Urteil des SozG Leipzig vom 08.08.2007

SozG Leipzig: darlehen, rechtsschutz, besondere härte, zweitausbildung, auflage, schule, erstausbildung, hauptsache, wohnung, härtefall

Sozialgericht Leipzig
Beschluss vom 08.08.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 19 AS 1570/07 ER
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin für Juli bis Dezember 2007 vorläufig Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von mindestens 170,- EUR (in Worten: einhundertsiebzig) monatlich als
zinsfreies Darlehen zu erbringen. Die Tilgung des Darlehens ist bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 24. April
2007 in der Fassung des Bescheides vom 4. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2007
auszusetzen. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt. II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren notwendige
außergerichtliche Kosten zur Hälfte zu erstatten.
Gründe:
I. Die Antragstellerin (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin (Ag.)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die 1980 geborene, ledige und kinderlose Ast. bestand im Juli 1999 im Ausbildungsberuf Kauffrau für
Bürokommunikation die Abschlußprüfung (Zeugnis vom 7. Juli 1999). Am 18. Juli 2005 begann sie eine dreijährige
Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte bei ihrem Bevollmächtigten (Rechtsanwalt). Auf den
Berufsausbildungsvertrag vom 19. Mai 2005 wird verwiesen (Blatt 61ff der Verwaltungsakte). Wegen der weiteren
Einzelheiten der bisherigen (Erwerbs-) Biographie der Ast. wird auf deren Lebenslauf und die Angaben hierzu im
Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 20. Juli 2007 verwiesen (Blatt 127 und 130 der Gerichtsakte).
Bis Februar 2007 bezog die Ast. Vollwaisenrente.
Am 20. Februar 2007 beantragte die Ast. bei der Ag. die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ab März 2007.
Mit Bescheid vom 24. April 2007 lehnte die Ag. den Antrag ab. Die Ast. sei in Ausbil-dung. Diese sei dem Grunde
nach förderungsfähig. Daher seien Leistungen für die Ast. ausgeschlossen.
Dagegen erhob die Ast. am 24. Mai 2007 Widerspruch. Ein Leistungsausschluß bestehe nicht. Hilfsweise begehre sie
die Leistungen als Darlehen. Ihre Existenz sei massiv gefähr-det. Ihre Wohnung sei bereits gekündigt worden. Denn
sie habe die Miete nicht mehr zah-len können. Nach ihrer Erstausbildung habe sie keinen Arbeitsplatz gefunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Rechtsanwalts vom 6. Juni 2007 nebst Anlage hierzu
verwiesen (Blatt 95ff der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 11. Juli 2007 wies die Ag. den Widerspruch zurück. Die berufliche Zweitausbildung sei dem Grunde
nach förderungsfähig. Eine besondere Härte bestehe nicht.
Dagegen richtet sich die am 6. August 2007 erhobene Klage (Aktenzeichen: S 19 AS 1865/07).
Am 6. Juni 2007 beantragte die Ast. bei der Ag. die Erbringung der o.g. Leistungen als Darlehen. Mit Bescheid vom 4.
Juli 2007 lehnte die Ag. den Antrag ab.
Am 6. Juli 2007 beantragte die Ast. einstweiligen Rechtsschutz.
Am 20. Juli 2007 hat das Gericht mit den Beteiligten den Sachverhalt erörtert. Auf die Niederschrift über den Termin
wird verwiesen (Blatt 127ff der Gerichtakte).
Die Ast. ist der Auffassung, sie habe Anspruch auf die begehrten Leistungen, hilfsweise als Darlehen. Wegen der
Einzelheiten zum Vortrag der Ast. wird auf die Schreiben des Rechtsanwaltes vom 6. (nebst Anlagen) und 19. Juli
2007 verwiesen (Blatt 10ff und 119 der Gerichtakte).
Die Ast. stellt die Anträge aus dem o.g. Schreiben vom 6. Juli 2007.
