Urteil des SozG Leipzig vom 03.08.2007

SozG Leipzig: schweigen des gesetzes, verwaltungsakt, behörde, verwaltungsverfahren, bekanntgabe, widerspruchsverfahren, rücknahme, post, rechtswidrigkeit, verfahrensmangel

Sozialgericht Leipzig
Gerichtsbescheid vom 03.08.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 8 AL 16/06
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Rechtsanwaltskosten.
Der am ...geborene Kläger beantragte am 05.04.2005 die Überprüfung auf Grund eines Teil-Anerkenntnisses vor dem
Sozialgericht Chemnitz vom 02.03.2005 (Az: S 18 AL 443/03) bei der Agentur für Arbeit Plauen hinsichtlich des
Bewilligungsbescheides von Arbeitslosengeld vom 14.03.2003.
Durch Bescheid vom 18.05.2005 nahm die Beklagte den Bescheid des Arbeitsamtes Halle über den Eintritt einer
Säumniszeit vom 09.01. bis 22.01.2003 zurück. Ab dem Tag der persönlichen Arbeitslosmeldung, d. h. ab
16.01.2003, bewilligte sie Arbeitslosengeld und zahlte bei einem täglichen Leistungssatz von 22,72 EUR insgesamt
159,04 EUR nach.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers legte daraufhin ihre Rechnung vom 26.07.2005 über insgesamt 301,60 EUR
vor.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.09.2005 eine Erstattung der Rechtsanwaltskosten ab.
Hiergegen legte der Kläger am 13.10.2005 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
18.11.2005, bei der Prozessbevollmächtigten eingegangen am 22.11.2005, zurückwies. Der Widerspruch sei
verfristet, weil der Bescheid bereits am 09.09.2005 zur Post aufgegeben und damit spätestens am 12.10.2005 hätte
Widerspruch eingelegt werden müssen. Tatsächlich habe er jedoch erst am 13.10.2005 Widerspruch eingelegt.
Der Kläger hat deswegen am 20.12.2005 Klage beim Sozialgericht Leipzig erhoben.
Er beantragt in sachdienlicher Fassung,
den Bescheid vom 09.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2005 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, die außergerichtlichen Kosten des Vorverfahrens in gesetzlicher Höhe entsprechend der
Kostenrechnung der Prozessbevollmächtigten vom 26.07.2005 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, eine Gerichtsakte sowie
3 Verwaltungsakten der Beklagten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet durch Gerichtsbescheid, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, und der Sachverhalt ist geklärt; die Beteiligten sind hierzu vorher angehört
worden (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Dieser Gerichtsbescheid wirkt gemäß § 105 Abs. 3 SGG als
Urteil.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 09.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
18.11.2005 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger wird hierdurch nicht in eigenen Rechten verletzt, weil er
keinen Rechtsanspruch gegen die Beklagte auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten hat.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten war der Widerspruch zulässig. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der
Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist,
schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Ist für das
Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt, muss sich die Behörde an ihn wenden (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X)). Wendet sie sich stattdessen an den Beteiligten, muss der Bevollmächtigte verständigt
werden (Satz 3 der Vorschrift).
Vorliegend fehlt ein Vermerk im Bescheid vom 09.09.2005 dazu, wann dieser zur Post aufgegeben und abgesandt
worden war. Ausweislich der bei Gericht mit dem Klageschriftsatz eingereichten Ablichtung des Bescheides vom
09.09.2005 ist er in der Rechtsanwaltskanzlei am 13.09.2005 eingegangen. Der am 13.10.2005 eingelegte
Widerspruch war mithin noch fristgerecht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe eingelegt worden, sodass der
Widerspruch nicht als unzulässig zurückzuweisen war (zur etwaigen fristunschädlichen früheren Bekanntgabe an den
Kläger statt dessen Bevollmächtigten, vgl. auch SG Leipzig, Urteil vom 18.01.2007, Az.: S 8 KR 377/05,
veröffentlicht in "juris").
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt
erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Ein "erfolgreicher
Widerspruch" lag hier indes nicht vor. Vielmehr hatte der Kläger ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X
hinsichtlich des bereits bestandskräftigen Bewilligungsbescheides vom 14.03.2003 eingeleitet und kein
Widerspruchsverfahren nach § 62 SGB X i.V.m. § 78 SGG.
