowie die meisten
Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts überflüssig zu sein scheint, weil diese Arbeitgeber
in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer haben. Bedeutung kann die Bestimmung mithin nur für kleine Gemeinden oder
für sonstige öffentliche Ar-beitgeber erlangen, die tatsächlich nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kam vorliegend auch keine Rechtsanalogie in Betracht, denn eine
Regelungslücke besteht nicht. Dass der Gesetzgeber – über den Wort-laut der Vorschrift hinaus – wegen des engen
Anwendungsbereiches der Norm diese auf weitere nichtöffentlich-rechtliche Vereinigungen erstrecken wollte, lässt
sich dem Gesetz nicht entnehmen. Auf Grund der Gesetzesfassung ist eine Erstreckung der Ausnahmevor-schrift auf
weitere Tatbestände ausgeschlossen, zumal Ausnahmevorschriften generell ei-ner extensiven Auslegung nicht
zugänglich sein dürften. Ist aber eine gesetzliche Regelung ersichtlich auf einen bestimmten Sachverhalt begrenzt,
verbietet sich ein Analogieschluss auf weitere Fälle.
Mithin bleibt auch die Tatsache unberücksichtigt, dass nach der Satzung der Kläger aus-schließlich gemeinnützige
Zwecke verfolgt (§ 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 und 2), ohne eigen-wirtschaftlichen Zwecken nachzugehen. Fehl geht
auch der Hinweis, wonach der Kläger vorrangig "ABM-Kräfte" beschäftige und nach geltendem Tarifvertrag mit Mitteln
der Bundesagentur für Arbeit bezahle. Zu Recht verweist die Beklagte insoweit auf Bestim-mungen des
Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG), das generell für Arbeitnehmer und damit auch für ABM-Kräfte gilt. Danach ist
eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorgese-hen, wenn diese wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit
verhindert sind, ihre Arbeits-leistung zu erbringen (§§ 1, 3 EFZG). Eine Unterscheidung danach, ob die tarifliche Ent-
lohnung aus eigenwirtschaftlich erzielten oder öffentlichen Mitteln erfolgt, wird von Ge-setzes wegen nicht getroffen,
sodass zu einer – über den Wortlaut hinausgehenden – An-wendung des § 18 Nr. 1 LFZG kein Raum mehr bleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).