Die Ag. beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
Ein Anspruch auf die begehrte Anordnung bestehe nicht. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf das Schreiben vom
11. Juli 2007 verwiesen (Blatt 111f der Gerichtsakte).
II. Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist teilweise begründet. Denn die Ast. hat zumindest ein
Recht auf Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts als Darlehen glaubhaft gemacht. Soweit
die Ast. Leistungen als Zuschuß und für die Zeit vor Juli 2007 begehrt, ist der Antrag unbegründet und war
abzulehnen.
1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirkli-chung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert wird, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen
sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog.
Regelungsanordnung).
a) Die Ast. begehrt (im Sinne des entsprechend anwendbaren § 123 SGG) Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ab März 2007. Hierfür ist die sog. Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft.
b) Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit (iVm) § 920 Abs. 2 Zivilprozeßord-nung (ZPO) hat die Ast. für
eine einstweilige Anordnung des Gerichts die Tatsachen für das Bestehen eines sog. Anordnungsanspruches und -
grundes darzulegen und glaubhaft zu machen. Die sog. Glaubhaftmachung ist der mildeste Beweismaßstab des
Sozialrechts. Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahr-scheinlich ist,
vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB Zehntes Buch (X). Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht nicht aus,
um diese Beweisanforderung zu erfüllen. Es genügt allerdings, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden
Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller
Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Vgl. ausführlicher hierzu zB Bun-dessozialgericht (BSG),
Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R (Rn 116), mwN. Zur Glaubhaftmachung von Tatsachen ist (auch) die
Versicherung an Eides Statt zulässig, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB X und § 294 Abs. 1 ZPO.
c) Für das Bestehen eines Anordnungsanspruches ist die Darlegung und Glaubhaftma-chung von Tatsachen
erforderlich, aus denen sich ein materiell-rechtlicher Anspruch er-gibt, vgl. hierzu ebenso zB § 916 ZPO. Ein Anspruch
ist ein Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können, vgl. § 194 Abs. 1 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB).
d) Der Anordnungsgrund erfordert das Bestehen einer besonderen Dringlichkeit. Die vor-läufige Regelung muß "zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig" erscheinen. Ent-scheidend ist hierfür vor allem, ob es dem einstweiligen
Rechtsschutz Begehrenden zu-mutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, vgl. hierzu zB Keller in:
Mey-er-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 86b Rn 28. Beson-dere Anforderungen
gelten, wenn ohne die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen
wären, vgl. hierzu zB Bun-desverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.
Kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Sach- und Rechtslage nicht voll-ständig aufgeklärt werden,
ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, vgl. BVerfG, aaO, (Rn 26) sowie hierzu zB Krodel, Maßstab der
Eilentscheidung und Existenzsiche-rung, NZS 12/2006, 637, 638ff und Spellbrink, Einstweiliger Rechtsschutz in
Grundsiche-rungsstreitigkeiten nach dem SGB II, Sozialrecht aktuell 1/2007, 1, 2.
2. Die Rechtslage wird in diesem Verfahren nicht abschließend beurteilt (dazu unter 3. bis 6.). Zur Abwendung eines
wesentlichen Nachteils, ist der Ast. vorläufig ein Darlehen zu erbringen (dazu unter 7.f).
