Urteil des SozG Landshut vom 18.02.2010

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Sozialgericht Landshut
Urteil vom 18.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 103/09
I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 05.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2009 wird
die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30.11.2008 hinaus Krankengeld bis zum Erreichen der
Höchstbezugsdauer von 78 Wochen zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Krankengeld über den 30.11.2008 hinaus.
Der am ...1950 geborene Kläger, von Beruf Schreiner, arbeitete zuletzt als Montageschreiner. Ab 21.04.2008 war er
arbeitsunfähig krank. Am 25.04.2008 erfolgte eine Innenmeniskushinterhornteilresektion linkes Kniegelenk sowie eine
offene laterale Retinakulumspaltung links. Ab 02.06.2008 bis einschließlich 30.11.2008 bezog der Kläger Krankengeld.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2008 dem Kläger die Einstellung der Krankengeldzahlung zum
30.11.2008 mitgeteilt hatte, beantragte dieser Arbeitslosengeld; dieses wurde ihm ab 01.12.2008 gewährt. Von der
Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd erhält der Kläger Teilrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei
Berufsunfähigkeit. Diese Rente ruht derzeit wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld.
Nach Angabe des Klägers wurde sein Arbeitsverhältnis bisher nicht beendet.
Nach übereinstimmender Feststellung des MDK Bayern (Gutachten vom 19.02.2009), des Arbeitsamtsärztlichen
Dienstes (Gutachten vom 05.01.2009) sowie der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd (Gutachten Dr. M, vom
19.06.2009) kann der Kläger aus gesundheitlichen Gründen seinen bisherigen Beruf als Montageschreiner nicht mehr
ausüben. Vollschichtig zumutbar sind ihm aus ärztlicher Sicht noch leichte Tätigkeiten mit gesundheitlichen
Einschränkungen. Nach den Feststellungen des MDK (Gutachten vom 19.02.2009) ist noch ein
"Restleistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen sowie zu ebener Erde" anzunehmen,
nach den Feststellungen des Gutachters Dr. M. (Gutachten vom 22.06.2009) sollte es sich um Tätigkeiten handeln,
die "wechselweise im Sitzen, Stehen und Gehen und ohne Bücken" verrichtet werden können.
In ihrer Widerspruchsentscheidung vom 03.06.2009 geht die Beklagte ebenfalls davon aus, dass der Kläger seine
bisherige Tätigkeit als Montageschreiner aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr verrichten könne. Das
Beschäftigungsverhältnis gelte somit faktisch als beendet. Innerhalb des Berufsbildes "Schreiner" gebe es jedoch
Tätigkeiten, die der Kläger mit den vorhandenen Leistungseinschränkungen ausüben könne, zu nennen seien dabei
Fachbauleiter, Fertigungsplaner oder Kundenberater im Schreinerhand-werk sowie Fachverkäufer im Bau-
/Heimwerkerbedarf.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zog das Gericht die Akte der Beklagten, die Schwerbehindertenakte
des Zentrums Bayern und Familie und Soziales, Landshut, die Akte des Arbeitsamtes Deggendorf sowie die Akte der
Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd zum Verfahren bei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung teilte die Beklagtenvertreterin mit, dass die Höchstbezugsdauer von 78
Wochen am 03.08.2009 erreicht sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte den Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
05.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2009 zu verurteilen, dem Kläger über dem
30.11.2008 hinaus bis zum Erreichen der Höchstbezugsdauer Krankengeld zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagten stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der
beigezogenen Akten und Unterlagen, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Entgegen den Feststellungen des Beklagten hat der Kläger über den 30.11.2008 hinaus (bis zum Erreichen der
Höchstbezugsdauer von 78 Wochen gem. § 48 Abs.1 SGB V) Anspruch auf Krankengeld.
Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
1. Gem. § 44 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn – abgesehen von den Fällen
stationärer Behandlung – Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des
Versicherungsfalles konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise
eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben könnte, ist unerheblich. Die
Krankenkasse darf Versicherte, solange das Arbeitsverhältnis besteht, nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen
Arbeitgeber "verweisen", die sie gesundheitlich noch ausüben könnten.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ändert sich der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der
Arbeitsunfähigkeit insofern, als dafür nicht mehr die konkreten Verhältnisse am (früheren) Arbeitsplatz maßgebend
sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf gleiche oder
ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der
Funktion des Krankengeldes eng zu ziehen ist. Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen
anerkannten Ausbildungsberuf, so scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufs liegende Beschäftigung
aus. Auch eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufes muss, was die Art der Verrichtung, die
körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe der
Entlohnung angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, so dass der Versicherte sie
ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeiten,
nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten deshalb größer ist, weil die Verweisung nicht durch die engen
Grenzen eines Ausbildungsberufes eingeschränkt ist (BSGE 85, 271 m.w.N.).