Zwar war dieser Überprüfungsantrag – wie sich aus dem Bescheid vom 18.05.2005 ergibt – erfolgreich; eine
ausdehnende Anwendung des § 63 Abs. 1 SGB X – auch auf erfolgreiche Überprüfungsverfahren – ist jedoch nicht
möglich; denn der Vorschrift lässt sich kein entsprechend allgemeingültiger Rechtsgrundsatz entnehmen, wonach bei
in der Sache für den Bürger erfolgreichen Verwaltungsverfahren die Behörde stets die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens zu tragen habe (wie hier: Roos, in: von Wulffen, SGB X-Kommentar, 4. Auflage, § 63 Rdnr. 6).
Wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts, der die Anwendbarkeit der Norm auf erfolgreiche Widersprüche
beschränkt, fehlt es somit an einer Lücke im Gesetz, die durch Richterrecht auszufüllen wäre. Für eine entsprechende
Anwendung der Kostenvorschrift bleibt mithin kein Raum. Wenn § 63 Abs. 1 SGB X eine Kostenerstattung
ausdrücklich nur für insoweit erfolgreiche Widerspruchsverfahren vorsieht, handelt es sich insoweit um ein "beredtes
Schweigen" des Gesetzes (BSGE 24, 207 (210)). Die vom Gesetzgeber nicht geschlossene bewusste Gesetzeslücke
schließt damit die begehrte Kostenerstattung aus.
Eine erweiternde Auslegung der Norm lässt sich auch nicht im Hinblick auf § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X rechtfertigen.
Danach gilt Satz 1 der Vorschrift auch dann, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung
einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Nach dieser Bestimmung ist indes
ausschließlich aus Billigkeitserwägungen heraus eine Kostenübernahme durch die Behörde angezeigt, wenn die
Rechtswidrigkeit nur dadurch geheilt werden konnte, in dem der ursprüngliche Verfahrensmangel wegen des zunächst
begründeten Widerspruchs behoben worden ist. Grundsätzlich behält aber der Widerspruchsführer bei in der Sache
erfolglosen Widersprüchen die Kosten auf sich selbst. Somit ist eine analoge Anwendung des § 63 Abs. 1 Satz 2
SGB X auch auf die in § 42 SGB X geregelten Fälle, in denen ein Verfahrens- oder Formfehler dann keine Bedeutung
hat, wenn keine andere Sachentscheidung hätte getroffen werden können, ausgeschlossen. Unerheblich ist dabei, ob
der Widerspruch als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird. Selbst wenn ein unzulässiger
oder unbegründeter Widerspruch die Behörde veranlasst, ihren unanfechtbaren Verwaltungsakt im Rahmen der §§ 38,
43 bis 48 SGB X zu berichtigen, scheidet eine Anwendung des § 63 SGB X auf vergleichbare Fälle aus (ebenso:
Hauck/Haines, SGB X-Kommentar, § 63 Rdnr. 5, 12. Lieferung).
Dies gilt damit erst recht für Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (Urteil vom 20.04.1983, Az: 5 a RKn 1/82, in: BSG SozR 3-1300, § 63 SGB X Nr. 1), der das
erkennende Gericht folgt, ist die Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X über die Erstattung von Kosten des Vorverfahrens
nicht entsprechend anwendbar für Kosten eines Verwaltungsverfahrens, das die Rücknahme eines Verwaltungsaktes
(Neufeststellungsverfahren) betrifft, obwohl dieses ebenfalls zum Verwaltungsverfahren im engeren Sinne gehört.
Wenngleich durch das Verfahren zur Rücknahme eines rechtswidrigen, hinsichtlich des Überprüfungsgegenstandes
nicht begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 44 SGB X) im Ergebnis das gleiche Ziel erreicht werden kann wie durch
einen Widerspruch gegen einen unrichtigen Bescheid, reicht dies allein nicht aus, beide Verfahren hinsichtlich der
Kostenerstattung gleich zu behandeln. Denn während der Widerspruch sich insoweit gegen einen noch nicht
bindenden Verwaltungsakt richtet, ist der Antrag auf Überprüfung auch in denjenigen Fällen möglich, in denen der
Verwaltungsakt bereits unanfechtbar im Sinne des § 77 SGG geworden ist.
Da eine Kostenerstattung durch die Beklagte somit außer Betracht bleibt, war die Klage mit der sich aus §§ 183, 193
SGG ergebenden Kostenfolge abzuweisen.