3. Die Geltung des § 7 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) bei Ab-solvierung einer sog.
Zweitausbildung ist umstritten. Nach dieser Norm haben Auszubil-dende, deren Ausbildung im Rahmen des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches (SGB III) dem Grunde nach
förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
a) Der Tatbestand des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II entspricht § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundessozi-alhilfegesetz (BSHG) (in
der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) und § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB Zwölftes Buch (XII) (in der ab dem
1. Januar 2005 geltenden Fassung; die Änderungen zum 7. Dezember 2006 durch Art. 1 Nr. 3a und Art. 3 Abs. 1 des
Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006, BGBl. I Nr. 55, 2670, 2673
betreffen die Rechtsfolge und interessieren hier nicht).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Sächsischen (Sächs.) Landessozialgerichts (LSG) ist der Tatbestand des § 7
Abs. 5 Satz 1 SGB II gegeben, wenn das BAföG oder die §§ 60 bis 62 SGB III die "Ausbildung überhaupt - unter
welchen Voraussetzungen auch immer - als förderungsfähig regelt", vgl. zB die Beschlüsse vom 3. Mai 2006 - L 3 B
20/06 AS-ER, 5. September 2006 - L 3 B 255/06 AS-ER, 14. November 2006 - L 3 B 220/06 AS-ER, 27. November
20/06 AS-ER, 5. September 2006 - L 3 B 255/06 AS-ER, 14. November 2006 - L 3 B 220/06 AS-ER, 27. November
2006 - L 3 AS 234/06 ER (u.a.) und 16. Juli 2007 - L 3 B 381/06 AS-ER sowie das Urteil vom 2. November 2006 - L 3
AS 88/06. Das Zitat bezieht sich auf die Recht-sprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 26 Abs. 1
Satz 1 BSHG, vgl. zB Beschluss vom 13. Mai 1993 - 5 B 82/92. Andere (Landes-) Sozialgerichte vertreten diese
Auffassung ebenso, vgl. zB aus letzter Zeit bei einer "beruflichen Zweitausbildung" Hessi-sches LSG, Beschluss vom
15. März 2007 - L 7 AS 22/07 ER (mwN aus der Rechtspre-chung). Danach "greife" der Leistungsausschluß nach § 7
Abs. 5 Satz 1 SGB II bereits, wenn die Ausbildung nach § 60 Abs. 1 SGB III förderungsfähig ist. In der Literatur wird
diese Auffassung teilweise ebenso vertreten, vgl. zB Hohm in: Schellhorn / Schellhorn / Holm, SGB XII, Kommentar,
17. Auflage 2006, § 22 (SGB XII) Rn 18ff, insb. 20 und Valgolio in: Hauck / Noftz, SGB II, Kommentar, K § 7 Rn 87.
c) Die Ausbildung der Ast. ab Juli 2005 ist nach § 60 Abs. 1 SGB III oder (anders formu-liert) "überhaupt
förderungsfähig". Denn sie wird in einem nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) staatlich anerkannten
Ausbildungsberuf (vgl. die auf Seite 2 des Berufsausbil-dungsvertrages vor § 1 genannte Verordnung vom 23.
November 1987) betrieblich (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BBiG) durchgeführt. Der dafür vorgesehene
Berufsausbildungsvertrag wurde ebenso abgeschlossen.
d) Nach der bisher genannten Auffassung ist die Ast. somit keine Berechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II
(erwerbsfähige Hilfebedürftige) und hat kein Recht nach § 19 Satz 1 SGB II (in der ab dem 1. August 2006 geltenden
Fassung) auf Erbringung von Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen
Kosten für Unterkunft und Heizung als Arbeitslosengeld II (Geldleistung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II).
4. Die Argumente der o.g. Auffassung überzeugen das Gericht nicht (mehr) in vollem Um-fang. Vielmehr spricht
einiges dafür, daß die "Zweitausbildung" der Ast. nicht dem Grun-de nach förderungsfähig im Sinne des § 7 Abs. 5
Satz 1 SGB II ist, (im Ergebnis) ebenso aus der Rechtsprechung zB Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 25.
August 2005 - S 51 AS 896/05 und (unter Aufgabe der eigenen Rechtsprechung) LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.