Die Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten entfällt nicht dadurch, dass er sich nach Beendigung seines bisherigen
Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos meldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt. Erst mit der
tatsächlichen Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit endet der Bezug zur früheren Beschäftigung und wird die
neue Tätigkeit zur Grundlage für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom
08.02.2000 B 1 KR 11/99 R). Hatte der Versicherte bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf
Krankengeld, ist ihm dieses bei unveränderten Verhältnissen bis zur Erschöpfung der Anspruchsdauer bzw. bis zu
dem Zeitpunkt zu gewähren, zu dem er von sich aus eine ihm gesundheitlich zumutbare Beschäftigung aufnimmt (vgl.
Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.12.2004 B 1 KR 5/03 R).
2. Im vorliegenden Fall kann der Kläger seinen früheren Beruf als Montageschreiner aus gesundheitlichen Gründen
nicht mehr ausüben. Davon geht auch die Beklagte aus. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, welches
Tätigkeitsfeld dem Kläger zur Vermeidung des Leistungsfalles Krankengeld noch zuzumuten ist. Die Beklagte geht
hierbei vom Berufsbild des Schreiners aus und benennt beispielhaft Tätigkeiten wie z.B. Fachbauleiter,
Fertigungsplaner oder Kundenberater im Schreinerhandwerk sowie Fachverkäufer im Bau-/Heimwerkerbedarf. Die
genannten Tätigkeiten erfüllen jedoch nicht die vom Bundessozialgericht (BSGE 61, 66) genannten engen
Voraussetzungen, unter denen eine Verweisung bei Versicherten mit einem Ausbildungsberuf zulässig ist. Dass der
Kläger, abgesehen von der gesundheitlichen Eignung, als Fachbauleiter oder Fertigungsplaner ohne größere
Umstellung und Einarbeitung arbeiten könnte, hält die Kammer für ausgeschlossen. Die Tätigkeit eines
Kundenberaters im Schreinerhandwerk sowie eines Fachverkäufers im Bau- und Heimwerkerbedarf entspricht
ebenfalls, was die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten angeht,
nicht dem Berufsbild des Fenster- und Türenmonteurs.
3. Der demnach grundsätzlich bestehende Anspruch auf Krankengeld scheitert auch nicht an der Ruhensvorschrift
des § 49 Abs.1 Nr.5 SGB V, weil der Beklagten das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nicht spätestens innerhalb
einer Woche gemeldet wurde. Zwar hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung die Gewährung von
Krankengeld bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen
zweifelsfrei gegeben waren und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht
rechtzeitigen Zugang der Meldung zur Last gelegt werden kann. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte das
Krankengeld jedoch zu Unrecht eingestellt und den Kläger an das Arbeitsamt verwiesen. Der Kläger ist nicht
arbeitsfähig geschrieben worden, weil sich sein Gesundheitszustand gebessert oder die medizinische Beurteilung
seiner Leistungsfähigkeit geändert hätte. Grund war vielmehr die unzutreffende rechtliche Bewertung, dass sich die
Beurteilung der Ar-beitsfähigkeit wegen der "faktischen" Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht mehr an der zuletzt
ausgeübten Tätigkeit auszurichten habe. Dabei handelt es sich um einen Fehler, der unmittelbar der Krankenkasse
selbst zuzurechnen ist. Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 08.02.2000 (B 1 KR 11/99 R) hierzu
weiter ausgeführt: "Auch wenn man dem Versicherten entgegen halten wollte, er müsse sich in Fällen einer
medizinisch begründeten Fehleinschätzung seiner Arbeitsfähigkeit durch Aufsuchen weiterer Ärzte selbst um eine
Korrektur bemühen, kann dies nicht gelten, wenn die unrichtige Feststellung der Arbeitsfähigkeit rechtlich begründet
ist und nur durch die Kasse selbst richtig gestellt werden könnte. Es kann sich in einer solchen Situation für den
Betroffenen auch nicht nachteilig auswirken, wenn er die Entscheidung der Krankenkasse zunächst unwidersprochen
hinnimmt. Die Auffassung des LSG, dass eine nachträgliche Richtigstellung auch bei allein von der Kasse zu
vertretenden Fehlentscheidungen auszuschließen ist, führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des
Versicherten, der weder durch den Wortlaut noch durch den Zweck der Ruhensvorschrift des § 49 Abs.1 Nr.5 SGB V
gerechtfertigt wird". Nachdem die Beklagte im vorliegenden Fall, von einer falschen Rechtsauffassung ausgehend
(Bescheid vom 05.11.2008: "Verweisung" auf den allgemeinen Ar-beitsmarkt), die Weiterzahlung von Krankengeld
verweigert hat, hätte auch die Vorlage einer AU-Bescheinigung offensichtlich zu keinem anderen Ergebnis geführt.
Eine einschränkende Anwendung der Ruhensvorschrift des § 49 Abs.1 Nr.5 SGB V ist daher nach Auffassung der
Kammer im vorliegenden Fall gerechtfertigt.
4. Nachdem der Kläger im maßgeblichen Zeitraum durchgehend Arbeitslosengeld bezogen hat, insoweit sein
Anspruch auf Krankengeld also erfüllt ist (§ 107 SGB X), steht ihm im Ergebnis nur noch der sogenannte
Krankengeldspitzbetrag zu.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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