Mai 2007 - L 2 AS 82/06 (jeweils mwN) sowie aus der Literatur zB Brühl / Schoch in: Münder, SGB II, Lehr- und
Praxiskommentar (LPK), 2. Auflage 2007, § 7 Rn 96; Brühl in: LPK-BSHG, 6. Auflage 2003, § 26 (BSHG) Rn 13;
Grube in: Grube / Wah-rendorf, SGB XII - Sozialhilfe, Kommentar, 1. Auflage 2005§ 22 (SGB XII) Rn 20; Peters in:
Estelmann, SGB II - Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kommentar, Stand Oktober 2006, § 7 Rn 93f und
Spellbrink in: Eicher / Spellbrink, SGB II, 1. Auflage 2005, § 7 Rn 44 (Spellbrink wird allerdings unter Berufung auf
dessen Ausführungen unter Rn 43 auch von den Vertretern der anderen Auffassung bemüht).
Denn die "Zweitausbildung" der Ast. ist nicht förderungsfähig im Sinne der §§ 59 Nr. 1, 60 SGB II. Eine
Förderungsfähigkeit nach dem BAföG scheidet bei einer betrieblichen Berufsbildung von vornherein aus.
Die §§ 60 bis 62 SGB III bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine berufliche Aus-bildung oder eine
berufsvorbereitende Maßnahme förderungsfähig im Sinne des § 59 Nr. 1 SGB III ist. Die persönlichen
Voraussetzungen für eine Förderung der Berufsausbildung (vgl. Viertes Kapitel, Fünfter Abschnitt, Überschrift) nach
dem SGB III ergeben sich aus §§ 63f SGB III, vgl. § 59 Nr. 2 SGB III. Wenn die in § 59 Nr. 1 und 2 SGB III
genannten Voraussetzungen gegeben sind, haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbei-hilfe.
Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist förderungsfähig (nur) die erstmalige Ausbildung. Die Ast. hat bereits eine
"erstmalige Ausbildung" in einem nach dem BBiG anerkannten Aus-bildungsberuf (vgl. das Prüfungszeugnis nach §
34 BBiG) "außerbetrieblich durchgeführt". Auf die Frage, ob die Förderungsfähigkeit der "Zweitausbildung" nur
ausgeschlossen ist, wenn die Erstausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des § 60
Abs. 1 SGB III durchgeführt wurde, kommt es somit nicht an, vgl. hierzu zB LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.
September 2006 - L 8 AL 5285/05, Revision anhän-gig unter dem Aktenzeichen B 7/7a AL 68/06 R.
Die Ausbildung der Ast. ist (kann) auch nicht nach §§ 61f SGB III förderungsfähig (sein).
5. Beide Auffassungen können mit dem Wortlaut des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II vereinbart werden.
a) Das Sächs. LSG (u.a.) stützt sich zur Begründung seiner Auffassung vorrangig auf den Sinn und Zweck dieser
Vorschrift. Hierzu könne auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG zu § 26 BSHG verwiesen werden. Denn § 7
Abs. 5f SGB II habe diese Regelung "inhaltlich unverändert übernommen", vgl. zB Beschluss vom 16. Juli 2007, aaO.
Danach sei die Sozialhilfe (im Ergebnis nunmehr auch die Grundsicherung für Arbeitsuchende) "davon zu befreien,
eine (versteckte) Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene" zu sein", vgl. zB BVerwG, Beschluss vom 13. Mai
1993, aaO, und Urteil vom 14. Oktober 1993 - 5 C 16/91.
Dieses Argument überzeugt das Gericht nicht (mehr) in vollem Umfang. Denn der (derzei-tige) Gesetzgeber hat sich
unlängst ausdrücklich für eine "bedarfsgerechte Ausgestaltung der Ausbildungsförderung" durch "eine entsprechende
Regelung im SGB II entschieden", so Staatsekretär Anzinger unter 2. in einer Schriftlichen Antwort vom 22.
Dezember 2006 (BT-Drucks. 16/3971) zur Anfügung des Absatzes 7 in § 22 SGB II mit Wirkung zum 1. Januar 2007
durch Art. 1 Nr. 21e und Art. 16 Abs. 4 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
vom 20. Juli 2006 (BGBl. I Nr. 36, 1707, 1709, 1720). Denn die Ausbildungsförderung werde "regelmäßig pauschaliert
gewährt" und könne unter bestimmten Voraussetzungen zu "Ausbildungsabbrüchen führen". Mit "dem neuen Absatz
7" werde für bestimmte Auszubildende "eine ... unbelastete Fortführung der Ausbildung ermöglicht". Vgl. zum
Vorstehenden die Ausführungen im Gesetzesentwurf vom 9. Mai 2006, BT-Drucks. 16/1410, Seite 24.
Spätestens seit dieser Gesetzesänderung bedarf der Topos, "keine (versteckte) Ausbil-dungsförderung auf zweiter
Ebene", einer besonderen Begründung, um weiterhin überzeu-gend zu sein. Dies gilt um so mehr, als die
Gesetzesänderung systemwidrig ist und insbe-sondere bei Annahme eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5
Satz 1 SGB II aufgrund (vermeintlich) dem Grunde nach förderungsfähiger Ausbildung Bedenken an einer Verein-
barkeit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bestehen, vgl. hierzu zB Berlit in: Münder, aaO, § 22 Rn 126f.
b) Soweit das Sächs. LSG zur Begründung seiner Auffassung weiterhin auf die "Gesetzes-genese" verweist (vgl. zB
Urteil vom 3. November 2006, aaO, unter wörtlicher Wiederga-be von Ausführungen im Beschluss vom 3. Mai 2006,
aaO), irrt es. Denn es übernimmt (offenkundig ungeprüft) Ausführungen von Spellbrink, aaO, § 7 Rn 5, die wiederum
unzu-treffend sind. Denn im "ursprünglichen Gesetzesentwurf" heißt es nicht: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die sich
in Ausbildung, in einer Schule oder Hoch-schule befinden oder stationär untergebracht sind, erhalten keine Leistungen
nach diesem Gesetz." sondern: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die sich in Ausbildung an einer Schule oder Hoch-
schule befinden oder stationär untergebracht sind, erhalten keine Leistungen nach diesem Gesetz.", vgl. BT-Drucks.
15/1516, Seite 10. Demnach sollten also u.a. nur "Personen in Schulausbildung oder Hochschulausbildung"
ausgeschlossen sein, vgl. aaO, Seite 52. Die Ast. absolviert keine Ausbildung dieser Art.
c) Schließlich kann zwar die Begründung des Sächs. LSG, bei "Aufnahme und / oder Fort-führung einer ... Ausbildung
werden jedoch gerade nicht alle Möglichkeiten zur Beseiti-gung der Hilfebedürftigkeit unternommen" (vgl. zB Urteil
vom 3. November 2006, aaO), zutreffen. Jedoch ist im Gegensatz hierzu im Einzelfall zu entscheiden, ob die
Hilfebedürf-tigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10
SGB II) beseitigt werden kann oder dem die Ausbildung entgegensteht, so zutreffend zB LSG Sachsen-Anhalt, aaO,
unter Verweis auf Brühl / Schoch, aaO, § 7 Rn 97 und Grube, aaO, § 22 (SGB XII) Rn 27.
d) Zu den weiteren Gründen der Gegenauffassung wird auf die Ausführungen des LSG Sachsen-Anhalt, aaO,
verwiesen.
6. Trotz der beachtlichen Gründe gegen die unter 3.b genannte Auffassung, sieht das Ge-richt von einer Entscheidung
der Rechtsfrage in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ab. Denn die Rechtsprechung des Sächs.
LSG kann insoweit als gefestigt betrachtet werden. Hiervon kann ggf. mit einer Entscheidung der Kammer im
Hauptsache-verfahren abgewichen werden. Dann wäre unter weiteren Voraussetzung auch die "Über-gehung der
Berufungsinstanz" (vgl. hierzu § 161 SGG) zulässig.
Das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Ast. auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) wird
dabei gewahrt. Denn "zur Abwendung wesentlicher Nachteile" ist es zwar "nötig" (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG), aber
auch ausreichend, die Ag. vorläufig zu verpflichten, der Ast. die begehrten Leistungen als Darlehen zu erbringen.
7. Rechtsgrundlage hierfür ist § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Selbst unter unterstellter Geltung des § 7 Abs. 5 Satz
1 SGB II und Würdigung der Recht-sprechung hierzu, hat die Ag. ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt. Zu den
Grenzen der ihr kraft Gesetzes eingeräumten (Entscheidungs-) Freiheit und der entsprechenden Rechtsmacht des
Gerichts wird auf die Ausführungen im Beschluss des erkennenden Ge-richts vom 26. Oktober 2006 - S 19 AS
1604/06 ER verwiesen.
a) Unter Würdigung der in vorgenannter Entscheidung angeführten Kriterien kann auch im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes die Verpflichtung zum Erlaß und zur Be-kanntgabe einer bestimmten (Ermessens-) Entscheidung
ausgesprochen werden, sog Er-messensreduktion auf Null. Denn der Ermessensspielraum der Ag. ist nach den von
der Ast. glaubhaft gemachten Tatsachen derartig eingeschränkt, daß sie ihrer Auffassung zu § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB
II folgend rechtmäßig nur eine einzige Entscheidung treffen darf.
b) Die fehlende Begründung ihrer Ermessensentscheidung (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) im Bescheid vom 24. April
2007 und der wiederholenden Verfügung hierzu im Bescheid vom 4. Juli 2007 hat die Ag. zwar im
Widerspruchsverfahren (-bescheid vom 11. Juli 2007) nachgeholt (vgl. hierzu § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X).
Jedoch erfolgte die Ausübung des Ermessens fehlerhaft.
c) Zur Beschreibung der "besonderen Härte" stützt sich die unter 3.b genannte Auffassung ebenso auf die
Rechtsprechung des BVerwG und anderer Verwaltungsgerichte zu § 26 BSHG, vgl. zB Sächs. LSG, Beschlüsse vom
5. September und 14. November 2006, je-weils aaO. Danach sei "ein besonderer Härtefall nur anzunehmen, wenn die
Folge des Alg II - Ausschlusses über das Maß hinausgeht, das regelmäßig mit einer solchen Leistungs-versagung
verbunden ist, und auch angesichts des Gesetzeszwecks, das Alg II von den finanziellen Lasten einer
Ausbildungsförderung zu befreien, übermäßig hart erscheint", so zB Sächs. LSG, aaO. In den beiden vorgenannten
Entscheidungen hat das Sächs. LSG im übrigen einen besonderen Härtefall angenommen. Denn dieser liege
"jedenfalls dann vor, wenn die finanzielle Grundlage für die Ausbildung, die zuvor gesichert war, entfallen ist, sofern
dies vom Hilfesuchenden nicht zu vertreten ist, die Ausbildung schon fortgeschrit-ten ist und der Hilfesuchende die
begründete Aussicht hat, nach der Ausbildung eine Er-werbstätigkeit ausüben zu können."
Diese Voraussetzungen hat die Ast. glaubhaft gemacht. Des weiteren sprechen zusätzliche Gründe für einen
besonderen Härtefall.
d) Zu Beginn der Ausbildung im Juli 2005 konnte die Ast. von der Sicherung ihres Le-bensunterhalts für die Dauer der
Ausbildung ausgehen. Denn zum einen hatte sie neben ihrer Ausbildungsvergütung jedenfalls bis zur Vollendung des
27. Lebensjahres (20. Feb-ruar 2007) ein Recht auf Vollwaisenrente, vgl. § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b SGB Sechstes
Buch und den Bescheid des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. Oktober 2006. Zum anderen lebte
sie zu dieser Zeit mit einer anderen Person in eheähnlicher Ge-meinschaft in einer Wohnung (Mietvertrag vom 1. April
2001). Diese Person war sozial-versicherungspflichtig beschäftigt. Deren Arbeitsentgelt führte für die Zeit ab Januar
2005 zur bindenden Ablehnung des Leistungsantrages der Ast. vom 27. Oktober 2004 (Bescheid vom 10. November
2004). Anhaltspunkte für ein fehlendes Vertrauen der Ast. auf finan-zielle Unterstützung ihres Partners bei
Fortbestand der Lebensgemeinschaft und zumindest nach Wegfall der o.g. Rente, insbesondere für das dritte
Ausbildungsjahr, sind weder er-kennbar noch vorgetragen. Im Gegenteil. Denn er habe die Aufnahme dieser
Ausbildung "unterstützt". Die Auflösung der eigenen Angaben zufolge sechs Jahre andauernden, mit-hin gefestigten,
Lebensgemeinschaft im Mai 2006 ändert an diesem Vertrauen im Sommer 2005 nichts. Nichts anderes gilt für den
dadurch entstehenden Bedarf nach einer eigenen Wohnung (Mietvertrag vom 8. bzw. 9. Juni 2006).
Die Ast. hat erfolgreich zwei Drittel der vorgesehenen Ausbildungszeit absolviert, vgl. Jahreszeugnis vom 20. Juli
2007 und die erläuternden Ausführungen ihres Ausbilders hier-zu im Termin vom 20. Juli 2007. Nach dessen
Erklärungen ist des weiteren beabsichtigt, sie nach erfolgreichem Abschluß ihrer jetzigen Ausbildung einzustellen. Die
Ausbildung dient somit der Aufgabe und dem Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 1 Abs. 1 SGB II). Denn
sie trägt dazu bei, daß die Ast. zumindest danach voraussichtlich ihren Le-bensunterhalt unabhängig von der
Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann.
"Demgegenüber besteht bei einem Ausbildungsbruch die Gefahr, dass die ... (hier: Ast.) auf lange Zeit nicht auf dem
Arbeitsmarkt vermittelt werden kann", vgl. hierzu zB Sächs. LSG, Beschluss vom 14. November 2006, aaO. Hierfür
spricht die bisherige Erwerbsbio-graphie der Ast. Denn trotz der Erstausbildung und hinreichend dokumentierter
(glaubhaf-ter gemachter) Bemühungen durch Vorlage diverser Bewerbungsschreiben aus den Jahren 2000 bis 2004 ist
es ihr bisher nicht andeutungsweise gelungen, auch nur eine "reguläre" sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
aufzunehmen.
Auch "halten sich die Folgen der Leistungsgewährung für die ... (hier: Ag.) in Grenzen, da ein Abbruch der Ausbildung
den Alg-Bezug als Zuschuss statt als Darlehen zur Folge hät-te", vgl. Sächs. LSG, aaO. Hier gilt nichts anderes.
Dessen ungeachtet sind sowohl Zeit-raum (maximal 13 Monate) als auch Höhe der Leistungen (maximal 200,- EUR /
monatlich) begrenzt.
Schließlich ist die Ast. Vollwaise. Eine finanzielle Unterstützung seitens der Eltern schei-det somit aus. Nichts
anderes gilt für die von der Ag. angesprochene Möglichkeit eines "zusätzlichen Verdienstes durch gelegentliche
Nebentätigkeit". Denn die Ast. ist keine Studentin, sondern Auszubildende mit einer regelmäßigen täglichen
Ausbildungszeit von acht Stunden (§ 6 Nr. 1 des Berufsausbildungsvertrages).
8.a) Die Höhe des monatlichen Darlehens lehnt sich an den tatsächlich ungedeckten Bedarf der Ast. an. Denn als
Berechtigte im Sinne § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebe sich für sie maximal (ohne Abzug der sog.
Warmwasserpauschale, vgl. hierzu zumindest für das bis zum 31. Juli 2006 geltende Recht zB Sächs. LSG, Urteil
vom 29. März 2007 - L 3 AS 101/06) ein Bedarf in Höhe von 661,- EUR monatlich (347,- Regelleistung + 314,-
Aufwen-dungen für Unterkunft). Dieser Bedarf ist derzeit (tatsächlich betrachtet) durch die Ausbil-dungsvergütung in
Höhe von 325,- EUR (vgl. die Ausführungen des Rechtsanwalts im o.g. Termin, den Aktenvermerk vom 8. August
2007 über eine Nachfrage hierzu und § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB Viertes Buch) und 169,- EUR Wohngeld (Bescheid
vom 22. Mai 2007) gedeckt. Die Differenz ergibt 167,- EUR. Der Ag. steht es frei, den ausgesprochenen Betrag (170,-
EUR) zu erhöhen, zB auf die hilfsweise begehrten 200,- EUR monatlich. Denn ihr Ermes-sen ist insoweit nicht
eingeschränkt.
b) Durch die Leistungen der Ag. ist die Ast. nicht von Wohngeld nach dem Wohngeldge-setz (WoGG)
ausgeschlossen, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 4 WoGG.
c) Zur (generellen) Zulässigkeit vorläufiger Regelungen im Sozialrecht wird zB auf die Urteile des BSG vom 28. Juni
1990 - 4 RA 57/98 (grundlegend) und 22. März 2006 - B 12 KR 14/05 R (aus jüngerer Zeit) verwiesen.
d) Sollte sich diese Anordnung unter Würdigung abweichender Erkenntnisse als rechtswid-rig erweisen, sind die
Leistungen von der Ast. zu erstatten. Dies entspricht der "vertragsty-pische(n) Pflicht" bei einem Darlehen, vgl. § 488
Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus kommt dann der Ersatz eines der Ag. evtl. entstandenen Schadens in Betracht,
vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 945 ZPO.
9.a) Soweit die Ast. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vor Juli 2007 (Eingang des Antrages auf
einstweiligen Rechtsschutz) begehrt, wurde kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Denn nach allgemeiner Auffassung besteht grundsätzlich kein Anordnungsgrund, soweit (Geld-) Leistungen im
einstweiligen Rechtsschutz für vergangene Zeiten begehrt werden, vgl. hierzu zB Sächs. LSG, Beschluss vom 19.
September 2005 - L 3 B 155/05 AS-ER (Rn 40) sowie Conradis in: Münder, aaO, Anhang Verfahren Rn 123; Berlit,
Vorläufiger ge-richtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende - ein Überblick, info
also 1/05, 3, 11 und Keller, aaO, § 86b Rn 28. Ausnahmen hiervon sind nicht ersichtlich. Die Ast. hätte spätestens
nach Bekanntgabe des Bescheides vom 24. April 2007 einstweiligen Rechtsschutz begehren können.
Von einem Ausschluß für die Zeit vom 1. bis 5. Juli 2007 wurde abgesehen.
b) Die Dauer der Leistungen beruht auf § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Die Anwendung des § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II (in
der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung) schied aus. Denn die Zeit bis zum voraussichtlichen Ende der
Ausbildung im Juli 2008 (13 Monate) übersteigt die maximal mögliche Ausdehnung des Bewilligungszeitraumes "auf
bis zu zwölf Monate". Die Ast. hat daher für die Zeit ab Januar 2008 bei der Ag. erneut die be-gehrten Leistungen zu
beantragen (vgl. hierzu § 37 SGB II), soweit bis dahin keine wesent-lichen Veränderungen der Verhältnisse eintreten.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 (letzterer in entsprechender Anwen-dung) SGG. Sie berücksichtigt
das Ergebnis des Verfahrens.